J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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XXXVIII.

Es ist voller Frühling geworden! Schon stiegen die Schwalben über dem blauen, in stolzem Drange einherwallenden Strom. Die Schwäne wiegen sich und tauchen, und auf der Uferstraße wandelt Lenzvolk in hellen Gewändern.

Der Nachmittag sinkt schon in den Abend. Eine grenzenlose Spannung herrscht in der Stadt, und wo sich Leute begegnen und treffen, sprechen sie vom Gleichen. Es ist unerwartet in der Frage des Nationalmuseums eine günstige Wendung eingetreten. Die frisch zusammengerufenen Räte tagen, und der Abend wird die Entscheidung bringen.

Wenn sie jetzt nicht auf der höchsten Zinne des vaterländischen Gedankens stehen, ist das Museum verloren! Nicht nur das Land, die Welt blickt auf ihre Entscheidung. Durch eine besondere Fügung der Umstände ist die Angelegenheit berühmt geworden. Sigunde Hohspang, die märchenhafte Frau, hat sich nach dem Tode ihres einzigen Sohnes ihres Reichtums entkleidet und alles, was sie besessen hat, unter dem Namen »Felix Notvest-Stiftung« dem Lande als einen gewaltigen Stock zur Hebung und Belebung der nationalen Kunst geschenkt. »Es ist mein besonderer Wunsch, daß das Nationalmuseum schön, groß und erhaben erstehe, daß es der Vaterstadt Felix Notvests zugebilligt werde und die malerischste Stelle in ihrem Bilde einnehme. Ich verfüge daher, daß man die Villa Venedig niederreiße, und stifte mein Landgut als Bauplatz für das Museum.« So die Urkunde Sigunde Hohspangs!

Mitten in der Maienblüte steht die Villa Venedig verlassen wie ein Dornröschenschloß!

Nachdem sie ihren Sohn, den schönen Jüngling, beerdigt, die großartige Schenkung den Behörden übergeben, ihre Pferde dem Spital, ihre beweglichen Güter den Armen geschenkt hat, ist Sigunde Hohspang in einem schlichten Kleide wie eine Pilgerin davongegangen.

Nur einer weiß es, wohin.

Im alten Patrizierhaus am Strom sitzt Felix Notvest am offenen Fenster, und der Schwerleidende schlürft die würzigen Lüfte. Das arme, wilde Herz! Nun wird es wohl bald Ruhe finden! Ein düsterer Schatten liegt über seinen Zügen.

Vor ihm liegt ein Blatt mit dem Worte »Der Apostat von Reifenwerd!« Bis zum Grabe also verfolgt ihn die unverdiente Kränkung. Er flüstert: »Herr, vergieb ihnen, sie wissen nicht, was sie thun!« Wie aber Christli herzutritt, hellen sich seine Züge auf: wer solch ein süßes Weib sein eigen nennt, soll nicht klagen! »Christli,« sagt er mit einem matten Lächeln, »ich habe den Wunsch Sigundes erfüllt und ihr geschrieben, daß du und ich ihr verziehen haben!«

Da kniet Christli neben ihren Gatten nieder und legt ihr Haupt auf seine Kniee. »Du bist größer als ich!«

»Bedenke, welch schweren Weg sie gegangen ist und noch geht! Hätte ich wirklich nicht in deinem Namen auch das Wort ›Verzeihung‹ schreiben sollen?«

»Doch – doch, es ist gut!« stammelt Christli ein wenig verwirrt und errötend.

Er zieht sie an sich, und das Weib mit den seelentiefen Augen liegt glückselig in seinem Arme. Da ist plötzlich das lieblich Jauchzende in ihrem Gesicht, sie ist wieder die junge, feurige Christli!

»Horch, Felix, horch!« jubelt sie, »die Glocken, die Glocken, die Glocken! Sie läuten das Nationalmuseum ein!« Sie klingen zuerst nur von einem Turm, jetzt hallen und dröhnen sie von allen Türmen der Stadt, ihre Klänge rauschen ineinander, und aus fernen Dörfern bimmeln die leichten Geläute heran und alle rufen »Sieg!« über das Land. Andächtig lauscht das Paar. In den Augen Christlis glänzen die Freudenthränen, sie sinkt neben Felix nieder, sie schluchzt: »Ich habe Sigunde wirklich und wahrhaftig vergeben!« Da fallen feine Thränen auf ihr Haupt. Es sind die Thränen des gesegneten Mannes, dem sich der höchste Traum seiner Jugend erfüllt hat. Er sieht es nicht, er hört es nicht, wie sonntäglich gekleidetes Volk heranwallt, wie sich die Straße mit den Rufen erfüllt: »Es lebe das Land! – es lebe das Nationalmuseum! – hoch Felix Notvest! – hoch die Räte!« Ihm ist es nur, als wandelten die Vorfahren von Ursula Demut bis zu seinem würdigen Vater, dem Antistes, die kunstsinnigen Männer und Frauen seines Geschlechtes vorüber, als seien sie ihm nahe, die hohen Gestalten und als grüßten sie ihn: »Du hast den Bannerkampf der Kunst gekämpft! Willkommen, Felix, in unserem Kreis!«

Zu seinen Füßen kniet Christli.

Da tritt Karl in das Gemach, in stürmischer Freude umarmt er seinen Schwager: »Hart haben sie es dir bereitet, aber jetzt ein herzliches Glück auf, Felix! Heute freut mich mein Volk!«

»Ob es manchmal irrt wie ein Kind, so müssen wir das Volk lieben, sonst weicht der Grund unter unserem besseren Selbst, so lange es nur sittlich gesund ist, findet es bewußt oder unbewußt seinen guten Weg!«

Aus schwerem Nachdenken, doch wie verklärt, spricht es der Leidende.

»Und das redest du, Felix – du bis in den Tod getreuer Mann!«

Bewundernd hangen die Augen Christlis an ihm.

Er aber lächelt sonnig verträumt: »Die Liebe hört nimmer auf!«


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