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Helmbrecht

(Wernher der Gärtner)

Eines Bauern Sohn, nach seinem Vater, dem Meier, gleichfalls Helmbrecht genannt, besaß das herrlichste Haar: blond und üppig fiel es ihm in vollem Gelock über die Achseln, gefangen in eine haubenartige Mütze, auf der allerlei kostbares Bildwerk zu sehen war: vom Hinterkopf bis an den Scheitel war da mannigfaltiges Gevögel darauf genäht, Sittiche und Tauben, als ob sie geradewegs aus dem Spessart auf die Mütze geflogen wären. Am rechten Ohr war die Belagerung und der Fall Trojas abgebildet, mit mancherlei sinkenden Türmen und stürzenden Steinmauern, daneben Aneas' Flucht zur See in den Schiffen. Auf der linken Seite wieder erblickte man Karl, Roland, Turpin und Olivier, die vier Kampfgesellen, wie sie Wundertaten wider die Heiden verrichten. In der Mitte aber, zwischen dem linken und rechten Ohr, befand sich auf dem Bräm, von glänzender Seide genäht, ein Kranz: darinnen sah man einen Tanz, von der Art, wie sie heute noch üblich sind, gar lieblich dargestellt: ein Ritter hält zwei Frauen, ein Knappe zwei Mädchen an den Händen, daneben eine Gruppe von Fiedlern. Diese wunderbare Mütze hatte eine Nonne genäht, die, vom Zauber der Welt verlockt, aus ihrer Zelle entlaufen war. Helmbrechts Schwester Gotlinde hatte ihr, als sie sah, wie unter ihren kunstfertigen Händen all das kostbare Zierwerk entstand, eine Kuh dafür geboten, die Mutter ihr manches Zweierstück, Käse und Eier zugesteckt; sicherlich hatte die Nonne vordem, als sie noch nach dem Refektorium ging, nie so viele Eier aufgebrochen und Käse verschmaust wie nun als eine Landflüchtige.

So trug auch wohl kein elender Bauernknecht je eine so herrliche Mütze wie dieser junge, wilde Helmbrecht. Aber damit nicht genug, schenkte ihm seine Schwester noch eine Menge zarten weißen Linnens, das war so haarfein gewebt, daß wohl sieben Weber davongelaufen waren, ehe es fertig wurde. Dazu gab ihm die Mutter schönes Wollenzeug von der köstlichsten Art, einen glänzenden Pelz von Waldtierfellen, zwei Gewänder, Kettenwams und Schwert, darnach noch Dolch und eine breite Tasche. Als sie den Burschen so ausgestattet hatten, war er unzufrieden und sprach: »Mutter, ich muß noch einen Oberrock darüber haben, das ertrüg ich nicht, blieb ich ohne den. Aber so kostbar muß er sein, daß, wenn ihn dein Auge erblickt, dir das Herz vor der Pracht deines Sohnes erzittert, wenn du mich über Land fahren siehst.« Sie hatte noch ein Röcklein zusammengelegt im Schrank, das holte sie nun hervor und gab es ihm. Dazu kaufte sie blaues Tuch und ließ ihm einen Oberrock herstellen, daß nie ein Meier zwischen Wels und dem Traunberg je köstlichere Arbeit auf dem Leibe trug: das Rückgrat entlang vom Gürtel bis an den Nacken stand ein Knöpflein neben dem andern, allesamt rot vergoldet, desgleichen vorne herab, aber silberweiß, vom Kragen bis an den Gürtelschluß. Drei kristallene Knöpfe, weder zu klein, noch zu groß, dienten ihm als Busenschließe, dazu war seine ganze Brust mit Knöpflein bestreut, gelben, braunen, grauen, blauen, roten, schwarzen und weißen, die sah man schon von ferne glänzen und blitzen. Da blickten ihn Frauen und Mädchen gar lieblich an, wenn er zum Tanze ging. Die Naht, wo der Ärmel an das Brustteil schließt, trug er ganz und gar mit Glöcklein behangen, die huben laut zu schellen an, wenn er in den Reigen sprang, daß es den Weibern gar hell in die Ohren klang. Mutter und Tochter hatten manches Huhn und Ei verkaufen müssen, ehe sie so viel gewannen, um dem Stolzen auch noch Hosen und Stiefelschäfte zu kaufen.

»Mir steht der Sinn danach, zu Hofe zu gehen«, sagte Helmbrecht zu seinem Vater. »Mutter und Schwester haben mir reichlich gegeben, darob ich ihnen Zeit meines Lebens hold sein will. Doch nun, lieber Vater, ist die Reihe an dir!« Den Alten bekümmerte diese Rede, höhnend sprach er zu seinem Sohne: »Ei, soll ich dir zu den Kleidern noch einen schnellen Hengst geben, der lange läuft und über Zäune und Gräben springt, damit du nicht am Ende gar zu Fuße bei Hof ankommst? Lieber Sohn, laß ab von dieser Fahrt! Das höfische Wesen ist hart für den, der nicht von Kindheit an darin gelebt hat. Leiste mir, so leist' ich dir! Leite das Ackergespann, führe den Pflug, baue die Hufe! So wirst du mit Ehren zur Grube fahren gleich mir.«

Da entgegnete der Sohn: »Schweig und laß ab von solchen Reden! Es ist nichts mehr daran zu ändern: ich will, so wahr Gott mir helfe, sehen, wie es dort bei Hofe schmeckt. Sollen deine Säcke meinen Kragen reiten? Soll ich Mist fassen auf deinen Wagen? Daß Gott mich hasse, wenn ich je noch deine Ochsen joche oder dir den Hafer säe, das schickte sich schlecht für meine langen gelben Haare und zierlichen Locken, meine prächtigen Röcke und die kostbare Mütze mit den Tauben, von Frauenhänden darauf genäht.« »O bleibe bei mir!« erwiderte der Vater, »Meier Ruprecht will dir sein Kind zum Weibe geben, dazu Schafe, Schweine und Rinder, alte und junge die Menge! Bei Hofe wirst du nur Hunger leiden und hart darniederliegen, denn glaube mir, es gelingt keinem, der sich wider seinen Stand empört. Dein Stand aber ist der Pflug, und so würdest du bloß den wirklichen Hofleuten zum Spotte dienen, daß du, ein Bauer, dich unter sie mischen willst!« »Hei!« fiel ihm der Sohn in die Rede, »hätt' ich nur ein Pferd, an höfischen Sitten traut' ich mich hinter keinem zurückzustehen, der von je am Hofe gewesen. Wer, der die glänzende Mütze auf meinem Haupte sieht, verschwüre es nicht mit tausend Eiden, daß ich Euch je das Ackergespann geleitet und den Pflug durch die Furchen geführt? Wer merkt noch, daß ich das Korn auf der Tenne drosch oder Stecken in die Erde stieß, für Euch oder einen andern, wenn ich die Kleider anlege, die Mutter und Schwester mir geschenkt? Steck' ich Fuß und Beine in meine prächtigen Hosen und die Schuhe von Korrun, so ist keiner, der mir ansähe, daß ich einmal Zäune geflochten! Glaubt mir, dem Meier Ruprecht zum Eidam taug' ich nicht. Soll ich mich gar um Weiber verliegen?«

»Höre mich, Sohn«, rief der Vater. »Wenn du einem geborenen Hofmann gleichen willst, so wird er dich darum mit Haß verfolgen. Wenn ein rechter Hofmann einem Bauern alles nähme, was er je erwarb, zuletzt ist der Sieg doch sein. Wenn du aber einem Hofmann nur ein Häufchen Futter nimmst, flugs ist er über dir, macht dich zum Bürgen und Pfand für alles, was ihm je genommen worden, und erschlägt dich um deinen Raub!« »Laß es gehen, wie es gehen mag«, erwiderte der Sohn, »ich ziehe. Mögen doch deine andern Söhne sich mit Pflügen mühen, vor mir soll nur noch das Gebrüll der Rinder erschallen, die ich um die Ecke treibe. Was hindert mich denn außer diesem elenden Roß, daß ich nicht mit meinen Gesellen dahinsause und die Bauern am Haare durch die Hecken schleife? Wenn ich nun drei Jahre lang ein Fohlen oder ein Rind zöge, um einen mageren Gewinst zu erzielen, was sollte das mir? Ich will rauben alle Tage, wohl leben und meinen Leib vorm Winterfrost schützen, drum gib mir endlich das Pferd, um das ich dich bitte.«

So blieb denn dem Vater nichts zu tun übrig, als ihm den Hengst zu kaufen, um den er dreißig Lagen vom besten Loden, vier Kühe, zwei Ochsen, zwei Stiere und vier Scheffel Kornes gab. Als der Sohn nun fahrtbereit war, warf er den Kopf und prüfte mit dem Blicke seine beiden Achseln: »Mir ist so wild zu Mut, ich könnte Steine durchbeißen, hei, was Eisens möcht' ich mit meinen Zähnen zermalmen! Der Kaiser nähm' es als Gewinn, fing' ich ihn nicht, schleppte und schatzte ihn bis in den Schlund! Denn nun geht es quer durch die Welt, den Blick gradaus in den Zufall gerichtet! Gebt mich frei, Vater, denn es ist Zeit für mich, nun zu wachsen, wie ich will und muß!« »Wohl so sollst du frei sein«, rief der Vater ihm zu, »aber gib acht auf deine Mütze und die seidenen Tauben, daß sie dir nicht zerrissen werden und zerrauft dein langes, gelbes Haar! Einmal, fürcht' ich, wirst du noch an einem Stabe gehen und ein Knabe wird dich führen! Nochmals beschwör ich dich, lebe, wovon ich lebe und was dir deine Mutter gibt! Trink Wasser, ehe du mit Raube Wein kaufst! Fülle dir den Schlund mit Brei, wie ihn deine Mutter kocht, eh' du ein gestohlenes Pferd um eine Gans gibst! Iß lieber Roggen mit Hafer in Ehren, als Fische in Unehren! Folgst du mir, so wirst du klug sein. Tust du's nicht, so fahr dahin!«

Da entgegnete der Sohn: »Wenn du Wasser trinkst, so will ich Wein trinken. Wenn du Brei issest, so will ich gesottene Hühner essen und weißes feines Brot. Das ist für mich, der Hafer für dich. Zu Rom kann man im Taufbuch lesen, jedes Kind gewinne früh eine Tugend von seinem Paten: mein Pate war ein edler Ritter, glückselig, daß ich von ihm so edel und hoffärtigen Sinnes geworden. Ja mein Mut ist unstät, meine Mütze, mein Haar, mein Kleid lassen mich nicht ruhen und jagen mich von hinnen. Sie sollen beim Tanze leuchten, nicht aber schmutzig werden hinter Egge und Pflug, daß ich mich schämen muß, reich' ich edlen Frauen die Hand zum Tanze!« »Ei willst du edel sein, so tue edel!« rief der Alte. »Lebe in Arbeit, so wird Arm und Reich, Wolf und Aar und alle Kreatur der Erde dein genießen! Von Bauernwerk schmücken sich die Frauen des Adels, Bauernwerk krönt die Könige!« Aber Helmbrecht antwortete ihm ungeduldig und verwies ihm mit wildem Hohne seine Predigt. Da erschrak der Vater und hub seine Hände gen Himmel: »Mir träumte ein Traum!« rief er aus, »deute mir ihn, wenn du doch so weise bist! Du hattest zwei brennende Lichter in den Händen, die leuchteten mit ihrem Scheine weit über das Land. Dann plötzlich sah ich wieder einen Mann dahinwandern, der war blind. Mit einem Fuße ging er auf der Erde, sein andres Knie aber lag auf einer Stelze und ein Armstummel ragte ihm aus dem Rock. Nun frage ich dich, wie deutest du das?« »Ei das deut' ich«, erwiderte lachend der Sohn, »daß ich Glück und Heil, Reichtum und aller Freuden Maß erwerben soll!« »So erkläre mir noch dies: mir träumte, du flogst hoch über einen Wald, aber die eine Schwinge hatten sie dir abgeschnitten. O weh deinen armen Füßen, deinen Händen und Augen! Denn all' dies war nichts vor dem Gesicht, das nun aus meinen Träumen tauchte: Du schwebtest hoch an einem Baume, es ging wohl anderthalb Klafter unter dir in die Tiefe bis ans Gras. Ob deinem Haupte aber zu beiden Seiten saß hier ein Rabe, dort eine Krähe auf dem Ast und strählten dir das Haar. Wüst stand es dir vom Kopfe: Rabe und Krähe hackten dir's aus. Wehe über den Traum, wehe über den Baum wehe, wehe über Kräh' und Rabe!« »Beim Namen Christi«, erwiderte Helmbrecht, »sollt' ich mich gar vor Euren blassen Träumen fürchten? Von meinem Sinne laß' ich nicht, und wär's mein Tod! Behüt' dich Gott, Vater, behüt' dich Gott, Mutter, Euren Kindern kann nichts als Heil widerfahren. Möge Gott über uns alle seine Hände halten!« Damit nahm er Abschied, wandte sein Roß und ritt schnell durch das Gatter.

Es brauchte wohl dreier Tage oder einer ganzen Woche, wollte man alles erzählen, was ihm auf seiner Fahrt durch die Länder widerfuhr. Eines Tages kam er auf eine Burg geritten, deren Herr ununterbrochen in Fehden verwickelt war, so daß er gerne Leute behielt, die frisch zu reiten und sich mit allerlei Feinden herumzuschlagen wagten. Dort stand der Jüngling ein und war bald der Rascheste von allen, wo es zu rauben galt; wenn die andern etwas liegen ließen, er stieß es sicher in seinen Sack. Rauh oder glatt, grade oder krumm, nichts war ihm zu gering zum Raube. Das Roß nahm er samt dem Rind, das Wams samt dem Schwert, den Mantel samt dem Rock, den Bock samt der Geis, das Schaf samt dem Widder, daß dem Beraubten auch nicht eines Löffels Wert in Händen blieb. Den Weibern zog er Pelz, Mantel, Rock und Hemd vom Leibe und schwoll von Tag zu Tage mehr vor Hoffart, da das beste Teil stets ihm zufiel, wo immer es einen Raubzug gab. So blies ihm das erste Jahr der Wind gar freundlich in die Segel und sein Schifflein schwamm munter den Strom hinab. Dann aber reizte es ihn, wieder einmal nach Hause zu kehren, um sich vor seinen Verwandten zu zeigen. So nahm er denn Abschied vom Herrn und seinen Gesellen, befahl sie Gottes Hut und begab sich auf deu Heimweg.

Als er in sein Heimatdorf einritt, ging man ihm nicht etwa entgegen, nein, man lief, drängte und überstürzte sich. Vater und Mutter sprangen, als ob ihnen ein Kalb verendete, und jeder wollte der erste sein, das Botenbrot zu verdienen. Magd und Knecht rief nicht etwa: »Gott grüß dich, Helmbrecht!«, sondern: »Ei, Herr Junker, seid uns gottwillkommen!« Seine Schwester lief ihm entgegen und preßte ihn in ihre Arme. Da er schnell weiterritt, zogen die Alten hinter dem Rosse drein und empfingen ihn erst an der Tür, als ob sie einen Fürsten begrüßten. Indessen war er immer stolz auf seinem Rosse gesessen. Der Menge dankte er in einer verderbten Sprache: »Gott schütze Euch, liebe Kindekens!«, der Schwester lateinisch: »Gratia vester!«, dem Vater auf romanisch: »Deus sal!«, der Mutter gar auf böhmisch: »Dobra ytra!« Darob sahen die beiden Alten verdutzt einander an: »Er kann unser Sohn nicht sein«, sagten sie, »eine gewaltige Ähnlichkeit verwirrt uns die Sinne.« »Er ist ein Böhme oder ein Wende«, meinte die Mutter. »Wenn es nicht ein Walache ist«, erwiderte der Vater. »Ei« mengte die Schwester sich ein, »als ich ihn umarmte, dankte er mir auf lateinisch!« und hielt ihn für einen Pfaffen. Aber der Freiknecht rief: »Uns hat er mit ›Liebe Kindekens!‹ begrüßt, ich will des Satans sein, wenn er nicht von Sachsen oder Brabant daher kommt!«

Da trat der Vater auf ihn zu und fragte ihn schlecht und recht: »Bist du's, mein Sohn Helmbrecht? Sprich ein Wort nach unserer und der Väter Sitte, daß ich's verstehen mag! Du sagst immer: Deus sal!, daß ich nicht weiß, was ich damit beginnen soll. Sprich ein deutsch Wörtlein, Helmbrecht, so will ich selbst dein Pferd abwischen, so wahr Gott dir helfe!« »Ei«, erwiderte er, »wat snakt je dor, Buer, und dies Schandwif dor? Mir sall, weet Gott, kein Buersmann min Pert und minen adligen Lif angripen!« Da erschrak der Wirt noch mehr und rief: »Bist du's, mein Sohn Helmbrecht, so will ich dir ein Huhn braten und eines sieden, das sei dir ohne Falsch gesagt. Bist du's aber nicht und seid Ihr ein Böhme oder Wende, dann zieht Eures Weges, Junker, und pocht bei Euresgleichen an! Für Euch ist weder Met noch Wein an meinem Tisch zu holen!«

Indessen aber war es spät geworden und der Ankömmling bedachte, daß kein Wirt in der Nähe sei, wo er nächtigen könnte. So entschloß er sich denn und sagte: »In Gottes Namen, ich will in Eurer Sprache mit Euch reden und Euch sagen, wer ich bin.« »Wer bist du?« fragte der Alte. »Der Euren Namen trägt.« – »So nennt mir den Namen!« – »Helmbrecht heiß' ich, Euer Sohn, und noch vor einem Jahre Euer Knecht!« – »Was, Ihr?« – »Ich bin es.« – »So sagt mir an: wie heißen meine vier Ochsen mit Namen?« – »Das sollt Ihr erfahren, denn ich pflegte sie einst und schwang meine Geißel über sie: Ur heißt der eine, dessen brauchte der wackerste Bauer sich nicht zu schämen; Räme der andre, kein bessrer wurde je gejocht; Erge der dritte, bin ich nicht klug, daß ich sie so fein zu nennen weiß? Sonne der vierte, aber nun auf das Tor vor mir!« Da rief der Vater: »Tür und Tor, nicht länger sollst du mehr warten. Bett und Schrein, alles steht offen für dich!«

Da wurde er denn gleich einem Fürsten bewirtet: das Pferd ward entschirrt, der Vater selbst trug ihm das hochgehäufte Futter hin. Die Mutter rief eilfertig ihrer Tochter zu: »Lauf, was du kannst, hol' und reiche Polster und weiche Kissen!« Die legten sie ihm unter den Arm an den warmen Ofen, daß er sanft schliefe, bis das Essen fertig würde. Als es dann so weit war, er sich ausgeschlafen und die Hände gewaschen hatte, wurde das Essen aufgetragen. Da gab es fein geschnittenes Kraut mit beiderlei Fleisch, fettem und magrem, fetten, mürben Käse, eine gemästete Gans, überm Feuer am Spieße gebraten und groß wie eine Trappe, ein gesottenes Huhn, ein gebratenes Huhn und noch vielerlei köstliche Speisen, wie nie eines Bauern Tisch sie gesehen. »Hätt' ich Wein«, sagte der Vater, »heut' müßt' er getrunken sein! Aber wir haben einen Quell im Hof, der hat nicht seinesgleichen im Land, es wäre denn der zu Laubenbach«. »Aber den bringt uns leider keiner her«, setzte er verlegen scherzend hinzu.

Als abgegessen war, konnte der Alte sich nicht enthalten und fragte eifrig, wie es denn bei Hofe zugehe? »Einst«, sagte er, »als dein Großvater selig, der Meier Helmbrecht, noch lebte, sandte er mich mehr als einmal zu Hofe, um Käse und Eier abzugeben, da sah ich mancherlei, wie es zu meiner Zeit dort herging. Die Ritter waren schön und fröhlich und kannten kein Arg. Da hatten sie zum Beispiel eine Sitte, durch die sie sich bei den Frauen beliebt machen wollten, das nannten sie Buhurdiren, wie mir Einer dort sagte, als ich den Namen davon wissen wollte. Das machten sie so, daß sie daherfuhren, als ob sie irrsinnig geworden wären, aber ich hörte stets nur, daß sie darum sehr gelobt wurden. Eine Schar fuhr her, die andre hin, einer kam daher und noch einer und wollten einen Dritten stoßen. Außerdem hatten sie auch einen Tanz, den schritten sie unter weithin schallendem Gesang. Dann kam ein Spielmann und hob die Geige. Da standen die Frauen auf, die gar lieblich anzusehen waren, gingen auf die Ritter zu und nahmen sie bei den Händen. Das muß ihnen gar wonnig gewesen sein! Denn die Ritter gefielen den Frauen und die Frauen den Rittern, und Junker und Mädchen tanzten fröhlich im Kreis. Wenn sie dessen dann überdrüssig waren, so kam einer und las ihnen die Mär vom Herzog Ernst, wie sie ihn nannten, und das machte allen ein großes Vergnügen. Der eine schoß mit dem Bogen nach der Scheibe, der andre ritt zu seiner Lust, ein Dritter wieder ging auf die Pürsch. Es war ein goldenes Leben bei Hofe zu jener Zeit.«

»Ei« erwiderte der Sohn, »heut' gilt es anders reden, will man recht in höfischen Dingen tun. Trink, heißt es nun, trinkst du dies, so trink ich das, so wird es uns wohl ergehen. Schaff Wein, Wirt, vom besten, das ist unsere Sorge bei Tag und Nacht. Süße Schenkin, schreiben wir unsern Liebesbrief, füll' uns die Kanne bis zum Rand! Ein Narr und Affe, der den Wein um Weiber gibt. Die so lebten, wie Ihr sagt, sind lang mit Schimpf und Schande in den Bann gejagt und nicht weniger verfehmt wie der Henker.« – »Aber haben sie ihren Kampfruf noch: »Heia, Ritter, seid doch fröhlich?« fragte der Alte.

»Ei, was nicht gar«, erwiderte der Sohn. »Heut heißt der Kampfruf: Jage, Ritter, jage, jag, stich, stich, schlag, schlag, stümmle den, hau den Fuß fort, schlag die Hand ab, henke diesen, fange jenen, denn er ist reich und hat wohl hundert Pfund bei sich.« »Aber nun will ich schlafen gehen«, setzte er hinzu, da das Gespräch ihn langweilte, »ich bin lang geritten und bedarf der Ruhe.« Sogleich taten sie, wie er geboten hatte, und Schwester Gotlinde breitete ihm, da sie Leilachen nicht kannten, ein frisch gewaschenes Hemde über das Bett, in dem er bis hoch in den Tag hinein schlief.

Es war nur billig, daß er am nächsten Morgen die Herrlichkeiten verteilte, die er für Vater, Mutter und Schwester von Hofe mitgebracht. Dem Vater machte er einen Wetzstein, eine Sense, ein Beil und eine Holzhacke zum Geschenk – hei, welche Kleinodien für einen Bauer! Die Mutter erhielt einen Fuchspelz, den er einem Pfaffen abgezogen, Gotlinde eine seidene Schärpe, die bei einem Krämer gestohlen war, der Knecht feine Riemenschuhe, die er nicht anzuziehen verstand, und die Magd ein Kopftuch und ein rotes Band, die sie beide just höchst nötig hatte. Als eine Woche verstrichen war, daß er bei dem Vater weilte, dünkte es ihn, als habe er schon ein ganzes Jahr ohne Rauben gelebt. Er wollte Abschied nehmen, aber der Vater hielt ihn zurück. »Bleib, lieber Sohn«, sagte er, »du brauchst nichts zu tun, als dir die Hände waschen, ich will dir alles geben, dessen du bedarfst. Ist dies nicht besser, als abends und morgens reiten müssen in Sorge und Furcht, daß nicht ein Feind dich fange, verstümmle oder henke?« »Ei, Vater«, entgegnete er, »schön' Dank für Trank und Speise! Aber seit ich keinen Wein getrunken habe, schnür' ich den Gürtel drei Löcher enger, da braucht's Rinder, Vater, eh' mir der Gürtel wieder steht wie zuvor. Ich weiß da irgendwo einen Richter, an dem hab' ich noch ein schweres Leid zu rächen, das er mir angetan. Ritt er mir da nicht eines Tags mitten in meines Paten Saatfeld hinein? Aber er soll mir's büßen, wenn ich ihm Rinder, Schafe und Schweine laufen mache. Dann ist da noch ein Zweiter, ein Reicher, den sah ich mit eigenen Augen Brot zu Krapfen essen. Hol' mich der Teufel, wenn er mir's nicht entgilt! Aber wenn ich selbst diese Beiden laufen ließe, da weiß ich mir einen Dritten, für den könnt' ein Bischof beten und es hülfe ihm nichts!« »Was hat er dir denn getan?« fragte der Vater. »Ei er ließ den Gürtel herab, als er bei Tische saß! Hat man dergleichen je gehört? Aber wenn ich ihm für diese Unbill nicht Pflug und Wagen ausspanne und mir ein hübsches Kleid darum zu Weihnachten kaufe, so nennt mich einen Feigling! Was meint er denn, wie man's treibt, er alter Gauch? Einer blies gar den Schaum vom Biere – soll ich mir das gefallen lassen? Bald sollst du von Helmbrecht Märe hören, daß weite Höfe leer geworden sind. Find' ich den Mann nicht, nun, so find' ich wenigstens seine Rinder!« Der Vater erschrak ob dieser Rede: »Um Gottes willen, Sohn«, rief er, »wer sind die bösen Gesellen, die dich lehrten, den Leuten ihre Habe wegnehmen, weil sie Brot zu den Krapfen essen? »Gute Lehrmeister, Vater«, erwiderte er. »Da sind zum Beispiel Lämmerschlind und Schlickenwidder, dann Höllensack und Rüttelschrein, Kühfraß und Müschenkelch, alle sechs die trefflichsten Zuchtmeister von der Welt. Kennst du meinen Gesellen Wolfsgaum? Ich sage dir, dem sind seine Muhmen, Basen, Oheime und Vettern so lieb, er ließe ihnen nicht einen Faden am Leibe, und wär' es Hornungswetter! Und dann erst mein Gesell Wolfsdrüssel! Der braucht nur in die Nähe zu kommen, so springen Schlösser und Riegel von selber auf. Hundert Schlösser hab' ich selbst gezählt, die er so ohne Schlüssel aufschloß! Weißt du mir einen höfischeren Namen als Wolfsdarm? Der so heißt, hat ihn von der edlen Herzogin aller Diebe und Landstreicher Hilarie von Navarra persönlich bekommen. Hei, das ist mir noch ein lustiger Gesell! Der wird dir des Raubes nimmer voll, weiß Gott, den zieht's zum Bösen, wie die Krähe nach der Saat.« »Und wie nennen deine Freunde dich, wenn sie dich rufen wollen?« fragte der Vater. »Kennt Ihr mich nicht?« erwiderte Helmbrecht. »Schlinzgau bin ich, der Bauern Schreck. Ihre Kinder müssen von dem Wasser essen, das ich koche. Dem quetsch' ich das Auge aus, diesem zerschlag' ich den Rücken, den bind' ich in den Ameisenstock, jenem reiß' ich mit Zangen das Haar aus dem Bart, zieh' ihm die Kopfhaut ab, zermalm' ihm die Glieder, häng' ihn an den Flechsen auf den nächsten Baum! Wo unser zehne reiten, mögen zwanzig kommen! Unser ist alles, was dem Bauer gehört.«

»Die du da nennst,« sagte der Vater, »du kennst sie wohl besser als ich. Aber wie wild sie immer sein mögen, dies sage ich dir: Wenn Gott selbst es will, so kann ein einziger Scherge machen, daß sie ihm zu Willen gehen müssen, und wären es ihrer dreimal so viele!« – »Gut, so will ich, und bäten mich alle Könige darum, nicht länger tun, was ich bisher für dich getan habe«, rief der Sohn. »Gänse, Hühner, Rinder, Käse und Futter hab' ich dir bis heute gefriedet, aber das soll fürderhin anders sein. Wie, willst du frommen Knappen an ihre Ehre reden, die nie um eines Haares Breite von dem Weg gewichen, der ihnen recht und gut erschien? Denn Rauben heißt das Rechte und Stehlen das Gute. Wahrlich, hättet Ihr's nicht verschwatzt und uns nicht so heftig verunglimpft, ich hätte Eure Tochter Gotlinde meinem Gesellen Lämmerschlind zur Frau gegeben. Da würde sie, weiß Gott, das beste Leben gehabt haben, das je ein Weib an eines Mannes Seite gewann. Pelze, Mäntel und Leinen, die schönsten, die man im Reiche findet, hätt' er ihr die Fülle gegeben. Und hätte sie allwöchentlich ein springjunges Schlagrind zum Essen haben wollen, er würde ihr's nicht geweigert haben. Als mich Lämmerschlind zuerst um dich bat, Schwesterlein Gotlinde, sagt' ich ihm sogleich: ›Keine Furcht, mit Euch zweien ist es so bestellt, daß keins von Euch es zu bereuen haben wird. Glaub', die läßt dich nicht lange baumeln, wenn sie dich henken: mit ihren eigenen Händen schneidet sie dich ab und schleift dich selbst bis dahin, wo dir das Grab am Kreuzweg gegraben ist, und streut dir Weihrauch und Myrrhen ein ganzes Jahr und ehrt dein Gebein, denn sie ist rein und gütig. Wenn dir Heil widerfährt und sie blenden dich, so nimmt sie dich an der Hand und führt dich Wege und Stege durch alles Land. Schlagen sie dir den Fuß ab, so bringt sie dir jeden Morgen die Stelzen ans Bette. Verlierst du die Hand, so schneidet sie dir das Fleisch und das Brot vor bis an dein Ende.‹ Da entgegnete Lämmerschlind: ›Wenn sie mich nimmt, so will ich ihr drei Säcke, bleischwer, zur Morgengabe geben: in dem einen liegt unverschnittenes Leinen, die Elle zu fünfzehn Heller, wenn's reicht, da soll sie mir die Hände überm Kopf zusammenschlagen. In dem andem gibt's Schleier, Röcklein und Hemden, die kann sie alle tragen wie eine Freifrau. Der dritte Sack ist auch nicht übel gestellt und über und drüber gestopft mit niederländischem Tuch, feinem Zeug, Bunt- und Edelpelzen, davon sind zwei mit Scharlach überzogen und einer von schwarzem Zobel. Das alles hab' ich in einer Bergschlucht versteckt, und es soll ihr gehören, an dem Tage, da sie mich nimmt.‹ Ach, Schwester, all die Schätze hat dir nun dein Vater mit seinem Geschwätze verscherzt! Wie schmerzt es mich, wenn ich denke, wie du nun als eines Bauern armseliges Weib nähen, dengeln, schwingen und Rüben graben wirst und widerwillig in gemeinem Bette bei ihm liegen. Verflucht sei dein Vater, daß er dir dies angetan hat! Wahrlich, der meine ist er nicht, denn als meine Mutter mich fünfzehn Wochen trug, kroch ein feiner Edelmann zu ihr ins Bett und gab mir, gleich meinem Paten, den hochmütigen Sinn zum Erbe mit.« »Wahr«, rief die Schwester, »glaube mir, auch ich bin nicht sein rechtes Kind! Ein hübscher Ritter lag bei meiner Mutter, zur Zeit, als sie mich auf dem Arme trug, der hatte sie gefangen, als sie einmal des Abends spät in den Wald ging, Kälber zu suchen. Denn auch mein Sinn ist hochgemut, viel lieber Bruder Schlinzgau, daß Gott dir Freude gebe.« Dann setzte sie heimlich hinzu: »Nun schaffe, daß Lämmerschlind mein Mann wird, dann brodelt mir die Pfanne, ist mein Wein gelesen, mein Bier gebraut, mein Korn gemahlen und der Schrein gefüllt. Hab' ich nur die drei Säcke, so bin ich für immer der Armut frei. Glaube mir, er soll alles an mir finden, was ein Mann von einem starken Weib begehrt. Da man meine Schwester in die Ehe gab, ging sie vielleicht an einem Stabe des Morgens darauf? Nun, ist sie nicht daran gestorben, so wird es ja wohl auch mein Tod nicht sein. Hör mich an, Bruder, mein lieber Gesell, doch schweige von allem, was ich dir sage: übern Berg führt ein schmaler Weg am Kiefernhang, dort folg ich dir und will Vater und Mutter entlaufen und bei ihm liegen jede Nacht.« Vater und Mutter hörten nichts von dieser Rede. Helmbrecht und Gotlinde aber kamen heimlich überein, wie sie es bewerkstelligen wollten. »Du sollst ihn haben«, sagte Helmbrecht, »und all seinen Reichtum dazu. Ich werde dir einen Boten senden, dem folge, wohin er dich weisen wird. Wir wollen eine glänzende Hochzeit richten, halte dich bereit! Und nun behüte dich Gott, denn ich will fort.«

Er rief der Mutter noch einen Abschiedsgruß zu, ohne des Vaters zu achten, und ritt dahin, woher er gekommen war. Angelangt, erzählte er sogleich Lämmerschlinden, daß Gotlinde gewillt sei, ihn zum Manne zu nehmen. Dafür küßte ihm dieser Hand und Kleid und schnob gegen den Wind, der von Gotlinden wehte.

Dann ging es an die Zurüstungen zur Hochzeit: manche Witwe und Waise wurde da ihrer Habe beraubt und blieb in Elend und Jammer, ehe Held Lämmerschlind und sein Gemahl Gotlinde auf dem Brautstuhl saßen. Das war ein weither gesammeltes Hochzeitsmahl, das sie verzehrten: Tag und Nacht waren die Kempen unterwegs und führten und trieben beladene Wagen und Rosse vor Lämmerschlinds Haus. Als dann alles gerüstet war, sandte Helmbrecht seinen Boten, der im sausenden Ritt Gotlinden zur Hochzeit brachte.

Als Lämmerschlind vernahm, daß sie angekommen war, ging er ihr wunderschnell entgegen und begrüßt sie: »Willkommen, Frau Gotlinde«, sagte er. »Gott lohn Euch, Herr Lämmerschlind«, entgegnete sie. Sie sah auf ihn, er sah auf sie, so begegneten sie sich mit den freundlichsten Blicken und ließen sie gar artig hin und widerspielen. Lämmerschlind schoß seinen Bolzen gegen Gotlinde, indem er die höflichsten Reden wider sie von Stapel ließ; Gotlinde vergalt es Herrn Lämmerschlind, indem sie auf jungfräuliche Weise ein gleiches tat. Da ertönte plötzlich eine Stimme: »Nun laßt uns zusammengeben: Herrn Lämmerschlind mit Gotlinden und Frau Gotlinde mit Lämmerschlinden«. Ein uralter Greis, der sich auf dergleichen Dinge verstand, erhob sich, hieß sie beide in einen Ring treten und sprach also zu Lämmerschlind: »Wollt Ihr Frau Gotlinden zur Ehefrau nehmen, so sprechet: Ja«. »Gerne«, sagte Lämmerschlind. Da fragte der Alte noch einmal. »Gerne«, sprach der Knappe wieder. »Nehmt Ihr sie gerne«, fragte der Alte zum drittenmal. »Bei meinem Leben, ich nehme sie gerne«, wiederholte Lämmerschlind. Da wandte er sich zu Gotlinden: »Wollt Ihr Lämmerschlind zum Ehemann nehmen?« »Ja, Herr, wenn es Gottes Wille ist«. »Nehmt Ihr ihn gern?« sagte er zum andemmal. »Gern, Herr, gebt ihn mir nur her!« Da fragte er zum Dritten: »Wollt Ihr ihn aber auch wirklich?«. »Wirklich, Herr, aber nun hätt' ich ihn schon gern«. Da gab er Gotlinden dem Lämmerschlind und den Lämmerschlind Gotlinden und trat ihr auf den Fuß. Da huben alle zu singen an.

Indessen war das Essen bereitet, bei dem es nicht ohne Amtleute für Braut und Bräutigam abging. Schlinzgau war Marschall und hatte den Rossen den Balg zu füllen. Schlickenwidder war Schenke, Truchseß Höllensack wies den Gästen die Plätze an, Rüttelschrein war Kämmerer, Kühfraß Küchenmeister und hatte die Kuchen, Gebratenes und Gesottenes zu verteilen, Müschenkelch reichte das Brot. Wolfsgaum, Wolfsdrüssel und Wolfsdarm leerten indessen zahllose Schüsseln und Becher, und die Speisen schwanden vor den Gästen, als hätte ein rascher Wind sie vom Tische geweht, daß kaum soviel an den Knochen blieb, als ein Hund davon abnagen möchte. Denn es ist ein weises Wort, daß der Mensch nie so sehr nach Speise giert, als da sein Tod ihm nahe ist.

»Weh mir, lieber Lämmerschlind«, sagte die Braut Gotlinde, »mich graust es in meiner Haut: es müssen fremde Leute nahe sein, die Böses wider uns wollen. Eia, Vater und Mutter, daß ich so ferne von Euch bin! Mir ist das Herz so schwer, denn die Leute sagen, wer zu viel will, dem wird zu wenig gegeben, und Begier stürzt bald in den höllischen Abgrund um ihrer Sünde willen. Wär' ich zu Haus, o wär' ich nie meinem Bruder gefolgt.« Braut und Bräutigam verteilten eben ihre Gaben an die Spielleute, da drang selbfünft der Scherge mit seinen Knechten herein. Das Mahl ward zerschmissen, das Fest zunichte gemacht. Sie retteten sich in den Ofen, unter die Bänke und stießen einander im wüsten Gedränge. Wer den vier Knechten entrann, den schleifte der Scherge selbst am Haar hervor. Alle zehn wurden mit starken Stricken gebunden, auch Gotlinde verlor ihr Brautgewand: man fand sie später an einem Zaun zusammengebrochen liegen. Sie hielt ihre beiden Brüste mit den Händen bedeckt. Was weiter mit ihr geschah, ist nicht bekannt geworden.

So hatte Gott selbst die Rache in die Hand genommen, daß ihnen das Licht erlosch, die Röte vergilbte, und die sonst wohl allein ein Heer geschlagen haben würden, von einem einzigen lahmen Schergen hätten gefangen werden können. Als der Gerichtstag kam, da sie gehängt werden sollten, mußte jeder, seine Diebsbürde auf dem Rücken, die nach Recht dem Schergen zufiel, sich zu der Stätte schleppen. Lämmerschlinden hatten sie die beiden Rindshäute, um die Gotlinde nun betrogen war, an den Hals gebunden, doch hatte er leichter zu tragen als seine Gesellen, wahrscheinlich, weil man den Bräutigam in ihm ehren wollte. Am schwersten aber trug einer, den man mühsam unter der Last dreier Rohhäute vor dem Richter keuchen sah: das war der Schwäher, Herr Schlinzgrau Helmbrecht. Fürsprech ward ihnen keiner gegeben, neun von ihnen wurden gehenkt. Aber was geschehen soll, geschieht: der eine, der übrig blieb, war des Schergen rechtmäßiger Anteil an dem Fang und wurde ihm übergeben, daß er nach freiem Willen mit ihm verfahre. Dies aber war derselbe, Herr Schlinzgau Helmbrecht. Da stach ihm der Scherge die Augen aus. »Dies«, sprach er, »um deinen Vater.« Dann schlug er ihm eine Hand und einen Fuß ab. »Dies«, sagte er, »um deine Mutter.«

An einem Kreuzweg war's, da nahm der blinde Dieb Helmbrecht jammernd Abschied von seiner Schwester Gotlinde. Ein Stab und ein Knecht führten ihn heim in seines Vaters Haus. Aber der behielt ihn nicht und jagte ihn fort. »Deus sal, Herr Blinder«, rief er ihm zu, »meine Knechte sollen Euch mit Schlägen von hinnen treiben, wenn Ihr nicht selber geht.« »Kennt Ihr mich nicht, ich bin's, Euer Kind«, sagte in Jammer und Scham der Blinde. »Ei, was Ihr Eisen fräßt, wenn Ihr nun auf dem Hengste säßet«, erwiderte der Alte. »Ist Schlinzgau nun ein blinder Mann? Geht dahin und kehret nimmer vor meine Tür!« »Überwindet den Teufel in Euch um den Willen Gottes«, flehte der Arme, »und laßt mich Elenden hier unterkriechen. Die Bauern sind mir gram und jagen mich fort, so weiß ich Niemand, der sich meiner erbarmen möchte.« Aber der Wirt entgegnete, ob ihm das Herz auch brechen wollte, denn es war sein eigen Fleisch und Blut, was da verwüstet und blind vor seiner Türe stand: »Ich kann es nicht. Ihr wart zu grauenvoll. Nie ging Euer Pferd in sanftem Trab, Ihr ließt es nur sausen und stieben. Mann und Weib atmen befreit, nun Ihr so elend geworden. Lieber wollt' ich, den ich nie mit Augen sah, bis an seinen Tod im Hause pflegen, als Euch auch nur die Hälfte eines Brotes reichen. Drei meiner Träume sind an Euch erfüllt, weh, wenn auch der vierte Wahrheit würde.« »Führe ihn fort, Blindenknecht«, rief er dann dem Begleiter des Elenden zu und schlug ihn. »Ich will keinen Blinden schlagen, doch möcht' ich mich anders besinnen, wenn es noch lange währt.« Dann schob er den Riegel vor. Aber die Mutter steckte ihrem Kinde heimlich ein Brot zu und hieß ihn gehen. Gebückt schlich er sich weiter. Doch wo er draußen auf den Feldern erschien, schrien die Bauern ihm und dem Knechte zu: »Ha, ha, Dieb Helmbrecht, wärst du ein Bauer blieben wie ich, man führte dich nicht als einen Blinden durchs Land.«

So lebte er noch ein volles Jahr in bittrer Not, bis er durch Hängen den Tod erlitt. Als er nämlich eines Morgens durch einen tiefen Wald ging, um sich Nahrung zu suchen, bemerkte ihn ein Bauer, der mit einigen andern zum Holzkloben da draußen war, wie er blind seines Wegs daher kam. Sogleich fragte der Mann seine Gesellen, ob sie ihm gegen ihn helfen wollten? Denn Helmbrecht hatte ihm einst eine Kuh geraubt, da niemand als die Kinder sie hüteten. »Hol mich der Teufel, wenn ich ihn nicht zu Staub zermalme, feiner, als man ihn in der Sonne wirbeln sieht!« rief unverzüglich einer von den Angeredeten: »Mir und meinem Weib zog er einmal die Kleider vom Leibe, dafür nehm ich mir ihn als Pfand.« »Und wenn er drei statt einem wäre«, fiel ein zweiter ein, »die brächt' ich ganz allein um. Mir hat er die Hütte erbrochen und alles genommen und verschleppt, was darinnen war.« Ein dritter bebte wie Laub, als er seiner ansichtig wurde: »Ich drehe ihm den Hals ab wie einem Huhn«, rief er: »Bei dunkler Nacht stieß er mir mein schlafend Kind mit in seinen Sack, als er das Bettzeug rauben wollte, und schüttete es in den Schnee, der Hund, als es erwachte und schrie«. »Hei, daß ich ihn noch einmal mit Augen sehen darf, um nach Herzenslust mein Spiel mit ihm zu haben!« sagte der vierte. »Mein Kind hat er genotzüchtigt, mich selbst der Kleider beraubt, so daß ich nackend blieb wie ein Besenstiel! Und wär er dreimal blind und groß wie ein Haus, ich hing ihn doch an dem ersten Aste, den ich finde!« »Hierher, hierher, näher, näher«, schrien sie alle auf einmal, gingen auf den Blinden los und schlugen ihn. »Nun hüte deine Mütze, Helmbrecht!« riefen sie dann und fuhren ihm mit wütenden Fäusten in sein goldenes Haar. Da ward alles zerrauft und zerstört, was der Scherge etwa noch übrig gelassen. In Fetzen, keinen Pfennig groß, zerfiel die kostbare Mütze und Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben bedeckten in Stücke gerissen den Weg. Locken seines Haars und Fähnlein zerschlissenes Zeuges flatterten durch die Luft, bis sein Kopf kahl, sein wildes gelbes Gelock auf dem Boden zerstreut, die Haube zu wehenden Fäden zernichtet war. Sie ließen ihn keine Beichte sprechen, einer kratzte einen Brosamen Erde auf und reichte ihm den als Zins für das höllische Feuer. Dann hängten sie ihn an einem Baume.


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