J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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XXIX.

Sigunde Hohspang, das glückliche Weib!

Sie erscheint ihrem Volke wie ein schönes Märchen, ihre Villa Venedig wie ein Märchenschloß.

Was man alles davon spricht und flüstert.

Wohl geht weit und breit ein Gerücht, daß Sigunde die heimliche Urheberin jenes Flugblattes gewesen sei, das die Ehre des Pfarrers von Reifenwerd und der jungen Künstlerin vernichten sollte und diese in die Fremde trieb. Man hat eine Weile scharf von der zügellosen Rachsucht der schönen Frau gesprochen. Was kümmert sie selber sich darum! Sie hat so viele Verteidiger wie Ankläger, sie widerlegt ihre Verkleinerer mit ihrer Freigebigkeit und Güte. In der Stadt entsteht kein gemeinnütziges Werk, sie steht als die reiche Frau mit der offenen Hand dazu, sie zeichnet dafür den ersten großen Beitrag, sie giebt mit Anmut und Würde, frei waltet sie mit den Talenten, die die Bewunderung der Männer erregen. Sie ist reich und geistreich! Sie ist schön! Ihr sind noch die süßen Reize der Jugend beschieden. Nur leise, leise haben sich ihre Formen zu feiner Molligkeit gerundet, entzückend steht sie zwischen Knospenhaftigkeit und lieblicher Reife. Unter dem in einen dicken Knoten gewundenen, schimmernden Blondhaar lachen die großen, grauen Augen, die oft plötzlich ins Grüne nachdunkeln, in strahlender Lebensfreude, der schwellende Mund spricht es nicht, er haucht es nur: »Ich bin jung, ich bin glücklich!«

So gilt sie auch vor der Welt als das vom Schicksal wundersam begünstigte Schoßkind des Glücks, als sein verzogener Liebling!

Sie träumt unter dem Terebinthenbaum, wo das Grabmal der Königin Agnes steht, in den blauen Sommertag.

Da kommt ihr schöner, blondlockiger Knabe, der aus den Kieswegen des Gartens den Reisen schlägt, unter den Baum gelaufen.

»Mutter!« jubelt der Junge. Indem ihr Blick, ihre Hand das Lockenhaupt des Sohnes streift, überwältigt sie der Mutterstolz. In jedem Zug ist der Knabe das verjüngte Ebenbild seines Großvaters. Im Enkel dämmert und wächst die Gestalt Robert Hohspangs, dessen Erscheinung das Volk immer bezwungen hat, dem Leben frisch entgegen. In dem leuchtenden Jugendmut des Jungen offenbart sich schon der Adel des Geistes, die feine Vornehmheit, die den großen Staatsmann ausgezeichnet hat. Sigunde Hohspang sonnt sich an dem hoffnungsreichen Bilde ihres Einzigen, und Pläne künftiger großer Zeit gehen durch ihr stolzes Haupt.

»Mutter!« schmeichelt Robert, »reiten wir heute zum Onkel Oberst nach Reifenwerd?«

»Nein, der hat ja jetzt keine Zeit für uns,« lacht sie, »er kauft eben das Dorf zusammen!«

»Das ganze Dorf?« fragt der Knabe.

»Natürlich,« erwidert Sigunde. »Aber wir wollen eine Fahrt durch die Stadt machen!«

Sie fährt wie eine strahlende Königin frohgelaunt mit ihrem Sohn im offenen Wagen durch die Straßen und zeigt sich vor dem Volke. Wer will es ihr verargen? Einheimische und Fremde stehen neben ihrem mit einem Paar prächtiger Apfelschimmel bespannten Wagen still. Einer flüstert es dem anderen zu: »Jeder Zoll eine Herrscherin, jeder Zoll ein Prinz!«

Sie grüßt und nickt.

»Frau Hohspang ist eine Verschwenderin,« erzählt man in der altehrenfesten Stadt, wo jeder Bürger das Geldstück zweimal zu wenden pflegt, ehe er es ausgiebt, man fügt aber gleich entschuldigend bei: »Sie verschwendet edelmütig, mit Geist und Geschmack. Hätten wir viele solche Reiche!« Und mit dem Namen Fredy Cella, des großen Geigenkünstlers, ist der ihrige vom Strahlenschein des Ruhmes umstossen. Sie ist die hochherzige Gönnerin des genialen Virtuosen, in deren seelenvoller Anteilnahme sich seine Kunst zum Höchsten vollendet hat.

Um diese Künstlerliebe wird sie von Frauen in den weitesten Ländern beneidet.

»Sigunde Hohspangs Narr!« So nennt ihn wohl etwa der heimliche Spott, wenn er aber in linden Sommernächten als Gast der Villa Venedig sein Spiel erhebt, dann bedeckt sich die Seeflut vor dem nächtlich ragenden Märchenhaus mit Booten, in denen entzückte Zuhörer und Zuhörerinnen andachtsvoll seinen halsbrecherischen Tongängen lauschen, die wie emporflatternde und stürzende Engel aus- und niedersteigen.

Fredy Cella steht im Zenith seines Ruhmes, mißgünstige Kritik will sogar, er habe den Höhepunkt seiner Kunst bereits überschritten, da und dort regt sich der Widerspruch gegen sein oft überhastetes, oft schwülstiges Spiel, gegen den willkürlichen Bruch mit überlieferten Vortragsformen, die der Kunstwelt heilig sind. Aber wo immer er mit seiner Zaubergeige auftreten mag, drängen sich doch die Männer und Frauen der besten Gesellschaft, die Frauen besonders, zu seinem Spiel und lauschen hingerissen seinem Lied, das sie mit Grauen und Seligkeit erfüllt. Wie seine sehnsüchtige Kunst, haben seine dunklen, stammenden Augen Gewalt über die Herzen, er aber stößt, was ihm schmeichelt und huldigt, mit zorniger Verachtung von sich, aus den Kreisen, die ihn mit unerhörten Ehren- und Liebebeweisen fesseln wollen, reißt er sich mit einem Schlage los, seine Konzertverträge brechend, rast er Tag und Nacht durch die Länderstrecken dahin, bis er am Thor der Villa Venedig steht und ihrer Herrin seine Kunst zu Füßen legen kann.

In weicher Träumerei hingegossen, ergiebt Sigunde sich seinen Wunderklängen, weiß Gott, wohin sie mit verschleiertem Blicke denkt. Schrill bricht sein Spiel ab: »Herrin, erhöre mich!« steht er auf den Knieen, und seine dunklen, schwärmerischen Augen beten sie durstig an. Sie läßt die schmale, weiße Hand in die seine sinken und er bedeckt sie mit glühenden Küssen. Er will sie auf den schwellenden Mund küssen, da entwindet sie sich ihm mit sanfter Gewalt. »Fredy,« lächelt sie wehmütig, »keine Thorheiten! Ich weiß, was ich deiner Kunst schuldig bin, ich würde ihr an dem Tage die Flügel brechen, wo ich deinen Wünschen Erfüllung gewährte. Du wärest plötzlich der begnadete Sehnsuchtskünstler nicht mehr, der die Herzen niederzwingt.«

»Hol der Teufel das Spiel!« knirscht er, die Augen rollend. Abgestoßen von der Halbheit eines Weibes, das sich nie vergißt, das den verzehrenden Leidenschaften nie in einer Stunde jauchzenden Glücks Genügen schenkt, rast der unglückliche Künstler mit Flüchen hinaus in die Welt, bis ihn liebeheischende Zeilen ihrer Hand zurückrufen.

»Fredy,« lächelt Sigunde einmal, »ich stiege mit Robert nach Rheinsee aus, es wäre zu hübsch, wenn du mich begleiten wolltest.«

Das Dreiblatt fährt nach Rheinsee, obwohl Fredy Cella die Neigung Sigundes für Kunstaltertümer nicht teilt. Denn für ihn giebt es nur eine Kunst: die seine! Sie wandeln durch die Sammlungen Lombardis. »Wie heimelig mich das alles an meine Mädchenjahre zu Reifenwerd mahnt,« plaudert Frau Hohspang. Eine Wendung. Da sitzt ein stiller Zeichner über seinem Reißbrett – Felix Notvest!

»Gott, er ist weiß geworden – schneeweiß!« schreit Sigunde. Die Augen mit beiden Händen verhüllend, weicht sie zurück, als blendete sie ein plötzliches grelles Licht.

»Was ist Ihnen, Sigunde,« flüstert Fredy Cella, der mit seinen dunklen, stammenden Augen hinter ihr steht. »Mutter!« ruft Robert, dem blonde Locken mit einem Glanz, als hätte mau Sonnenschein darein gewoben, um die Schultern wallen, erschreckt.

»Es ist nichts – nichts,« lacht das stolze Weib schon wieder. Das Dreiblatt wendet sich.

Sigunde aber erlebt einen stürmischen Tag. Was ist ihr Fredy Cella! »Felix Notvest ist weiß – er ist schneeweiß geworden.« Tief in die Nacht verfolgt sie der Gedanke. Die fernen Tage im Rosengarten leuchten ihr mit dem duftigen Glanze ewig verlorenen Glücks. Ihr ist, der alte, liebe Träumer sei ihr nah, und eine Legende, die sie einmal vor einem fast erloschenen Bild gehört, gleitet durch ihre Sinnen, die Legende von Sankt Christoph, der das Jesuskind durch den Bach tragen sollte. Ein Kind! Da spürt der Heilige, daß die ganze Welt auf seinen Schultern ruhe und er unter seiner Bürde zusammenbreche. Felix Notvest, ein zermartertes Gesicht und Silberlocken! Sie trägt an dem Namen, den sie zu gering gewogen, wie Sankt Christoph an dem Kinde, ihr ist, sie müsse unter ihm zusammenstürzen.

Ihre Lippen zucken in Fiebern, hellsehend blickt sie in künftige Tage. »Wie Königin Agnes werde ich dem Geliebten der Jugend, den ich aufs Rad geflochten habe, eine Abtei bauen müssen. Ich finde sonst keine Ruhe vor ihm!«

Ein sonderbarer Gedanke. Wenn sie die Kunstdenkmäler Lombardis kaufen und sie Felix Notvest schenken würde.

Das würde ihr Frieden geben – Frieden – Frieden!

Da schwebt das Bild des mißhandelten, vernichteten Christli durch ihre Gedanken. Ihre Augen blitzen vor Haß.

Sie flüstert starren Blicks: »Niemals – niemals!«


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