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Saladin

(Jansen Enenkel)

Es lebte einmal ein König, namens Saladin, dessen Freigebigkeit war so groß, daß er seine ganzen unermeßlichen Schätze unter die Menschen verteilte: seine Rosse, Gewänder, Gold, Silber und Edelgestein gab er dahin und behielt von allem so gut wie nichts für sich selber. Nur einen Tisch von hoher Kostbarkeit verwahrte er wohl und mochte ihn nicht verschenken. Dieser Tisch war aus einem einzigen Riesensaphir gemacht und hatte seinesgleichen nicht in der ganzen Welt. Seine Länge betrug drei Ellen, seine Breite zwei Ellen und das Gestelle bestand aus lauterstem Golde. Der König konnte sich seines Anblicks nicht ersättigen und ließ ihn oft vor sich bringen, um seine überirdische Pracht zu beschauen. Könige und Fürsten drängten sich, das Wunder zu bestaunen, und mehr als einer hätte sein Land um den Besitz des herrlichen

Tisches gegeben. Im übrigen aber lebte der große Fürst in Armut und Gebresten: zehntausend Pfund roten Goldes, die er besessen, hatte er dahingegeben, denn er hatte das mildeste Herz und konnte keine Bitte versagen.

Allein so groß seine Seele war, vermochte sie ihn dennoch nicht vor Leiden zu schützen: er wurde krank und siechte dahin. Als er des Übels inne ward, sandte er nach guten Meistern aus und hieß sie, sein Wasser zu untersuchen. Sie alle erklärten übereinstimmend, er könne nicht mehr genesen und sei dem Tode reif. Da erhub sich ein gewaltiges Klagen um den gütigen Herrn, Ritter, Frauen und Edelfräulein und das ganze Volk brachen in lauten Jammer aus. Als der fromme Heide sah, daß er von der Erde und all ihren Gutem scheiden müsse, ward ihm traurig zu Mut: »Soll ich nun scheiden«, sprach er, »wahrlich, so muß ich denken: wie soll meiner Seele geschehen? Wer nimmt sie auf in seinen göttlichen Schutz? Soll ich sie Mahomet empfehlen? So werden die Christen meiner spotten. Denn sie sagen, ihr Gott sei stärker denn Mahomet, und keiner ist unter ihnen, der es nicht bezeugte. Die Juden aber sagen wieder, ihr Gott sei der Stärkste von allen. Wo ist Wahrheit? Denn jene reden so und die andem wieder anders. O Jammer über Jammer, wüßt' ich, welcher von diesen Göttern der höchste sei, dem würd' ich ohne Säumnis meinen Tisch geben, daß er sich mein erbarme. Da ich nun aber den rechten nicht wissen kann, und ich an allen dreien zweifle, so will ich den wunderbaren Edelstein in drei Stücke zerschlagen, auf daß jeder von ihnen seinen Teil habe.«

Sogleich befahl er, den Tisch vor ihn zu tragen, ergriff ein Beil und zerschlug das Wunder der Welt in drei Teile: den einen gab er Mahomet, den zweiten dem Christengott, den dritten dem Gott der Juden. »So habe ich meine Seele gerettet«, rief er, »welcher nun der Stärkste sei, der muß mich drüben behüten. Bist du es Mahomet, so befreie mich von aller Not, wenn meine Seele ausfährt! Bist es du, Gott der Christen, so nimm mich auf zu dir, wenn der Atem aus meinem Leibe geht! Ist aber der Stärkste, den die Juden anbeten, so schaffe er mir das ewige Leben, wenn mir das Licht erlischt und die Finsternis eintritt!« »Verlaßt mich nicht, ihr Götter!« schrie er auf, sank erbleichend um und war im selben Augenblicke tot.


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