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XVIll

Tante Maries Silvesterüberraschung

Acht Tage später, am Silvesterabend, vereinigten sich dann alle Mitglieder der Familie Lemke nochmals um den Tannenbaum – man wollte Abschied vom alten Jahr feiern.

Und diesmal waren auch Onkel August und Tante Liese erschienen und hatten drei mächtige Karpfen mitgebracht. »Et sind aba rogene«, sagte Onkel August, »denn det jehört sich doch so, sonst hat man ja det janze Jahr keen Jeld nich, denn Rogen bedeitet Jeld!«

»Vor allen Dingen muß man sich 'n paar Schuppen in't Pottemaneh tun«, sagte Onkel Karl, der sich auch auf diesem Gebiet versiert erweisen wollte. »Sonne Schuppen, die hecken«, setzte er wichtig hinzu.

»Abajlaube«, sagte Tante Liese mit einer Handbewegung, die Onkel Karls Ansicht gleichsam mit einem Schlage abtat.

»So? Na, bei mich hecken se«, sagte Onkel Karl, »jib ma mal 'n Tala, denn laß ick ihn bei meene mithecken!«

»Ick werd mia hiten«, sagte Tante Liese, »wie ick dia kenne, Onkel Karrel, sachste nachher, se haben sich jejenseitich uffjefressen, und denn is man seenen Tala los!«

»Bissich derf er ooch nich sind«, sagte Onkel Karl, »aba wennste nich willst – is doch bloß ne Jefällichkeet von mia!« Er zuckte die Achseln und wandte sich der übrigen Gesellschaft zu: »Meene Herrschaften, wat ick bloß saren wollte: Se werden heile abend noch ne mächtije Ibaraschung aleben, aba vorläufich heeßt's abwarten!«

»Ach Jott, ach Jott«, sagte die alte Frau Lemke, die dicht beim Ofen in einem hohen Lehnstuhl saß, »ach Jott, Onkel Karrel, wenn't bloß nich knallt, det kann ick nich vatraren, ick derf mia nich aschrecken!«

»Vaehrteste Stammutta – et knallt nich«, sagte Onkel Karl.

Auch die junge Frau Lemke trat hinzu. »Du –«, sagte sie drohend, »det will ick dia jleich saren – Karrel – wennste heite ooch wieda Dummheeten machst, denn is et for imma mit uns beede aus!«

»Nu seh ick erst, wat ick hia for'n Rennomeh habe«, sagte er, »det is ja im höchsten Jrade bedauerlich. Weeß der liebe Aff', wie man dazu kommt! Von friehen Morjen bis in die späte Nacht rackert man sich ab – und der Dank?!« Er zuckte wieder, diesmal aber ganz entmutigt, die Achseln, schlug die Arme übereinander und starrte verzweifelt nach der Stubendecke.

Der alte Herr Lemke, der hinzugetreten war, klopfte ihm freundlich auf die Schulter: »Saren Se wenichstens, in welche Richtung, damit man nich die Fassung verliert!«

»Et is etwas Freudijes«, sagte Onkel Karl, »mehr derf ick nich verraten, also fraren Se mia nich, det ick nich wortbrüchich werde!«

Tante Liese, die mit Tante Marie auf dem Sofa saß, schüttelte mißbilligend den Kopf: »Ick wirde mia nich um den seene Ibaraschung so haben, is doch man bloß allet Dicketuerei von den Mann!«

»Ach nee, diesmal is wat hinta«, sagte Tante Marie ein bißchen bedrückt und glättete ihr schwarzes Seidenkleid.

»So?« Tante Liese sah sie mißtrauisch an. »Na, da bin ick ja aba wirklich – jespannt –«, sagte sie, hütete sich jedoch, auch nur noch eine Frage zu tun. Nach einem Weilchen erhob sie sich dann und ging zu ihrem Mann. »Aujust", sagte sie, »hier scheint heite abend wirklich wat vorßujehen!«

»Von meenswejen!« Er schlenkerte unmutig mit der Hand. »Hätt ick lieba za Hause wat Orntliches jejessen – eh man hia 'n Bissen vorjesetzt kricht, fällt man ja vor Hunga um!«

»Et scheint noch jemand erwartet zu werden«, sagte Tante Liese, »oda ick mißte mia sehr täuschen. Seh mal, seh mal – wo looft denn Onkel Karrel so eilich hin?«

Draußen war ein Wagen vorgefahren, nun hörte man Stimmen im Gange, und dann trat Onkel Karl mit einem sehr respektablen älteren Herrn ein, dem er beim Ablegen der Garderobe behilflich war. Dann nahm er ihn vertraulich unter den Arm und führte ihn der Gesellschaft zu.

»Jestatten Se, meene Herrschaften, det ick Ihnen jejenseitich mitenander bekannt mache. Hia, Herr Ziehjarrenfabrikant Krause, und det hia sind meene Vawandten: Herr Lemke senior und seene Jattin, Onkel Aujust dito Jattin ...«

»Na, und wia annern kennen uns ja«, sagte die junge Frau Lemke und reichte ihm die Hand, »wat is det for ne Ibaraschung, Herr Krause?«

»Ja – wie das so manchmal sonderbar im Leben ist«, sagte er zierlich und trat zu der im Hintergrund stehenden Tante Marie, verneigte sich und sprach einige, wie es schien, sehr gewählte Worte zu ihr.

Sie blickte mit einem verschämten, treuherzigen Lächeln zu ihm auf und zupfte mit zitternden Fingern an der großen Taftschleife, die ihren Hinterkopf zierte. Onkel Karl aber steckte die Hand in die Weste und sah die Gesellschaft der Reihe nach triumphierend an.

»Nu können wia woll essen?« erkundigte sich Onkel August.

»Du mit deene vadammte Esserei«, fuhr ihn Tante Liese an, »man muß sich ja wahaftich schenieren, merkste denn ich, det det een sehr feierlicha Momang is? Vorleifich is det doch ßu vawundern, wie so wat ibahaupt möchlich is! Hättste denn jedacht, det die liebe Marie noch mit sonne Absichten rumlooft?«

»Mia is det janz Wurscht«, sagte Onkel August, »ick jebe nischt uff feierliche Momangs und weeß ibahaupt nich, wo eener is. Ick will bloß wat ßu essen haben, und wenn't 'n oller Kanten is, denn ick hab 'n Heißhunga, det mia det Wassa in'n Mund ßusammenlooft!«

»Na –«, sagte Tante Liese und schluckte bitter und resigniert, »mia wäre ooch wohler, wenn ick 'n annern Mann jekricht hätte.«

Onkel August hatte kein Verständnis für ihren Schmerz. »Wo wia die scheenen Karpen mitjebracht haben!« murrte er, und ganz erleichtert setzte er hinzu: »Na, nu scheint's aba doch loszujehen!«

Die Tür, die nach der Küche führte, war geöffnet worden, jetzt stieß sie jemand vollends auf, und dann wurde das Dienstmädchen mit einer mächtigen Schüssel sichtbar.

»Also los, nu wollen wia uns aba ranhalten!«

*

Onkel August begann erst wieder auf seine Umgebung zu achten, als jemand fortwährend laut und eindringlich sprach und ein anderer Jemand ihm fortwährend eindringlich gegen das Schienbein trat. Der Redner war Onkel Karl, der Treter Tante Liese, die ihrem Gatten pantomimisch andeuten wollte, daß er nicht so laut den Teller abkratzen möge.

»Ick bin ja schon fertich ...«, sagte er und schob den Teller von sich. Nun, als er um sich blickte, merkte er erst, daß die ganze Gesellschaft feierliche und gerührte Mienen zeigte. Tante Marie weinte sogar heftig in ihr Taschentuch, und dieser Augenblick verleitete Onkel Karl, seiner Rede immer kühneren Schwung, immer größeres Pathos zu verleihen.

»Denn wenn man so bedenkt«, suchte er eben eine Behauptung zu begründen, »wenn man so bedenkt, wat dazu for ne Kurasche jehört, in dieses Alta noch ßu heiraten, denn muß man wahaftich die Braut bewundern, die sonne Kurasche hat!«

Onkel Karl schien ein »Bravo, bravo!« zu erwarten; als es aber ausblieb, schöpfte er tief Atem und fuhr fort: »Ick habe et ja von'n ersten Oogenblick an kommen sehen, und ick habe mia drieba jefreit. Herr Krause is ja so'n netta Mann, et is uns ne Ehre, ihn in die Vawandtschaft rinßukriejen. Aba det Vajniejen hätte er schonst lange haben können, wenn er nich so lange jewartet hätte. Denn die Jeschichte fung ja schon dunnemals an, als ick noch meenen seljen Nulpe hatte.«

»Nu hör uff, Onkel Karrel«, unterbrach ihn die junge Frau Lemke, »sonst kommste von's Hundertste ins Tausendste!«

»Alaube – bloß noch det Hoch«, sagte Onkel Karl. »Also, meene Jeliebten, uff det sie beede recht jlicklich werden und noch ville, ville Jahre in unse Mitte weilen: Hoch – und nochmals hoch und ooch zum drittenmal ho–och!«

Und dann nahm Onkel Karl sein Glas und begab sich zu Tante Marie und Herrn Krause, um mit ihnen anzustoßen. »Werdet jlicklich, Kinda«, sagte er nun selbst ganz gerührt, als er die tiefe Bewegung der beiden Verlobten sah.

Herr Krause drückte ihm immer wieder die Hand. »Sie sind ein juter Mensch, Karl«, sagte er.

»Man vakennt mia bloß imma zuerst«, bestätigte ihm Onkel Karl, »aba et jehört janich so ville Menschenkenntnis ßu, um det ßu bejreifen.«

Onkel August kam hinzu, faßte ihn beim Ärmel und zog ihn in eine Ecke: »Also – wat is hia los, Karrel, ick werde aus die janze Jeschichte nich kluch.«

»Haste denn nich jehört, wat ick for ne Rede jeredet habe? Von wen ha' ick da jesprochen?« examinierte ihn Onkel Karl.

»Da hatte ick jrade nich uffjepaßt«, sagte Onkel August.

»Mensch, denn kann ick dia nich helfen«, sagte Onkel Karl, »denn seh zu, wieste kluch draus wirst!« Und dann ließ er den Verdutzten stehen und mischte sich unter die anderen, denn er sah, daß große Schüsseln mit Pfannkuchen hereingetragen wurden und daß Herr Krause alle Vorbereitungen zum Bleigießen traf. »Da muß ick doch mit bei sind und wissen, wat die Zukunft bringt«, erklärte er. Zuerst hielt er sich aber an die Gegenwart, nahm sich eine Schüssel mit Pfannkuchen und zog sich in eine Ecke zurück.

Dem Rest, den er übrigließ, suchte er durch künstlichen Aufbau wieder Fülle und Ansehen zu verleihen, aber Frau Lemke, die ihn beobachtete, sagte gutmütig: »Jib dia keene Mihe, Onkel Karrel, du hast – Jott sei Dank – die Schüssel mit die harten awischt, die werden dia wie Steene in'n Bauch liejen – aba et is dia janz recht!«

»Na – denn kann ick mia ja ooch 'n paar von die weechen nehmen«, sagte Onkel Karl, »drum ooch – drum ooch, ick hab mia immafort schon jewundert, det die Fannkuchen heite so jehaltvoll sind.«

Der Lehnstuhl der alten Frau Lemke war inzwischen so gerückt worden, daß auch die anderen an den Ofen konnten, an dem, feierlich wie ein Alchimist, Herr Krause hantierte und galant dagegen protestierte, daß ihm Tante Marie auch nur die geringste Handreichung machte.

Tante Liese, die danebenstand, hatte ein überlegenes Lächeln aufgesteckt und wiederholte von Zeit zu Zeit ins Blaue hinein: »Nein, nein, ick jlaube an so wat nich, in die Zukunft kann keiner nich sehen!«

»Aba et macht wenichstens Spaß«, sagte die junge Frau Lemke, »man möchte doch jar zu jerne 'n bißken wat wissen, wie det noch später allens mal kommt!«

»Jewiß – wenn det eena vastände, wird er bald 'n reicha Mann sind«, bemerkte Tante Liese.

»Nun«, sagte Herr Krause, »einige Fingerzeige genügen ja manchmal, und diese Fingerzeige geben uns die wunderlichen Formen, die durch Abkühlung des flüssigen Bleis im Wasser entstehen.«

Dieser Ausspruch imponierte Onkel August so sehr, daß er entschlossen fragte: »Na – denn möcht ick ooch wissen, wat mit meene Zukunft is – oda kostet det extra wat?«

»Nein«, sagte Herr Krause mit nachsichtigem Lächeln, »jeder von uns kommt dran.« Und dann schob er die eiserne Schaufel mit der Bleimasse ins Ofenloch.

»Man muß et allerdings vastehen, sonne Fijuren ßu deuten«, sagte Tante Marie, »manchmal sieht et aus wie'n Brautkranz, und denn is's eejentlich 'n Totenkranz.«

»Ja – wie ick vorjen Silvester«, sagte Onkel Karl, »da hatte ick mia ne richtje kleene Eklipasche mit zwee Ponys jejossen – na, und wo is se nu?«

»Det hattest du dia bloß so ausjelecht«, sagte Tante Marie, »ick hatte dia ja jleich jesacht, det sind keene Ponys, det sind Karnickels, und der Klumpatsch, der dranhing, det war der Stall und keene Eklipasche. Und 'n Karnickelstall haste ja ooch jehabt.«

»Desterwejen hätte ick janich in die Zukunft zu kieken brauchen, det ha' ick vorher jewußt«, sagte Onkel Karl.

»Stille – es geht los«, gebot Herr Krause und zog die Schaufel heraus. »Die verehrten Damen haben den Vortritt, wer von Ihnen hat den Mut, zuerst dem Schicksal ins Auge zu sehen?«

Eine gewisse Feierlichkeit hatte sich aller bemächtigt, niemand wollte den Anfang machen. Onkel Karl aber entschied: »Die jeehrte Braut hat den Vordatritt – feste ran, Tante Marie, zier dia nich!«

Und mit zagen Händen faßte sie schließlich nach der Schaufel und goß etwas von der geschmolzenen Masse in den Wassereimer.

Onkel Karl, der sich schon die Jacke ausgezogen und die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte, übernahm es, die Schicksalsfiguren aus dem Wasser zu holen.

»Det is een rejuläret Krokodil«, sagte er jetzt, »kiek mal bloß die naturjetreue Schnauze!«

»Aber, Mann«, sagte Herr Krause sanft verweisend, »sehen Sie denn nicht, daß das ein Storch mit langem Schnabel ist?«

Und alle erkannten es: Ja – es war ein Storch, dessen Beine allerdings etwas verkümmert waren.

»Na – uff die Weise!« sagte Onkel Karl. »Denn sind meene Karnickels sojar Appelschimmel jewesen.«

Ein großer Eifer war ietzt entstanden, jeder wollte zuerst das Schicksal befragen. Aber es ging gewissenhaft der Reihe nach, erst die Damen, dann die Herren, und Tante Marie übernahm die Deutung der Figuren. Im allgemeinen stimmte man ihrer Auslegung auch zu, nur Tante Liese protestierte aufs entschiedenste. »I wo«, sagte sie, »det is in'n janzen Leben keene Wieje, det is eha ne Kommode!«

Onkel Karl nahm ihr den rätselhaften Gegenstand aus der Hand und betrachtete ihn mit der Miene eines Sachverständigen: »Jetz weeß ick's, wat es is, kann ibahaupt jar keen Zweifel drieba sind: 'n Klavier is's!«

»Dette det wieda uffs Trapez bringen wirdst, ha' ick ma ja jedacht«, sagte Onkel August, »na, mir is's janz schnuppe, ick hab mia 'n Pottemaneh jejossen, mehr will ick janich!«

»Und ick mia«, übertrumpfte ihn Onkel Karl, »ick hab mia sojar wat jejoffen, det sieht aus wie'n Veloziped mit'n jroßet und 'n kleenet Rad. Det ha' ick mia schon lange jewünscht!«

»Zeich ma'«, sagte Onkel August neidisch, aber als er es dann betrachtet hatte, sagte er beruhigt: »Da hastet wieda, det is 'n janzen Leben keen Veloziped nich, det is ne Scherenschleifakarre!«

Die andern waren nicht recht klug daraus geworden, was ihnen das Schicksal bestimmt, obwohl sie es hin und her wendeten. Nur bei der alten Frau war kein Zweifel möglich, alle hielten den Gegenstand für ein Kreuz, obwohl Onkel Karl steif und fest behauptete, es könne auch ein Quirl sein.

»Jott, ja, wer weeß, wie allet kommt«, sagte der alte Lemke.

»Man bloß nich traurich werden«, tröstete Onkel Karl, »und jetz bin ick dafor, det wia alle unse Punschjläsa noch mal volljießen, anstoßen und austrinken, denn die Uhr hat schon jeschnirkst und wird jleich zwölfe schlaren!«

Und das taten sie dann auch, begrüßten das neue Jahr, als die Kirchenglocken läuteten, und stießen mit ihren Gläsern an auf künftige glückliche Jahre.


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