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3

Gleich hinter St. Lüne stiegen dunkle Wälder mit üppigem Untergehölz hoch. Eine Försterei lag zwischen fetten Wiesen. Man sah Kühe weiden und Pferde auf Koppeln springen. Nichts erinnerte an die Nähe von Meer und armseligen Fischerdörfern. Nur hier und da hatte ein Riesenkamm die Wälder gescheitelt, und im Dreieck eines Durchblicks zeigte sich zwischen dunklen Wipfeln die stahlblaue See mit ihren weißen Schaumpunkten. Kirchdörfer tauchten landeinwärts auf, Hügelrücken schoben sich daher.

Wenn ich hier wohnte, dachte Franz Margis, wäre ich andrer Stimmung. Aber es blieb dennoch jene öde Sandbucht, die ihn zum Malen reizte, nicht diese fette Landschaft, die wohltätig auf seine Nerven einwirkte.

Auf dem Fußweg mußte man, quer durch das Wiesental eines Baches, in einer knappen Stunde von St. Lüne nach Klein-Klank gelangen. Die Chaussee machte einen weiten Bogen, folgte dem Vorsprung der Küste, die hier mit scharfer Spitze weit ins Meer hineinstieß. Aber auch so sah man in einer knappen halben Stunde den Gutshof liegen, überwachsen von den mächtigen Kastanien des Parks. Eine Birkenallee bog von der Chaussee ab. Hier mußte das Auto langsamer fahren. Vom letzten Regen standen noch Wasserlachen quer über dem Weg. Links begann hinter einem einfachen Drahtzaun der Park. Man sah zwischen den Bäumen auf verschlungene Pfade, und von hinten schimmerte eine helle Rasenfläche mit Farbentupfen von bunten Blumenbeeten hindurch. Vor dem Wirtschaftshof bog man zum Herrenhaus durch ein offen stehendes Gittertor. Kiesbedeckt schwang sich die Anfahrt um ein Rondell aus Rosen. Man hielt vor der breiten Veranda. Ein Mädchen mit weißer Schürze und weißer Krause im Haar stand auf den Stufen und lächelte.

Der Maler wollte dem Chauffeur ein Trinkgeld geben. »Danke!« sagte der ablehnend. »Ich werde von meinem Herrn bezahlt.«

Margis sah ihn erstaunt an. Es war ein hochmütig verschlossenes Gesicht mit merkwürdig brennenden grünbraunen Augen darin. In einer Diele legte Margis Hut und Stock ab. Das Mädchen zeigte auf die Treppe. Er war erstaunt, hatte gedacht, daß auf Gutshöfen die Wohnräume unten lägen und oben nur noch Schlaf- und Fremdenzimmer. Maria Fenn hatte es anders eingerichtet.

So ging er die braune, geschnitzte Treppe hoch. Oben gab es eine Art Wohnflur mit Tischen und Sesseln, allerhand Graphik an den Wänden und eine Reihe von weißen Türen, eine große Flügeltür gerade vor der Treppe. An diese Tür klopfte das Mädchen und zog sich zurück.

Renate öffnete. Sie hatte ein rotes Seidenkleid an und eine ganz dünne Perlenschnur um den kindlichen Hals. »Herr Margis!« sagte sie seltsam abwesend und gab ihm die Hand. Er trat in einen kleinen Empiresaal in Weiß und Gold. Drei Fenster gingen bis zum Fußboden hinunter. Man schien zwischen Baumkronen zu schweben.

Das erste, was er sah, war der weite Ausblick über die Rasenflächen und Blumenbeete des Parks und hinten das blaue Meer, eingefangen zwischen dem Ausschnitt der grünen Wipfel. Rechts am Fenster stand ein Sekretär. Es gab gemütliche Ecken um geschweifte Tischchen, einen kleinen Stutzflügel, mit schillernder Brokatdecke überzogen. An einer Wand einen breiten Diwan mit einem prachtvollen Eisbärfell darüber, Aschenbecher auf kleinen Hockern, einige Landschaften in matten Farben und silbrigen Rahmen. Ah! dachte der Maler. So muß Maria Fenn wohnen!

Zwischen Flügel und Fenster wartete auf einem goldlackierten Tischchen die brodelnde Teemaschine mit drei Gedecken. »Mutter läßt sich entschuldigen,« sagte Renate. »Sie mußte mit dem Verwalter noch einmal aufs Feld reiten. Sie wird in einer halben Stunde zurück sein.«

Renate bereitete den Tee, reichte ihm Weißbrot, Butter und eingemachte Früchte zu. Er folgte ihren Bewegungen mit offensichtlicher Bewunderung.

Vielleicht ist es nur ein kultivierter Haushalt, dachte er, aber es könnte ebensogut Yoshiwara, das japanische Liebesparadies, sein. Sicher ist auch der Verwalter ein hübscher, schlanker Kerl und der Herrin mit Leib und Leben ergeben, und vielleicht erwartet man von allen Männern, die hierher kommen, wunderbare Liebesfeste.

Er mußte lächeln, als diese Gedanken ihm kamen. Natürlich war alles ganz anders. Maria Fenn hatte nur die Kultur der Großstadt in diesen stillen Winkel mitgenommen. Oder Herr Fenn, an den er noch gar nicht gedacht hatte, war einst ein Mann von künstlerischen Neigungen gewesen. Es sollte auf diesen ostpreußischen Gutshöfen Originale von allen Schattierungen geben.

»Gehört noch viel Land zu Ihnen? Ich glaubte, Klein-Klank sei Restgut?« fragte er.

»Ach Gott, einige hundert Morgen. Es ist nicht viel.«

»Sie sind oft auf Reisen?«

»Wir reisen nie.« Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Wir haben kein Geld.«

»Nanu?« lachte er und zeigte auf die Einrichtung. Achtete zugleich unwillkürlich darauf, ob nicht leise Spuren des Verfalls zu bemerken waren. Er konnte aber nichts entdecken, was nach Vernachlässigung aussah. Im Gegenteil, der Eindruck der Gepflegtheit, der aus allem, aus der Haube des Dienstmädchens, aus den Blumenrabatten, den Bildern und Teppichen sprach, war unverkennbar.

»Ach, das!« sagte Renate wegwerfend. Sie schien die seltene Gelegenheit eines Besuches auszunützen, um ihre Meinung zur Geltung zu bringen. »Ja, das ist alles ganz nett. Aber ich würde lieber hier sparen und dafür reisen. Mama will hübsch wohnen. Das ist ihr alles.«

Ob sie viel Besuch hätten? Renate sagte, daß es selten vorkäme. Sie mochten mit den Grundbesitzern der Umgegend nicht verkehren. Allein Teuffels wären ganz nett. »Die übrigen sind alle, wissen Sie, so primitiv, ohne Interessen und Formen. Sie wundern sich über unsre Bilder und Bücher. Ich könnte keinen von denen heiraten. Mama auch nicht.« Es amüsierte ihn, wie das junge Mädchen über eine mögliche Heirat ihrer Mutter nachdachte.

»Verzeihen Sie! Ist Ihr Herr Vater schon lange tot?«

Aber Herr Fenn war von seiner Frau geschieden und lebte in Kalifornien. »Vater war vielleicht etwas sonderbar. Er mochte Deutschland nicht. Meine Mama ist vom Rhein. Wir erbten dieses Gut vor fünf Jahren von einem Onkel und zogen hierher. Mir gefällt es hier nicht.«

Es stellte sich heraus, daß sie lieber tanzte und Bücher las als spazierenritt. Sie lachte dazu. »Sehen Sie, kleine Hunde gehen noch an, aber Pferde sind so furchtbar groß! Ich mag das nicht! Dann muß es schon ein Auto sein. Aber wir haben auch kein Auto!«

Hier trat Maria Fenn ein, wie immer im weißen Kleid, nur der schwarze Spitzenschal fehlte. Statt dessen schmückte eine wunderbare Perlenkette ihren Hals. Eine dreifach geschlungene Kette von solch großen Stücken, daß man erst hinsehen mußte, um sie für echt zu halten. »Wir haben ja kein Geld!« hatte Renate gesagt. Vielleicht hatten sie wirklich für die Verhältnisse verwöhnter rheinländischer Patrizierfamilien wenig, und Franz Margis konnte sich denken, daß Maria Fenn zum Reisen, was sie unter Reisen verstand, wahrscheinlich sehr viel Geld gebraucht hätte.

Aber es gefiel ihm von ihr, daß sie einen kleinen Rahmen lieber mit Luxus ausfüllte, als sich in einem größeren Rahmen zu beschränken. Es gefiel ihm ebenso, wie ihm das Verlangen der Tochter nach der weiten Welt gefiel. Noch immer war es so: Diese beiden Frauen waren für ihn untrennbar. Sie beide zusammen erst hatten diesen unwiderstehlichen Reiz, der sie ihm nun über ein ganzes Jahr hindurch – und was für ein Jahr Berliner Lebens! – unvergessen gemacht hatte. Und zu beiden paßte der verwöhnte Sohn des Trustkönigs mit seinem romantischen Schicksal.

»Nun, hat Ihnen Renate schon ihr Leid geklagt?« Das waren Marias erste Worte. Sie kannte die Art ihrer Tochter.

»Über die verwunschene Einsamkeit und den Drang in die Welt und den Mangel eines Autos,« sagte Margis. »Um so wundervoller ist es für den arglosen Wanderer, wenn er das Dornengestrüpp beiseitebiegt und solche Wunderblumen entdeckt.«

Maria Fenn sah ihn mit ihren blauen Stahlaugen an. »Sie sagen das im Scherz,« sagte sie lächelnd, »aber ich hoffe, es ist Ihr Ernst.« Sie hatte sich in einen Sessel gesetzt und ließ sich von Renate bedienen. Wie fein, dachte Margis, daß sie nicht im Reitkleid hereingekommen ist! Keine andere Frau hätte sich das entgehen lassen.

Sie nahm gleich das Gespräch in die Hand, fragte, ob Mario Glasberg ihm die Entschuldigungen für den plötzlichen Aufbruch übermittelt hätte. Betonte, vielleicht ein wenig zu ängstlich, daß man Herrn Doktor Glasberg viel zu selten zu sehen bekomme. »Jedes Jahr ist er auf Serbenitz. Wer hat ihn dort entdeckt? Natürlich Renate! Sie brachte ihn vor zwei Jahren auf einmal an.« Renate wäre ja damals vollkommen Kind gewesen, während sie jetzt nur noch ein Kindskopf sei. Aber Herr Glasberg wäre mit seiner ganzen Liebenswürdigkeit auf ihre dummen Gedanken eingegangen, und so wäre er plötzlich, mit dem Mädel an der Hand, hier aufgetaucht. »Aber er ist uns ein lieber Freund geworden.«

»Siehst du,« sagte Renate schnippisch, »das habe ich eben sofort herausgefühlt. Und ich brachte ihn ja auch nicht für mich mit.«

»Sondern für mich, nicht wahr?« lachte Maria Fenn. »Dabei möchte sie mir, ihrer alten Mutter, die Augen auskratzen, wenn Glasberg zu mir ein Wort mehr als zu ihr spricht.«

Das junge Mädchen wurde bei diesen Worten ihrer Mutter purpurrot. Margis bemühte sich, es nicht zu sehen. Frau Fenn lächelte kaum merklich darüber.

Hol' mich der Teufel, dachte er, wenn die nicht eben mit Glasberg zusammengewesen ist! Das Auto hat ihn am Waldrand abgesetzt, mich dann aus St. Lüne geholt und ihn wieder am Waldrand aufgenommen. Selbstverständlich!

»Dabei ist Mario Glasberg ein alter Ehemann!« setzte Maria Fenn fort.

»So?« fragte Margis. »Ist Herr Doktor Glasberg wieder verheiratet?«

»Und wie verheiratet!« brach Renate los. Sie konnte sich kaum lassen vor Heiterkeit. »Denken Sie sich eine biedere Haushälterin mit einem Madonnenwasserscheitel, und hinken tut sie auch!« Die maßlose Gehässigkeit einer hoffnungslosen Mädchenschwärmerei trat mit unbekümmerter Roheit zutage.

»Pfui, Renate!« rief die Mutter dazwischen. »Das ist furchtbar häßlich, so zu sprechen! Dr. Glasberg hat sicher eine sehr nette Frau. Wir kennen sie leider nicht.«

»Ich habe ihr Bild gesehen!« schmollte Renate.

Margis fragte, ob sie die Geschichte seiner ersten Ehe kennten. Die Damen nickten schweigend.

»Übrigens hängt es mit dieser Geschichte natürlich zusammen,« sagte Frau Fenn nach einer Weile, »daß Glasbergs jetzige Frau wirklich andere Vorzüge als große Schönheit aufzuweisen haben soll. Er hat die furchtbaren Gefahren der Schönheit kennengelernt. Die Schönheit ist ihm und Susi Streicher zum entsetzlichen Verhängnis geworden. Kein Wunder, daß er darauf eine durchaus unscheinbare Frau wählte. Er hatte genug an der einen Tragödie.«

»Und doch wird er von der Schönheit niemals loskommen!« warf Renate dazwischen. Sie war aufgestanden, um Tee einzuschenken. Während sie diese Worte aussprach, reckte sie sich unwillkürlich – oder war es Absicht? – hoch. Es war eigentlich von atembeklemmender Peinlichkeit, daß sie diese Worte sprach. Den Maler durchfuhr es wie ein eisiger Schrecken. Warf das kaum flügge Ding mit diesen Worten und dieser Geste nicht einer fernen, schutzlosen Frau in ungehemmter Brutalität den Fehdehandschuh hin, in ihrem eigenen oder, noch schlimmer, ihrer Mutter Namen? Kaum ihre siebzehnjährige Jugend konnte dafür als Entschuldigung gelten. Maria Fenn erbleichte geradezu. Sie sah ängstlich zu Margis hinüber.

»Du bist noch sehr jung!« sagte sie dann streng. Renate setzte sich wieder auf ihren Platz, als wenn nichts geschehen wäre.

»Ja,« sagte der Maler, »Schönheit kann ein Verhängnis sein. Wenn sie mit Dummheit gepaart ist, ist sie meistens ein Glück und eine Macht. Wenn sie aber mit Klugheit und Kultur gepaart ist, ist sie ein Verhängnis. Außer denen, die es an sich selbst erfahren, weiß das am besten der Künstler.« Er wunderte sich über sich selbst, daß er diese Worte ernstlich und mit Betonung aussprach und Maria Fenn dabei fest ansah.

Sie nickte ihm zu.


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