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14

Die bevorstehende Ankunft des sagenhaften Herrn bildete den Gesprächsstoff für die nächsten Tage. Natürlich reiste Margis nicht ab, obwohl mit dem Doppelporträt nicht weiterzukommen war. Jeden Vormittag wurde der Versuch gemacht, zu malen, aber die Nerven waren zu erregt. Wenn das Wetter schön war, ging man lieber an den Strand und badete. Es half besser über die Zeit hinweg als die Stille und Unbewegtheit der Sitzungen.

Die Frauen legten immer schon zu Hause ihr Badezeug an und warfen zu dem Weg nur die bunten, flauschigen Mäntel über. Margis bekam das erstemal Trikot und Mantel aus den Vorräten des Hauses geliehen, zog sich in Maria Fenns Schlafzimmer um und ging, seltsam kostümiert, zwischen den beiden durch die Birkenallee, dann über die Chaussee und zwischen den Feldern hindurch, über die Wiese und durch den Wald, wo das Licht tief grün zwischen den alten Stämmen hing. Nie würde er diesen Weg vergessen, den er so oft in banger Erwartung entlanggespäht hatte.

Es war ein Fortschritt, daß er jetzt nicht mehr am Waldrand auf der Lauer zu liegen brauchte, und doch schien ihm jene Zeit schöner gewesen zu sein. Er war den Frauen bekannter und vertrauter geworden, und dennoch war er ihnen in nichts nähergekommen, sondern fühlte sich ihnen gerade durch die größere Vertraulichkeit weiter entrückt. Er durfte Renate bei der Hand fassen und mit ihr den Sturzhang der Düne hinunterrasen, aber das Gefühl, das ihn in ihrer Nähe mehr denn je ergriff, mußte er hinter freundschaftlicher Harmlosigkeit verbergen. Auch daß er sich in Maria Fenns Schlafzimmer umzog, erschien ihm als ein Sinnbild dieser Fernnähe, zu der er verdammt war. Er war doch »Meister« und ungefährlich geworden.

Dabei nagte jener seltsame Ausruf Renates in seinem Innern, daß sie sich nur in einen Mann, der »ein Mann« war wie ihr Vater, verlieben könne. Dieses Wort schloß ihn so schonungslos von ihrer Welt aus, daß ein Stachel zurückblieb, der fortwährend schmerzte. Vielleicht war das alles aber auch nur, weil er sie malte und in seinen Gegenstand magisch einzugehen gezwungen war.

Oft kam Glasberg in seinem Wagen herübergefahren. Dann saßen sie im Salon und sprachen das Problem des Herrn Fenn durch. Niemals wurde des »Schlesiers« Erwähnung getan; Glasberg redete von Marias »persönlicher Freiheit«, die sie sich unter allen Umständen wahren müsse. »Ihnen persönlich gehört Klein-Klank,« sagte er. »Niemand, auch Ihr Mann nicht, kann es Ihnen nehmen. Sie können ihm den Aufenthalt hier verwehren und brauchen ihm nicht zu folgen, wenn er Sie forthaben will. Das ist allerdings nach unseren Gesetzen ein Scheidungsgrund, aber Sie wollen ja gerade geschieden werden, und ob Sie die Schuld bekommen, kann Ihnen gleichgültig sein.«

»Aber nein doch!« rief Maria Fenn eifrig dagegen. »Wenn ich die Schuld bekomme, hat er doch Anspruch auf Renate! Und wir wollen nicht voneinander getrennt sein!«

Renate sagte bei diesen Unterhaltungen kein Wort. Sie saß auf ihrem Stuhl und pendelte mit den Beinen. Die Herren hatten den Eindruck, daß sie jeden Augenblick bereit war, sich von ihrem Vater entführen zu lassen.

Eigentlich müßte jetzt der »Schlesier« auftauchen! dachte Margis. Aber kein »Schlesier« ließ sich blicken.

Hingegen hörte man über Herrn Fenn Näheres. Herr Fenn entstammte einer alten Kaufmanns- und Juristenfamilie und war keineswegs ein Emporkömmling, wie Margis gedacht hatte. Aber er war ein ungeheuer energischer Unternehmer, der schon vor dem Kriege ein großes Vermögen erworben hatte, es dann verlor und heute wieder über Millionen gebot. Ein Mann großen Stils, der bei der Ausführung seiner Elektrifizierungsprojekte in fremden Ländern mit seinen Arbeitern monatelang zusammen im Zelt schlief, wilde Pferde bändigte und sein eigener leitender Ingenieur war. Dabei der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte. Er ging über Leichen, wenn er von einem Plan besessen war, warf aber wieder das Geld mit vollen Händen weg und war jeden Augenblick bereit, jedes mögliche persönliche Opfer zu bringen. Dies war Herr Fenn! Aus den Andeutungen Marias entnahm man, daß seine Frau oder Deutschland oder beide zusammen ihm eines Tages auf die Nerven gefallen waren und er einfach auf und davon gegangen war. Damals besaß er nichts, während Maria gerade Klein-Klank geerbt hatte.

»Wahrscheinlich wird er nichts von Ihnen wollen, sondern nur die Absicht haben, Sie materiell zu sichern und aufzubessern,« meinte Glasberg. Sie zuckte die Achseln und sah ihn mit einem flehenden Blick an, der Margis nicht entging. Weshalb kam der »Schlesier« nicht, um sie zu retten?

Margis glaubte nicht mehr an Glasbergs Märchen. Glasberg selbst war der »Schlesier«. Aber liebte Glasberg sie? Manchmal wollte es ihm scheinen, als ob er schwer mit einem Entschluß ringe. Er wird eines Tages verschwinden! dachte der Maler. Jeden Vormittag erwartete er die Kunde von Marios plötzlicher Abreise.

Aber irgendwann am Tage erschien er doch wieder, unruhiger als bisher, mit schärferen und härteren Zügen. Wenn er bemerkte, daß Margis ihn beobachtete, nahm sein Gesicht sofort den alten Knabenausdruck an. Vielleicht war er wirklich nur für Maria besorgt, die in innerer Glut zu lodern schien.

Sie machten Spaziergänge zu viert, kehrten eines Abends sogar im Strandhotel von St. Lüne ein, tanzten und tranken Sekt. Von hier hatte alles seinen Ausgang genommen. Sie saßen an dem historischen Tisch, und der Wirt kam, um ihnen eigenhändig einzuschenken und zu lächeln. Wieder tanzte Glasberg mit Maria und Margis mit Renate. Wieder folgte das junge Mädchen beim Tanz jeder seiner Eingebungen, lag leicht und doch ohne Seele in seinen Armen. Aber sie lächelte nicht mehr zu den andern hinüber, sondern hielt den Kopf gerade und blickte still vor sich hin.

Habe ich Terrain gewonnen? fragte Margis sich. Aber wahrscheinlich haben wir alle gegen den auftauchenden Herrn Fenn verloren. Plötzlich aber fing er einen Blick auf, den sie zu Glasberg hinüberwarf, und wußte, wie es in ihr aussah. Vielleicht war es doch nur Glasbergs wegen, daß sie die Ankunft des Vaters herbeisehnte. Dann aber weiß sie und hat es begriffen, was zwischen Glasberg und ihrer Mutter vorgeht? Natürlich hat sie es begriffen!

An diesem Abend waren sie alle bleiern müde, und dennoch schickten sie den Chauffeur nach Klein-Klank vor, um noch spazierenzugehen. Es war, als ob sie sich heute nicht trennen könnten, so seltsam verstrickt waren sie ineinander.

Sie gingen am Rand der Dünen neben der See, die grauschwarz zu ihrer Linken lag und ganz leise und spukhaft donnerte. Margis zeigte ihnen sein Versteck, das er früher für seine Malsachen angelegt hatte. Es gab noch die kleine Grube mit der Decke aus Zweigen. »Da liegt ja noch ein Handtuch und ein Buch darin!« rief Renate und hob die Überbleibsel auf. Margis hatte diese Sachen vergessen.

»Daß Sie das Versteck so im Dunkeln finden!« wunderte Maria sich. Er erklärte ihr die Lage der Bäume, und wie man gerade von dem Kilometerstein der Chaussee auf die Signalstange zugehen müsse. Während er sprach, bemerkte er, daß Glasberg gespannt hinhörte. »Interessiert Sie das?« fragte er ihn. »Wie? Was?« fragte der zurück. »Ich habe an etwas ganz anderes gedacht. Entschuldigen Sie!« – Es war neu, daß Glasberg sich zerstreut zeigte.

Erst gegen Mitternacht kamen sie in Klein-Klank an. Noch immer wollten sie sich nicht voneinander trennen. Sie setzten sich in den Salon und tranken Wein. »Es gibt solche Nächte, in denen man nicht voneinander loskommt!« sagte Glasberg. Er wurde wieder lebhaft und erzählte von Nächten in Tunis, dem Leuchten der See, dem Kreuz des Südens und dem Leben, das nachts von allen Dächern atmete.

Maria fragte, woher diese Vorliebe der Menschen für die Nacht stamme. Im Süden, ja, da wäre allein des Nachts die Temperatur erträglich. Aber bei uns im Norden? Margis meinte, es wäre der Reiz der Synkope. Das natürliche wäre, daß man mit der Sonne aufstünde und schlafenginge. Aber ein solches Leben wäre ohne Spannung zum Kosmos. Je einfacher die Menschen sind, desto mehr leben sie mit der Sonne, je komplizierter und bewußter, desto stärker setzen sie sich in Gegensatz zur Natur und dem Ablauf der Sterne. »Man muß eine etwas feindliche Spannung zum Kosmos haben,« sagte er. »Daraus entsteht alles Bewußtsein und alle Kultur.«

Glasberg wollte von dem Wort Kosmos nichts hören. Er bestritt jedes »kosmische« Gefühl. Das Bewußtsein glimme als ein chemischer Erdrindenprozeß auf, eine Art Verwesungsprozeß, und damit gut. Im Tode erlösche es.

»Mein Gott,« sagte Margis, »diese Ansicht ist doch ganz unmodern und zur Zeit höchst diskreditiert.« Glasberg verwahrte sich dagegen. Das Gespräch spitzte sich zu einem Dialog zwischen den beiden Herren zu. Es stellte sich heraus, daß Glasberg absolut materialistisch eingestellt war.

Die Frauen neigten mehr zu Margis. Er fühlte, daß auf diesem Terrain der Gegner zu schlagen war, und bot einen großen Vorrat kosmischer Erlebnisse und Tatsachen auf. »Tatsachen? Sie wollen Tatsachen, Herr Dr. Glasberg! Wissen Sie, daß alle 24000 Jahre sich die Stellung der Gestirne genau wiederholt? Daß dann die Tierkreiszeichen mit den gleichnamigen Sternbildern zusammenfallen und daß diese Konstellation sich zuletzt im Jahre der Geburt Christi fand – und dann erst wieder vierundzwanzigtausend Jahre zurück?«

Er schilderte, wie die Erdbahn in Jahrtausenden von einem Sternbild in das andere rückt. Wie in den Jahrtausenden vor Christus der Widder das beherrschende Bild gewesen und welche Rolle der Widder als heiliges Opfertier damals bei allen Völkern spielte. Und wie vorher der Stier am Himmel gestanden hatte, und wie noch die Sage vom Apisstier an ein Zeitalter des Stieres auf Erden erinnerte. Und wie auf den Widder das Zeitalter der Fische folgte und das Christentum im Zeichen des Fisches die Welt durchdrang, und wie wir uns jetzt dem Zeichen des Wassermanns nähern und das Kommen eines neuen Zeitalters so augenfällig sei wie seit Christi Zeiten nicht mehr!

»Das ist herrlich!« rief Maria aus. »Oh, das ist ja ganz großartig!« Sie wurde von dem Rhythmus der Jahrtausende ergriffen.

Renate sprach kein Wort. Sie sah den jeweiligen Sprecher aufmerksam an. Margis erhitzte sich, je mehr sich Marias Meinung auf seine Seite neigte. Das Gespräch ruhte in seinen Händen, und er lenkte es von einem Weltproblem zum andern, jedesmal angefeuert durch Glasbergs Widerspruch und Marias Zustimmung. Dabei kannte er das Ziel, dem er zustrebte: Er wollte es dahin bringen, daß Renates Augen einmal im ungeheuren Begreifen vor der Tiefe und Gewalt der Welt aufleuchteten. Er sprach von dem magischen Bann der uralten exotischen Religionen und verband ihre Wahrheiten mit den neuesten Entdeckungen der Naturwissenschaften.

»Ja,« warf Glasberg ein, »aber das Maschinengewehr und der Kintopp haben sich leider als stärker erwiesen als die magischen Kulturen des Orients.«

»Wollen wir nicht schlafengehen?« sagte Renate hier und erhob sich plötzlich. »Ich bin furchtbar müde.«

Margis ärgerte sich, aber alle waren für Schlafengehen. »Es war wundervoll heute abend,« meinte Maria Fenn beim Abschied. »Eigentlich hab' ich noch nie einen so schönen Abend verlebt.«

Margis empfand bitter, wie wenig Ansichten und Weltanschauungen über die Sympathien der Menschen vermögen. Das senkt sich geheimnisvoll und unerbittlich aus dem Weltall auf uns nieder. Wir vermögen darüber nichts zu bestimmen. Und wenn sich Glasberg als flacher Ignorant erwiesen hätte – was übrigens nicht der Fall gewesen war –, so wäre selbst dadurch nichts geändert worden.

Glasberg brachte ihn im Wagen zu seinem Hotel. »Ich bitte Sie, eine Sache von zehn Minuten!«

Als sie nebeneinander durch die Nacht fuhren, sagte der Chemiker überraschend: »Übrigens teile ich im Grunde Ihre Ansichten, Meister Margis. Aber ich habe mich nun einmal entschlossen, ein Mann der Tat und des wissenschaftlichen, vielleicht begrenzten Rationalismus zu sein. Ich würde mich selbst verlieren, wenn ich der Mystik Gewalt über mich einräumen wollte. Es ist bei mir eine Sache der Selbstzucht.«

Margis nickte resigniert.

»Aber wir müssen bald wieder einen Abend miteinander verplaudern. Ohne die Frauen. Morgen werden wir zu müde sein. Übermorgen nacht bin ich in Königsberg, ebenso die Nacht darauf. Sie wissen schon! Erzählen Sie aber um Gottes willen nichts den Damen Fenn davon! Ich bin am frühen Morgen mit meinem Wagen wieder zurück. Es braucht niemand etwas zu wissen und zu merken. Sie erinnern sich: mein Sicherheitsventil!«

»Also Freitagabend!« sagte Margis.

»Ich hoffe, Sie am Freitagabend in Serbenitz zu sehen.« Das war mit einer ganz eigentümlichen Betonung gesprochen, so als ob es niemals Freitagabend werden würde, und im Schein der Lampe, beim Aussteigen, sah Margis, daß Glasbergs Züge hart und scharf waren.

Was war das mit diesem Mann? Er sah das Auto davonfahren und ging die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Was war das für ein merkwürdiger Tag gewesen? Und wurden die Tage jetzt nicht immer merkwürdiger? Ihm kam es vor, als ob man eine Symphonie hörte, die immer stärker und stärker erklang, immer neue Tonmassen, neue Instrumentengruppen ins Treffen führte, sich in immer heftigerem Tempo bewegte.

Die Harmonien konnten die rasenden Massen nicht mehr zähmen. Es gab Mißtöne, schrille Dissonanzen, ein Brummen von falschen Bässen. Und immer kamen noch neue Stimmen hinzu, und das Tempo steigerte sich. Aber vielleicht kam diese Vision nur von dem schnellen Autofahren. War es möglich, daß die bevorstehende Ankunft des Herrn Fenn sie alle derart aufwühlte?

Er stand in seinem Zimmer, legte den Kragen ab und kramte derweil in seinen Papieren. Auf einmal fiel ihm der angefangene Brief an den Rechtsanwalt van Holten in die Hand.

Er las: »Ich habe natürlich keine Ahnung, lieber van Holten, weshalb ich Ihnen davon schreibe. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß es richtig ist. Verzeihen Sie, wenn ich dadurch vielleicht schmerzlichere Saiten bei Ihnen zum Klingen bringe, aber –«

Bis hierher hatte er damals geschrieben. Kaum vierzehn Tage war es her. Mit plötzlichem Entschluß schraubte er den Füllfederhalter auf, setzte sich an den Tisch, veränderte das Datum des Briefes und fuhr fort: »aber ich bin hier unter seltsamen Umständen einem Ihrer Bekannten begegnet, Herrn Dr. Mario Glasberg, von den Leynhausener Glasbergs, dem, der damals diese merkwürdige Geschichte mit dem plötzlichen Tode seiner Frau (Susette Streicher) hatte. Natürlich brachte ich die Rede auf Sie, und die Art, wie Herr Dr. Glasberg darauf reagierte, erschien mir ein wenig befremdend. Verzeihen Sie, wenn ich das schreibe! Welchem Zweck das dienen soll, weiß ich selber nicht. Sie waren neulich so liebenswürdig, mich wegen eines von anderer Seite projektierten Ankaufs einer meiner Landschaften anzurufen. Meine Frau teilte es mir mit.« Er warf noch einige nichtssagende Sätze hin, schrieb die Adresse, frankierte und ging, wie er war, zum Postkasten hinunter.

Es wäre dasselbe gewesen, wenn er den Brief am nächsten Morgen eingesteckt hätte. Die Post ging doch erst morgen, Dienstag, abend nach Berlin.

Vor Mittwoch mittag hatte Holten das Schreiben nicht. Aber Margis wollte den Tag mit etwas Unwiderruflichem beschließen. Er wollte Glasberg einen Streich spielen. Dabei wußte er nicht, was sein Brief auslösen würde. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß man Glasberg damit Ungelegenheiten bereitete.

Aber vielleicht war der Brief sehr dumm. Vielleicht erfuhr Glasberg in wenigen Tagen, daß er, Margis, diesen Brief in feindseliger Absicht geschrieben hatte. Bis zum Freitagabend konnte Glasberg von diesem feindlichen Akt Kenntnis bekommen. »Nun, wenn schon!« sagte er zynisch, als er die Treppe wieder hinaufging. »So ist eben Feindschaft zwischen mir und ihm. Als wenn wir nicht schon längst Feinde wären! Natürlich sind wir Feinde!«

Aber was hatte Glasberg ihm getan? Kam er ihm nicht geradezu mit aufrichtiger Freundschaft entgegen?

Er vergegenwärtigte sich zum hundertsten Male Zug für Zug von Glasbergs Verhalten, von jenem Vormittag an, als er ihn in den Dünen aufgesucht und ihm die Einladung der Damen Fenn überbracht hatte. Was wollte er damals? Mich ködern, damit ich um Gottes willen nicht Herrn van Holten seinen hiesigen Aufenthalt verrate.

Natürlich, das wollte er! Und seine ganze Freundlichkeit hat heute noch keinen anderen Zweck. Und die Frauen hat er gebeten, mich zu sich heranzuziehen, damit ich ihn nicht verrate. Daher erlaubten sie mir, bei ihnen zu verkehren, daher lockten sie mich mit ihrer Freundschaft. Und ich Tor dachte, daß ich ihnen gefiele und daß Maria sich von mir küssen ließ, weil sie mich vielleicht doch in einem Winkel ihres Herzens ein wenig gern hat. Aber es war alles nur ein verabredetes Spiel! Ich habe mich locken lassen, und nun auf einmal habe ich doch an Holten geschrieben!

Er lag im Bett und frohlockte, daß er den Brief abgeschickt hatte. Wie rasch war das gekommen!

Noch vor zwei Stunden ahnte er nichts von der Möglichkeit einer solchen Entschließung. Wodurch war dieser Umschwung eingetreten?

Vielleicht, weil Glasberg während der Fahrt seinen Ansichten vorsichtig beigestimmt hatte.

»Natürlich war es das! Es war zu deutlich, zu plump. Daran merkte ich endlich, wie er mich ködern wollte und belog. Immer belogen hat, mit jedem Wort, von Anfang an!«


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