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II

Onkel Karls Farm

»Erst mal den Jungen ins Bett, is ja nich auszuhalten mit den Bengel, den janzen langen Wech hat'r jequakt, der Schaffner wollte mia schon rausschmeißen aus'n Omnibus, ick hab's ihn aba jejeben! Wer keene kleenen Kinder hat, weeß ooch nich, wie det is!«

Und während Frau Lemke das sagte, knöpfte sie ihrem Erstgeborenen den Anzug vom Leibe – so rasch, als wenn sie eine Naht auftrennte. »Na ja, ick hab's ma ja jedacht, da haben wa ja wieda die Bescherung«, setzte sie ärgerlich hinzu, als sie den Jungen wie ein Ei mit einem Ruck aus der Schale genommen hatte. »Kannste dia nich inrichten? Bist doch keen Wickelkind mehr!«

Edwin hatte jetzt, da sein Geheimnis entdeckt, keine Antwort, und Tante Marie, die bisher stumme Handlangerdienste verrichtet, nahm daher mitleidsvoll seine Partei: »Jroßvata is aba ooch dran schuld, so'n Kind jibt man doch noch keene Märzweiße zu trinken.«

»Det is's ja eben, wenn Jroßvata nich jar so varickt hinter den Jungen wär'! Nu rin ins Bette, und wennste nu nich janz stille liechst und dia etwa uffstrampelst, jibt's Senge! So, nu komm ick allmehlich zu mia«, sagte Frau Lemke tief aufatmend und zog sich das neue, teure Sonntagskleid aus, besah sich ärgerlich den Stoß und rieb ihn zwischen den Fingern aus. »Wat man sich da rujiniert, wenn man sich den Rock nich ordentlich hebn kann, die janze Bochte is durch – ick müßte ooch so'n Schleppenhalta habn, wie ick se heite ibaall jesehn.«

Aber dann, während sie sich die Bluse anzog und die Schürze umband, vergaß sie auf derartige Finessen, erkundigte sich nach der kleinen Liese und war nicht recht zufrieden, daß das Kind während des ganzen Tages geschlafen hatte. »Det wird wieda ne unruhje Nacht, denn liecht se munter und jrault sich, det is ja so'n nervöset Jeschöpf!« Und sich über das Bettchen beugend, sagte sie: »Du, wach mal uff – Liesekin –«, nahm sanft rüttelnd das schlaftrunkene Wesen auf den Arm und bedrohte dann gleich darauf Edwin, der nicht stille lag.

»Nu wolln wa nach vorne jehen, Tante, komm, ick muß eich doch azehln!«

In der Gaststube war es inzwischen etwas reger geworden, und im Nebenzimmer spielte eine Gesellschaft junger Leute Billard.

»Det hättste mal draußen sehn soll'n, Tante, in Schöneberch«, sagte Frau Lemke, sich auf das große, schwarze Ledersofa setzend, »die Leite haben sich um die Stihle jekeilt, so voll war der Jarten wieda. Det is da 'n Jeschäft, aba Jroßvata hat keene rechte Lust mehr ßu!« Und sich zu ihrem Manne wendend, der herangetreten war, setzte sie hinzu: »Sehste, Willem, det hätten wia ibanehmen solln, als wa in de Ackastraße zogen! Aba nee, denkste, deene Mutta kann et vajessen, det se mia mal in ihre Küche kommandiert hat? Bis heite noch nich! Nu sind wa doch schon so lange vaheirat, aba noch heite vafällt sie in den ollen Kommandoton.«

»Na aba«, verteidigte Tante Marie, »se haben eich mächtich unta de Arme jejriffen! Bedenk man bloß, die janze Inrichtung hia, wie sieht det Lokal jetz aus jejen frieha in die ›untairdsche Tante‹! Wenn ick an det muffje Kellaloch noch denke!«

»Jewiß doch, et sacht ja ooch keena wat jejen sie, ick meene doch bloß, dettet schneller jejangen wäre, wenn se uns den Jarten in Schöneberch ibalassen hätten, wia hätten ihn'n ja abzahlen können. So ville, wie se jetz for fordern, können wa natierlich nich jeben!«

»Vata denkt ja ooch janich dran, det Lokal uffzujeben, det sachta man bloß so!«

»Doch, doch, Wilhelm, jetz wird's ernst, wejen Muttan, die kann nich mehr so. Er is ja noch mechtich flink, aba deene Mutta will nich mehr, se ärjert sich zu sehr bei!« Wilhelm meinte, daß er jetzt den Garten auch kaum noch übernehmen würde, da nach seiner Ansicht nicht mehr viel damit zu machen sei. Als er vor acht Tagen draußen gewesen, habe er ihn kaum noch finden können, so sehr habe sich die Gegend verändert. Neue Straßen wären angelegt worden, der Garten läge jetzt zu tief und wäre feucht, und dann mache es auch kein Vergnügen, die Brandmauern der ringsherum erbauten Häuser anzusehen. »Vata soll man ruhich vakoofen, det is det jescheitste, watta machen kann!«

Während sie sich noch unterhielten, kam ein wie ein amerikanischer Trapper und Fallensteller gekleidetes Individuum herein, spuckte genial in weitem Bogen aus und nickte ihnen herablassend zu.

»Jott, det is doch Onkel Karrel«, sagte Tante Marie, »meen Jott, wat is denn mit dia los? Wa'm hasten dia so vakleidet?«

»Ick hab ma nich vakleidet, ick jeh jetz imma so«, sagte Onkel Karl, »det is die eenzije richtje Art, wenn man die Jeschichte ernsthaft betreiben will!«

»Na, lachen dia denn die annern nich aus?« fragte Frau Lemke kopfschüttelnd, die Erscheinung mit dem breitrandigen ungeheuren Strohhut und den hohen Schaftstiefeln betrachtend.

»Lachen – et soll ma' eener lachen, denn lynch ick ihn«, sagte Onkel Karl, knöpfte die Nankingjacke auf und holte eine an einem Ledergürtel hängende Pistole vor.

»Tu det vadammte Ding wech, det Kind jrault sich vor – sehste, nu schreit's«, sagte Frau Lemke ärgerlich und suchte die kleine Liese zu beruhigen.

»Ick will eich doch bloß ma' die Konschtruktion aklären«, sagte Onkel Karl, »kiekt ma', wenn ick den Hahn spanne und anleje ...!«

»Wech – biste varickt, willst woll 'n Unjlick anrichten, alle Tare steht's in de Zeitung! Ick hol 'n Schutzmann, wennstet nich jleich wechsteckst!«

»Na denn nich", sagte Onkel Karl, höchst befriedigt über den Erfolg seines Auftretens, und spuckte wieder, kunstfertig wie ein Singhalese, in die Ofenecke. »Ick hätte janich jedacht, det ihr eich jleich so inschichtern laßt. Nu jib ma mal 'n kleenen Whisky!" »So wat habn wa nich«, sagte Herr Lemke, »'n Korn kannste kriejen, wennste den meenst.«

»Whisky meen ick, aba meenswejen, ick bin ooch mit'n Korn zufrieden!« Und dann setzte er sich und steckte die Pistole in den Stiefelschaft, daß er sie jederzeit zur Hand hatte.

»Onkel Karrel, nimm's mia nich ibel«, sagte Frau Lemke, das noch immer wimmernde Lieschen hin und her wiegend, »wia leben doch hia nich bei die Wilden, det du so rumrennst. Der Schangdarm wird dia uffschreiben, wenn er dia so sieht!«

»Denn lynch ick ihn«, sagte Onkel Karl.

»Det hat dia ja bloß noch jefehlt, der Betrieb da draußen uff die Felda«, sagte Tante Marie, »nu wirste janz vawildern und dia nich mehr waschen und nich mehr kämmen!«

»Ick? Int Jejenteel! Wenn ick uff meene Farm bin, hab ick so jut wie janischt an. Wenn't denn rejnet, jeht allens runta – ick seh jetz an'n janzen Körpa wie poliert aus!«

»Bloß de Hände nich«, sagte Tante Marie, »sonne Klauen habn ja nich mal die Schornsteenfejer!«

Onkel Karl betrachtete sich seine Finger. »Ja – wenn man den janzen Tach in de Erde buddelt! Und ick hat se mia ja ooch noch abjescheiert, aba denn fiel ma in, det ick eich doch wat mitbringen wollte, und da mußte ick noch mal von vorne anfangen!«

Er nickte verheißungsvoll, griff in die Jackentasche und holte ein Bündel Grünzeug hervor. »Da – habta –«, sagte er und warf es nachlässig auf den Tisch.

Alle kamen neugierig näher. Frau Lemke drehte das Bündel hin und her, roch daran und reichte es Tante Marie, die ebenfalls eingehend daran roch. Schließlich zuckte sie die Achseln und tat es wieder auf den Tisch. »Wat soll denn det nu sind?«

»Haste noch keene Radieser jesehen?« fragte Onkel Karl verächtlich.

»Radiesa – Jott, und ick dachte, et sind Fefferkörna, an die wat Jrienet jewachsen is!«

»Na – denn schmeck mal erst«, sagte Onkel Karl.

»Um Jottes willen, Willem, eß det Zeich nich, du kannst dia mit vajiften«, sagte Frau Lemke ängstlich, als ihr Mann eine der kleinen, schwärzlichen Knollen in den Mund stecken wollte.

»Vajiften –«, sagte Onkel Karl gereizt, »ihr habt schon ne Ahnung von de Landwirtschaft, da paßt mal uff!« Und er nahm die Knollen und aß sie samt dem ganzen Grünzeug auf.

»Wie so'n richtja Wilda«, sagte Tante Marie schaudernd, »pfui Deibel – mia könnte eener sonst wat dafor jebn, wenn ick det so essen sollte!«

»Na du ibahaupt, außer deen'n bekleckerten Oljanda kennste ja ibahaupt nischt!«

Frau Lemke suchte ihn wieder vergnügt zu machen: »Und det haste janz allene jezichtigt, Onkel Karrel?«

»Och – noch ville mehr; Jurken und Kürbisse und Bohnen, ibahaupt allet, wat's jibt. Ich kann det ja doch nich allens mitbringen, und et is ja ooch noch nich allet reif, aba ihr mißt eich det mal ansehn kommen – ick lade eich hiermit feierlich in for nächsten Sonntach. Onkel Aujust und seene Frau werd ick ooch noch bestellen, objleich ick ja schon im voraus weeß, det Tante Liese mit ihre Zimpabeene nich kommen wird!«

Tante Marie deutete an, daß sie ebenfalls nicht kommen werde, wenn ihr der Bruder vorher nicht Garantien dafür gäbe, daß er weder nackt umherlaufen werde noch seine Besucher zu Krüppeln schießen wolle.

Onkel Karl verfiel in tiefe Niedergeschlagenheit. »Wat wollt ihr denn da, wenn ick eich nischt zeijen derf! Det Schießen is doch die Hauptsache, ihr sollt mal sehen, wie ick die Krähen aus de Luft hole!«

Also gut, man versprach ihm zu kommen, und er empfahl ihnen für den Fall, daß ihnen sein Essen nicht schmecken sollte, einige Vorräte mitzubringen. »Die Weißbierkruken buddeln wa in de Erde, det se hibsch kiehl bleiben. Und denn, vageßt ja nich Kartoffeln, die sind bei mia noch nich reif, und wa wolln uns doch welche braten!«

»Na, wenn wia det man erst ibastanden hätten«, sagte Tante Marie, als Onkel Karl dann abgezogen war. »Wenn der wo bei is, kommt nie wat Jutes raus, denn jibt's allemal Ärja, oda man rujiniert sich seen jutes Zeich!«

»Laß'n man, wia wollen ihm doch ooch mal ne Freide machen«, sagte Herr Lemke tröstend.


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