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7

Als Wolf van Holten von dem Zusammensein mit Mario Glasberg nach Hause kam, fand er eine dringende Depesche vor.

Er war wie aus dem Wasser gezogen. Die Stunden mit Glasberg pumpten ihn förmlich aus. Nicht allein, weil er sich in Wort und Haltung bis zum äußersten in die Gewalt nehmen mußte, oder weil die Jahre der gemeinsamen Freundschaft beschwörend vor ihm aufstiegen – das alles spielte nur in seinen Zwiespalt hinein und wurde mehr oder weniger leicht niedergehalten.

Aber vor Marios Gegenwart drohte sein ganzes Gedankengebäude einzustürzen. Wenn er mit ihm zusammengewesen war, wurde er immer wieder unsicher, ob nicht allein Neid ihn in die unversöhnliche Kampfstellung hineintrieb. Die heitere Kraft Glasbergs überwältigte ihn. War es möglich, daß jemals hinter dieser offenen Knabenstirn Mordgedanken ausgebrütet wurden, daß dieser kindlich-fröhliche Mensch ein Verbrechen auf dem Gewissen hatte?

Es gab Augenblicke, wo er seinen Kombinationen nicht mehr traute. Er sah sich wieder als den kleinen Regierungsratssohn, der gegen den Götterliebling rebellierte. War es nicht auf der Schulbank schon so gewesen? Hatte er Glasbergs Freundschaft nicht immer wieder zurückgewiesen, bis der Sohn des Trustkönigs ihn doch erobert hatte und bezwang? Nicht einmal mit besonderer Anstrengung, sondern nur, wie er alle besiegte.

Das alles hatte er sich tausendmal gefragt und hatte es tausendmal widerlegt. Und immer war dann die Frage gekommen, ob die geheime Triebfeder seines Tuns nicht Eifersucht sei. Nein, es war keine Eifersucht! Er hatte Susanne Streicher nicht geliebt! Vielleicht hatte er die beiden um ihr Leben beneidet, dieses losgelöste, frei aus sich herausschwingende Leben, das niemals einer Arbeit, einer Aufgabe, einer Idee hörig geworden war. Nein, er hatte zu Susette genau so gestanden wie zu Mario: bewundernd, ein wenig verachtend und ein wenig neidisch. Nicht so neidisch, wie er selbst von hundert andern um die Freundschaft mit diesen Menschen beneidet wurde. Es hatte ihn nie mit Glück erfüllt, wenn Susette ihn vor allen als den ein für alle Male bevorzugten und allernächsten Freund auszeichnete. Natürlich, er hatte sich immer – ein wenig eitel vielleicht – in dem großen, freien Stil dieser Menschen gesonnt, aber warm war ihm in Susettes Nähe nie geworden.

Dazu fehlte ihr nach seinem Geschmack etwas. Er fand Susette zu unbelastet. Sie kannte kein Ringen um Ziele, hatte niemals Stunden des Ungenügens gehabt. Unzweifelhaft war sie eine der begabtesten jungen Schauspielerinnen. Aber für Literatur hatte sie sich nie interessiert, und es war ihr keinen Augenblick schwer geworden, der Bühne den Rücken zu kehren, da ihr Leben der gleiche Triumphzug blieb, ob sie nun spielte oder nicht.

War es übrigens so völlig ausgeschlossen, daß sie sich selbst das Leben genommen hatte? Konnte sie nicht ihr Dasein ganz plötzlich als inhaltleer und äußerlich empfunden haben? Vielleicht war der Ekel langsam in ihr aufgestiegen und hatte sich dann in der entsetzlichen Tat Luft gemacht.

Wenn es so war, dann war sie jedenfalls anders gewesen, als er sie immer gedacht hatte. Dann hatte sie langsam an Mario zweifeln gelernt. Dann aber hätte doch einmal in einem ihrer langen Gespräche, die ihn stets so unbefriedigt gelassen hatten, der Funke herüber- und hinüberspringen müssen. Aber er hatte nie die geringste Regung eines Zweifels an ihr bemerkt, Nein, solche Frauen nehmen sich nicht das Leben! Immer wieder kam er zu diesem Schluß. Wie sollte sie doch in dem umstrittenen Abschiedsbrief geschrieben haben? »Das Leben ist so herrlich, und es ist unmöglich, daß es so bleiben kann. Deshalb gehe ich, da noch alle Tafeln besetzt sind. Adieu, ich stehe auf!« Das sollte diese Susette als Abschied an ihre Mutter geschrieben haben?

Immer stand dieser Abschiedsbrief am Schluß aller Fragen. War es möglich, daß sie ihn selbst geschrieben hatte, oder war er eine Fälschung Marios? Darum drehte sich alles. Wenn man nur diesen Brief hätte bekommen können! Aber Mario gab ihn nicht heraus. Alle Bemühungen waren vergebens gewesen. Selbst der Einbrecher, den Holten gedungen hatte – ein ganz schwerer Junge aus seiner Praxis – war nicht zum Ziel gelangt. Mario verstand sich auf den Kleinkrieg der Weltstadt. Er saß unangreifbar in seinem Nest zwischen den hohen Fabrikschloten. Wächter und Hunde hüteten die Zugänge; elektrische Lärmkabel neuester Konstruktion vereitelten jedes unbefugte Eindringen.

Einmal hatte Holten eine jener Bardamen aus den Dielen, mit denen Glasberg von Zeit zu Zeit verkehrte, für sich gewonnen. Sie war in der Fabrikwohnung, die Holten niemals zu betreten Gelegenheit bekam, einige Tage ein- und ausgegangen. Sie hatte Holten noch berichten können, daß der so eifrig gesuchte Brief in Marios Schreibtisch eingeschlossen lag.

Dann war sie verschwunden. Holten hatte sie niemals wiedergesehen. Tagelang hatte er jede Leiche in Augenschein genommen, die irgendwo gefunden oder angeschwemmt war, hatte jeden Mittag das Leichenschauhaus besucht. Er konnte keine Spur von ihr entdecken. War sie zu Glasberg übergegangen, oder hatte der sie ertappt und beseitigt? In seinem großen Röntgen-Laboratorium konnte er durch die elektrische Hochspannung mehr als einen Menschen in Staub und Asche verwandeln. Seither hatte Holten nie wieder einen Versuch in dieser Richtung unternommen.

Doch, noch ein einziges Mal, einen letzten, verzweifelten Versuch, von dessen Mißlingen er von Anfang an überzeugt gewesen war: Eines Tages hatte er Glasbergs jetzige Frau aufgesucht und seinen Verdacht gegen Mario rückhaltlos vor ihr ausgebreitet. Es war in dem silbergrauen Salon in der Dahlemer Villa gewesen. Bleich und zitternd hatte Frau Käte in ihrem weitbauschigen, unmodernen Kleid dagesessen und ihn angehört. Er beschwor sie, sich von Mario zu trennen, auf die Seite seiner Freunde zu treten.

Kein Wort hatte Frau Käte gesagt, ihn eine halbe Stunde reden lassen. Dann hatte sie auf den Knopf der Klingel gedrückt und mit fester Stimme dem Diener befohlen, den Besuch hinauszubegleiten. Niemals war zwischen Mario und ihm von dieser Szene die Rede gewesen. Er wußte nicht einmal, ob sie je zu ihrem Mann von Holtens Besuch gesprochen hatte.

Vielleicht war die stille Frau die wahre Heldin dieser Tragödie. Vielleicht zweifelte sie nicht an der Schuld ihres Mannes, vielleicht fürchtete sie selbst, eines Tages das Opfer zu werden. Aber sie blieb ohne ein Wort auf dem Posten, der ihr zugefallen war, als das Langenohrer Hüttenwerk mit dem Leynhausener Konzern vereinigt wurde und sie selbst die Rolle von Mario Glasbergs Frau auf sich genommen hatte. Holten konnte es sich damals selbst sagen, daß er durch Frau Käte nicht in den Besitz von Susannes Abschiedsbrief kommen würde. Aber er wollte wenigstens den Versuch gemacht haben. Es war die peinlichste Situation gewesen, der er sich je ausgesetzt hatte.

Eigentlich war es unfaßbar, daß Mario Susannes Brief an ihre eigene Mutter nicht herausgab. Frau Agathe Streicher hatte ihm die Szene viele Male geschildert: Am Abend war der große Kostümball gewesen, der einmal im Jahr die ganze Leynhausener Gesellschaft, sowohl des Hofes wie der Industrie, in einem Hotel zusammenführte. Mario und Susette, mit den Familien notdürftig ausgesöhnt, waren von Berlin zum Fest herübergekommen. Bald nach Mitternacht hatten sie sich zurückgezogen und ihr Hotel aufgesucht. Gegen ein Uhr rief Susette ihre Mutter an, wie sie es fast jeden Abend zu tun pflegte. Nichts hätte, wie Frau Agathe Streicher schilderte, bei ihrer Tochter den Eindruck besonderer Exaltation hervorgerufen. Susette wäre lustig wie immer gewesen.

Wohl eine halbe Stunde lang hechelten die beiden am Telephon die Gesellschaft durch, unterhielten sich über den neuesten Klatsch und die Kostüme, die zum Teil sehr originell gewesen waren. Dann trennten sie sich, um schlafenzugehen.

Am nächsten Vormittag war Mario überraschend in der Streicherschen Villa, die die Gnade des Herzogs dem verdienstvollen Hofschauspielerpaar erbaut hatte, erschienen und hatte Frau Streicher mitgeteilt, daß ihre Tochter sich in der Nacht, offenbar bald nach dem Telephongespräch, mit Veronal das Leben genommen habe. Dr. Dix, der zur Glasberg-Partei in Leynhausen gehörte, hatte bereits den Totenschein ausgefertigt.

Mario schilderte der fassungslosen Mutter, wie er nachts aufgewacht war, und den kalten Körper neben sich fühlte. Er war bereits, während Susette telephonierte, eingeschlafen und hatte im Halbschlummer nur undeutlich bemerkt, wie sie sich auskleidete und zu Bett ging.

Auf einmal ergriff ihn des Nachts ein unerklärliches Angstgefühl. Er drehte das Licht an, entdeckte den leblosen Körper, das Röhrchen mit den fünf fehlenden Veronaltabletten und auf dem Nachttisch Susettes Abschiedsbrief an ihre Mutter, den er der unglücklichen Frau vorlas und mit der Begründung, daß er das letzte Zeugnis seiner Frau nicht hergeben könne, wieder an sich nahm.

Kaum war er dazu zu bewegen, den Brief noch einmal herzuzeigen, damit die Mutter ihn wenigstens in Händen halten und küssen konnte. Sie erkannte den blaß blauen Bogen, den Susette für ihre Briefe zu benutzen pflegte, las noch einmal die letzten Grüße und diese seltsam verstiegene Begründung ihres unseligen Schrittes, stutzte beim Anblick der Schriftzeichen, die ihr seltsam fremd vorkamen. Faßte aber noch keinen Verdacht, glaubte vielmehr, daß ein fremder und böser Geist, der von Susette Besitz ergriffen, sich auch in ihrer Schrift ausdrücke, und reichte dem drängenden Schwiegersohn nach langem inneren Kampf die kostbare Reliquie zurück.

Erst nach Stunden, als ihr Mann nach Hause kam und sie ihm das Fürchterliche mitteilte, überkam sie eine Ahnung, daß der Brief gefälscht und ihre Tochter ermordet worden war. Aber auch diesen Verdacht drängte sie noch zurück in dem Gefühl, die Totenfeier und ihre erste Trauer um die Unvergeßliche nicht entweihen zu dürfen. Viele Wochen später erst faßte sie ganz plötzlich und sich selbst überraschend den Entschluß, an die Ermordung Susannes unverbrüchlich zu glauben.

Van Holten hatte erst ein Jahr später von den näheren Umständen erfahren. Vielleicht wäre alles anders geworden, wenn die Eltern sich gleich an ihn gewendet haben würden. Aber man hielt ihn in Leynhausen für Glasbergs besten Freund und glaubte eher, den Verdacht vor ihm verheimlichen zu sollen. Der alte Theophil Streicher hatte sofort, als Frau Agathe ihre Meinung äußerte, von jedem Vorgehen abgeraten, aber die Mutter war nicht zu halten gewesen.

Natürlich waren alle Schritte, eine gerichtliche Untersuchung gegen Doktor Mario Glasberg, den Sohn A. W. Glasbergs, anzustrengen, vergeblich gewesen. Frau von Gladen wollte mit der Angelegenheit nichts zu tun haben, und nur Prinz Georg, der auf seinem nahen Gut Markroda saß und jagte, griff die Vermutung, daß der ihm verhaßte Mario Glasberg die junge Frau ermordet habe, mit Enthusiasmus auf. Der Herzog selbst aber, auf den alles ankam, lehnte jedes persönliche Eingreifen ab. Obwohl er trotz der Revolution, wenn auch ohne Regierungsgeschäfte, in alter Weise Hof hielt und sich nur ungern daran erinnern ließ, daß sich in seinen Machtverhältnissen einiges verändert hatte, erkannte er sofort, daß jede Stellungnahme in diesem Falle den offenen Zusammenstoß mit der gefährlichen Dynastie Glasberg bringen mußte, der bis dahin von beiden Seiten taktvoll vermieden worden war.

Trotzdem konnte es nicht verhindert werden, daß sich in der Beurteilung dieses Falles die Meinungen deutlich, je nach der Zugehörigkeit zum Hofe oder zur Industrie, spalteten und das beiderseitige Mißtrauen vertieften. Damals entstand jene Legende, daß Susette Streicher sich dem Drängen des Prinzen Georg nicht mehr anders als durch den Tod habe entziehen können. Man munkelte sogar von einem gewaltmäßigen Übergriff des Prinzen, vor dessen Folgen sie in den Tod habe gehen müssen. Man besprach das Verhalten Susettes und des Prinzen auf jenem Kostümball, dem das Ereignis gefolgt war, in allen Einzelheiten. Man hatte die beiden miteinander reden sehen und wollte nachträglich bei Susette Anzeichen großer Erregung festgestellt haben.

Auch den frühen Aufbruch des jungen Ehepaares schob man diesem Gespräch zu. Die Hofpartei hingegen wollte wissen, daß der mächtige Trustkönig sich der unwillkommenen Schwiegertochter mit Hilfe eines von ihm abhängigen Arztes entledigt habe. Man sprach ziemlich offen davon, daß Dr. Dix den Totenschein niemals in dieser Schnelligkeit hätte ausstellen dürfen, da die junge Frau doch ganz offenbar – wieso, wußte niemand – erwürgt war.

Bei diesem Durcheinander von Meinungen mußten alle Schritte der unglücklichen Mutter ergebnislos verlaufen. Der Oberstaatsanwalt des zuständigen Gerichtsbezirkes erhielt den Eindruck, daß es sich bei diesem Fall um einen regulären Selbstmord handelte und die umlaufenden Gerüchte in den besonderen Verhältnissen des ehemaligen Herzogtums und in der romantischen Liebesgeschichte des jungen Paares ihren Grund hatten. Kaum, daß man den besagten Dr. Dix protokollarisch vernahm, der den von ihm ausgestellten Totenschein durch den Befund der Leiche und die angebrochene Röhre mit den Veronaltabletten genugsam begründete. Von Würgespuren am Halse wäre keine Rede gewesen. Natürlich, meinte Dr. Dix, bliebe die Möglichkeit immer offen, daß der junge Ehemann die tödlichen fünf Veronaltabletten seiner Gattin gegen ihren Willen und vielleicht unter Vorspiegelung der völligen Harmlosigkeit dieses Mittels appliziert habe. Dieses zu beweisen, wäre aber an sich eine Unmöglichkeit, und eine solche Annahme setze so viele Unwahrscheinlichkeiten voraus, daß man sie seines Erachtens nicht weiterzuverfolgen brauche.

Auch würde ein Chemiker von den wissenschaftlichen Qualitäten Dr. Glasbergs wissen, wie wenig Verlaß auf den Ausgang einer Veronalvergiftung sei. Daß in diesem Falle fünf Gramm zum Tode geführt hätten, stände ziemlich vereinzelt da und bewiese eine besondere Empfindlichkeit der jungen Frau. Ganz sicher würde sich Dr. Glasberg nicht der unsicheren Veronaltabletten, sondern eines sicherer wirkenden Giftes, etwa des Arsens in irgendeiner Form, bedient haben.

Frau Agathe Streicher suchte den Generalstaatsanwalt und später den Polizeipräsidenten der Provinzialhauptstadt auf. Sie beschwor die Herren, Mario Glasberg verhaften zu lassen und die Leiche ihrer Tochter zu exhumieren. Ganz gewiß würde man irgendetwas finden, was auf die richtige Spur brächte. Sie berief sich darauf, daß der Abschiedsbrief offenbar gefälscht sei.

Aber diese Annahme erschien zu willkürlich, um darauf einen Schritt wie die Verhaftung eines Glasberg zu stützen. Man hielt ihr die Aussage des Dr. Dix entgegen und bemühte sich, über ihre beleidigenden Verdächtigungen des bekannten Arztes hinwegzuhören. Vielleicht trug es auch zu den Mißerfolgen ihrer Schritte bei, daß jedermann in jener Gegend sie zu oft und zu lange Jahre in der Rolle einer komischen Alten auf dem Theater gesehen hatte. So glaubte man auch jetzt, ihren Eifer nicht besonders ernst nehmen zu brauchen. Wie konnte eine »komische Alte« gerade bei übermäßiger Ereiferung anders als komisch genommen werden?

Das alles hatte sich ohne Wissen van Holtens zugetragen. Er erfuhr durch die Zeitungen und die offizielle gedruckte Todesanzeige nur die nackte Tatsache. Sie erschütterte ihn nicht einmal so, wie er es von sich selbst erwartete. Merkwürdigerweise hatte er sofort den Eindruck, daß dieser Vorfall seine Beziehungen zu Glasberg lockern würde. Nicht, daß er einen Verdacht gegen ihn hegte, aber er glaubte, daß nun der Zeitpunkt gekommen wäre, sich von Glasberg zurückzuziehen. Er verließ damit nicht etwa den Freund im Unglück, denn er wußte, daß es Mario nicht vergönnt war, jemals ganz unglücklich zu sein.

Vielleicht war es gerade diese Überlegung, die ihm Zurückhaltung auferlegte. Mario brauchte ihn nicht, nicht einmal jetzt. Wahrscheinlich lag etwas Selbstquälerisches in Holtens Haltung. Er hätte vielleicht nichts lieber gesehen, als daß Mario sich nun gerade mit aller Kraft an ihn anschloß. Vielleicht hoffte er sogar, nun endlich den Zugang zu Tiefen des Freundes zu finden, von deren Vorhandensein er allerdings nicht sehr überzeugt war.

Aber Mario war, als er von dem Begräbnis nach Berlin zurückkehrte, genau so, wie Holten es sich vorgestellt hatte. Fast noch einige Grade lebenstüchtiger, großartiger geworden. Keine ernste Linie hatte sich in seine Stirn gemeißelt. Mit einer Leidenschaft, die von jeder Verzweiflung frei war, warf er sich auf Leichtathletik, verbrachte die Tage im Stadion, soupierte gut und unternahm eine Reise nach Nordafrika, von der er nicht anders zurückkehrte, als er Abschied genommen hatte. Niemals würde er von irgendwoher anders zurückkommen, dachte Holten.

Kurz nach Ablauf des Trauerjahres heiratete er Käte Lenninghaus, bezog mit ihr die Dahlemer Villa und für sich jene Dachhöhle bei Tempelhof, von der Holten erst durch Dritte erfuhr. Nichts änderte sich in ihrem beiderseitigen Verkehrston, nur daß sie – auf Holtens Veranlassung – immer seltener zusammenkamen.


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