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XII

Onkel Karl findet eine spanische Fliege und Tante Marie legt Karten

Nach dem Essen hatte sich Onkel August ein wenig abgesondert, weil er sein Pfeifchen rauchen wollte. Da ihm seine Frau gesagt hatte, daß allen anderen Menschen schon von dem Geruch schlimm werden könnte, verkroch er sich in eine Gegend des Gartens, in der der Tabaksqualm auf jeden Fall zur Verbesserung der Luft beitragen mußte. Seine Weiße hatte er mitgenommen, und nun saß er hier, trank und rauchte und stellte philosophische Betrachtungen über den Wert des Lebens an. Denn da war eine dicke, rauhhaarige Kürbispflanze, die es satt gehabt hatte, noch länger auf dem Erdboden hinzukriechen, die sich deshalb hochgerankt und quer über die Laufrinne der Kegelbahn gelegt hatte. Nach Onkel Augusts Ansicht mußte nun die erste Kugel, die hier hinunterrollte, die schöne Kürbisranke »ratzekahl abschneiden«.

Aber als dann das Kegeln begann, sah er zu seinem Erstaunen, daß die Kugeln den Boden der Laufrinne gar nicht berührten und seine Befürchtungen also ganz überflüssig gewesen waren. Und da überkam ihn die Reue, daß er sich so abgesondert und Onkel Karls Aufforderung, mit den jungen Mädchen durch die Wiesen zu gehen, so grob abgelehnt hatte. Ja, wahrhaftig, Onkel Karl war viel gescheiter, der plagte sich nicht mit Todesgedanken, sondern suchte vom Leben zu erwischen, was zu kriegen war. Das beste wär's wohl, sagte sich Onkel August, er ginge jetzt wieder zu den anderen und kegelte ein bißchen mit.

Unterdessen war Onkel Karl mit seiner Schar am Botanischen Garten vorbei ins Grüne gezogen. Es ergab sich, daß er ganz außerordentliche naturwissenschaftliche Kenntnisse besaß. In einem der Gräben, die die Wiesen durchzogen, hatte er Froschlaich entdeckt, den er nun – unter allgemeiner Spannung – mit seinem Stock zu landen versuchte. Aber der »Quibbel-Quabbel«, wie er den Laich nannte, glitt immer wieder ab, und so mußte sich Onkel Karl, der der Gesellschaft gern einige Experimente vorgemacht, mit der Behauptung begnügen, »det man in Rußland aus so'n Zeuchs echten Kaviar mache«. Zu seiner Freude fand er dann unter einem Stein, im traulichen Verein mit Kellerasseln und Ohrwürmern, eine spanische Fliege, obwohl diese nützlichen Tiere sonst nur im Süden vorkommen und auf Bäumen leben. Er bestand darauf, diesen seltenen Fund nicht für sich zu behalten, sondern schenkte ihn großmütig einem der jungen Mädchen, für den Fall, daß es einmal Zahnschmerzen bekommen sollte. Auch Kiebitze erspähte er, obschon die anderen meinten, daß die Vögel, die da vor ihnen aufflogen, »janz jemeene Krähen« seien. Aber Onkel Karl wußte doch besser Bescheid: »Kiebitze und Krähen jehörten in dieselbichte Klasse und sähen sich sehr ähnlich, weswejen man sie leicht verwechseln könnte«. Um aber den Beweis zu erbringen, daß es Kiebitze seien, schlug er vor, nach den Eiern der Vögel zu suchen, dann würde es sich ja sofort herausstellen, daß er recht habe, und man brauche sich nicht länger zu streiten.

Leider fand man keine Eier, statt dessen, am Fuß der Krüppelweiden, Pilze, von denen Onkel Karl steif und fest behauptete, daß man sie essen könne. Schließlich aber, als man zu viel von diesen Pilzen fand, wurde er doch etwas mißtrauisch. Er untersuchte sie deshalb noch einmal ganz gründlich und gab dann die Parole aus, »die janzen Pilze wieda wechzuschmeißen, villeicht fände man nachher noch annere, die man besser erkennen könne«. Und dann, als habe er sich verbrannt, begann er seine Hände unter den Rockschößen an der Hose abzuscheuern, und alle anderen wischten und scheuerten ebenso eifrig. Dann erfaßte ihn eine Wut gegen die Pilz- und Nesselkolonien, er entfachte auch den Zorn der übrigen, und mit Stöcken und Ästen bewaffnet drang man gegen das Unkraut vor und schlug eine furchtbare Schlacht. Nachher lagerte man sich im Grase unter einem alten Weidenbaum, lauschte auf das »Quoracks« der »Padden und Paddexen«, wie Onkel Karl die Frösche nannte, versuchte in die rotglühende, untergehende Sonne zu blicken, und dann begann man, in der Abendstille, zweistimmig zu singen. Onkel Karl hatte angefangen:

»Wenn ick am Fenster steh
Und schlach ne Scheib' inzwee,
Denn setzt et Keile
ne janze Weile.
Und wenn ick's noch mal tu,
Krieje ick noch mehr dazu,
Da mach ick mir nischt draus
Und schlach noch eene aus!«

Aber dieses Lied fand nicht den rechten Beifall, die jungen Damen wollten etwas recht Gefühlvolles singen, und so stimmte man alte Volkslieder an vom Scheiden und Meiden, bis eins der Mädchen erschrocken aufsprang, weil es sich Grasflecke in das weiße Kleid gemacht hatte.

Onkel Karl sagte, man solle die spanische Fliege auflegen, die die Grasflecke schon ausziehen werde, aber die Besitzerin hatte das kostbare Insekt heimlich fortgeworfen, weil sie sich davor gegrault hatte.

»Denn is nischt zu machen, als det janze Kleid jrien zu färben«, erklärte Onkel Karl resigniert, »schmeißen Se sich also int Jras, wa wollen Se hin und her trudeln.«

»Hören Se doch uff mit Ihre faulen Kalauers«, sagte die junge Dame, »Sie sollten man weeße Hosen anhaben und sich wat rinjemacht haben!«

»Uff det Jebiet will ick ma lieberst nich bejeben«, sagte Onkel Karl. »Ick hab mia ja jedacht, det eener von uns noch eklich werden würde, et wär ja sonst zu schön jewesen. Nu wollen wa man jehen!«

Und dann zog er allen voran und sang für sich allein das traurige Lied:

»Et schwimmt eene Leiche in'n Landwehrkanal,
Lang se mir mal her,
Aber knautsch se nich so sehr!«

Da das für eine Anspielung gehalten wurde, verscherzte er sich trotz seiner Verdienste auch die Sympathien der anderen, und man zog im Geschwindschritt an ihm vorüber und ließ ihn einsam nachkommen – – –.

Während dieser Zeit hatte Tante Marie, die sich von dem Täufling nicht trennen konnte, der alten Frau Lemke ihre Ansicht über die »selje Lemken« gesagt. Sie stimmten übrigens vollkommen darin überein: »Et is wat dran, und wer darieber lacht, der vasteht et nich besser und kann eenen bloß leid tun!«

Und dann hatte Frau Lemke von ihrem Wilhelm erzählt aus der Zeit, da er noch ganz klein gewesen war, und Tante Marie hatte das Gegenstück geliefert und Anekdoten aus Annas Jugendzeit zum besten gegeben. Eine seltsame Harmonie hatte sich zwischen beiden Frauen entwickelt, und Frau Lemke bedauerte es nur, daß sich Tante Marie so von der anderen Gesellschaft absonderte. Aber die ließ es sich nicht ausreden: »Nee, nee, ick bleibe hia, nehmen Se't ma nich ibel, aba ick hab dafür ooch 'n Riecher. Die paßt da wat nich an uns, villeicht sind wa sie nich fein jenuch. Und ick drängle mia nich jerne uff!«

Schließlich erreichte sie es, gerade durch diese Reserviertheit, daß die anderen Damen, denen Frau Lemke fortwährend von Tante Maries vortrefflichen Eigenschaften Bericht erstattete, ihre Neugierde nicht länger bezwingen konnten und – unter dem Vorgeben, sich das Kind ansehen zu wollen – zu ihr kamen. Und von den Kinderkrankheiten, mit denen das Gespräch angefangen, glitt die Unterhaltung allmählich auf das Thema »Vererbung« und von da auf Lemkes sel. Witwe und schließlich aufs Kartenlegen.

Was man dunkel geahnt, ging in Erfüllung: Tante Marie gestand – wenn auch ein wenig schämig –, daß sie es verstehe, die Zukunft aus den Karten zu prophezeien. Das gab Anlaß, vor allen Dingen noch einmal frischen Kaffee zu kochen, dann kam ein Spiel Karten zum Vorschein, und die Wahrsagerei begann.

Man war noch immer dabei, als die Vorläufer von Onkel Karls Expedition eintrafen. Zur Freude der grasfleckigen jungen Dame wurde das Unglück nicht so tragisch genommen, zumal Tante Marie auch ein gutes Mittel wußte, wie man »sonne Flecke, ohne den Stoff zu rujinieren, wieder rauskriejen könnte«. Onkel Karl freilich wurde der allgemeinen Verachtung preisgegeben, doch machte er sich offenbar gar nichts daraus. Im Gegenteil, er gesellte sich zu dem »Herrn Gärtnereibesitzer«, wie er ihn anfänglich titulierte, und zwang den schweigsamen Mann, seine Ansichten darüber zu bekennen, ob man nicht aus den Knospen der Gänseblümchen Kapern mache. Aus dem »Herrn Gärtnereibesitzer« wurde aber sehr bald ein »Menschenskind«, als dieser Meinung widersprochen wurde und der Gärtner auch bestritt, daß die Pflanze, die Onkel Karl noch zuletzt gefunden hatte und ihm triumphierend vorwies, Waldmeister sei und zur Bereitung einer Bowle benutzt werden könne.

»Und so wat will Järtner sind«, sagte Onkel Karl nachher zu Onkel August, »so'n Dussel is mia schon lange nich vorjekommen. Und wat hast du die janze Zeit iber jemacht, Aujust?«

»Jekejelt, aba nu wollen wia Schkat spielen!«

»Jibt's denn hia janischt mehr zu essen und zu trinken?« erkundigte sich Onkel Karl. »In mein janzet Leben ha'ck noch nich sonne vaquatschte Toofe mitjemacht. Det hockt hia allet in Klicken zusammen, und wo Willem und Anna sich vakraucht haben, weeß ibahaupt keen Deibel!«

»Doch, bei den Ollen. Man muß et det Meechen lassen, uff'n Kopp jefallen is se nich. Se hat so lange jemacht, bis se den ollen Lemke von de Kejelbahn runta in die Stube rin hatte. Und da sitzen se nu und rechnen, und Anna beweist ihm in eene Tour, det er mit die Moneten rausrücken muß!«

»Die kricht et ooch sicha fertich, den Ollen zu betimpeln«, sagte Onkel Karl, »wär ick man lieba hiajeblieben und hätte mia ooch an den Ollen ranjemacht. Aba nee, da muß ick mit diese Affenbande uff de Wiesen jehen, und wat ha' ick nu davon – nischt wie Ärjer!«

»Bloß de olle Lemken – Karrel«, sagte Onkel August, »haste det ooch jemorken, die is nich an Anna ranzukriejen! Se tun zwar alle beede, als wenn se een Herz und eene Seele und sonst wat mitenander wärn, aba det is man bloß sonne Mache, denn se können sich jejenseitich nich riechen!«

»Aujust«, sagte Karl feierlich, »tu ma den eenzijen Jefallen und laß det Bemorken sind, du vastehst dir nich dadruff, denn wat du da sachst, is Blech. Und nu schlach ick dia vor, wa jehen jetz an den Buffet, kloppen mit'n Stock uff und valangen jejen Bezahlung wat zu essen. Du kannst for mia auslejen!«

»Ick werde ma hiten«, sagte Onkel August, »wo du mir eben so beleidicht hast!«

»Du bist empfindlich wie'n abjezorener Aal«, sagte Onkel Karl.


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