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Marien Rosenkranz

Es war einmal ein Schüler, der hatte sein ganzes Leben und alle seine Sinne auf diese Welt gerichtet und sich von der rechten Straße weitab ins Gewirr der Nebenwege verirrt. Was auch der Schulmeister ihn mit Schlägen traktierte, die erweichten ihn keineswegs, von seinen wilden Sitten zu lassen. Nur eine fromme Gewohnheit war ihm geblieben: jeden Morgen ging er hin und brach Rosen und allerlei Blumen, und wenn er die nicht in der Nähe haben konnte, so ging er auf die Berge und grub und suchte, was ihm gefiel. Daraus machte er dann ein Kränzlein, trug es zur Kirche und setzte es dem Bilde der süßen Gottesmutter auf. Daran hatte er sich so innig gewöhnt, daß sein Herz sich immer wieder danach sehnte und es keine größere Klage für ihn gab, als wenn er an einem Tage den frommen Dienst versäumen sollte.

Da gab Gott ihm ein, sich der Welt zu begeben und in den Orden der grauen Mönche zu treten. Des waren seine Verwandten froh und schufen, daß der junge Mönch mit offenen Armen im Kloster empfangen ward. Wie aber sollte er hier sein Kränzlein winden? Wenn er Blumen lesen wollte, hieß es stets, zum Chore oder zum Kapitel gehen, und die Blumen blieben stehen, wo sie waren. Kam er so zum Chore und sah das ungekränzte Bild Mariens, so quoll ihm bitteres Leid empor und er verfiel in so große Traurigkeit, daß ihn zu leben verdroß. Lieber wollte er wieder aus dem grauen Orden entrinnen und in die Welt zurückkehren, ehe er von seiner Gewohnheit lassen und so in Kummer dahinleben mochte.

Als er in seinem Entschlusse fest geworden war, ging er eines Morgens an den Altar vor die Muttergottes, weinte bitterlich und sprach: »O süße Königin, laß dir geklagt sein, wovor ich mich nimmer bewahren kann. Ich muß der Zelle entlaufen, denn sehe ich dein Bild und fehlt der Kranz darauf, so ist mir, als ob ich nicht länger leben könnte.« Während er so klagte, kam ein Mönch, der schon grau vom Alter war, an der Stelle vorüber, um beten zu gehen. Als er ihn so traurig sah, tröstete er ihn und sprach ihm zu: »Sage mir, was hat dich so früh betrübt, mein lieber Sohn? Denn ich sehe wohl, du weinst und bist voll Ungeduld.« »Ratet mir!« rief da der junge Mönch, »denn ich stehe im Begriffe, dem Orden zu entlaufen«, und sagte dem Alten alles, was sein Herz bedrückte. »Lieber Sohn«, erwiderte der Greis, »man sündigt in der Welt mehr denn hier. Kannst du ihr kein Rosenkränzlein mehr winden, so sprich der himmlischen Königin Tag für Tag fünfzig Ave Maria zu der Zeit, da du sonst die Blumen bandest. Denn der Englische Gruß ist ihr werter als eine goldene Krone und tausende von deinen Kränzen.« Des Trostes ward der Junge froh, entschloß sich zu bleiben und nach dem Rate des Alten zu handeln, und hielt sich so wacker in dem grauen Leben, daß er zum Prior erwählt ward und seines frommen Amtes als ein seliger Mann waltete.

Eines Tages nun ritt er nach einem Hofe, der sich von altersher in der Pflege der Mönche befand, um irgend etwas daselbst zu besorgen. Es war zu der Zeit, da die Vöglein zu singen beginnen und der Mai junges Laub aus allen Zweigen treibt: der Wald stand schön gekleidet, die Vöglein sangen, wonnige Tage waren auf Erden, Wiesen und Anger lagen grün in Blumen und Rosen und die Nachtigall flötete, daß es weit in den Wald erklang. Er ritt durch einen tiefen Grund, der voll von Laub und Blumen stand, die waren lieblich entsprungen, und die Vögel sangen hell. Der Ort gefiel ihm wohl, er dachte: »Ich will meiner Herrin ein Kränzlein bringen.« So drang er denn mit seinem braven Rosse tiefer ins Gebüsch, um von dem Laube zu pflücken, doch meinte er, eh er davon bräche, wolle er gern erst seine fünfzig Ave Maria sprechen, wie er es täglich getan, seit er aus dem Kloster hatte entlaufen wollen. Er ahnte nicht, daß ganz nah in dem Busche eine Rotte Strauchdiebe lag, die sich soeben anschickten ihm sein Roß wegzunehmen. Schon wollten sie hervorspringen, da sahen sie aber, daß plötzlich eine Frau daherkam, so schön und licht, daß ihr Angesicht das Licht der Sonne verdunkelte: in Bagdadseide, mit edlen und köstlichen Perlen durchwirkt und besetzt mit den kostbarsten Steinen, deren jeder heller erstrahlte denn ein Stern, erschien sie, leuchtend in himmelfarbenem Gewand, der Kopfschmuck aus einem Stoffe, der nicht gewebt worden, stand schwebend über ihrem Haupt und alles an ihr schien herrlicher und glänzender, als die Schätze Arabiens und des ganzen Morgenlandes zusammengenommen. So schritt sie leise an der Seite des Mönches, der langsam in Gebet versunken, durch das Gebüsche dahinritt: in der einen Hand trug sie einen Reif, die andere aber streckte sie zart nach seinem Munde aus und nahm ihm, neben ihm herwandernd, von Zeit zu Zeit eine junge, rote Rose von den Lippen. Die steckte sie an den Reif, mit einem goldenen Drahte wand sie die Rose darum. Dann hub sie leise die Hand auf und nahm ihm wieder, fast ohne ihn zu berühren, eine neue frische Rose vom Munde, und tat immerfort also, bis es fünfzig Rosen waren. Da war das Kränzlein fertig, und sie setzte es langsam auf ihr Haupt. So oft er beim Beten ihren Namen nannte und den Gruß des Engels sprach, so oft sah sie ihm unter die Augen und lachte glückselig. Dann neigte sie sich vor dem Mönche, ihres Kränzleins froh, und schied von hinnen, wie sie gekommen war.

Der Prior hatte von alledem nichts gesehen. Als er sein Gebet zu Ende geführt, brach er ein Zweiglein von dem Laube und wollte wieder heimreiten, indem er auf den Weg zurückzukommen trachtete. In diesem Augenblicke sprangen die Schächer auf und fielen dem Rosse in den Zaum. Ihnen war wohl, als hätten sie des Nachts geträumt, daß ihnen die himmlische Königin am hellen Tage erschienen sei. »Sagt uns an«, riefen sie alle auf einmal, »wer war die Frau, die so strahlend und rein neben Euch im Grase ging und Euch fünfzig Rosen von den Lippen nahm? Sagt uns die Wahrheit, oder Ihr müßt des Todes sein!« »Bei meiner Treue!« erwiderte der Mönch, »ich habe keine Frau gesehen. Aber wollt ihr mein Roß, so führt es dahin, ich kann es euch nicht wehren.« Sie aber schwuren ihm zu, er müsse sterben, wenn er sie nicht ohne allen Rückhalt berichten wolle. »Der Reif war von Golde«, sagten sie, »darauf sie mit ihrer schneeweißen Hand die Rosen wand. Als das Kränzlein fertig war, wie süß sie doch da lachte! Sie setzte es auf, neigte sich und schied, von Himmelslicht umgeben.« Da drangen sie immer wilder auf den Prior ein, so daß er heftig erschrak: »Eia, hehre Königin!« rief er, »bist du es gewesen oder wer? Vielleicht hat Gott selber dich gesendet, diesen Sündern zum Troste, daß sie dich sahen, ich aber nicht. O, hätt' ich dich doch auch geschaut, es muß Unbeschreibliches gewesen sein, was sie gesehen haben!«

»Da ihr's nicht anders wollt«, sprach er nun, zu den Räubern gewendet, »so muß ich euch denn gezwungen willfahren. Die ihr gesehen habt, war Maria, Gottes Mutter, zu Euch herabgesandt, damit Ihr von Missetat und gottlosem Leben lasset. Dienet ihr und dem allmächtigen Gott, so könnt ihr sie in ihrem Himmelreiche anschauen ewiglich!« Da falteten sie die Hände, warfen sich vor ihm nieder und versprachen, zu büßen und Gottes Knechte zu sein. Fröhlichen Herzens fuhr er mit ihnen nach Hause und bat den Abt, sie in das Kloster aufzunehmen. Dies geschah denn auch und sie fühlten darin ein gottseliges Leben bis an ihr Ende.


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