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XVIII

Große Keilerei

»Als wenn se'n Sarch raustraren«, sagte Anna, als einige Tage später zwei junge Athleten unter Onkel Augusts Kommando das Klavier die Kellertreppe hinauf auf einen Wagen schafften. »Meen Jott, mia wird janz komisch, ick kann et janich mit ansehn!«

Es war ihr, als wenn mit dem Instrument zugleich auch die Kunst, die Feinheit des Lebens, die Bildung fortgeschleppt würde – alles das, was dem menschlichen Dasein Anmut und Schönheit geben konnte, kurz – was Herr Hahn in der »unterirdischen Tante« verbreitet hatte. Als das Klavier abgerückt worden war, hatte Anna noch einen Hemdenknopf von ihm auf der Diele gefunden und ihn, ohne daß es die anderen gesehen, in die Tasche gesteckt als Andenken an diese Periode ihres Lebens, in der ungeahnte Empfindungen ihre Seele durchzogen hatten.

»Und wenn wa wenichstens det Jeld for det Klavier schon hätten, aba ick weeß, det wird sich hinzoddeln und hinzoddeln, und wa werden nich eenen Dreia for besehen.«

Auch in der Nachbarschaft erregte die Wegschaffung des Klaviers großes Aufsehen. »Da hat's woll wat jejeben?« erkundigte man sich, und die Portiersfrau wußte Bescheid: »Aba wat Eklijes«, sagte sie, »den eenen Abend is 'n Skandal jewesen, det man's durch alle Decken durch jehört hat. Denn floch plötzlich der Klavierspiela – wissen Se, der Pomadenhengst, der nie zuerst jrießen konnte –, der floch mit eenen Satz die Kellatreppe ruff uff de Straße und seene Pomadentöppe hintaher!«

Ja, die Portiersfrau kannte die Ehetragödie, die sich da abgespielt, in allen Einzelheiten. »Der Mann, der Ha Lemke, wissen Se, wollte sich zuerst von die Frau scheiden lassen, aba wejen den kleenen Edwin hat er't denn doch nich jetan. Der Mann is eben ne Nulpe, aba die Frau, det is ne janz jewitzte!«

In der Ackerstraße wußte man bald die merkwürdigsten Geschichten von dem Leben und Treiben in der »unterirdischen Tante« zu erzählen. Schließlich konnte es weder Anna noch Wilhelm, noch Tante Marie verborgen bleiben, was man da von ihnen sprach.

»Sonne Karnalljen«, sagte Wilhelm bedrückt.

»Ick hab's ma jleich jedacht«, sagte Anna – sie war rot vor Ärger geworden, »aba warte man, ick weeß ja ooch, von wen det allens ausjeht, der werd ick det Maul aba janz jehörich stoppen!«

»Die Portjehfrau is's«, sagte Tante Marie, »sehste, det is der Dank dafor, dette ihr die scheene Samtmantillje geschenkt hast, Anna. Da hat se dia erst nach alle Seiten hin madichjemacht, und nu vaklatscht se dir noch in diese niedatrechtje Weise!«

»Ick soll ihr man awischen«, sagte Anna.

»Du wirst nischt machen«, fuhr sie Wilhelm an, »det iberläßte mia, vastehste! In dein'n Zustand, det wär so wat, dette dia for deen janzet Leben unjlicklich machst!«

Er hatte etwas in seinem Ton, daß Anna diesmal nicht zu widersprechen wagte. Und ihre Wut wich plötzlich einer gräßlichen Niedergeschlagenheit und Traurigkeit, die sich in Tränen zu erleichtern suchte.

»Hör bloß uff«, sagte Wilhelm, »det allens hätten wa janich nötich jehabt, wennste dia nich so varickt hinta den Stiesel jezeicht hättest!«

»Willem, Willem, nimm Rücksicht uff ihr«, bat Tante Marie händeringend. »Ick hab so schlecht jetreimt die janzen Nächte, hab wieda die Selje jesehen und Spinnen und andret Unjeziefa ...!«

»Fang du ooch noch an«, schrie Wilhelm, »der Deibel soll den janzen Klamauk hia holen, ick hab's satt ...!« Und er nahm einen Stuhl und schlug damit auf die Erde, daß das Bein abbrach!

Draußen vor den Fenstern standen die Portiersfrau und Frau Kufahl: »Hören Se't, da jeht's wieda los – der Mann is tobsichtich jeworden. Jetrunken hat er ja schon lange – reenen Sprit – imma direkt aus de Pulle raus, wie Wassa!«

Aber dann fuhren sie beide mit lautem Aufkreischen auseinander und stürzten in den Hausflur. Wilhelm hatte plötzlich die Kellertür aufgerissen, lief wie ein Rasender hinter den Frauen her und schrie dabei: »Wat reden Se hia – bleiben Se stehen – halten Se stand, sonst kriejen Se eens ins Jenick!«

Krachend flog die Haustür ins Schloß – einen Augenblick wurde es still – dann gellte ein Schrei über den Hof: »Anton – zu Hilfe – zu Hilfe, Anton, er mordet mia!«

Und dann sahen die entsetzten Hausbewohner den Portier – bewaffnet mit einem Ausklopfer – über den Hof laufen und im Hausflur verschwinden. Dort schien eine regelrechte Schlacht geschlagen zu werden, das Kampfgeschrei erfüllte die Luft, die kämpfenden Parteien erschienen ab und zu auf dem Hofe, und dann erblickte man Frau Kufahl mit dünnem, aufgelöstem Haar, die Portiersfrau mit aufgeplatzter Taille, ihren Mann mit blutiger Nase, und Wilhelm, der jetzt im Besitze des Ausklopfers war und damit um sich schlug, als wenn er Teppich klopfte.

Auf der Straße hatte sich eine Ansammlung Neugieriger gebildet, die sehnlichst hofften, daß sich das Ende der Schlacht draußen vor der Haustür abspielen würde. Als es aber zu lange dauerte, lief jemand zu dem Schutzmannsposten an der Ecke und meldete: »Sie – Ha Wachtmeester – da is jroße Keilerei – kommen Se schnell hin, sonst jibt et Mord und Totschlach!«

Der Beamte wollte zuerst seinen Posten nicht verlassen, als er aber den Auflauf sah, ging er doch mit.

»Achtung, 'n Blaua kommt!« schrie jemand in den Hausflur. Und dieser Ruf wirkte. Der Portier und seine Frau verschwanden, auch Frau Kufahl war nicht mehr zu sehen, nur Wilhelm – zerkratzt und zerbeult – stand, den Ausklopfer in der Hand, noch da und versuchte die abgerissenen Hosenträger anzuknöpfen.

»Mia haben se ibafallen – mit det Ding hia«, sagte er, auf den Ausklopfer weisend.

»Auseinanderjehn – vowatz – nich stehnbleib'n«, sagte der Beamte und drang wie ein Keil in die Menge ein.

»Pollype – Pollype!« schrie ein halbwüchsiger Bursche, der sich so aufgestellt hatte, daß er jeden Augenblick um die Ecke verschwinden konnte, und jetzt so tat, als habe er mit diesem Rufe nur einen vorüberfliegenden Sperling gemeint.

Als der Schutzmann nun aber den Hausflur betrat und die Menge hinter ihm herdrängte, machte er plötzlich kehrt. Unwillkürlich wich man zurück, und langsam, Schritt für Schritt, ging man weiter rückwärts, staute sich aber vor dem Eingang auf der Straße wie eine Mauer und machte lange Hälse.

Zum allgemeinen Ärger schloß der Beamte jedoch das Haustor, man war also an der Weiterentwicklung der Dinge ausgesperrt, und wenn auch hin und wieder ein Verwegener das Schloß aufklinkte und die Tür aufstieß, so flog sie in der nächsten Sekunde krachend wieder zu. Und dann plötzlich stob alles wild auseinander, der Schutzmann erschien auf der Straße, aber nicht, wie man erwartet und prophezeit hatte, »mit Lemke an'n Kanthaken«, sondern allein, sein blaues Notizbuch einsteckend und mit Blicken, als spähe er nach neuen Opfern aus.

»Blauet Abführmittel«, schrie der Junge an der Ecke und verschwand.

»Jehn Se auseinander, meine Herrschaften, sonst muß ich Sie uffschreiben«, sagte der Beamte, »is ja hia nischt mehr zu sehen, wat versäumen Se die Zeit!« Und dann ging er – als wollte er sie zertreten – auf zwei kleine Jungen los, die sich ahnungslos in seine Nähe begeben hatten und nun erschreckt und heulend davonliefen.

Ja, die Enttäuschung war groß, der Hausflur war leer, das sah man bei der Nachrevision, als der Schutzmann davongegangen war und man nun doch in den Hausflur drang.

»Hia liecht noch 'n Sticke Hosenträja!«

»Und hia sind Blutstroppen«, meldete einer triumphierend, als komme er einem schweren Verbrechen auf die Spur.

»Det hat mechtje Senge jejeben!«

»Dunnawettsteen nich noch mal, war det ne Keilerei«, sagte ein anderer anerkennend, »aba dreie jejen eenen!«

»Na – der Lemke mit seine Bullenkräfte, der nimmt's mit'n janzet Schock uff!«

Der Kellereingang zur »unterirdischen Tante« war dicht umlagert: irgend etwas mußte doch noch kommen, so konnte doch das große Ereignis nicht im Sande verlaufen!

»Passen Se uff, det jibt noch'n jerichtlichet Nachspiel, da nehm ick Jift druff!«

»Schade, ick hätte ma ooch jerne die Zeijenjebührn vadient, ick hab jesehn, det er 'n Auskloppa in die Hand jehabt hat!«

»Heben Se sich man det Sticke Hosenträja uff, det is 'n Korpusdelikti!«

»Weeß ick doch alleene, heben Se sich man die Blutstroppen uff! Will ma hia for dumm halten und saren, wat'n Korpusdelikti is – so'n Dussel! Ziehn Se man Leine!«

Ja – es war gut, daß der andere abging, sonst wäre es bei der kampflustigen Stimmung zu einer neuen Schlägerei gekommen.

In der »unterirdischen Tante« ging es inzwischen nicht weniger aufgeregt zu als auf der Straße.

»Mit Essich, Willem, mit Essich«, jammerte Tante Marie, »sonst jibt det ne Blutvajiftung. Wat denkste denn, wat die unter die Finganäjel ßu sitzen haben!«

Aber Anna fuhr dazwischen: »Du bleibst so, wie de bist, Willem, du jehst jetz jleich uff de Wache, wie dir't der Schutzmann jesacht hat, und machst Anzeije, hia muß wat Jesetzlichet jeschehen, sonst jeht det so Tach for Tach weiter, se haun uns de Fenstascheiben in oda machen sonst wat!«

Und dann holte sie Wilhelms Mütze: »Hia, setz dia uff, die draußen brauchen's ja nich so zu sehen, wie dia die Karnalljen zakratzt haben!«

»Sonne vadammte Packasche«, wimmerte Tante Marie, »die schlaren uns hia noch dot, die muß raus aus't Haus, so wat derf doch hia nich wohnen mit die anständ'jen Mieters zusammen!«

»Laß man, Tante«, sagte Anna, »wir werden's sie jrindlich besorjen. Und nu halte dia nich länga uff, Willem, nu jehste nach de Wache und zeichst die Bande an. Den Auskloppa nimmste mit, pack ihn aberst in'n Sticke Papia!«


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