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Marius mit den drei Frauen

In Schwaben lebte einmal ein wackerer Ritter, Marius mit Namen, der hatte eine Frau genommen, die so alt war, daß sie schier seine Mutter hätte sein können, aber sich durch Erfahrung und Güte des Herzens vor vielen Frauen hervortat. Die beiden lebten in einem stattlichen Hause, das die Frau in die Ehe mitgebracht, denn der Ritter war arm. Ringsum befand sich ein grüner Hag, der zur Sommerszeit voll Rosen stand, dahinter aber dehnte sich ein köstlicher Baumgarten mit allerlei Gesträuch und edlen Fruchtbäumen, in dem sich noch ein zweites, nur kleines, aber wohlgebautes Haus befand, darin sie die heißen Tage des Jahres in der Kühle zu verbringen pflegten. So lebten sie in Glück und Zufriedenheit und trotz des verschiedenen Alters in ungestörter Eintracht miteinander.

Eines Tages nun wollte der Ritter sich eine Kurzweil machen und begab sich mit seinen zwei edlen Hunden auf die Jagd. Nachdem er glücklich drei Hasen erlegt, machte er sich auf den Heimweg und ritt versonnen langsam auf seinem Rosse dahin. Es war gegen die Abendzeit, die Sonne schien rötlich durch die Bäume. Als er aufblickte, sah er mit einem Male an dem geöffneten Fenster eines ärmlichen Hauses ein Mägdlein stehen und ins Freie schauen. Ihr gelbes Haar fiel in langen, geringelten Locken um ihr süßes Gesicht, das im Widerschein der sinkenden Sonne erstrahlte, ihre Augen waren dunkel und groß, ihr Mündlein rot und halb offen. Sie hielt eine halb aufgeblühte Rose in der Hand. Da war es ihm, als sei plötzlich eine zweite Sonne aufgegangen, deren Glanz nicht blendete: das Blut schoß ihm gewaltsam zum Herzen und eine ungekannte Lähmung ermattete ihm wohlig und quälend die Glieder. Nachdem er der Schönen einen freundlichen Gruß geboten, fragte er, warum sie hier so allein am Fenster stehe? »Ich erwarte meine Mutter«, erwiderte sie, »sie ist schon alt und heute um Holz in den Wald gegangen. Aber die Nacht ist schon nah.« »Seid Ihr denn so arm?« fragte der Ritter. »Mein Vater war selbst ein Ritter«, entgegnete das Mägdlein, »und wegen seiner Tapferkeit weit und breit berühmt. Aber seit er gestorben ist, sind wir leider verarmt.« Da bat er sie mit eindringlichen und lieblichen Worten, sie möge ihm gestatten, zu ihr in die Stube zu kommen, damit sie ein Stündlein miteinander verplauderten. »Gern«, sagte sie, »wenn meine Mutter zu Hause wäre. So aber darf es nicht sein.« Dabei konnte er durch das Fenster in die Stube hineinsehen, in der es hell und freundlich, blank und alles voll schneeweißen Linnens war. Seine Worte wurden immer glühender, sie aber weigerte sich beharrlich, so daß ihm am Ende nichts übrig blieb, als weiterzureiten. Als er sich jedoch noch einmal umsah, bemerkte er, daß das Röslein, ihren Händen entfallen, auf dem Boden lag und das Fenster geschlossen war. Da gab er seinem Rosse die Sporen und ritt, als ob ihm ein großes Glück widerfahren, freudig in den Frühlingsabend hinein.

Seit diesem Tage war es ihm aber, als habe er sein Leben verwirkt: immer, wo er auch ging und stand, schwebte das zierliche Bild der Schönen vor seinen Augen, die er dort im Fenster gesehen, so daß er weder schlafen noch essen mochte und seine Gesichtsfarbe bleich ward. Er wäre entschlossen gewesen, als ein armer Pilger gen Rom zu fahren, dem heiligen Vater zu Füßen zu stürzen und seinen Dispens zu erflehen, um das Mägdlein zu seiner Gattin zu machen, hätte die Alte ihn nicht gedauert, die ihn als seine Frau stets geehrt und mit unwandelbarer Güte behandelt. Diese merkte die Änderung wohl, aber sie fragte nicht danach und ging wie sonst hantierend und still, so daß ihre Gegenwart nur selten merkbar wurde, im Hause umher. Bald darauf veranstalteten die Ritter und Edelleute der Gegend eine Lustbarkeit im Freien: man sollte sich mit Rossen und vielen Spielleuten an einem gewissen Orte auf dem grünen, mit Linden bestandenen Plane treffen und unter Schall und Jauchzen mit Tanz und allerlei Kurzweil den Maientag verbringen. Dort traf der Ritter auch die Schöne wieder: sie trug nur ein ärmliches Kleid von farbigem Linnen, aber er ging sogleich auf sie zu und trat mit ihr zum Tanze an, während ringsum Musik und Gelächter erscholl. In der Nähe befand sich ein einsames Gehölz, da war es still darin, kaum daß Laub und Blumen im Winde wehten und die Vögel in den Ästen sangen. Dort führte er sie hin und redete ihr von seiner Liebe, und daß er so nicht länger zu leben gedächte und sterben müßte, wenn sie ihm nicht zu Willen sei. Sie saßen auf einer grünen Wiese inmitten des lieblichsten Waldes, er hatte unbewußt den Kopf in ihren Schoß gelegt. Aber sie erwiderte: »Nein, Herr, Euer Weib kann ich nicht werden, und Eure Geliebte zu sein verbietet mir der Name meines edlen Vaters, der nun gestorben ist.« Da schwur er ihr zu, nach Rom zu pilgern und vermöge mächtiger Verwandten, die er besitze, den Dispens des heiligen Vaters zu erlangen. Aber sie schüttelte verneinend das Haupt. »Ich sehe«, sagte sie, »wie sehr Ihr mich liebt und daß Ihr um meinetwillen das Äußerste tun wollt. Doch kann ich keinem Manne in die Ehe folgen, wer er auch sei. Denn wovon sollte meine alte Mutter leben und wer ihr Pflege und Stütze sein, wenn ich nicht mehr für sie nähen und sticken sollte und aus dem Hause ginge?« »So schwöre ich dir zu«, entgegnete er, »daß ich mich's nicht will verdrießen lassen und deine Mutter mit zu mir nehmen. Ich will sie ehren, als ob sie selber mich geboren hätte.« Da beugte sie sich über ihn, und sie küßten sich Mund und Wangen und verbrachten die Stunde in hoher Glückseligkeit.

Als er nach Hause kam, fiel es ihm schwer aufs Herz, daß seine alte, gütige Gattin noch nichts von den Plänen wußte, die er gemacht hatte. Er wagte es lange nicht, ihr davon zu sagen, endlich aber ermannte er sich und klopfte leise an die Tür zu ihrer Kemenate. »Wer ist draußen?« fragte sie. »Ich bin's, Euer Gatte«, erwiderte er und trat ein. Sie saß gerade beim Fenster, um der frischen Luft zu genießen, lud ihn freundlich zum Sitzen ein und fragte, da sie ihn verstört sah, liebevoll nach seinen Wünschen: »Herrin«, sprach er, »Ihr seid immer gütig zu mir gewesen, das lohn' Euch unser Gott im Himmelreich! Aber ich kann nun nicht länger bei Euch bleiben.« Die Frau erschrak über seine Worte und fragte, was ihm widerfahren sei? »Die den Wolf und die Schlange bezwingt«, erwiderte er, »hat auch mich bezwungen und verwandelt. Ich weiß nicht, ob es Gott oder Teufel ist, der mir dies eingegeben, doch hat die allmächtige Liebe, die alles verzaubert, auch mich zu Schanden gemacht.« Dann erzählte er ihr, was sich inzwischen zugetragen, und daß er nach Rom pilgern wolle, um den heiligen Vater anzuflehen.

Die Frau erwiderte nichts und bat ihn nur hinauszugehen. Am nächsten Tage aber, als er schon zu Bette lag, erschien sie plötzlich in seinem Zimmer, setzte sich freundlich zu ihm, ergriff seine Hand und sprach: »Als ich Euch nahm, Herr, wußte ich wohl, daß ich Euch nicht für immer würde halten können. Auch bemerkte ich die Veränderung gut, die in letzter Zeit mit Euch vorging. Aber ich bin alt und Ihr seid jung, so dachte ich: Was nicht heute kommt, wird doch morgen kommen, und ließ es hingehen. Doch wäre ich nicht Euer Weib geworden, hätte ich Euch nicht lieb gehabt.« »Und was gedenkt Ihr nun zu tun?« entgegnete der Ritter. – »Ich habe nun lange gelebt und wohl gesehen, daß alles geschieht, wie Gott es will. Sollte ich mich nun kläglich gebärden und über einen Verlust jammern, den ich nicht aufhalten kann? Ich denke, es ziemt mir besser, ihn, so gut ich es vermag, wieder ins Gleiche zu bringen. So schlage ich denn vor, daß Ihr mit Eurem jungen Weibe dieses Haus bezieht, darin wir bisher gewohnt haben. Ich selbst aber will indessen in dem Gartenhäuslein, wo wir sonst die heißen Tage zu verbringen pflegten, mein Lager aufschlagen. Ihr wißt, es ist ein angenehmer Aufenthalt, man hört daselbst den ganzen Tag die Vögel singen. So ist Euch und mir zugleich geholfen, und wir können noch in Frieden miteinander altern.« »Allein«, erwiderte der Ritter, »was soll ich mit meines jungen Weibes Mutter beginnen? Denn sie hat zur Bedingung gestellt, daß ich auch diese zu mir nehme und ihr alle erdenkliche Ehre erweise.« »Auch da wird sich wohl Rats schaffen lassen«, sagte die alte, gütige Frau. »Es sind in dem Gartenhäuslein zwei freundliche, hübsche Stübchen, von denen möge sie das andre nehme und mit mir zusammen in dem Hause wohnen. Ich denke, so werden wir beiden Alten noch manche Freude an Euch Jungen erleben.« Und wie die Frau gesagt, so geschah es auch. Sie selbst schenkte dem Ritter Roß, Schwert und Gewand, damit er nach Rom ziehe, wo es ihm denn auch gelang, durch Einfluß seiner mächtigen Verwandten den Dispens zu erringen. Nachdem er nun zurückgekehrt, die Hochzeit im stillen gefeiert und die Häuser bezogen waren, sah man den Ritter nicht anders mehr auf der Straße als an der Seite seines jungen, blühenden Weibes, hinterher aber trotteten stets zwei Alte, selbst strahlend vor Glück und Zärtlichkeit für ihre Kinder, wie sie sich ausdrückten. So kam es, daß der Ritter von den Leuten nur noch Marius mit den drei Frauen genannt wurde.


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