J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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XL.

Das Landesmuseum ist der Ruhm des Volkes! Der Einheimische betritt es mit vaterländischem Stolze, der Fremde mit Bewunderung, und jedem gebildeten Manne, der sommerfroh das Land durchpilgert, ist es ein Mekka, an dessen Schwelle er den Wanderstecken ruhen läßt. Die Bilder großer Zeiten umrauschen ihn!

In der herrlichsten Lage der Stadt auf den ehemaligen Uferbastionen, an der Stelle, wo die Villa Venedig stand, erhebt es sich zwischen alten malerischen Bäumen an kleinen Buchten, auf denen sich die Wasserlilien wiegen, und vor ihm blaut der See, auf welchem die weißen Segel im Spiel der Sommerwinde gleiten. Über den Bau ragen zwei Türme mit weiß und blauen Spitzhelmen aus glasierten Ziegeln, sie grüßen in die lebensfreudige Stadt und bis zu den fernen reinen Firnen. In der halben Höhe des einen Turmes steht ein verwittertes Steinbildnis: die Frau von Reifenwerd! Ja, in seinen wesentlichen Bestandteilen ist das Museum die wunderherrlich am See neu erbaute Abtei Reifenwerd. Man sagte sich mit Recht, daß es keine glücklichere Lösung gäbe, um die vielen kostbaren Altertümer, die aus dem Dominikanerinnenkloster an der Reif stammen und Kern und Stern des Museums bilden, voll zur Geltung gelangen zu lassen, als wenn sie wieder in die gleichen stimmungsvollen Räume eingefügt würden wie einst. Da ist das altersgraue Thor mit der Pförtnerei, dahinter erhebt sich die hohe gotische Kirche, und tritt man in das dreischiffige Innere, so strahlen und leuchten die Glasgemälde und setzen den Raum in ein zauberisches Feuer. Die Kirche ist aber reicher geschmückt als die von Reifenwerd. Zerschlissene Ehrenbanner, eroberte Fahnen aus den Freiheitsschlachten flüstern von Krieg und Sieg, Morgensterne und Hellebarden, Helme und Panzer, die noch die Spuren des Schlachtfeldes tragen, ruhen zu Hunderten um den Altar der Gottesmutter, welcher die frommen Vorfahren nach errungenem Siege die Waffen opferten.

Ein Blick auf die herrlich geschnitzten Stühle, auf die alte kunstreiche Kanzel, und durch eine Seitenthür tritt der Besucher in die blühende Rosenpracht des Kreuzganges, hinter dessen epheuverhangenen Bogen die Grabmäler der Ritter stehen. Das ist wieder Reifenwerd!

Ein Grabstein, derjenige, der nächst der Kirchenthür stand, fehlt in der langen Reihe. Der Stein der Königin Agnes mit Spruch und Doppelkreuz. Der Stein wurde in der Villa Venedig trotz eifrigen Forschens nicht gefunden. Das merkwürdige Stück muß schon vorher durch seine Besitzerin heimlich weggeschafft worden sein und ist verschollen.

Und wo ist sie, die phantasiereiche, lebenslustige Sigunde Hohspang? Die einen erzählen, sie sei keineswegs arm aus der Heimat gegangen, sondern lebe unter angenommenem Namen in einer fernen Weltstadt, andere neigen zu dem Gerüchte, sie sei Katholikin geworden und in ein Frauenkloster eingetreten. Bei ihrer sprunghaften Natur ist keines von beiden unwahrscheinlich. Das Merkwürdigste ist, daß sie sogar denen, die sie wohl kannten, nur wie eine Gestalt der Sage in der Erinnerung steht, umflossen von einem Schein des Märchens wie einst vom Schein ihres stolzen Blondhaars. Kein Weib hat die Einbildungskraft des Volkes, schon da sie mitten in seinen Tagen lebte, so stark beschäftigt wie Sigunde Hohspang, stets reicher spinnt sich nun die Legende von ihrer Güte und von ihrer Grausamkeit um ihren Namen. Selbst ihre bittersten Feinde geben aber zu, daß sie von einem leuchtenden Strahl verklärt sei. Sie hat den Reichen des Landes das Beispiel der stets offenen Hand für Kunst und Künstler gegeben, die einzig dann wie der arme Fredy Cella durch sie unglücklich wurden, wenn sie sich in die Liebe zu ihr verstrickten.

Sigunde Hohspang hat nur den Mann geliebt, den sie aufs Rad flocht, dem sie aber dann die stolzeste Abtei des Landes gründete, ein Werk würdig der Königin Agnes von Ungarn!

Und wo ist das Denkmal Felix Notvests? Durchschreitet man die weitläufigen Zimmerfluchten des Museums, die sich in freier Ausgestaltung an die gotische Kirche und den Kreuzgang fügen, so tritt man in eine alte trauliche Stube mit einer von Spruchbändern durchzogenen Decke. Es ist eigentlich das Zimmer der letzten Äbtissin des Dominikanerklosters Reifenwerd, an der Thür aber steht geschrieben: »In dieser Stube entstand der Gedanke des Landesmuseums!« Auf dem Tisch liegt eine alte Bibel aufgeschlagen und auf dem ersten Blatt steht vom letzten Antistes zierlich geschrieben die Eintragung: »Fest sei in der Not, Felix. Und wenn alles um dich wankt und weicht, soll dir vor Menschenwitz nicht bangen, so du nur vor Gott und dir selber in Ehren bestehest.« Darunter ist eine Eintragung mit der festeren Schrift Felix Notvests, die er am Todestag geschrieben hat: »Vater! Ich habe bestanden in Schmerzen!« Auf dem Pult liegen die Eingabe des Pfarrerjünglings an die Regierung, das Schriftstück ist aus alten Staatsakten hervorgesucht worden, daneben das Fabrikgesetz. Über dem Pult stehen zwei herrliche Elfenbeinfiguren, die den heiligen Johannes und die heilige Magdalena darstellen, und zwischen beiden hängt ein lebensgroßes Bild Felix Notvests.

Gewiß ein einfaches Denkmal, aber kein guter Mensch kann ohne Rührung vor das Bild treten, das die Güte und den Seelenadel des Pfarrers treu wiedergiebt. Und immer schmückt es die Dankbarkeit mit grünen Kränzen.

Die Geschichte des Landes hat gerechter gerichtet als die Mitwelt! Sie feiert den Vorkämpfer des Fabrikgesetzes, den Gründer des Landesmuseums als einen der größten Söhne des Volkes, und das häßliche Wort »Apostat!«, das dem Lebenden so unendlich weh gethan hat, ist verrauscht.

Von Sigunde Hohspang hat man noch zweimal gesprochen. Eines Tages, als sich einige Nonnen des Dominikanerinnenordens in die Scharen weltlicher Besucher des Museums mengten, kniete eine von ihnen vor dem Bild Felix Notvests nieder und weinte herzzerbrechend. Da sprach die Priorin scharf: »Schwester Ursula! – Sie gehören nicht mehr der Welt! Kommen Sie!« Die Nonnen zogen die Schluchzende hinweg. Teilnahmvolle Zuschauer, die der Fassungslosen ins schmerzvolle Gesicht geblickt hatten, wollten in ihr die ehemalige lebenslustige Sigunde Hohspang erkannt haben, die frühere Herrin des herrlichen Uferflecks, auf dem das Museum steht. Und wieder sprach man viele Jahre später von ihr, als die Zeitungen meldeten: »Der verschollene Grabstein der Königin Agnes von Ungarn hat sich gefunden! Er steht auf dem frischen Hügel eines kleinen Nonnenkirchhofes im rauhen Gebirg!«

»Jacet hic pelegrina insatiabilis. Satura. Hier ruht eine unersättliche Pilgerin. Sie ist satt geworden!«


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