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XIX

»Klietschijer Kuchen«

Am anderen Morgen sagte Frau Lemke: »Weeßte, Willem, ick hab heit nacht schlecht jetreimt. Von'n jroßen Hund, der beenah so aussah wie Onkel Karrelns Nulpe!«

»Wat is denn da Schlechtet bei –«, sagte Herr Lemke, »det war doch 'n sehr treiet Tia!«

»Ja, aba die Teele, die ick da in'n Traum jesehen hab, hat immafort Kuchen jefressen, so'n klietschijet Zeich, weeßte, det een'n imma oben an'n Jaumen hackenbleebt!«

»Wenn eena aba Kuchen freßt, det is doch immahin een Zeichen, det's ihn jut jeht.«

»Kuchen is schlecht«, sagte Frau Lemke und schüttelte sich voll Unbehagen, »Kuchen – det weeß ick von Tante Marien – is Krankheet oder Ärja!«

»Na, da wollen wia uns man recht vorsehn, det wia uns nich akälten oda det Kabbeln kriejen – und denn wollen wia ooch uff die Kinda jut uffpassen, det da nischt passiert!«

»Et broocht ja nich jrade bei uns sind«, meinte Frau Lemke, »kann ja ooch die Vawandtschaft anjehen.«

»Am Ende is wat mit Onkel Aujust los?«

»Ach – der!« sagte Frau Lemke. »Der platzt ja beenah vor Jesundheet! Nee, aba – Willem – nu krieje keen'n Schreck, ick firchte, mit Jroßvatan wird wat los sind!«

Herr Lemke bekam aber doch einen Schreck: »Mit Jroßvatan«, wiederholte er, »wa'm denn jrade mit Jroßvatan?«

»Wia wissen doch janich, wie't ihm jeht, seit acht Tagen haben wia uns nich um ihn kimmern können! Wia hatten ja ooch mit unse Sachen alle Hände voll zu tun –«, sagte Frau Lemke. »Da war det Bejräbnis, denn die Zucht mit Onkel Karrel, denn mit Edwin, und denn kam der Herr Fiedler ...«

»Also – wat is da zu tun –«, sagte Herr Lemke ratlos.

»Nu sei nich jleich so konfuse, Willem«, sagte seine Frau, »et kann ja allet in scheenste Ordnung sind, ick meene bloß, wia missen uns wieda mal 'n bißken um Jroßvatan kimmern. Wia können den ollen Mann da nich so eensam in seene Triebsal sitzenlassen! Der jrault sich ja in die Wohnung!«

»Denn werd ick ma' hin« sagte Herr Lemke entschlossen.

»Am besten jleich, Willem, zieh dia die Stiebeln an, und jeh los! Denn macht man sich wenichstens keene Unruhe mehr und hat Jewißheet!«

»Haste recht – ick vaseime ja ooch hia frieh nischt!«

*

Es wurde Mittag – und Herr Lemke war nicht wieder zurück. Die Kaffeezeit kam, aber Herr Lemke nicht.

»Jott und Vata, wat mach denn da passiert sind«, jammerte Frau Lemke, »da is wat los, da is wat los – und der Mann bleibt vaschwunden! Aba det hat er von jeher so jemacht! Wenn der Stiebeln anhat, denn is er wie ausjewechselt, a's wenn 'n beesa Jeist iba ihn kommt! Denn vagißt er Frau und Kinda und 't Lokal! Denn is ihn uff eenmal allens piepe – aba ooch allens!«

Und Minna, das Dienstmädchen, das diese Klagen stumm mit anhörte, schüttelte ab und zu wehleidig den Kopf und dachte: »Wenn se bloß hia aus die Kiche jehen wollte, se macht een'n ja janz nervös! Und wenn ick dann wat hinschmeeße, krieje ick's, denn jeht die janze Wut uff mia!«

»Det is meen Traum, der klietschije Kuchen – wa'm ha' ick mia ooch nich warnen lassen! Wenn't wat Jutet is, denn jeht's ja nie in Afüllung, aba det Schlechte, det trefft imma in.«

»Ick hab ooch so wat Komischet jetreimt«, sagte Minna plötzlich.

»Nu fang du mia ooch noch an, du hast janischt zu treimen«, sagte Frau Lemke ärgerlich. »Wat haste denn jetreimt?«

»Det sare ick nich!« Minna bekam einen dicken roten Kopf.

»Kam en männlichet Wesen drin vor?« examinierte Frau Lemke, »raus mit die Maus, jesteh't man in, zier dia nich!«

Minna stocherte erregt mit dem Feuerhaken in der roten Glut, antwortete aber nichts.

»Also kam eens drinne vor, und wenn eens drinne vorkam, denn weeß ick ooch, watte jetreimt hast«, sagte Frau Lemke, »und det vabitt ick mia, vastehste? So wat duld ick nich in meen Haus, und wenn't noch mal vorkommt, schmeeß ick dia raus!«

»Aba er hat mia ja bloß jestreichelt«, sagte Minna weinerlich.

»Damit fängt's an! Wer is denn der Er?«

»Herr Fiedla –«, sagte Minna, als sei damit alles entschuldigt.

Frau Lemke sah das Mädchen vernichtend an. »Du hast'n Littiti – du bist jrößenwahnsinnich, Minna, det steht sehr jefährlich mit dia!«

»Wat kann ick denn for?« begann Minna laut aufzuheulen.

»Doch kannste for, du hättest et dia nich jefallen lassen sollen, aba da haste wahscheenlich janz stille jebalten!«

»Nee – ick hab jesacht, er soll Ihn'n streicheln«, verteidigte sich Minna.

»Du Lüjenmaul, schäm dia wat, bis jetz ha' ick dia allet jejloobt, aba det jloob ick dia nich –«, sagte Frau Lemke. »Nu mach, dette die Schnitzel pannierst, hia wird heite mal wieda ibahaupt nischt fertich!«

*

In den Abendstunden, gerade als Frau Lemke einen Dienstmann auf Erkundigungen ausschicken wollte, kam Herr Lemke heim.

»Uff deene Treime jeb ick nischt mehr oda bloß noch det jrade Jejenteel –«, sagte er zur Begrüßung.

»So?« Frau Lemke trat dicht vor ihn hin. »Willem, du hast wat jetrunken, streit's nich ab, ick riech's!«

»Ick streit's ja janich ab«, sagte er mutig, »wa'm soll ick's denn ooch abstreiten?«

»Wo biste denn jewesen?« fragte Frau Lemke ganz sanft.

»Na – bei Jroßvatan«, sagte er, erstaunt, daß darüber irgendein Zweifel sein könnte.

»Von'n friehen Morjen bis uff'n speten Abend?«

»Wia haben uns ne scheene Punschbohle jemacht, und denn lassen se dia alle scheen jrießen!«

»Alle – wer sind denn alle?« fragte Frau Lemke mit einer Freundlichkeit, die ihren Mann eigentlich ein bißchen hätte mißtrauisch machen sollen.

»Alle nich –«, sagte er, sich erinnernd, und seine Stimmung schlug plötzlich um und wurde ärgerlich. »Nee – alle nich!«

»Sondan?«

»Frach mia doch nich so aus«, sagte er mürrisch, »laß mia doch erst die Stiebeln ausziehen, du wirst ja allens ßu afahren kriejen!«

Aber Frau Lemke vertrat ihm den Weg.

»Wie ville seid ihr denn jewesen, Willem?«

»Na – wir drei!«

»Also det eene bist du«, sagte Frau Lemke und hob zählend die Finger, »zweetens – wenn's wahr is – Jroßvata – und nu die dritte?«

»Det is keene Sie, sonnern een Er!« sagte Herr Lemke. »Und damittet weeßt und mia Ruhe jibst und det ick endlich die Stiebeln loskrieje – det is mit eenen Wort Onkel Karrel!«

Frau Lemke war so betroffen, daß sie zuerst kein Wort der Erwiderung fand.

»Onkel Karrel – nu wird mia ja vielet klar, deen janzet Ufftreten hia, der hat dia uffjehetzt«, sagte sie endlich. »Wie kommt denn der aba bei Jroßvatan?«

»Der is schon lange da!« sagte Herr Lemke. »Jroßvata hat ihn als Hausvawalta und Portjeh anjestellt. Ne neie Mitze hat er sich ooch jekooft, eene Marinemitze! Und er läßt dia saren, sonne Behandlung läßt er sich von dia nich jefallen, und er is doch aus'n Mastkorb jefallen! Er hat's uns ja ooch janz ausfiehrlich azehlt und uns die Stelle jezeicht, wo er uffjeschlaren is!«

»So!« sagte Frau Lemke. »Nu weeßte wat, Willem, nu jeh und lech dia hin, mit dia is heite doch nischt mehr los!«

»Det wollte ick ja sowieso, wennste mia nich dran jehindert hättest«, sagte Herr Lemke und entfernte sich etwas schwankend.

Kopfschüttelnd sah ihm seine Frau nach, und dann setzte sie sich an den Tisch hinter der Fliederhecke und verfiel in tiefes Sinnen.

»Onkel Karrel bei Jroßvatan – det sind ja nette Aussichten for die Zukunft, wie wird det nu allet werden?« dachte sie seufzend. »Klietschija Kuchen, hat meen Traum also doch wahrjesacht!«


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