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II

Die Geburtstagsfeier

Die Gesellschaft hatte sich um den großen, weißgedeckten Tisch in einer Ecke der Kolonnade vereinigt. Vor Tante Marie, dem Geburtstagskinde, stand – in einem Bierseidel – ein pyramidenförmig fest zusammengedrehter Blumenstrauß, und vor Herrn Krause – der ein Liebhaber von Backwerk war – prangten die beiden riesigen Napfkuchen.

»Nu essen Se doch so ville so'n Zeich«, sagte Onkel August, der Fischermeister, der mit Tante Liese, seiner Frau, ebenfalls erschienen war, »so ville Kuchen essen Se und – und – und Torten, aba es schlacht bei Sie nich an, int Jejenteel, Se kommen mia eejentlich noch magererrer vor wie frieha!«

»Aujust«, sagte Onkel Karl, »wa'm stotterste denn heite so? Et heeßt doch bloß janz eenfach mager und nich magererrer! Det kann ja keen Schwein nich aussprechen, da brecht man sich ja hinten det Zöppken ab. Und denn haste ooch dreimal hintananda ›und‹ jesacht, du machst dia ja bloß ßu ville Umstände!«

»Det jeht dia janischt an«, sagte Onkel August, »paß du man uff dia uff!«

»Det meene ick ooch«, sagte Herr Lemke mißbilligend, »Karrel, ick bitte dia, vaderb heite mal keen die Freide!«

»Willem –«, sagte Onkel Karl und sah Herrn Lemke treuherzig an, »seh ma', det von Onkel Aujusts Sprechweise wollte ick bloß so nebenbei bemorken haben, eejentlich wollt ick ja janz wat anneres saren!«

»Na watten?« sagte Frau Lemke, die mit Edwin und Lieschen beschäftigt gewesen war und jetzt erst wieder zuhören konnte. »Wat wollste denn saren, Onkel Karrel, oda is et wat Unanständjes?«

»Nanu, so eener bin ick doch nich«, sagte Onkel Karl gekränkt, »ick weeß doch, det hia Kinda an'n Tisch sitzen, und denn is ja ooch Tante Liese da, die wieda ohnmechtich werden könnte.«

»Na, denn sach's doch«, forderte Herr Lemke auf.

»Ick meene bloß«, sagte Onkel Karl bedächtig, »det is so die Konschtituzion bei manche Menschen. Seht ma', wie't bei de Hunde Windspiele und Bulldoggen jibt, so bei die Menschen dicke und dinne. Een Windspiel kann so ville fressen, wie't will, et wird niemals nich ne Bulldogge werden, und eene Bulldogge kann sich noch so lange uffs Abmagern lejen, et wird keen Windspiel werden – in ihr janzet Leben nich!«

»Da hat er recht«, sagte Herr Krause, »das sind eben die sogenannten Rassenunterschiede.«

»Janz richtich«, sagte Onkel Karl, »Sie, Ha Krause, sind een Windspiel und Onkel Aujust is een Bulldogg!«

»Ich möchte doch sehr jebeten haben«, sagte Tante Liese, »solche Vergleiche mit meinem Mann nicht zu machen!«

»Ick finde det ooch nich scheen von dir, Karrel«, sagte nun auch Tante Marie, »meen Mann is keen Windspiel!«

»Ick meente ja man ooch bloß«, entschuldigte sich Onkel Karl.

Tante Liese, zartfühlend wie immer, half über die Verstimmung fort: »Werden denn die lieben Großeltern nicht auch kommen?« erkundigte sie sich angelegentlich. »Wie nett war das damals an Silvester, wo wir alle zusammen waren und Blei gegossen haben!«

»Ja, aba dunnemals fing't mit Muttan wieda an«, sagte Herr Lemke niedergeschlagen, »se hatte sich doch schonst so scheen aholt mit die Krankheet, aba wie se denn den Abend nach Hause jefahren is, hat se sich uffs neie akeltet. Seitdem is janischt mehr mit sie los!«

»Na – mia ahnte jleich wat, als se sich den Totenkranz jejossen hatte«, sagte Tante Marie und nickte traurig vor sich hin. »Det du imma wieda mit den ollen Quatsch anfängst«, sagte Onkel Karl mißbilligend, »ick weeß noch janz jenau, du hast dia dunnemals 'n Storch jejossen, aba bis heite hat er bei dich noch nich jeklappert – also is doch det janze Zukunftsjekieke Mumpitz!«

»Wir sind auch recht froh – wir wollen gar keine Kinder haben – Kinder machen nur Sorgen«, sagte Herr Krause.

»So – na ja!« meinte Onkel Karl mit verächtlichem Blick auf Tante Maries Gatten. »In die Tierwelt jibt's ja ooch sonne merkwirdjen Exemplare, die keene Jungen haben wollen. Beispielsweise die Katers, die fressen ihren Nachwuchs mit Schwanz und Pelle jleich wieda uff, und et is'n Wunda, det's ibahaupt noch Katzen in die Naturjeschichte jibt. Et aklärt sich det villeicht dadurch, det det Muttatier die kleenen Katzen in Sichaheet jebracht hat, woraus sich ajibt, det sie – wat der weibliche Teel is – janz jerne wat Junget haben mechten – wahr, Tante Marie?«

Da es schien, als sei Onkel Karl in etwas gar zu streitlustige Stimmmung geraten, machte man den Versuch, ihn von dem Thema abzubringen. »Eß und trink feste, Karrel«, sagte Frau Lemke und schob ihm den Kuchen zu, »du redst heite so ville, det is nich jut for deen'n Hals!«

»Bloß noch det eene will ick bemorken«, sagte er, »ick frare eich alle: Wo bleebt sonne Mutta mit ihre Jefiehle, wenn se keene Kinda nich hat?«

»Denn is's doch keene Mutta nich«, sagte Onkel August.

»Mensch – Aujust –«, sagte Onkel Karl mitleidig, »dia wär't ooch bessa, du wärst nie jeboren worden! Ick frare also uffs neie: Wo bleebt sonne Mutta mit ihre Jefiehle?«

Und als alle betreten schwiegen, beantwortete er selbst die Frage in feierlichem, ernstem Ton: »Wer det mal mit anjesehen hat, wie so'n armet Wesen in seene ibaströmende Zärtlichkeet eenen Laubfrosch adoptiert hat oda 'n Karnickel oda 'n Mops – na, ick sare bloß, den konnten sich de Jedärme in'n Leib umdrehen. Et is vorjekommen, det sonne arme Tierstiefmutta for ihre unnatierlichen Kinda Jäckchen und Höschen und Mitzchen jestrickt und ihnen anjezoren hat. Und eenmal sah ick, wie so'n Laubfrosch, den sie 'n roten Wollfaden als Halstuch umjebunden hatten, aus Vazweiflung, weil det Rote an det Jrine sich abfärbte, eenen rejelrechten Ahängungsvasuch an seene Leita machte!«

»Hör uff, Karrel«, sagte Herr Lemke, »du machst ja alle melangklöterich mit deene traurijen Jeschichten.«

»Ja – uffhören«, riefen auch die anderen, »det sind doch keene Jeburtstachsjespräche nich!«

»Also – die lieben Großeltern werden nicht erscheinen?« nahm Tante Liese den Faden wieder auf.

»Jroßvata wird woll noch kommen«, sagte Frau Lemke.

»Wenn er nich schon da is«, bemerkte Onkel Karl mit einer Kopfbewegung nach dem Garteneingang, wo der alte Herr eben auftauchte.

Edwin und Lieschen stürmten ihm entgegen und klammerten sich an ihn. »Wollt ihr woll!« rief Frau Lemke drohend, als sie sah, wie Großvater nun nicht weiterkonnte. »Willem – sehste denn nich«, wandte sie sich an ihren Mann, »se vaheddern ihn ja die Beene, jeh ma' hin und mach sie von ihn los!«

Aber schon hatte der rüstige Alte das kleine Mädchen auf den Arm genommen und kam nun, herzlich lachend, näher. »Sonne Krabben«, sagte er, und sein frisches Gesicht, daß durch die Anstrengung noch röter geworden war, strahlte vor Vergnügen. »Na, da sind wa ja jlicklich anjelangt, ick bin det janze Sticke von za Hause bis hierher jeloofen. Und bei die Hitze heite – –«, er fuhr sich mit dem großen, buntbedruckten Taschentuch über die nasse Stirn und glättete mit der Hand das weiße, dichte Haar. »Kinners, laßt ma sitzen, sonst fall ick um.«

Und behaglich aufstöhnend sank er auf den Stuhl, den ihm sein Sohn hingeschoben hatte, blickte nun der Reihe nach jeden einzelnen der Gesellschaft an und nickte dem und jenem noch besonders zu. »Und Jroßmutta?« fragte Frau Lemke. »Wollt se nich ooch 'n bißken mit?«

»Ick soll alle recht scheen von sie jrießen, aba se kann nich – die Beene sind wieda mal janz schwach.«

Onkel Karl, der den Alten mit liebevollen Gönneraugen betrachtete, zog die Stirn kraus und sagte sanft tadelnd: »Sehn Se mal, Jroßvata, nu sind Se doch so'n netta, olla Knopp jeworden, und man sieht et ja, det Sie schwer reich sind – Hausbesitzer und Rentjeh, keen Mensch merkt Sie den Budiker an –, nu frare ick eenen Menschen, wa'm schaffen Se sich nich endlich mal sonne Jummieklipasche an, denn brauchte Ihre Jattin doch bloß rinzusteijen, und Se könnten sie doch ibaall mitschleefen!«

»Denn braucht ick ma doch bloß ne Droschke ßu nehmen«, sagte der alte Lemke, »aba et is nich mehr ßu machen, man kann Jroßmuttan nich mehr heben. Aba nu von wat anneres, nu werd ick mal erst det Jeburtstachskind bejlickwinschen.« Er nahm eine hübsche goldene Uhr aus einem Pappschächtelchen und reichte sie Tante Marie: »Da, liebe Frau Krausen – 'n kleenet Jeschenk, weil Se dunnemals meene Olle so jut jeflecht hab'n.«

»Det kann ick nich annehmen«, sagte Tante Marie, blaß und rot, und streckte abwehrend die Hände aus.

»Du bist ja varickt«, sagte Onkel Karl, »wa'm kannste det nich annehmen, det is ne jute Schweizer Uhr, wennste die vakoofst, kriste mindestens zehn Tala for!«

Als er aber nach der Uhr greifen wollte, faßte Tante Marie schnell zu.

»Na sehste«, sagte Onkel Karl, »nu kannste jleich zuschnappen, wa'm ziersten dia erst so!«

Herr Krause sprach in gewählten Worten dem alten Lemke seinen tiefgefühlten Dank – auch gleich im Namen seiner Ehehälfte – aus.

»Is ja jut – man bloß nich so ville Uffhebens«, lehnte Großvater ab. Alle freuten sich, nur Tante Liese sah sauer drein. »Sehr scheen«, sagte sie dann, »nur ein bißchen zu kostbar für Marie.«

Frau Lemke, die nach der Küche gegangen war, brachte jetzt eine riesige Kanne mit frischem Kaffee und schenkte – um den Tisch gehend – die Tassen voll. »So, nu setzen wia uns man wieda alle und machen wia's uns jemietlich –«, forderte sie auf.

Und es wurde auch recht gemütlich, selbst das kleine Intermezzo, das dann entstand, als Edwin das Gedicht aufsagte und steckenblieb, vermochte die Harmonie nicht zu stören. Nur Onkel Karl kam am Abend noch einmal auf diesen Punkt zurück und äußerte, daß – seiner Meinung nach – der kleine Edwin einen »Boulljongkopp« habe.


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