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Das üble Kraut

Einstmals widerfuhr es einem Manne, daß er gerade dazu kam, wie ein Liebhaber von seiner Frau fortging. Sogleich hielt er ihr mit zornigen Worten ihre Treulosigkeit vor, sie aber erwiderte: »Wie? Willst du mir meine Ehre nehmen, lieber Mann? Du weißt, ich habe nie etwas Unrechtes wider dich getan. Glaube mir mehr als deinen Augen, die zeigen dir nur Gespenster und betrügen dich. Kommt die Rede vor die Tür, so haben wir nichts als die Schande davon. Lieber wär' ich verbrannt, als daß ich so was täte!« »Daß Gott dich in Schande bringe!« rief er, »ich habe deutlich vier Füße gesehen, die sind nicht an deinem Leibe gewachsen, das sag' ich dir. Ich habe es mit Augen gesehen, man soll sie mir ausreißen, wenn es nicht wahr ist!« Damit ergriff er ein Scheit, schlug sie weidlich auf den Rücken und zog sie an den Haaren im ganzen Hause herum. Sie aber schrie unterdessen immer wieder: »Du tust mir Unrecht, daß Gott mir helfe, du machst mich den Leuten nur zum Spott!« Das schrie sie um so lauter, als sie hoffte, die Nachbarn würden es hören und ihr zu Hilfe kommen. Und wirklich stürzten auch bald Männer und Frauen herbei und befreiten sie aus den wütenden Fäusten des Mannes. Da sie nun fragten, was es denn gegeben habe, sagte sie ihnen, der Teufel müsse ihn wohl reiten, daß er ihr so die Kleider zerrissen und zerfetzt habe. »Draußen ist er voll geworden, zu Hause muß ich's büßen«, rief sie. »Fluchen und Schelten hab' ich von ihm und andres nichts. Mit Wein hat er sich den Schlund angefüllt, der häßliche Satan, daß er mich so zerbläut!« Da baten sie ihn, er solle doch Frieden mit ihr machen. Das geschah denn auch und währte so seine vier Tage. Dann aber ging der Lärm von neuem los.

Da dachte das Weib, wie sie eine List ersinnen möchte, um sich vor den ewigen Schlägen des Mannes zu retten, von denen sie noch alle Glieder schmerzte». Kurz entschlossen ging sie zu einem alten Weibe, das war eine Kupplerin und in Liebesdingen wohl erfahren und sprach: »Gott lohn' dir, liebe Mutter, ich brauche dich recht sehr. Mein Mann will mir mit Stoßen und Schlagen den Tod antun, wär' ich ein harter Amboß, ich müßte davon in Stücke gehen. Könnt' ich ihm nun so lieb werden, wie ich ihm zuvor gewesen, dafür möcht' ich dir gern leihen und geben, was du verlangst. Ich muß dir nämlich bekennen, er hat einen von mir gehen sehen, du weißt schon, wen. Jetzt gib mir deinen Rat und deine Hilfe in dieser Angelegenheit.« »Das kann geschehen«, erwiderte die Alte. »Soll deinem Manne das Schlagen leid werden, daß er's für künftig mit tausend Eiden verschwört?« Da lachte das junge Weib. »Nun«, fuhr die Alte fort, »sei nur hübsch ruhig, meine Tochter, und sage an: habt Ihr an dem betreffenden Tage nicht vielleicht irgend eine ungewöhnliche Speise gegessen?« »Ja«, sagte jene, »ich erinnere mich genau: wir hatten Kerbelkraut im Essen«. »Das ist recht«, sprach die Alte, »nun fehlt es an nichts mehr, dir soll geholfen werden.« So nahm denn die Junge Abschied und begab sich wieder nach Hause. Kaum war sie dort angekommen, so ging auch der Mann schon auf sie zu und rief: »Wo bist du gewesen?« »Tropf«, entgegnete sie, »sahst du mich nicht vor der Kirche stehen? Was soll aus mir armen Weibe noch werden? Willst du stets so falsch sehen, so mach's mit deinen eigenen Augen ab und schrei sie an: Verfluchte Betrüger, wollt ihr mich denn immer zum Narren machen? Du gingst doch in die Kirche hinein, und standest bei deinem Vetter. Glaubst du, ich sah nicht, wie deine Augen dabei fortwährend nach einer Weibsperson schielten? Jetzt weiß ich doch, um was ich so ohne Schuld Kummer und Schläge ertragen muß: weil du selbst mit anderen Weibern Unzucht treibst, das hab' ich nun wohl erfahren.« Das alles sagte sie, weil sie hoffte, ihn selber klein zu machen, so daß er sein Zürnen fahren ließe. Er aber rief: »Beschönige dich nur auf diese Weise! Was ich gesehen habe, hab' ich gesehen, und kein Mensch wird mir's ausreden.« Da rang sie weinend die Hände: »Gott«, schrie sie, »schicke mir den Tod, daß ich nicht länger lebe! Mir tut nichts so weh, als daß derselbe Mann, dem ich nie untreu ward, mich betrügt und hintergeht!« Da mochte er es nicht länger mit anhören und ging wütend hinaus. Vor der Tür aber stand die alte Kupplerin und trat ihm grüßend entgegen: »Gott mit dir, mein Sohn,« sprach sie, »sage mir doch um des Himmelswillen, bist du verrückt geworden? Dein Aussehen hat sich auf eine Weise verändert, daß ich bis ins Herz darob erschrecke.« »Was habe ich denn?« fragte er. »Was du hast? Zwei Nasen und vier Füße hast du, daß Gott dir beistehe, geh' heim, es steht dir nicht gut.« Da mußte er laut lachen: »Mutter«, sagte er, »ist das dein Ernst oder Spott? Oder ist die Erscheinung jetzt wieder vorüber?« »Ob es mir Ernst ist?« entgegnete sie, »ich bin wahrlich schon zu alt zum Spotten. Es ist nichts daran zu ändern. Du hast zwei Nasen und vier Füße, so helfe mir Gott, als es wahr ist.« »Dir rappelt's wohl im Kopfe, Mutter«, erwiderte er. »Glaub' mir, ich sehe just so aus, wie ich aussehen soll, und damit hab's denn ein Ende.« »Hm«, sagte das alte Kuppelweib, »laß dich doch ein wenig besser besehen! Da fällt mir ein, ich habe gestern ein übles Kraut gegessen, davon hab' ich immer solch ein Elend, daß ich falsch danach sehe. Wahrhaftig, da hab' ich dir nun wirklich Unrecht getan! Verzeih, nichts ist Schuld daran als das verfluchte Kraut! Wer das ißt, dem wird, er weiß nicht, wie, er sieht alles krumm und eins für zwei und zwei für drei. Lieber Sohn, sieh' meine Reue und nimm es mir nicht für übel auf!« »Seltsam«, entgegnete der Mann, »wie heißt denn dieses Kraut?« »Man nennt es Kerbelkraut«, sagte sie. »Hat mir nicht das verdammte Pflänzlein Sinn und Verstand betört!« »Kerbelkraut?« erwiderte er und dachte sogleich, ob nicht auch ihm dasselbe könnte geschehen sein und er vielleicht bei seinem Weibe vier Füße gesehen, wo in Wahrheit nur zwei gewesen. »Dann hätt' ich ihr großes Unrecht getan«, sprach er bei sich selbst. »Ich möchte wetten, auch ich habe von dem verfluchten Kraut gegessen.« Es kam ihm immer wahrscheinlicher vor, je länger er darüber nachdachte. Ängstlich nahm er von der Alten Abschied, die ihm lachend nachsah, und machte sich nach Hause.

Dort angekommen, fragte er sogleich seine Frau, was sie an dem Tage gegessen hätten, als er sie so fürchterlich geschlagen? »Frag' doch die Magd«, erwiderte sie zornig, »eben klagte sie mir, sie hätt' uns ein Kraut ins Mus getan, von dem dir sichtlich der Verstand aus dem Hirn gelaufen ist. Und ich glaubte, es wäre vom Weine.« »Wie heißt das Kraut?« rief er erregt. »Wie es heißt? Kerbelkraut heißt es«, sagte sie ruhig. »O weh!« sprach er, »liebes Trautchen, vergib mir nur, daß ich dir ohne Schuld so weh getan habe. Aber ich will dir ein Kleid dafür kaufen, das beste, das man findet, das schwör' ich dir.« Da lachte die Frau und segnete das Teufelskraut, das sie ihm noch öfter in das Mus zu tun gedachte.


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