J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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XII.

Wie der stumme Jammer im schmalen Gesichtchen seiner Lieblingskonfirmandin Felix Notvest, sein Sinnen und Denken ergreift! Seine Gedanken sind mehr bei dem armen, verachteten Spinnmädchen als bei seiner feinen Braut Sigunde.

Bis in seine Studierstube dringt das Sausen der Spinnstühle, die von morgens früh, mit einer Stunde Unterbrechung um die Mittagszeit, bis abends um acht Uhr laufen. Und wenn ihn das Geräusch weckt, so denkt er: Jetzt steht das Christli schon an seiner Arbeit. Eine große Unruhe überfällt ihn. Soll er sich damit zufrieden geben, daß er in seinem Unterricht manche Demütigung, die Mitschülerinnen der Spinnerin zudenken, verhüten und dem verschüchterten Mädchen etwas Duldung verschaffen kann?

Darüber nachzudenken hat er um so mehr Zeit, als Sigunde in der Gegenwart ihrer zukünftigen Schwägerin Kitty Bell reiche Zerstreuung findet.

Fast täglich ist in der Mühle Gesellschaft. Kitty Bell, die zunächst bei der Familie des Regierungsrates Hohspang wohnt, welche mit der ihrigen durch alte Handelsfreundschaft verbunden ist, kommt mit Alfred Hohspang häufig nach Reifenwerd, und Sigunde, die für alle neuen Erscheinungen in ihrem Bekanntenkreise empfänglich ist, hält gute Kameradschaft mit der aschblonden Engländerin, auf welcher der Hauch der großen Welt ruht und die mit ihrer immer gleichen Kühle, mit ihrer unerschütterlichen Sicherheit zur Achtung zwingt.

Am meisten interessiert sich Miß Bell für die Villa, die ihr Verlobter baut. In England schon hatte sie sich von ihm die Burgruine Reifenloh mit ihren Mauerzacken beschreiben lassen und selbst die Anregung gegeben, das künftige Heim nach englischen Vorbildern in einer romantischen Vermengung von Neu und Alt darein zu fügen.

»Da uwerden wir maken das – da das – das muß uwerden eine Anlage!« So verfügt die kühle, steifvornehme Kitty, und in einer Stunde kennt Rudolf Fürst ihre Wünsche für die Ausgestaltung ihres Wohnsitzes.

»Nicht wahr, sie hat praktischen Sinn?« flüstert er der Schwester bewundernd zu.

»Sie scheint mir ein wenig herrisch,« antwortet Sigunde voll Schelmerei.

»Ach, weil du selbst nicht weißt, was du willst, magst du eine klare Natur nicht leiden,« versetzt er wegwerfend.

Aber bald muß er erfahren, wie peinlich es werden kann, wenn Kitty Bell ihre Verfügungen mit der Sicherheit einer Dame trifft, die von Jugend auf zu befehlen gewohnt ist.

Sie tritt mit den Geschwistern in das hohe gotische Gotteshaus der Abtei.

»Pretty, pretty – ravishing – ganz prächtig!« Sie will in die Hände klatschen, da erinnert sie sich an die Weihe des Ortes, an dem sie steht. »Man uwird bringen die Glaß mit die Figurs auf Reifenloh – uwird sein adelsvoll zu haben eine Veranda oder eine Gartencottage mit die Glaß – uwird sein als in english castels – uwenn uns besuchen englishmen, uwerden sie sagen: >Splendid< – in England kosten Glaß uwie diese zweihundert Pfund bis fünfhundert Pfund das einzige Glaß.«

Da wird es Rudolf Fürst in der kühlen Kirche schwül, er stottert: »Die Scheiben sind verkauft!« Sigunde aber lacht über seine Verlegenheit, und wie auch seine Augen bitten, sie möchte ihn vor Kitty nicht bloßstellen, treibt doch der Dämon des Uebermutes Sigunde zu der Bemerkung: »Alles hat mein Bruder in England nicht gelernt, vor allem die Wertschätzung der Glasgemälde nicht. Er hat sie zu einem lächerlichen Preis verkauft.«

»O, o,« versetzt die Engländerin, welche die Aufregung ihres Bräutigams nicht sieht oder nicht sehen will, »es ist ein großer Fehler, aber man uwird kaufen zurück die Glaß – nicht uwahr, Herr Rudolf, Sie uwerden kaufen zurück, es ist – uwie saken man in deutsch – es ist notuwendig!«

Rudolf Fürst verbeißt einen Fluch auf die unbeirrbare Festigkeit Kittys. »Gewiß, wenn's geht, so kaufe ich die Scheiben zurück!« versetzt er. Sigunde erzählt der zukünftigen Schwägerin den Kampf Felix Notvests um die Altertümer, ernsthaft hört Miß Bell zu, und wie sie mit Sigunde einmal den Pfarrer trifft, reicht sie ihm mit achtungsvollem Lächeln die Hand: »Sie kennen die Glaß! In diesem Lande ist kein kluger Mann als Sie, Herr Pfarrer.«

Sigunde errötet! Sie giebt viel auf die Urteile der Schwägerin, die aus den Erfahrungen einer großen fremden Welt spricht, sie ahnt, daß sie ihren Verlobten mit seiner Begeisterung für die alte Kunst zu leicht gewogen hat. Ihr ist, sie hätte an ihm ein Unrecht gut zu machen, und ehe sich Felix Notvest darauf versieht, schweben über ihm wieder Liebestage so hold und sonnig herauf, wie in der Stille des Rosengartens. Im anbrechenden Winter giebt es reizvolle Besuche bei den Eltern in der Stadt, um die Sigunde ihre glücklichsten Talente entfaltet. Wie bezaubert sie ihre Kreise mit ihrer natürlichen und warmen Empfänglichkeit für schöne Anregungen jeder Art. Mit innerster Wonne sieht es Felix Notvest, wie selbst die kühle Miß Bell sich dem berückenden Eindruck des leicht entflammbaren Wesens seiner Braut nicht entzieht.

Sigunde ist in seinen Augen das Sonnenkind, geboren für das Glück, für das eigene und für dasjenige der anderen! Nur leise will ihn manchmal das Gefühl überschleichen, daß im Dunkelsten ihrer Seele bei aller Romantik eine dämonische Selbstsucht ruhe.

Dann, wenn er an das arme Christli denkt. Die grauen, kühlen Augen, die manchmal so merkwürdig ins Grüne nachdunkeln, hemmen ihn an jedem guten Entschluß.

Eines Abends will er von einer Sitzung der Kirchenpflege, die im »Hirschen« stattgefunden hat, durch den hohen Schnee in sein Pfarrhaus zurückkehren. Da liegt, halb an einen Balken hingelehnt, am Eingang der Brücke eine elende Gestalt in dünnem Kattunkleid, ein dreizipfliges Wolltuch um den Kopf.

»Christli!« spricht der Pfarrer in herzlichem Erbarmen, »erwache, ich begleite dich zu deiner Mutter!« Wie aber das Kind, das im Kampf mit dem hohen Schnee vor Uebermüdung eingeschlafen ist, zu sich selber kommend, den Pfarrer erkennt, schreit es in einem jähen Abscheu vor ihm mit schreckhaft verzerrten Zügen: »Nein, nein, lassen Sie mich!« Es rennt sinnlos, so daß es wieder in den Schnee stürzt, wie eine Verfolgte gegen das Dorf.

Da weiß es der Pfarrer: selbst wenn es in seiner Macht stände, Christli etwas Gutes zu erweisen, so würde das beleidigte Kind doch nicht die kleinste Wohlthat aus seiner Hand annehmen.

Nun ist er in einer wahren Herzensangst um das Mädchen.

Wie er einmal mit Sigunde durch einen sonnbeglänzten Tag wandert, läutet die Fabrikglocke. Die jugendlichen Fabrikarbeiterinnen eilen aus der Abtei, eine blasse, hastige, dunkle Schar. Gedankenvoll läßt Felix Notvest den Blick auf dem Völkchen ruhen und sein Gesicht verdüstert sich.

»Was kommt denn über dich?« scherzt Gigunde leichthin.

»Mir gefällt der Betrieb deines Bruders nicht!« versetzt der Pfarrer ernst. »Ich sehe jetzt in der Schule die übernächtigen Spinnmädchen und Spinnbuben, die willenlos in den Bänken einschlafen und vor Schlaffheit dem Unterricht nicht folgen können. Zehnjährige Kinder sind in der Spinnerei beschäftigt, kurz, dein Bruder betreibt seine Industrie in gewissenloser Weise, und manchmal ist es mir, ich hätte als Pfarrer die Pflicht, den Schutz der Behörden für die armen Kinder anzurufen.«

Sigunde lacht etwas gezwungen und schüttelt über den Verlobten die volle Schale ihres Spottes: »Illusionen, Felix! Ein neues Luftschloß! Du denkst natürlich an die kleine Konfirmandin, die zu deinen Fenstern so rührend emporgegeigt hat. Aber was versteht ein Gelehrter vom Betriebe einer Fabrik!«

Schwere Tage der Verstimmung sind wieder da. Sie ist nicht das Weib, dessen ich bedarf, sie hat kein Herz, schreit es laut in der Brust des Pfarrers.

Mit einer gewissen Absichtlichkeit vernachlässigt auch Sigunde ihren Bräutigam. Der Aufenthalt Kitty Bells in der Familie des Regierungspräsidenten Hohspang giebt ihr ungezwungene Gelegenheit zu Besuchen in der Stadt. In der Villa Venedig, dem vielbewunderten Besitztum des Regierungspräsidenten, das zwischen hohen Bäumen an der Stelle einer ausgedehnten ehemaligen Stadtbastion hinreißend schön an den Ufern des Sees gelegen ist, gefällt es Sigunde besser, als sie jemand zugestehen will. Sie hat Sinn für den vornehmen Luxus des Hauses, für die persischen Teppiche, für die Gemälde und Statuen, selbst für die stimmungsvolle Umgebung und für den See, der durch die winterdürren Bäume in die Fenster der Villa blitzt.

In tiefen Zügen genießt sie die Anregungen der reichen Welt, die in dem gastfreundlich offenen Haus ein und aus geht. Es ist eine Gesellschaft von Fabrikanten und Handelsherren, von Beamten und Gelehrten, die den über das ganze Land verbreiteten Anhang, den »Ring« Robert Hohspangs bilden. So wird der Kreis von einer kleinen, aber erbitterten Gegnerschaft des Staatsmannes genannt, in dessen Hand offen und geheim alle Fäden der höheren und niederen Politik des Landes zusammenlaufen. Der Verkehr trägt in dem überall hin vervetterten und verschwägerten Hause das Gewand reizvoller Geselligkeit, und Robert Hohspang, der in der Vollkraft ergraute Magistrat, der von jeher nicht nur als der mächtigste, sondern auch als der schönste Mann des Landes gegolten hat, übt in seinem stolzen Heim den ganzen Zauber seines Wesens aus; er übt ihn mit der Würde und Gewalt eines selbstbewußten Ratsherrn und jener ritterlichen Liebenswürdigkeit, die ihm, wie oft auch seine Politik Anfechtungen erfahren, stets wieder die Herzen des Volkes gewinnt.

Da ist Reichtum, da ist Macht, da ist Ansehen, da ist Sigunde mit ihrem glücklichen, schmiegsamen Naturell selbst ein willkommener Gast.

Wonnig empfindet sie es.

Spielend hat sie den leichten Groll, den Alfred Hohspang bei der Ankunft Miß Bells gegen sie zur Schau trug, besiegt, er hat ihr den jähen Abbruch der Stelldichein am Waldbrunnen verziehen, und sie findet die Gesellschaft des »kleinen Sohnes eines großen Vaters«, wie sie ihn zu nennen liebt, leidlich angenehm. Die beiden sitzen stundenlang im Schaukelstuhl vor dem französischen Kamin, in dem die Flammen züngeln und knistern, plaudern und rauchen Zigaretten. Alfred Hohspang, dessen Stirne in eine leichte Glatze übergeht, erzählt vom Theater, von der Börse und berichtet die neuesten Anekdoten und Witze, sie aber neckt ihn mit herzlichem Lachen, weil er das goldgefaßte Augenglas wohl zwanzigmal in der Stunde aufsetzt und niederlegt, weil er immer die Uhr zieht, als sei er der mit der Minute rechnende Geschäftsmann und dabei doch die halben Tage müßig verbringt.

»Aeh – äh,« scherzt er, »was die Bauern von Reifenwerd jetzt vornehm werden. Kommandant Stockar, der neue Großrat, ist gestern mit Frau und Tochter am Theater vorgefahren. Nagelneuer Schlitten, zwei Braunen, alles gediegener Staat!«

Sigunde lächelt etwas wehmütig: »Gott, welche Kurzweil hat man in Reifenwerd?«

»Warum bringst du nie mit den Herrn Pfarrer?« fragt Kitty Bell.

»Ach der Bücherwurm!« lacht Sigunde, »er bereitet sich auf seine Gelehrtenlaufbahn vor, da bringt ihn keine Macht der Erde aus seiner Stube!«

Sie vermißt ihn wohl nicht stark, mit ihren häufigen Besuchen in der Stadt, in der Villa Venedig kommt sie fröhlich über den langen Winter hinweg.

Felix Notvest aber vergeht fast vor Not um sein Schutzkind, das Christli, und die Stimme, die ihm zuruft: Du bist ein Feigling! giebt keine Ruhe.

Da braust der Frühlingssturm durch die Lüfte, an der Reif schwellen die silbernen Kätzchen der Weiden, die Knaben prüfen, ob die Ruten bald saftig genug sind, um daraus Pfeifen zu klopfen, und Rudolf Fürst baut wieder an allen Ecken und Enden seiner Besitzungen.

Der Palmsonntag steht vor der Thüre, da die Konfirmation stattfindet, da auch aus Christli, das jetzt noch ein Kind ist, eine Jungfrau werden wird.

In diesen weichen, schönen Tagen voll Lebensdrang wandeln der Pfarrer und Sigunde noch einmal durch die Abtei und sprechen, durch den verwüsteten Rosengarten schreitend, von der Uebersiedelung in die Stadt, wo im Mai ihre Hochzeit gefeiert werden soll, von dem Tuskulum freundlicher Kunst und feiner Gastfreundschaft, zu dem sie ihr Heim im elterlichen Patrizierhaus gestalten wollen, und in der Freude des inneren Sichwiederfindens brechen sie von einem Strauch, der mitten in der Zerstörung frisch zu treiben gewagt hat, die Blütenzweige.

Da entsteht aufwärts an dem neuen Kanal, der in den Rosengarten hereinführt, ein großer Lärm, die Arbeiter werfen die Werkzeuge zur Seite, sie rennen gegen das neue Wehr, sie sprechen erregt und deuten, während auch das neugierige Paar dort anlangt, in die klare Wassertiefe unter dem Wehr, wo die Flut wie ein Weiher ruht. »Dort liegt sie,« hört man rufen, »wir haben sie über die Mauer hinunterspringen sehen!« Ein Mann watet angekleidet in das Wasser und taucht nach dem im Grunde hin und her flutenden Körper. Mit Anstrengung hebt er die schlaffe Gestalt empor und trägt die Triefende auf einer Leiter, die man ihm bereit gestellt hat, zu den zusammengelaufenen Leuten hinauf.

»Christli!« Dem Pfarrer wanken die Kniee.

»Sie hat auf dem Gesimse einen Zettel geschrieben, sucht nur, dann wird man wohl sehen, warum sie ins Wasser gesprungen ist!« tuscheln die aus der Fabrik herbeigeströmten Arbeiterinnen, »schaut, wie der Spinnmeister bleich ist!«

»Haltet die Mäuler und geht an die Stühle,« donnert der auf den Lärm herbeigeeilte Fabrikherr die Schwätzerinnen an, »diese aber tragt in die Abtei, die Weiber sollen um sie sorgen – tot wird sie wohl nicht sein!«

Er stampft und wütet, der junge Pfarrer aber hält wie erstarrt ein mit Bleistift beschriebenes Stück Papier, das man in den nassen Kleidern Christlis gefunden hat. »Vergieb mir, liebe Mutter! Der Spinnmeister quält mich, weil er etwas Böses von mir will. Darum springe ich in die Reif!«

Das Stück Papier Rudolf Fürst reichend, sagt der Pfarrer zornbleich: »Zu Ihrer Ehre werden Sie den Spinnmeister sofort entlassen!«

»Fällt mir nicht ein,« schnaubt Rudolf Fürst, »wegen dieser Zierpuppe! Mengen Sie sich nicht in meine Angelegenheiten!«

Unter den beiden Männern ist heftiger Streit. Dann tritt Felix Notvest zu den Frauen, die sich um Christli bemühen. Tief seufzend erwacht die Unglückliche und stöhnt wie von einem Traum befangen: »Mutter, ist es wirklich schon fünf, schon wieder Zeit zum Aufstehen und in die Fabrik zu gehen?«

Da nimmt der Pfarrer vor aller Augen die schmale, blasse Hand des Kindes. »Nein, Christli, du gehst nicht mehr in die Spinnerei!« Und die Augen Sigundens, die zornig blitzend auf ihm ruhen, haben keine Macht mehr über ihn.


In wallender Aufregung sitzt Felix Notvest in seiner Studierstube. Ein junges, kaum erst erwachendes Leben hat sich vernichten wollen im Lenz, wo alles blüht und hofft. Was muß die Kinderseele gelitten haben, bis Christli den entsetzlichen Sprung gewagt hat! Das Gewissen klagt den Pfarrer an: Du hättest handeln sollen und hast aus Feigheit nicht gehandelt! In wilder Fieberstimmung schreibt er seine Predigt vom Abend zum Morgen, blaß und verstört sitzt er im flutenden Licht und murmelt, den Kopf zwischen die Fäuste gestemmt: »Ich muß – ich muß – sonst bin ich ein Elender!«

Da tritt Sigunde, schön und frisch wie der junge Tag, in das Gemach. Ein blasses Lächeln geht über ihre Züge. »Da sitzest du ja wie der Hexenmeister Faust! Wie stehen wir eigentlich nach dem gestrigen Ereignis zusammen?«

Er schiebt ihr die während der Nacht entstandene Predigt hin. Sie liest, dann fragt sie spöttisch: »Bist du wegen der kleinen Geigenspielerin ganz verrückt geworden, Felix?«

Sie zerreißt die Predigt in einem Ruck mit schallendem Gelächter und wirft sie ihm vor die Füße. »Das ist Unsinn!«

Da springt er keuchend vor Zorn auf, und an allen Gliedern bebend, steht er vor ihr. Mit blassen Gesichtern schaut das Paar sich wortlos an.

»Lösen wir unsere Verlobung?« fragt sie endlich tonlos.

Jetzt findet auch er die Sprache wieder.

»Du hast das Wort gesprochen, Sigunde, gut denn!« keuchte er. »Ich gehe nicht in die Stadt, ich bleibe Pfarrer von Reifenwerd. Im Hinblick auf die Spinnerei deines Bruders ist es nötig, daß hier ein Mann von Herzen steht. Ich weiß es jetzt, daß jener geringe Zeitungsschreiber Viktor Heueler recht hat, daß es höhere Aufgaben als die Erhaltung von Kunstaltertümern giebt: das ist der Schutz der Jugend vor leiblicher und sittlicher Gefahr. Gehe du zu den Reichen, ich bleibe bei den Armen, bei den unterdrückten Fabrikkindern und stelle mich für sie an den Webstuhl der Zeit!«

Die Seele Felix Notvests bebt und klingt mit seinen Worten, und er erscheint mit seinen flammenden Augen Sigunden als ein wahrhaft herrlicher Mann; aber sie unterwirft sich dem Gefühl seiner Größe nicht.

»So halte es mit dem Spinnmädchen!« knirscht sie ohne jeden Klang der Stimme. »Die Rache dafür bleibe ich dir nicht schuldig!« Entsetzlich steht Sigunde da.

»Agnes von Ungarn!« keucht er.

»Meinetwegen Agnes von Ungarn,« erwidert sie, die Hände geballt, eine wilde, kalte Grausamkeit im entstellten Antlitz. »Ich bete, daß ich dich einst dürsten lassen kann; ja, ich will Agnes von Ungarn sein, aber immerhin mit dem Unterschied, Plebejer, daß ich für dich keine Abtei bauen werde!«

Verächtlich wirft sie ihm den Ring hin, einen Augenblick später ist Felix Notvest allein, und ihm ist, als bebe die Erde.

»Sigunde!« schreit er wehvoll auf.

Das also ist das Ende der hoffnungsreichen Liebe!

Aermer als Adam und Eva, da sie aus dem Paradies getrieben wurden, scheiden Felix Notvest und Sigunde Fürst. Jenen blieb doch die Liebe!


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