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Der Ritter als Mönch

Es war einmal ein Edelmann, der mochte nicht länger in der Welt Freuden leben und trat, um nur noch Gott zu dienen, in den grauen Orden der Mönche von Zites ein. Den Brüdern des Klosters aber erschien es unziemlich, daß ein so edler Herr nichts anderes bei ihnen sein sollte, als ein armer, dienender Bruder, denn er besaß keinerlei Kenntnis der mönchischen Wissenschaften. Er selbst achtete wenig darauf, was man aus ihm machte, die Mönche jedoch kamen überein, ihn ganz in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, indem sie ihn in der Schrift belehrten. So ward ihm denn ein Meister gegeben und die Schrift vorgelegt, aber er war nun einmal im ritterlichen Leben gealtert und blieb kalt vor dem neuen Wissen, das sie ihm beibringen wollten. Der Meister las ihm immer wieder vor und versuchte es auf mancherlei Art, aber es blieb alles vergeblich, seine matten Sinne begriffen nicht, was man von ihm wollte: von allem behielt er nichts, als die zwei Worte »Ave Maria!« und keine Silbe mehr. Es schmerzte ihn, daß die Wissenschaft auf keine Weise in ihn hineingehen wollte. Nur dieses »Ave Maria!« faßte sein harter Verstand, und es schien ihm mit allen Buchstaben tief ins Herz gegraben zu sein. Denn »Ave Maria!« sprach er, wo er ging und stand, und man hörte nichts anderes von ihm, als diese beiden Wörtlein. Aber Gott ließ ihn den blöden Sinn nicht entgelten und bereitete ein Wunder vor, um ihm zu lohnen.

Denn als er gestorben und bestattet war, erhub sich ein seltsames Zeichen auf seinem Grabe: eine Lilie wuchs daraus hervor und entfaltete leise die strahlendsten Blüten. Auf jedem Blütenblatte aber stand mit goldenen Buchstaben »Ave Maria!« geschrieben. Dies nahm die Brüder Wunder: sie begannen zu graben, bis sie an den Grund hinunterkamen. Da sahen sie, daß die Wurzel der Blume an dem Gaumen in des Toten Mund entsprossen war. »Er muß es von Herzensgrund gesprochen haben«, sagten sie, und beugten schaudernd die Häupter.


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