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Sankt Martinsnacht

(Der Stricker)

Ein reicher Bauersmann hielt in der Sankt Martinsnacht mit Lärmen und Schallen ein Zechgelage in seinem Hause ab: er hatte trefflichen Wein im Keller, soff, was in ihn hineinging, und gab auch dem Gesinde, so viel es trinken mochte. Als sie nun so unmäßig gezecht hatten, daß ihnen die Zungen hunken, kam heimlich eine Schar Diebe daher und brach, sobald sie merkten, daß im Hause alles sinnlos betrunken war, ein Loch in den Rinderstall. Da befand sich einer unter ihnen, ein rechter Diebsgesell und zum Stehlen gut wie kein Zweiter, der kroch zuerst hinein. Aber in demselben Augenblicke kamen wütend zwei Hofhunde daher und bellten und knurrten in das Loch, so daß die übrigen Diebe sich schleunigst davonmachten. Als der Wirt den Lärm hörte, nahm er ein Licht, ging hinaus und entdeckte den Mann im Stalle. Diesem wurde es recht schwül zu Mut, als er sah, daß er nicht entrinnen konnte. Aber rasch warf er seine Kleider ab, so daß er spitternackend dastand, als der Wirt nun hereintrat, und machte mit der Rechten über den Wirt und seine Kinder und über jedes einzelne Rind ein Kreuz, zusammen wohl an die zwanzigmal. Dazu bewegte er die Lippen, als ob er einen Segen spräche, und murmelte so immer undeutlich vor sich hin. Als der Wirt dies wahrnahm, stand er verdutzt und schweigend und sah sich bloß an, was der nackte Mann da vollführte. Der winkte ihn mit dem Finger zu sich und begann, als der Bauer näher herangetreten war, mit hoher Stimme: »Siehst du, wie ich dein Gut gesegnet habe, auf daß es dir glücke und gedeihe? Sankt Martin bin ich und will dir den Wein vergelten, den du für mich getrunken hast. Denn dein Zechen ist so gewaltig, daß ich dich unbedingt darum belohnen muß. Höre: soeben waren Diebe hergekommen, die wollten dir deine Rinder und Gott weiß was noch stehlen. Da hab' ich mich hierher gemacht, um dein Gut und dich selbst zu behüten. Denn da ich nun meinen Segen darüber gesprochen, kann es dir niemand mehr stehlen. Nun lösch dein Licht, guter Mann, und gehe ruhig hin und vergnüge dich! Ich will jetzt wieder fahren, von wannen ich gekommen bin, und werde dich immer beschützen.« Da weinte der Wirt vor Rührung und sagte: »Wohl mir armem Sünder, daß mich Sankt Martin selbst heimgesucht hat und gnädig geruhte, seinen Segen über mich und das meine zu sprechen!« Er neigte sich tief, verlöschte sein Licht und ging fröhlich wieder hinein: »Denkt euch«, rief er, »bin ich nicht ein seliger Mann? Ich habe Sankt Martin mit Augen gesehen und er hat mir persönlich gedankt, weil ich so reichlich zu seiner Ehre gesoffen habe und mich und meinen Besitz gesegnet, daß mir kein Mensch mehr etwas antun kann. Trinkt, meine Lieben, trinkt heut nacht von meinem Wein um Sankt Martins willen! Wollten die Hühner zechen, sie sollten uns auch Gesellschaft leisten!« »Lauf!« rief er dem Knechte zu, »und schenk ein, was Platz hat! Ha, wer die Heiligen ehrt, der ist wohl bewahrt! Laßt uns so viel saufen, daß Sankt Martin davon immer herrlicher werde; ich laß' was draufgehen, er soll mich keinen Knicker schimpfen, der hehre Himmelsmann! Seit ich weiß, daß er Wein haben will, soll mir kein Tropfen mehr davon im Hause bleiben und alles verzecht und vertrunken sein!« Dann schrie er seinem Weibe zu: »Geh, wenn dir dein Leben lieb ist, und trag' einen alten Käse her!« »Den wollen wir essen«, wandte er sich zu den übrigen, »da schmeckt das Trinken um so besser hinterher!« Die Frau lief, was sie konnte, und brachte den Käse, wie ihr geheißen war. Was da nun gezecht wurde, das läßt sich nicht messen noch zählen. Sie tranken sich um des Bauern, der Bäuerin, der ganzen Gesellschaft Heil und schrumpften zusammen wie die Bratäpfel. »Trinkt feste, liebe Kinder,« rief der Bauer, »was da bisher Trinkens geschehen ist, das ist ja alles nicht mehr denn ein Wind! Man soll hier solche Trünke sehen, daß das Haus davon erbebt! Dein Wohl, Herr Sankt Martin! Wo gibt es noch einen deinesgleichen im ganzen Himmelreich? Ich sage, vor dir müssen sie alle bleich und blaß werden, wenn du einmal auftrittst! Ist noch eine Nacht wie diese Sankt Martinsnacht? Ich schätz' es nicht das Schwarze unterm Nagel, wenn heut mein ganzer Wein versoffen wird!« So tranken sie dem guten Sankt Martin zu Liebe und zum Gedächtnis, bis sie gänzlich von Sinnen waren, und nicht mehr wußten, wo sie standen und lagen. Der Dieb hatte unterdessen seine Freude dran und trieb die ganze Nacht Ochsen und Kühe aus dem Stall, bis er nichts mehr zu treiben fand.

Als der Wirt des Morgens früh von seiner Betrunkenheit aufstand und nach dem Stalle ging, da war dieser leer und kein einziges Rind darin. Da kam er mit böser Nachricht zurück: »Ich glaube, Sankt Martin hat uns alle die Rinder weggenommen,« sagte er zu dem Gesinde, »ich verstehe gar nicht, wo sie hingekommen sind?« Das war ein trauriger Morgen nach so fröhlicher Nacht: er begann laut zu weinen und alle seine Kinder taten desgleichen und standen heulend um ihn herum. Seine Frau aber nannte ihn selbst ein Rind, daß er so vor den Kopf geschlagen gewesen und geglaubt habe, Sankt Martin in Person zu sehen. So hatte er nun nichts als den Schaden und die Schande davon, doch hätte er die Schande leicht getragen, hätt' einer ihm nur den Schaden geschenkt.


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