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Maria und der Schüler

Es war einmal ein Schüler, der hatte schon von Kindheit an seine Liebe Marien zugewendet und lebte, abhold allen Täuschungen der Welt, in steter Keuschheit um der Makellosen Willen, der er sich so herzlich ergeben. Er hatte ihr im Gebete heimlich gelobt, jeden Morgen früh, wo immer er sich auch befinden möchte, sieben Ave Maria zu beten, um sich indessen des reinen Anblicks zu erfreuen, den ihr schönes Bildnis ihm bot, und kein Morgen war seither vergangen, daß er nicht getreulich nach dem Gelöbnis getan hätte. Sein Leben aber bestritt er, indem er in der Stadt betteln ging und Almosen las, denn er weilte fern von seinen Nächsten, in der Fremde.

So war er fünfzehn Jahre alt geworden. Da geschah es denn, daß in einem Dorfe der Gegend eine Kirchmesse abgehalten wurde, zu der die Leute sich wegen des Ablasses drängten. Auch die armen Schüler gingen dahin, um etwas Essen zu erbetteln. Als er nun sah, daß die Sonne sich erhub, machte er sich gleich den andern auf aus der Stadt, dem Kirchdorfe zu, doch scheute er sich, reinen Sinnes, wie er war, mit den Gesellen zu wandern, und ging ganz allein hinter dem Zuge her. Sein Gebet aber hatte er an diesen Morgen zu sprechen vergessen. Das Dorf lag weit ab von der Stadt und die Sonne stieg immer höher. Da befiel es ihn plötzlich, daß er noch nicht gebetet habe: Er erschrak und ihm ward so leid zu Mute, daß er aus übergroßer Reue von Herzen zu weinen begann. Gern wäre er wieder umgekehrt, aber ihm war angst, daß ihm dann der Ablaß genommen wäre. O könnte er nur dort in die Kapelle hinein, um sein Gebetlein zu sagen! Wäre die Tür auch verschlossen, gern wollte er davor stehen bleiben, bis sie aufgeschlossen würde, und dauerte es auch bis zur Vesperzeit und er hätte den Tag lang nichts gegessen! Dann möchte er wohl noch das Bildnis unsrer lieben Frau erschauen und spräche davor sein Gebet. Dieses dachte er im Weitergehen, während ihm vor Leid die Tränen über das Antlitz rannen. Indessen führte ihn sein Weg in ein dichtes Gehölz. Da, als er zufällig zur Seite blickte, sah er mit einem Male auf einem umgestürzten Baumstamme ein Bildnis liegen, das war nach Marien gebildet und von solcher Lieblichkeit, daß nie eines Meisters Gewalt ein gleiches mochte erschaffen haben. Er wähnte, daß vielleicht ein Maler es dahingestellt und dort vergessen habe. Das Herz schwoll ihm vor Freude und sein Leid zerstob daran. Rasch warf er sich nieder und sprach nun so viele Gebete vor der Gotteswerten, als ihm irgend behagen mochte. Er wollte schon gehen, da sagte ihm sein Herz, er möchte sorgsam sein und viele schöne Blumen zusammenlesen und einen Kranz daraus machen, weit, groß und wohl gerundet, und ihn über das Bildnis legen, damit die wilden Vögel es nicht beschmutzten. Als er getan, wie sein Herz ihm geboten hatte, wollte er wieder seines Weges weiterwandern, dem Dorfe zu. Doch da erwuchs ihm neue Sorge. Denn das schöne Bild stand ganz ohne Dach auf dem Gefilde. Die Gestalt darauf war von meisterlicher Art und das ganze Bildnis mit Gold und Lazur gar glänzend gemalt. Da ward es ihm ohnmaßen leid um die schönen Farben: »O weh«, dachte er, »der Regen wird sie abwaschen, und auch der nur Ungemach davon haben, der das Bildnis hier vergessen hat«, und sann eifrig darüber nach, wie er dies verhindern möchte. Sein ganzer Besitz waren zwei linnene Hemden und ein Mantel, so war er wohl arm genug. Aber wenn er auch mehr davon besessen hätte, er würde es wohl nicht mitgenommen haben, denn der Sommer war heiß. So riß er denn das Hemd, welches er auf dem Leibe trug, in zwei gleiche Teile, so gut er dies vermochte, und hüllte sorglich das reiche Bild in die eine der beiden Hälften. Die andere aber benutzte er, sich selbst damit zu bekleiden, schlug den Mantel achtsam um und gedachte, nun so dahinzuwandern. Als er aber ein Stücklein Wegs dahingelaufen war, vernahm er deutlich, daß das Bild ihn rief. Ein mächtiger Schrecken erfaßte ihn, rasch kehrte er wieder um und sprach, auf die Knie sinkend: »Da bin ich, Herrin, gebenedeite Königin, was willst du von mir, daß du mich zu dir kommen heißest?« Da sprach das Bildnis: »Gehe hin in des Pfaffen Hof, da wirst du den Bischof finden, wie er bei Tische sitzt und ißt! Sage ihm, ich ließe ihn grüßen mit solcher Freundlichkeit, wie er an mir getan hat. Darnach aber sprich, er möge dich morgen zum Priester weihen.« »O Königin Marie!« entgegnete er, »du spottest mein! Er wird gar übel mit mir verfahren, wenn ich ihm deinen Gruß sage, auch ist die Zeit jetzt nicht, da man die Priester weiht. Zudem bin ich noch ungelehrt und weiß nicht die Messe zu singen.« Da unterbrach ihn die Jungfrau: »Du bist gelehrt und alt genug, auch ist die Zeit just die rechte für die priesterlichen Weihen. Damit der Bischof Dir aber Folge leiste, will ich Dir ein Zeichen sagen: sprich zu ihm, er habe damals in der Zeit, als ihm das Amt befohlen wurde, heimlich in seinem Herzen gelobt, mir darnach immer und an jeglichem Tage fünfzig Ave Maria zu sprechen. Frage, wie ihm das behagt! Denn er hat mir darin gelogen und getan, als habe er niemals seines Vorsatzes gedacht. Sage ihm dies, so wird er Dir glauben.« Da neigte sich der Schüler zur Erde und schied. Als er aber ein Stücklein Wegs fürbaß gegangen war und nach der Stätte zurückblickte, wo er das Bild gesehen, war es verschwunden. Betend ging er weiter, bis er zu dem Kloster kam.

Zuerst begab er sich in die Kapelle, sprach dort sein Gebet und machte sich dann auf, zu dem Bischof zu gehen, der um diese Zeit auf des Pfaffen Hofe zu Gaste war. Aber die Türhüter vertrieben mit rohen Schlägen alle armen Leute, die vor den Bischof wollten. Als nun der arme Schüler, nackend und bloß, wie er war, sich herzudrängte, mußte er gar manchen Schlag und Stoß von ihnen leiden, doch um der Botschaft willen, die ihm aufgetragen war, erduldete er alles, was ihm widerfuhr, und drang am Ende hindurch. Da saß der Bischof und aß, inmitten seiner Untergebenen, Rittern und Kaplänen, deren eine große Schar daselbst versammelt war. Der Bote trat vor den Bischof, als er die rechte Zeit wahrzunehmen glaubte, und erhub vor ihm öffentlich seine Stimme. Der Bischof sah ihn an und wähnte, es sei ein bestellter Lustigmacher. Alle erklärten, ihn hören zu wollen. Als dies der Schüler sah: »Herr Bischof«, sprach er da, »höret, was ich Euch sagen muß: Euch entbietet ihren Gruß Maria, die Königin: der Gruß soll also mit Euch sein, als Ihr es um sie verdient habt.« Da rief der Bischof: »Hollah, was redet der Narr?« »Laßt mich«, sprach der Schüler, »meine Worte zu Euch sagen, wie sie mir befohlen sind! Maria läßt Euch noch verkünden, Ihr möget mich morgen zum Priester weihen!« »Ei!« entgegnete der Bischof mit Hohn, »Eure Kleider sind wahrlich zu schön, als daß man Euch darin weihen könnte! Aber ich rate Euch, lasset ab davon, die Gottesreine in Euren Mären zum Spotte zu machen, sonst sollt Ihr mit Knütteln geschlagen werden. Wenn Ihr uns lachen machen wollt, treibt es auf andere Weise, aber Marien laßt mir aus der Rede!« Da sprach der Schüler: »Im Namen Gottes, ich will Euch gern ein Zeichen ansagen, daß sie es war, die mich gesandt hat.« »Das möchte ich hören«, rief der Bischof,. »Meine Herrin«, sprach der Schüler, »läßt Euch sagen: Einstmals in den ersten Zeiten, da Ihr zum Amte kamt, habt Ihr Euch wohl beflissen, ihr hold zu sein, und schwuret einen heimlichen Eid, der niemals vor den Menschen bekannt geworden, Ihr wolltet Ihr darnach immer und an jeglichem Tage fünfzig Ave Maria sprechen. Nun aber höret, was ich Euch weiter sage: Ihr wäret, spricht sie, daran zum Lügner geworden, denn Ihr hättet nichts davon gehalten, so daß Euer Eid lahm geworden.« Als der Bischof dies vernahm, erschrak sein Herz so gewaltig, daß er Befehl gab, die Tafel aufzuheben. Die Tische wurden fortgenommen, er selbst aber saß in einem Winkel des Saales allein, in trübe Gedanken versunken. Denn er erinnerte sich seines Eides wohl, doch kannte er keinen, der davon Kunde hätte besitzen können. Da bat er den Schüler, ihm noch einmal, aber heimlich zu sagen, wie es sich damit verhielte, und nichts zu verschweigen. Da erzählte ihm dieser dann mit einfältigen Worten, wie ihm die Himmelskönigin dort an dem Wege in einem Bilde erschienen, beschrieb, wie es begonnen und wo es gewesen, und wie alles folgende sich zugetragen. Da fiel der Bischof auf die Knie, neigte sich vor Marien in andächtiger Demut bis tief zur Erde und gelobte, fröhlich an dem Schüler zu tun, wie ihm befohlen worden.

Am andern Morgen früh wurde denn auch der Schüler schön gekleidet, auf priesterliche Weise angetan und von dem Bischof mit allen Ehren geweiht. Dann aber sprach dieser zu dem jungen Priester: »Höre, du neuer Kapellan der himmlischen Jungfrau! Nun sollst du mich sehen lassen, ob in Wahrheit die Himmelskönigin es war, die dich zu mir gesandt! Darum sollst du sogleich die Messe singen, wie es Priestern geziemt, dies ist mein Wille.« »Laß Gnade walten, Herr«, entgegnete der neue Priester, »ich verstehe es nicht, die Messe zu singen. Willst du mir aber etliche Stunden Frist geben, daß ich es erlerne, so will ich gerne tun, wie du befiehlst.« Da sagte der Bischof: »Das wird nicht geschehen, ich will ohne Aufschub hören, was du vermagst. Hat dich doch die Himmelskönigin zu mir gesandt, und sollte dich nicht lehren können, Gottes Lob zu singen?« »So stehe du mir bei, Gottesmutter da droben«, rief der Priester, »ich will es tun.« Mit diesen Worten trat er an den Altar heran, sprach die Beichte und » Indulgentia«, worauf er anhub, » salve, sancta parens« zu singen, und alles dies so frei und hell, als hätte er es von je geübt. Dann sank er auf die Knie, während die versammelte Gemeinde den Gesang zu Ende führte. Doch schon, als der neue Priester begonnen zu singen, ward ihm und dem Bischof, unsichtbar für die andern, eine seltsame Erscheinung: die schönsten Jungfrauen, die je ein Auge sah, traten in die Kirche und bewegten sich gegen den Altar. Aus ihrer Mitte löste sich die herrlichste Königin, in einem Kleide von Samt und morgenländischer Seide, das mit lauterem Golde durchwirkt war. Ihre Mantelschließe brannte wie ein Stern und ihre Krone gab so strahlenden Schein, daß das Auge die Klarheit nicht zu ertragen vermochte. So näherte sich die Königin, trat andächtig an den Altar und opferte den Blumenkranz, der noch unverletzt war, denselben, den er dort dem Bilde gewunden. Dann schwanden die Jungfrauen für kurze Zeit. Als er aber den Opfersang erhub, kehrten sie wieder, die Königin aber kam und legte mit ihren schneeweißen Händen das halbe Linnen, das er um das Bildnis gehüllt, auf den Altar. Dann neigte sie sich in Züchten und verschwand mit ihrer Schar.

Dies alles sah niemand als der Bischof und der junge Priester. Als dieser aber die Arme hochhub, um dem Volke den heiligen Leib zu zeigen, gewahrte der Bischof eines neuen Wunders: denn der Knabe-Priester stand aufrecht, aber er war tot. Die reine Gottesmagd hatte seine Seele zu sich genommen.


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