J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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XXXIX.

Seltsam! Es ist, als habe Felix Notvest einzig noch gelebt, um von den Glocken zu hören, daß der Gedanke des Nationalmuseums gerettet ist, daß es entsteht. Er sieht seine Christli in unendlicher Treue an, noch einmal flüstert er ihren Namen – und das flackernde Herz, das so viel gelitten hat, ist still geworden.

Das Volk aber weiß, daß einer seiner Besten starb!

Ein stummer Zug bewegt sich von der Stadt die alte, nun vereinsamte Straße der Steige dahin, wo der treue, große Volksführer oft in Anfechtungen gegangen und er in einer der dunkelsten Stunden den erquickenden Trunk der Liebe am Waldbrunnen gethan.

Die ungetreue Gemeinde Reifenwerd hat sich die Ehre nicht rauben lassen, ihren getreuen Pfarrer in ihre Mitte zu nehmen, und da er nie ein Grabmal hat wollen, so ließ sie unter die Kanzel den Spruch malen: »Hier hat ehrenfest gestanden, die Liebe gepredigt und die Wahrheit gesprochen der Pfarrer Felix Notvest, ein leuchtendes Vorbild für seine Nachfolger!«

Maililien vom Waldbrunnen an der Steige blühen in reicher Menge auf seinem Grab. Wohl siebenmal haben sie schon, wenn ihre Zeit da war, das Grab mit ihren lieblichen Blüten übersät.

Oft kniet eine herbe Frauengestalt mit dunklen Augen unter langen Wimpern an dem Grab. Wenn es Abend läutet, erhebt sie sich. Sie wandelt gemessen durch das Dorf, und die Arbeitsleute, die vor den Wohnungen Feierabend halten, grüßen sie mit hoher Achtung und zutrauensvoll. Sie ist wohl ernst und lacht selten, aber sie vollbringt im Sinne des Toten, den sie besucht hat, Werke der Liebe im Dorf. Besonders aber sind ihr die Herzen zugethan, weil sie, die Schwester des Fabrikherrn, ihre Mitwirkung nie versagt, wenn es gilt, das Leben der Gemeinde mit Kunst zu verschönen. Sie spielt auf ihrer Geige die süßen, getragenen Melodien, die goldenen Töne, die das Herz über den flüchtigen Tag zu Höherem und Besserem erheben. Ahnen es die Zuhörer und Zuhörerinnen, daß eine Künstlerin, die nach dem Höchsten hatte greifen dürfen, mit ihrer weihevollen Kunst zu ihnen spricht? Ja, sie danken es ihr! Doch sind es nicht die alten Reifenwerder! Die letzten Grauköpfe von Bauern, auch die Seidenweberin Susanne Stockar, hat der Tod dahingemäht. Eines Tages wird es in Reifenwerd keinen Landwirt mehr geben. Der letzte, der frühere Großrat Stamm, schickt seinen einzigen Sohn, einen sehr begabten Jungen, auf das Gymnasium. Dagegen hört man, daß im fernen Westen Amerikas ein Bauerndorf Neu - Reifenwerd hoffnungsreich gedeihe. Das alte Reifenwerd ist ein blühendes, sich stetig entfaltendes Industriestädtchen, das Vorbild einer wohlverwalteten Gemeinde geworden. In den früheren Bauernstuben haust kein armseliges Spinnervolk mehr, sondern da wohnen in Luft und Licht und wachsendem Wohlstand die Familien einer intelligenten, selbstbewußten Metallarbeiterschaft, und die eine Weile verwahrlosten Gärten an den Straßen sind wieder aufs Neue der Stolz des Dorfes.

In dem ehemaligen Hause des Kommandanten, dessen Fenster wieder hell durch die Spaliere blitzen, ist die »Lony-Stiftung«, eine Bibliothek mit Lese- und Schreibinstitut für die Dörfler eingerichtet, wo man durch Reifenwerd geht, spürt man den Geist des Mannes, der das Andenken seines frühvollendeten Weibes mit einem Büchergeschenk verewigte. Der Wohlfahrtseinrichtungen sind im Dorf mancherlei.

Und Heueler und sein Blättchen »Der Tambour«? Der neue Fabrikherr that, als sähe er es nicht. Aus Mangel an Abnehmern ging es eines Tages von selber ein, Heueler giebt jetzt in der Stadt ein Kriminalblatt heraus, das der gesunkene Mann in den Wirtschaften vertreibt. Und doch sind in Reifenwerd Spuren seiner Wirksamkeit geblieben, nur hat sich die wilde Bewegung, die seine Hetzartikel unter den Arbeitern hervorgerufen haben, wie gärender Most geklärt. Die mächtige junge Partei, die sich daraus gebildet hat, steht Mann für Mann auf dem Boden des Vaterlandes, sie sucht auch nicht mit Streiken ihre neuen Ziele und Wünsche zu erzwingen, sie ringt mit ruhiger Ueberlegung.

»Meine Arbeiter sollen sich mit den Fragen des Vaterlandes beschäftigen, sie sollen ihre Standes- und Berufsvorteile wahrnehmen. Es ist ein Naturgesetz, daß die Flut, die im Dunkel der Wassertiefen ruht, sich in die Höhe drängt, wo die Sonne leuchtet, ein Naturdrang der Niedersten des Volkes, daß sie steigen! Sie üben ein selbstverständliches Recht!« So spricht der Mann, der in der Strohhütte geboren wurde und sich aus eigener Kraft zum ersten Industriellen des Landes aufgeschwungen hat. Er ist ein besonderer Freund der Jugend, der er ermunternd und helfend die höchsten Ziele aufsteckt. Im übrigen hat Karl Wehrli für die Leitung der Werke bereits eine starke Stütze an seinem Sohne Hans Ulrich, und er selber widmet sich je länger desto mehr den allgemeinen Angelegenheiten des Landes: er ist sein weitsichtiger Vertrauensmann beim Abschluß der Handelsvertäge, sein erster Vertreter an den Weltausstellungen, und in Reifenwerd, wo wieder ein starkes Heimatgefühl unter den Bewohnern aufgeblüht ist, blickt man mit Stolz und liebevoller Verehrung auf den thatkräftigen Förderer alles dessen, was dem Gedeihen des Landes frommt.

Frau Wehrli hat sie noch erlebt, die neue Blüte Reifenwerds und die hohen vaterländischen Ehrenstellen ihres Sohnes, und als steinaltes Mütterchen geht sie an der Seite Christlis noch durch das Landesmuseum, wie das »Nationalmuseum« endgültig den Namen erhalten hat, und staunt über dessen Pracht.

Noch mehr über eine besondere Entdeckung: »Gott, das ist ja die Abtei Reifenwerd!«

»Ja, Mütterchen,« lächelt Christli. »Reifenwerd, das Rudolf Fürst zerstört hat, ist wieder erstanden! Und ich kann ohne Klage an meinen Felix denken. Sein brechendes Auge hat ja den Aufgang der Sonne gesehen!«


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