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Der Richter und der Teufel

(Der Stricker)

In einer Stadt lebte einmal ein Richter, der war so reich an Sünden, daß kein Mensch sie jemals alle aufzuzählen vermöchte. Ja, seiner Sünden Zahl war so groß, daß es ein rechtes Wunder schien, wenn ihn die Erde nicht verschlang. Dabei war er steinreich, daß er weit und breit seinesgleichen nicht hatte, und für sein Geld ebenso im Lande bekannt als wegen seiner Niedertracht. Da sagte er einmal, als es gerade Markttag war, er wolle reiten und seinen liebsten Weingarten besehen. Das hörte der Teufel und stellte sich des Morgens, als der Richter just schön gelind aus seinem Weingarten zurückgeritten kam, an dem Wege auf. Der Richter hielt ihn für einen Menschen (denn der Teufel trug reiche Kleider vom schönsten Schnitt), grüßte ihn und sprach: »Wer und von wannen seid Ihr, Mann? Das möchte ich wahrlich gerne wissen.« »Das werdet Ihr aber nicht erfahren«, entgegnete der Teufel ohne Zögern. »Wie?« rief der Richter zornig, »verfahrt Ihr so mit mir? Ich habe hier so viel Gewalt, wenn es mir gefällt, Euch ein Leides zu tun, so seid Ihr verloren«, und schwur hundert heilige Eide, er werde ihm unbarmherzig Leben und Gut nehmen, wenn er ihm nicht die Wahrheit sage. »Ehe Ihr mir so großen Schaden tut«, erwiderte der Teufel, »so will ich Euch denn meinen Namen und Geschlecht ansagen. Ich bin der Teufel genannt.«

Da fragte ihn der Richter, was für ein Gewerbe er denn habe. »Du sollst es wissen«, sagte der Teufel. »Ich muß nämlich in die Stadt dort hinein, denn es ist heute der Tag, an dem ich alles holen darf, was man mir im Ernste gibt.« »Ei«, rief der Richter, »das muß ich sehen! Vergönne mir, zuzuschauen, wenn es etwas für dich zu holen gibt, so lange wir Markt in der Stadt haben.« »Das tu ich nicht«, sagte der Teufel. »So gebiete ich dir bei dem Namen Gottes, mich alles, was du hier treibst, sehen zu lassen! Bei jenem Geheiß, durch das Ihr alle gestürzt worden, bei Gottes Gewalt und Zorn und bei allen Geboten, die ewig ergehen müssen, bei Gottes Gericht, dem Ihr nicht widerstreben werdet, weder du noch deine Genossen: Du mußt mich dabei sein lassen, wenn du holst, was man dir gibt.« »O weh, daß ich lebe!« rief der Teufel und krümmte sich. »Du hast mich so gefangen und gebunden, daß ich nimmer davon los kann. O weh, oh weh, so große Not gewann ich nie! Und wenn ich dich dabei sein ließe, was hast du für Nutzen davon? Gar keinen, o weh, drum laß mich lieber wieder frei!«

Aber der Richter bestand auf seinem Willen. »Nein«, sagte er, »was mir auch darum geschieht, ich muß dich holen sehen!« »Es sei«, sprach der Böse. »Aber du weißt, daß meinesgleichen einen argen Haß wider die Menschen trägt. Es könnte dir leicht etwas Schlimmes dabei widerfahren.« »Sprich mir nichts dawider«, entgegnete jener, »und tu, was ich dir sage.« »Brauchst nicht zornig sein, wirst ja selber sehen«, endete der Teufel die Rede und machte sich mit ihm auf, in die Stadt.

Da herrschte überall großer Markttrubel und die Leute drängten sich auf dem Platze. Als man den Richter daherkommen sah, trat mancher heran und reichte ihm einen Becher, mitzutrinken. Niemand aber wußte, wer der Geselle war, der mit ihm ging. Der Richter bot auch ihm ein Gläschen an, aber jener tat es nicht an den Mund: denn der Teufel wollte es eben nicht.

Da entstand plötzlich irgendwo ein gewaltiger Lärm: eine Frau ärgerte sich über ihr Schwein und trieb es schimpfend vor die Tür. »Geh' doch zum Teufel, daß er dich noch heute hole!« schrie das zornige Weib. »Nun, Geselle«, sagte der Richter, »so nimm doch das Schwein! Du hörst ja, daß man es dir zuspricht.« »Leider ist es nicht ihr Ernst«, entgegnete der Teufel, »ich nähm' es schon gern, wenn sie mir's nicht nur im Spotte gäbe. So aber darf ich es nicht.«

Sie schritten auf dem Markte fürbaß, da war wiederum einem Weibe, Gott weiß, was, von einem Rinde geschehen und sie schickte es keifend zum Teufel. Aber dieser weigerte sich abermals, das Rind zu holen und ließ sich nicht bestechen, so sehr der Richter ihn auch reizte. »Sie hätte ein Jahr lang keine Freude mehr«, sagte er, »wenn ich's nun wirklich holte, denn sie sagt nur so, da hab' ich armer Teufel kein Recht daran.« Als sie weitergingen, schrie eine Frau ihr Kind an: »Unfolgsamer Balg, daß der Teufel dich hole!« »Nimm doch das Kind!« sagte der Richter. »Sie gäbe ja lieber zweitausend Pfund als ihr Kind her«, sprach der Teufel. »Ich nähm' es schon, wenn ich nur dürfte!«

So gingen sie immer weiter und weiter, bis sie endlich in das größte Marktgedränge hineingerieten, wo schier alles versammelt war, was sich an diesem Tage in der Stadt zusammengefunden hatte. Sie konnten nicht hindurch und mußten stehen bleiben. Da sahen sie, wie eine Witwe, alt und siech und arm an allem, sich mühsam durch das Gewühle schleppte. Als sie den Richter erblickte, brach sie in Weinen aus und sprach: »O weh dir, Richter, daß du so reich bist und ich war so arm, und hast mir doch mein einziges Kühlein genommen, von dem allein ich mein Leben fristen sollte! Ich bin zu krank und schwach, als daß ich hingehen könnte und betteln, daß man mir um Gottes willen gebe, was ich brauche, den Hunger zu stillen. Beim grimmigen Leiden und dem Sterben Christi, nähme dich doch der Teufel und führte dich dahin!« »Der ist es wahrlich ernst«, rief da der Böse, »nun sieh, wie dir geschieht!« Damit ergriff er den Richter mächtig am Haar und erhub sich mit ihm zu Berge, wie ein Adler, der ein Huhn raubt, daß alle Leute, die auf dem Markte waren, es sahen. So flogen die beiden immer höher und höher, und tausend Augen blickten ihnen nach, bis sie irgendwo in der Ferne verschwanden.


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