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Das Gänslein

In einem Kloster herrschte die Bestimmung, daß in dem zugehörigen Gasthause und Spital jederzeit Leute, die um Aufnahme baten, auf das freundlichste bewirtet und gepflegt werden sollten. Nur wenn das Tor geschlossen wurde, war es bei Leibesstrafe verboten, noch irgend ein Weib einzulassen, auch durfte kein Fremder je die Mönche und ihre Wohnungen sehen. Da gab es denn manchen Bruder darin, der niemals aus dem Kloster kam, und unter ihnen auch einen jungen Mann, der, seit er ein kleines Kindlein gewesen, die ganze Zeit seines Lebens hinter den Mauern verbracht, so daß er aller Dinge, die es draußen gab, völlig unkundig geblieben. Kaum daß ihm vom Hörensagen bekannt war, daß ein Roß ein Roß und zum reiten da sei. Als nun eines Tages der Abt sein Pferd bestieg, um auf den Klostergütern nach dem Rechten zu sehen, bat ihn dieser Jüngling, ihn ins Land mitzunehmen, damit er die Dinge da draußen kennen lerne. Der Abt willfahrte ihm, denn er dachte, wenn ihm Leute und Land bekannt wären, würde er dem Kloster um so besser nützen können. So saßen sie denn auf und ritten von dannen. Als sie hinauskamen auf das Feld und ihre Pferde in schönem Trabe gingen, da wußte sich der Mönch nicht zu lassen vor Fragen. Von jedem Tier, das ihnen entgegenkam, wollte er den Namen wissen, und der Abt nannte sie ihm alle, ob es nun Schafe, Rinder oder Schweine waren. Nach einiger Zeit kamen sie zu einem Meier, bei dem sie die Nacht verbringen wollten. Dieser empfing sie freundlich und nahm ihnen die Pferde ab. Sie selbst gingen indessen in ein Gemach und setzten sich dort ans Feuer.

Der Meier nun hatte eine Frau und eine Tochter von achtzehn Jahren, die überaus lieblich war. Der Abt bat die Beiden, sich zu ihnen zu setzen und sie taten es gern und ließen sich bei ihnen nieder. Da bat der Mönch den Abt, ihm zu sagen, was denn das für Kreaturen wären. »Ei«, erwiderte der Abt, »die nennt man Gänse.« » Crede mihi«, sagte da der Mönch, »dann sind die Gänse gar säuberlich. Wie kommt's, daß wir keine Gänse haben? Die könnten sich auf unsrer Klosterweide gar wohl ergehen.« Darüber lachten die beiden Frauen: denn es nahm sie Wunder, daß er so lieblich anzusehen war, aber sich nicht einmal darauf verstünde, was ein Weib sei. Sie fragten den Abt, ob er blöde wäre, da erzählte er ihnen die Geschichte, auf welche Weise er aufgewachsen sei. Als dies die Tochter des Wirtes vernahm, dachte sie: »Das ist ein säuberlicher Mann. Ich will noch heute versuchen, ob er vielleicht erkennen mag, wie man mit Weibern umgeht?« Sie sprach den Gedanken nicht aus und behielt ihn still bei sich. Als man nun schlafen gehen sollte, befahl der Wirt, den Beiden der Sitte gemäß das Bett zu bereiten. Die Tochter aber wußte es so zu wenden, daß der junge Mann fern von dem Abte gebettet wurde. So habe der Abt um so bessere Ruhe, sagte sie. Als die Herren sich gelegt hatten, hieß der Wirt sie alle schlafen gehen, damit die Gäste wohl ruhen möchten. Der Mönch aber konnte nicht einschlafen, denn er mußte immerfort all der Namen gedenken, die ihm genannt worden. Auch die Jungfrau lag schlaflos und sann hin und her, wie sie ihren Willen vollbringen möchte.

Endlich stand sie ganz leise auf, stahl sich in seine Kammer und blieb vor seinem Bette stehen. Als der Mönch dies wahrnahm, fragte er: »Wer ist denn da?« Da antwortete sie: »Ich bin's, das junge Gänslein! Ich habe hier Frostes viel gelitten und bitte Euch gar sehr, laßt mich unter Eure Decke schlüpfen, damit ich nicht noch erfriere, denn es ist bitter kalt hier draußen.« Da ließ er sie in seiner Einfalt unter die Decke. Allein er wußte weder viel noch wenig von dem Bettspiel, sie dagegen ein klein wenig mehr, so daß er es bald erlernte. Ihm wurde wohl und wohler bei dem Gänslein, und sie ließen nicht ab davon, bis es Tag zu werden schien. Da blieb sie nicht länger liegen, sondern stand auf und sprach: »Wollt Ihr noch mehr dergleichen Wonne haben, so sollt Ihr niemand erzählen, was sich zwischen uns beiden begeben hat. Würde es dem Abt bekannt, wir müßten den Tod von ihm erleiden.« So beschwor sie ihm noch mit manchem Wort, von ihrer beider Lust gegen jedermann zu schweigen. Unterdessen war der Tag aufgegangen, der Abt hatte sich schon erhoben und kehrte, als er seine Angelegenheiten geordnet hatte, mit dem Mönche nach dem Kloster zurück. Als sie daheim waren, ging es an ein Fragen und Necken, was denn der Junge alles gesehen und erfahren habe. Er aber war verständig genug, kein Wörtlein davon zu verraten, wie ihm über Nacht das junge Gänslein zuteil geworden.

Da, noch im selben Winter um die Weihnachtszeit, ließ der Abt viele Aufwärter und Köche in das Kloster kommen, denn nun nahte für die Brüder eine Woche, da sie viel singen und lesen mußten. So sollten sie denn ob der großen Arbeit sich auch desto besser pflegen dürfen. Alle lobten das Beginnen des Abtes, nur der junge Mönch, der auch dabei stand, sagte: »Wenn volles Amt gehalten werden soll, ei, Herr, warum schafft Ihr nicht jedem eine Gans ins Haus? Nichts besseres könnte uns geschehen.« Da wurde der Abt zornig und sprach: »Was schwatzt Ihr da? Wo habt Ihr Euren Witz hingetan? Wißt Ihr nicht, daß es uns verboten ist. Fleisch zu essen? Dafür sollt Ihr mir Buße tun.« Er hieß ihn hinweggehen; obzwar nun der junge Mönch dem nicht zu widersprechen wagte, dabei blieb er doch: »Was immer mir geschehen mag, ach wer doch Gänse hätte, die wären gar lieblich anzusehen. Gänse und junge Gänslein – die mögen wohl eine gute Speise sein.« Da jagten sie ihn aus dem Gemach.

Als der Abt aber später, der Sache nachzuforschen, den Jüngling zu sich kommen ließ und ihm ernsthaft zusprach, zu gestehen, weshalb er Gänse begehrt habe, da sagte ihm dieser, wie ihm damals auf der Fahrt nachts das Gänslein zuteil geworden. Da wurde der Abt traurig und nahm alle Schuld auf sich, weil er selbst ihn betrogen. Er klärte ihn auf, befahl ihm eine Buße und verschwor das Lügen für alle Zeit.


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