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Das Schrätel und der Wasserbär

Einst sandte der edle König von Norwegen dem mächtigen Könige von Dänemark einen großen zahmen Wasserbären zum Geschenk und ließ das Tier durch einen wegkundigen normannischen Bauer, der es führen und pflegen mußte, an den Ort seiner Bestimmung bringen. Nachdem die beiden über See gefahren waren, gelangten sie nach Dänemark, in des Königs Land. Als sie sich ausgeschifft hatten, nahm der Bärenmeister den Bären an die Leine und trabte gemächlich mit ihm weiter, bis der Abend ihn zur Eile zwang, wenn er noch vor Nacht eine Herberge erreichen wollte. Endlich sah er ein schönes Dorf vor sich liegen, da wandte er sich hin, den Bären getreulich zur Seite. Angelangt, hoffte er in einem Hofe, der stattlich und geräumig vor ihm lag und einem Ritter oder einem andern reichen Manne zu gehören schien, ein gutes Nachtquartier zu bekommen. Bald fand er denn auch den Herrn des Hofes, der traurig vor dem Tore stand, einen guten, einfältigen Bauer, der, ob er auch selbst sein Brot in saurer Arbeit erwarb, doch gerne auch andern davon mitteilte, wenn man ihn fromm und bescheiden darum bat. Als der Normanne mit dem Bären ihn gegrüßt hatte, dankte er ihm mit einem schönen »Vergelt's Gott!« und hieß ihn willkommen. »Freund«, sprach er dann, »was in Christi Namen führt Ihr da für ein Tier an der Hand? Ist es heilig oder unheilig oder gar ein Meerwunder? Es sieht so erschrecklich aus, muß ich mich nicht vor ihm fürchten?« »Nein, Herr«, entgegnete der Normanne, »das braucht es nicht. Es ist ein zahmer Wasserbär, der ehrenreiche König von Norwegen sendet ihn Eurem kühnen Fürsten zum Präsent, und ich soll ihn führen und hinbringen. Lieber Wirt, nun tut mir die Liebe und laßt mich unter Eurem Dache die Nacht verbringen.« Da sprach der gute, einfältige Däne: »Ach, leider habe ich gar keine Macht über meinen Hof und mein Haus«. »Wie kann das sein?« fragte der Normanne. »Ein Teufelswesen oder höllisches Gespenst ist zu mir in meinen Hof gekommen«, erwiderte der Wirt, »und hat mir alles geraubt, was ich je an Freuden gewann. Ich kann auf keine Weise herausbekommen, von welcher Art Geschöpfen es sei: seine Hand ist schwer wie ein Blei, wen es mit seinem Schlage erreicht, der fällt zu Boden, er sei so stark wie er wolle und seine Klage noch so groß. Von seiner Gestalt und Gliedern habe ich leider nie etwas gesehen, aber das sage ich Euch, ich wüßte kein Tier, das so große Kraft besäße und so gelenk wäre, wie dies Gespenst: Tische, Stühle und Bänke sind ihm nicht schwerer als ein Ball, Schüsseln und Töpfe fliegen in die Luft und zu Boden, es rumpelt und kracht, Ofenbretter und Ofensteine, Körbe und Kisten wirft es lärmend durcheinander, so daß noch alles entzwei und drunter und drüber gehen wird, was in meinem Hofe ist. Zudem habe ich Angst für mich selber und mochte nicht länger in dem Hause bleiben. So hat es mir Gesinde und Vieh vertrieben und haust nun ganz allein auf dem Hofe. Ach, ich habe viel Ungemach von ihm zu dulden: denn nun lebe ich, wie Ihr seht, ohne Hausrat hier außen in einem Hüttlein, das ich mir aufs Feld gebaut, und muß all meinen Hausfrieden zerstört und zerrüttet sehen.« »Lieber Wirt«, entgegnete der Gast höflich, »Ihr tut mir herzlich leid. Dennoch bitte ich Euch, wollt mir gestatten, daß ich über Nacht darinnen bleibe. Vielleicht hilft mir Gott, daß der Teufel und sein Trug mir nicht nahe kommt.« »Wenn Ihr Euch traut«, meinte der Wirt, »ich gönnte es Euch wohl. Aber die Wahrheit zu sagen: es kommt mir recht unsinnig vor.« »Gebt mir und meinen Bären nur etwas zu essen«, erwiderte der Normanne, »ob ich Euch dann unsinnig oder klug erscheinen mag, ich wag' es, geh's, wie es wolle.« »Nun, wenn Ihr durchaus keinen Rat annehmen wollt«, sprach der Wirt, »an mir soll es nicht liegen. Ich gebe Euch gern, was ich habe, und bitte Euch, mit meiner einfältigen Armut vorlieb zu nehmen.« So gab er ihm denn nach Landesbrauch Bier und Brot, Fleisch, Rüben, Salz, Eier und frische Butter und für den Bären einen Widder. Der Gast dankte ihm herzlich, packte seine Speisen zusammen und begab sich in Gottes Namen mit dem Bären in den Hof hinein. Dort legte er den Gottessegen vor sich nieder und ging in ein Backhaus, das er bald herausgefunden hatte. Die gruseligen Erzählungen des Wirts waren ihm recht gleichgültig: frisch machte er sich ein Feuer an, denn ihn hungerte weidlich, und sott und briet sein Essen darauf. Als dieses fertig war, aß und trank er fröhlich, gab auch seinem Bären so viel, daß er satt davon wurde, und legte sich dann, von Müdigkeit übermannt, auf eine Bank nieder, wo er bald einschlief. Der Bär, gleichfalls vom vielen Gehen ermattet, legte sich, als er genug hatte, zum Feuer und streckte die müden Glieder.

Als nun Mann und Bär im tiefsten Schlafe lagen, horch, da kam ein Schrätel leise dahergelaufen, das war kaum drei Spannen lang, und hüpfte eilig an das Feuer: es war grauenhaft häßlich anzusehen, hatte ein rotes Käppel auf dem Kopfe und trug ein Stück Fleisch, auf einen eisernen Spieß gesteckt, in den Händen. An dem Feuer setzte sich das Wesen hin und begann, sich das Fleisch zu braten. Als es den Bären gewahrte, dachte es: »Was will dieses Untier hier? Greulich genug sieht es aus und dulde ich es da, möchte es mir am Ende zum Schaden geraten. Nein, ich muß es vertreiben, hab' ich die anderen verjagt, so soll mir auch dieses weichen.« Giftig blickte es auf den Bären, schielte immer wieder nach ihm hin, zuletzt gab es sich einen Ruck und führte mit dem Spieß einen Schlag auf den Nacken des schlafenden Tieres. Der Bär rümpfte sich und greinte es an. Da sprang das Schrätel beiseite und briet sein Fleisch weiter, bis es von Schmalze troff. Dann schlug es den Bären noch einmal, dieser aber rührte sich nicht. Als nun das Schrätel sah, daß der Braten in der Hitze brauste und prasselte, schwang es den Spieß mit dem siedenden Fleisch hoch über seinen Kopf und schlug damit aus Leibeskräften den Bären um das Maul. Da blieb denn der Bär auch nicht länger geduldig liegen, fuhr auf, lief den Kobold an, daß er ihm nicht entrinnen konnte, faßte ihn mit den Tatzen und begann ihm so grimmig zu beißen, zu kratzen und mit gekrümmten Klauen auf ihn einzuschlagen, daß dieser laut und jämmerlich zu schreien anhub: »Weh, Herr, weh! Weh, Herr, weh!« Aber so klein und winzig seine Glieder auch waren, das Schrätel hatte doch Kraft und griff hinwieder dem Bären in den Schlund, zerrte, biß, kratzte und raufte ihn, daß er vor Zorn laut aufbrummte und so schrecklich zu brüllen begann, daß der ganze Hof davon erdröhnte. Sie tobten so grausam, es war ein rechtes Wunder, wenn sie am Leben blieben: bald war das Schrätel oben, bald der Bär, so wälzten sie sich und kratzten und heulten, bissen und schnoben, hieben und zerrten so grimmig, daß der Bärenmeister in seinem Schrecken in den Backofen kroch und gar traurig aus der Ofentür herausguckte. Das Herz wollte ihm brechen für seinen guten Bären, als er so aus seinem Lugloch das jämmerliche Schauspiel sah. Das Schrätel und der Bär aber rauften weiter, bis es schon gen Mitternacht ging. Da endlich gelang es dem braven Tier, den Kobold doch zu überwinden, so daß er floh und verschwand, Gott weiß, wohin. Da legte sich der Bär wieder auf den Estrich nieder und streckte erschöpft die Glieder von sich.

Der Normanne sah dies alles wohl, trotzdem aber kam er nicht aus dem Ofen heraus, sondern blieb, zitternd vor Angst, bis zum hellichten Tage darin. Dann erst kroch er, rußig von oben bis unten, aus der Ofentür. Darauf nahm er seinen Bären und führte ihn aus dem Hofe hinaus. Der Wirt stand schon vor dem Tor und bot dem Gast einen guten Morgen. »Lebt Ihr noch, guter Mann?« fragte er, denn er hatte den schrecklichen Lärm wohl vernommen, der nachts in dem Hofe vollführt worden war. »Ja«, meinte der andere, »so Gott mir's gönnt, gedenke ich noch ein Weilchen weiterzuleben.« Um es kurz zu machen: er dankte dem Wirte herzlich, nahm Abschied und ging von dannen, den zerschundenen Bären an der Leine.

Als der Bauer nun desselbigen Tags seinen Pflug gerüstet hatte, fuhr er damit aufs Feld, begann zu ackern und führte und trieb seine Ochsen wie alle Tage. Plötzlich aber kam das Schrätel dahergelaufen und stellte sich auf einen Stein: Die Beine waren ihm auf und ab mit Blut beronnen, sein kleiner Leib zerkratzt und zerbissen, das rote Käppel, das es trug, zerzerrt und zerfetzt. Da rief es dem Bauer gar greulich und laut wohl dreimal hintereinander: »Hörst du, du! Hörst du, du! Hörst du, du! Sag', lebt die große Katze noch, die du im Hause hast?« Der Bauer blickte auf, sah ihm ins Gesicht und antwortete: »Ei ja, dir zu Trutz und Schaden lebt meine große Katze noch, und hat mir, bei meinen guten Öchslein und dem schönen Joch sei's geschworen, heute Nacht fünf Junge geworfen, die hübschesten von der Welt, schlank, weiß und glänzend und alle der alten Katze gleich.« »Was? Fünf Junge?« fragte das Schrätlein. »Ja, meiner Treue«, sagte er, »lauf hin und schau selbst, so schöne Katzen bekommst du so leicht nicht wieder zu sehen.« »Pfi«, rief das Schrätel, »pfi! In deinen Hof bringt mich keins mehr hin. Hat mir schon die eine Katze so weh getan, sind es nun ihrer sechs, die täten mich morden«, und war im gleichen Augenblick verschwunden. Da freute sich der Bauer, ging heim, zog wieder in seinen Hof und lebte künftig mit Weib und Kind friedlich darin bis an sein Ende.


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