J. C. Heer
Felix Notvest
J. C. Heer

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X.

Es liegt wie Streit und Leid in der Luft. Den Anlaß zu diesen Worten nimmt Lony aus ihrem eigenen täglichen Kreis. Der Geist leidenschaftlichen Hochmuts geht, seit der Vater Großrat geworden ist, im Hause der Eltern um, ein höhnender Haß gegen diejenigen Bewohner des Dorfes, die in der Entscheidung über die Abtei nicht die Partei des Vaters genommen haben. Die Mutter ist die Seele dieser Unduldsamkeit, das schärfste Wort aber findet sie durch Judith, die noch kaum zur Jungfrau herangeblühte Schwester, die sich, stolz auf ihr hübsches Gesichtchen, vorlaut in die Angelegenheiten der Erwachsenen mengt. Den mächtigsten Haß haben die Mutter und Judith auf den jungen Werkführer Wehrli geworfen. Der Anspielungen, die kränken, der Sticheleien, die verwunden, ist kein Ende, und seit vielen Wochen gehen hinter dem Rücken des Vaters grausame Verhöhnungen Lonys.

Vor ihm selbst aber klar und deutlich von Lonys Liebe zu dem Werkführer zu sprechen, wagen die Mutter und Judith doch nicht, er ist zu gewaltthätig im Zorn.

Die Ruhe des Sonntagvorabends liegt über Reifenwerd, von fernher rauscht der Fluß, die Johanniskäfer stiegen wie leuchtende Fünkchen, und der volle Mond, der im Osten steigt, erhellt Dorf und Landschaft. Auf der grünen Bank vor dem schönen, spalierumrankten Hause sitzen der Kommandant mit ruhsam unterschlagenen Armen und die Kommandantin, die das Gemüse für den Sonntagstisch rüstet.

Sie sprechen von der hoffnungsreichen Ernte, der man entgegengeht.

Da tritt Lony, die in der aufgehefteten Schürze einen Bund Weizenhalme trägt, aus der Thüre, steckt sich im Garten noch ein paar Nelken ins Mieder und sagt, sich gegen die Eltern wendend: »Ich gehe jetzt zum Nachtwerk in die Reben Kellers!«

»Ja, du brauchst dich wegen des Lumpen wohl um den Schlaf zu bringen!« versetzt die Kommandantin mit ihrer hellen Stimme und einem tadelnden Lachen. »Der Schleifer ist auch einer von denen, die gegen uns geredet und gewühlt haben.«

»Die Reben Kellers,« erwidert Lony ruhig, »bedürfen es dringend, daß man sie aufbindet und sie nicht so frei flattern und ranken läßt. So ginge ihm ja der halbe Herbstertrag zu Grunde!«

»Geh nur, Lony!« ermuntert der Kommandant seine Älteste, »das Rebstück schaut so verwahrlost auf die Straße herunter, und wenn es in Ordnung kommt, so steht es dem Dorfe wohl an.«

»Gute Nacht, Vater, Gute Nacht, Mutter!« Mit kräftigen Gliedern schreitet Lony wohlgemut hinaus in die Mondhelle, und der Kommandant, der ihr stillvergnügt nachblickt, sagt: »Sie ist doch ein Mädchen wie Gold!«

»Es könnte aber nichts schaden, Hans Ulrich,« bemerkt die Kommandantin, welche die fleißigen Hände einen Augenblick ruhen läßt und die dunklen Augen auf ihren Mann heftet, »wenn du einmal in der Nacht zu der Jungmannschaft gingest.« Ein Ton mütterlicher Sorge klingt durch ihre Rede.

Über das gefurchte Gesicht des Kommandanten stiegt ein Schatten.

»Ich merke schon lange, daß ihr, du und Judith, etwas gegen die Lony habt,« knurrt er unruhig. »Aber ich lasse nichts auf sie kommen. Wer ist am frühesten des Morgens, am spätesten des Abends auf dem Feld?« Und wie die Kommandantin nur ungläubig und verdächtigend dreinblickt, grollt er mit einem Aufblitzen der grauen Augen verstimmt: »Donnerwetter, Frau, so sprich – was ist an Lony nicht recht?«

In diesem Augenblick tritt Judith, die mit Vorräten für den Sonntag aus der Krämerei kommt, rasch atmend in den mondbeschienenen Vorgarten, und die letzten Worte erlauschend, sagt sie hastig: »Ich habe eben mit der alten Schulmeisterin einen Streit gehabt; Mutter, erzähle es dem Vater nur, daß die Lony heimlich mit dem jungen Wehrli geht, die Geschichte kommt jetzt doch unter die Leute. Die Schulmeisterin hat mir in der Kramerei die Hand geben wollen, da habe ich vor allen Leuten, die dastanden, gesagt ich, gebe meine Hand einer Kupplerin nicht!«

Die Kommandantin horcht gespannt, ein kaum spürbares Lächeln der Billigung stiegt über ihre harten Züge. »Was hat die Schullehrerin darauf erwidert?« fragt sie neugierig.

»Nichts,« versetzt Judith triumphierend, »sie ist, ohne etwas zu kaufen, weggegangen!«

Der Kommandant hat nur das erste Wort gehört. In großem Zorn steht er auf. »Lony hält's mit Wehrli!« schnaubt er, »sie weiß doch, daß ich mit dem Anschicksmann des Leutnants einen Span habe. Wo hat sie die Augen? Wo hat sie die Achtung vor dem Vater? Hagelstrahl!« Voll Zorn, mit wuchtigem Schritt geht er auf und ab.

»Ja, aber du hast doch selber gesehen, wie verschlagen und in sich gekehrt sie ihres Weges geht, seit du dem jungen Wehrli im ›Hirschen‹ gesagt hast, daß er nichts als ein trauriger Handlanger und Spion ist,« versetzt die Kommandantin; »die alte Schulmeisterin hat die Geschichte natürlich im Winter eingefädelt, doch hat ihr jetzt Judith den rechten Namen gegeben!«

In die Stube tretend, knirscht und wütet der Kommandant, der Hitzkopf, und die schöne Judith flüstert der Mutter mit siegreichen Augen zu: »Jetzt giebt's Ordnung!«

Im Weinberg aber arbeitet die Jungmannschaft von Reifenwerd. Der Mond wandelt gemächlich über fernen, blauen Höhen, durch die Reben geht Flüstern und Lachen, langsam rückt die Schar der freiwilligen Winzer und Winzerinnen die Halde empor, Lony still und emsig unter ihnen. Zwischen fleißigen Händen fallen die überflüssigen Schosse der Reben, und die bauschigen Stöcke fügen sich dem Band der Weizenhalme. Schon regt sich der Morgenwind, in der Tiefe des Dorfes krähen die ersten Hähne, die Lerche schmettert in der Luft, im Osten hellt sich der Himmel und der Morgenstern steigt der Sonne voran.

Auf der Höhe, wo Reben und Wald aneinander grenzen, steht schon sonntäglich gerüstet seit einer Weile der Kommandant unter einer Tanne und hält Barry, der zu Lony laufen will, am Halsband zurück. Die wackeren braunen Mädchen und Bursche aber, die ihr Werk vollendet haben, sammeln sich, ohne ihn zu bemerken, aufatmend am Waldrand und erwarten den Aufgang der Sonne.

»Lony, stimme an!« bitten sie, und das Lied »Unsere Berge lugen ins Land« erklingt. Mit einer Art Andacht lauscht der Kommandant, er ist es schon zufrieden, daß der Werkführer Wehrli nicht in der Schar ist.

Da röten sich über den blaugrünen Waldhöhen, die noch im Schatten liegen, die fernen Schneeberge, ein viereckiges Firnfeld, das sich am höchsten in den blassen Himmel erhebt, glüht in einer Pracht wie junge Rosen.

»Der Garten der Verena!« – »Seht, ihr umgestülpter Kessel taucht schon aus dem Schnee, das bedeutet ein gutes Weinjahr. Du kennst die Sage, Lony, erzähle!« Die Stimmen vermengen sich: »Setzt euch, die Lony erzählt!«

Als einzige stehen bleibend, berichtet Lony die Sage, wie das ferne Schneefeld, das jetzt strahlend ins Land herniederscheint, einst eine grüne Trift gewesen ist, auf welcher die junge, übermütige Verena ihre Herden trieb. »Weil aber Verena ihrem Geliebten mehr Ehre als ihrer Mutter erwies, ihn mit Sahne und Kuchen bewirtete, der zitternden Alten aber nur ein Becken saurer Milch vorsetzte, rief die Mutter, ins Thal steigend, den Fluch über die Alpe. Da begann es zu schneien. Verena stülpte den Sennenkessel zum Schutz vor dem vielen Schnee über das Haupt und schickte dem Geliebten ihre Jauchzer zu. Der Schnee fiel immer dichter und der Geliebte wandte sich, Verena aber ist versunken im Graus, nur in guten Sommern ragt ihr Kessel aus dem ewigen Eis, das die Alpe bedeckt, und von Zeit zu Zeit klagt eine Stimme: ›O, daß ich dem Geliebten mehr Ehre angethan habe als der Mutter!‹ Das ist die Sage,« schließt Lony. »Doch seht, die Sonne kommt!«

Die Augen der Bursche und Mädchen richten sich nach Osten, die Sonne rollt, ein feuriges Rad, über waldige Höhen empor, von den Bergen herab wallt das Licht und zuckt und flutet über das Land.

Der Kommandant aber sieht nur sein Kind, die starke, gesunde, herbinnige Lony mit dem Aehrenzopf wie reifes Korn, mit den Augen wie blühender Flachs. Wie das Sinnbild der Heimat hebt sich ihre heitere, ruhige Gestalt im Morgenstrom des Lichts von dem reichen Ackerlande, das hinter und unter ihr im Thal erschimmert.

Sie aber geht hin und hängt ihr Herz an einen Mann, der von der schönen Heimat keine Scholle, keine Krume sein eigen nennt! Das thörichte Mädchen! Das Herz voll Liebe und Groll, überdenkt es der Kommandant, dann lächelt er unter dem Schnurrbart, er murmelt: »Mit deiner Sage kommst du mir gerade recht,« er läßt, indem er selber aus seinem Verstecke tritt, Barry los, der mit Freudengebell an dem überraschten Mädchen emporspringt. Der jubelnde Ruf Lonys: »Vater!« der achtungsvolle Gruß der Jungmannschaft setzen das Herz des Kommandanten in noch bessere Stimmung. Er steigt mit der Schar der Jungmannschaft plaudernd ins Dorf, und wie er in sein Haus tritt, sagt er mit freundlicher Güte: »Ruhe dich aus, Lony, vor dem Mittagessen möchte ich mit dir etwas besprechen!«

Allein Lony hat sich erst eine Stunde in ihre Kammer begeben, vor der die zwitschernden Schwalben ihre Nester bauen, so fährt sie über einen lauten Wortwechsel, der sich in der Stube erhoben hat, empor. Sie schreit: »Gott, das ist Karl!«

»Kupplerin hat Eure Judith meine Mutter genannt. Ihr mich einen Ehrlosen!« Wie Lony, leichtgekleidet, bebend vor Schreck, unter die Thüre tritt, schnaubt Karl Wehrli dem Vater die Vorwürfe entgegen.

»Hans Ulrich, wirf ihn doch hinaus, den geringen Fabrikknecht!« ruft die Mutter, und am Fenster steht mit blassem, höhnischem Lächeln Judith, die sich blitzblank wie aus einer Spielzeugschachtel zum Kirchgang gerüstet hat. Lony wirft sich dem Kommandanten mit aufgelöstem Haar zu Füßen und umklammert seine Kniee.

»Vater, schicke die Judith, daß sie Abbitte leiste, sie hat eine himmelschreiende Sünde an Frau Wehrli begangen. Ich allein bin schuld!«

»So, du bist schuld,« knirscht der Kommandant, und seine Wut bricht los: »Unser Haus ist ein Bauernhaus, und wenn du das nicht weißt, so sei verflucht wie jene Verena auf dem Berg!«

»Karl, Karl!« stöhnt Lony, und ihrer selbst nicht mächtig, umhalst sie den jungen Mann.

Bei diesem Anblick schäumt der Zorn des Kommandanten über. »Faß an, Barry, faß an!« Aber das treue Tier, das nicht auf Karl losgehen will, heult nur, es fletscht zuletzt verwirrt die Zähne gegen den eigenen Herrn, und der Kommandant brüllt: »Dich erschieße ich!« Zugleich erhebt er die mächtige Bauernfaust gegen Lony. »So geh und verdirb mit dem Schuft!« Seine harte Faust trifft das Mädchen, es wankt und sinkt stöhnend zu Boden. Totenblaß geht Karl Wehrli auf den Kommandanten los, aber plötzlich hält er inne.

»Gott mag zwischen Euch und mir richten! Komm, Lony!«

Einen Augenblick zögert Lony, da schreit die Mutter: »Geh nur – es zieht dich doch mehr zu ihm als zu uns!«

Ein Grauen vor dem Elternhaus erfüllt die Geschlagene, und laut aufweinend folgt sie dem sanften Zug des Geliebten.

Der Kommandant mißhandelt in sinnloser Wut den treuen Barry, er sieht erst, daß Lony gegangen ist, wie Karl Wehrli ihr am Dorfbrunnen das Blut abwäscht. Einen Augenblick regt es sich in der Brust des Kommandanten seltsam. Sie blutet – und sie stand doch so herrlich im Frühlicht!

Im Dorf läuft die Kunde von dem Ereignis mit der Schnelligkeit einer Feuermeldung umher. Die meisten Leute ergreifen für das Liebespaar Partei und eifern gegen den als alten Hitzkopf bekannten Kommandanten, besonders gegen die Kommandantin, die, statt den aufbrausenden Mann zu sänftigen, ihn verhetzt. Man kennt sie, man kennt Judith! Das Dorf ist empört über die Beleidigung, die das schnippische Mädchen der ehrbaren Schullehrerswitwe zugefügt hat. »Der Kommandant soll nur sehen, daß er sich an der Jüngsten nicht die Rute bindet, die er an Lony verdient hat!« So grollt und flüstert es von Haus zu Haus.

Ermattet vom vielen Weinen sitzt unterdessen Lony in der Stube ihres väterlichen Freundes, des Säckelmeisters, bei ihr Karl. Der alte gebückte Bauer, der sich ehrlich, aber vielleicht zu früh um eine Versöhnung bemüht hat, kehrt traurig und kopfschüttelnd zurück. »Ich weiß nicht, ob die Deinen hagebuchene Herzen haben. Wenn du etwas von ihnen wollest, sollest du selber kommen!«

In der einbrechenden Nacht, wie die Straße menschenleer geworden ist, geht Lony vor das Haus der Eltern und klopft an die geschlossene Thüre. Die Mutter schaut aus dem Fenster und ruft heraus: »Der Vater schläft schon. Ich soll dir aber aufschließen, wenn du von dem Werkführer lassen willst!«

Da wankt Lony von der Thüre und taumelt zurück in die Nacht.

Sie spürt es lange nicht, daß ein Freund neben ihr geht, ein Freund, der fast so übel dran ist wie sie, Barry, der vor Freude winselt, wedelt, ihre Hand leckt, aber sich fast nicht bewegen kann, weil ihn sein Herr so furchtbar geschlagen hat. Sie liebkost das blutrünstige Tier. Dann sagt sie: »Geh heim, Barry!« Aber nur stärker winselnd kriecht der Hund dicht an ihre Füße und harrt aus bei ihr.

Am anderen Tag kommt ein Händler und holt Barry. »Sein Herr hat ihn mir aus Verdruß verkauft, weil er nicht zum Hause hält!« Heulend folgt das schöne Tier der Leine des fremden Mannes.

Der Verkauf des treuen Freundes beelendet Lony bis ins tiefste Herz, und wie Karl am Abend aus der Werkstätte kommt, sagt sie: »Ich bin hoffnungslos!« Und eine lange, bange Schicksalsstunde endet in das Wort Karls: »Wenn du dich wirklich mit mir in die Fremde wenden willst, so löse ich meine Stellung in der Fabrik, so rasch es möglich ist.«

Da legt Lony ihre Hand in seine Hand und unter Thränen flüstert sie: »Wem Gott ein treues Lieb beschert, der soll von ihm nicht lassen!« Heiße Küsse besiegeln den schweren Entschluß des Paares, in die Ferne zu ziehen.

Das Traurige ereignet sich. Nach erfolglosen Versuchen des Säckelmeisters, zwischen dem Liebespaar und der Familie des Kommandanten zu vermitteln, wandern Karl Wehrli und Lony aus dem Dorfe, und in der Frühe des schönen Sommermorgens giebt ihnen die Jungmannschaft das Geleite bis zum Brunnen an der Steige.

Im breiten Thale liegt in Duft und Glanz Dorf Reifenwerd am Fuß seines Rebberges, aus den schwellenden Feldern glitzert wie ein Silberfaden die Reif und die Turmhelme der Abtei leuchten in weiß und blauem Farbenspiel.

Am Brunnen nimmt das Liebespaar Abschied von der Heimat.

Da rollt die Steige herauf ein Wägelchen, der Kommandant fährt nach der Stadt zu einer Sitzung im Großen Rat.

»Gott! Der Vater!« stößt Lony schreckhaft und doch wie voll plötzlicher Hoffnung hervor. Allein der harte Mann, der wohl erwartet hatte, Lony würde sich unterwerfen, wendet das Haupt. Da fällt sie dem Pferde in die Zügel.

»Vater, ein Lebewohl!« schluchzt sie herzbrechend.

Einen Augenblick stutzt der Kommandant, aber vor dem jungen Geleitvolk schämt er sich seines Schwankens, er haut auf das Roß ein, es schleudert die Flehende beiseite und sie hört nur noch die zornigen Worte: »Wenn du und deine Wechselbälge auf dem Schub nach Reifenwerd kommen, so kenne ich euch nicht! Verdirb wie Verena!«

Alle, die dem Paar das Geleite gegeben haben, sehen starr hinter dem Wägelchen drein, das auf der Straße nach der Stadt zu rollt. Auf Karl gestützt, wandert Lony wie gebrochen der Fremde entgegen.

Sie hat selbst das Stück Brot aus dem Vaterhause nicht, das in der Fremde vor Heimweh schützen soll. Arm wie Adam und Eva, da sie aus dem Paradies getrieben wurden, wandert das Paar seinen Weg. Ihm leuchtet kein Stern als seine Liebe!


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