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VI

Das Lotterielos

Eines Morgens aber – ein paar Wochen später – sagte die junge Frau Lemke, nachdem sie sich die Haare gekämmt und die ausgerissenen nachdenklich um den Finger gewickelt und dann ins Ofenloch gesteckt hatte: »Willem – hältstet für möchlich – nu jloob ick ooch an ihr!«

»Woso?« fragte er verdutzt.

»An ihr – an die Jeschpensterjroßmutta!«

»Achjottachjottachjott – jeht det wieda los?!«

»Ja – heit nacht is se ma aschien, aba bloß in'n Traum. Ick finde, se sieht janz nett aus, int Jesichte wie so'n oller vaschrumpelta Appel, und denn hatte se sich 'n weeßet Schnupptuch so mit die vier Zippel über ihrn kahlen Kopp jeknippt, und denn zeichte se ma imma wat, wenn ick bloß wißte, wat det war!«

»Na, wie sah't denn aus?«

»Det is's ja eben, dadrieber denk ick ja immafort schon nach – et entschwindet ma bloß imma wieda!«

»Villeicht 'n Jebetbuch?« riet Wilhelm.

»Nee – det hätt ick doch akannt.«

»Oda ne Schparbichse?«

»Nee, die hätt ick doch erst recht akannt!«

»Villeicht wat wejen dein Zustand?«

»Quatsch, als ob ick da nich alleene Bescheed wüßte!«

»Na, denn weeß ick's nich«, sagte Wilhelm entmutigt.

»Hat doch ooch keen Mensch von dia valangt – wenn ick's nich mal weeß, wer soll't denn dann wissen!« Als aber nachher Tante Marie von dem Traum hörte, sagte sie mit seltsamer Bestimmtheit: »Ick weeß, wat's war – 'n Lotterielos war't – ja!«

»Det könnte schon stimmen«, meinte die junge Frau Lemke sinnend, »aba wat ha' ick denn nu davon?«

»Hättste dia bloß die Numma jemorken, da paßt man doch 'n bißken uff! Weeste nich wenichstens eene Zahl – war ne Sieben bei?«

Anna zuckte die Achseln: »Jetzt könnt ick die Olle backfeifen – imma, wenn ick jenaua zukieken wollte, hielt se't ins Dustere!«

»Nu will ick dia mal wat saren«, entschied Tante Marie, »paß jenau uff: Also, du pumpst dia von mia jetz 'n paar Dala – vastehste – denn wenn man jewinnen will, muß man sich det Jeld für det Los jepumpt ham – und denn schickste irgend 'n Dussel – und et muß eena sind, der aba wirklich 'n richtja Dussel is – den schickste und läßt dia 'n Los koofen!«

»Also jut – abjemacht – Willem, zieh dia an, und du, Tante, pump ma wat!«

»Nee, nee –«, sagte der Portier, der während der Unterhaltung in die Schankstube gekommen war – »so eenfach is die Kiste ja nich, sonst wär ick doch heite schon Milljonär! Mit det Ibertimpeln is det nischt. Et muß wirklich eener kommen und saren, er könnte seen Los nich mehr weitaspieln, ob man't ihn nich abkoofen wollte! Und det muß man denn tun und nachher det Los ordentlich zaknautschen und irjendwo in'ne olle Kommode schmeißen und denn janz und jar druff vajessen – denn jewinnt man, denn wird's det Jroße Los!«

»Wa'm machen Se det nich – denn wär'n Se doch feine raus!« sagte die junge Frau Lemke.

Der Portier zuckte die Achseln: »Wissen Se, ick spiel nu schon iber zehn Jahre, aber det Unjlick is, ick kann nich druff vajessen! Eenmal, als ick schon nich mehr dran dachte, bin ick jleich mit 'n Einsatz rausjekommen!«

»Na, können Se denn nich 'n bißken in Not jeraten, denn koofen wir Ihn'n det Los ab« ermunterte Anna. »Und wenn't denn jewinnt?«

»Denn woll'n Se de Hälfte abhab'n – wat?«

»Ick wird's nua koofen, wenn't in die Mitte zwee Sieben hätte!« sagte Tante Marie.

»Ooch jleich zwee – Sie wolln 'n bißken ville fort Jeld – nee, ick behalt meen Los selba – so blau!«

»Also – Tante, denn machen wia det Jeschäft. Bloß ick hab's anders jehört – ne Sieben kann ja bei sind, ooch zwee, aba wenn man die Zahlen von die Numma ßusammenzehlt und die Hälfte von nimmt, muß et jrade uffjehen!«

»Det kann ja ooch sind, ick will ma deswejen nich mit dia streiten – is man bloß, wo kriejen wa jetz son'n Los her?«

»Ja – det is's!«

»Na – denn winsch ick ville Jlick«, sagte der Portier, »Sie werden die Sache schon deichseln, da is ma janich bange vor. – Sie haben Schwein, det merkt man!«

Ein paar Tage vergingen – man sprach schon nicht mehr von dem Los – als eines Abends ein Händler mit seinem Warenkasten in die ›unterirdische Tante‹ kam, um seinen Kram bei den Gästen zu verkaufen. Aber er hatte wenig Glück, man besah sich wohl die Herrlichkeiten, kaufte aber nichts, und der alte Mann, der müde und hungrig aussah, wollte gerade wieder die Treppe hinauf, als ihn die junge Frau Lemke anrief.

»Hia – kommen Se her – haben S'n Korn – kost nischt!« Und Anna griff nach einer der großen, geschweiften Flaschen und füllte den Schnaps ins Glas.

Der Alte kam zurück, trank bedächtig, wiegte den Kopf hin und her und rieb sich die Hände. Anna fing den Blick des Mannes auf und sagte: »Na – hat's jeschmeckt? Wie jeht denn's Jeschäft?«

Der Händler zog die Schultern hoch und machte eine mutlose Handbewegung.

»Is keen Vajniejen, bei den Pladderrejen draußen rumzuloofen, wat? Wollen Se noch een?«

»Wejen mir –«, sagte der Alte. Und dann warf er mit einem Ruck den Kasten, den er auf dem Rücken trug, wieder nach vorn, hob die Glanzleinewand hoch und fragte zögernd: »Nu – nix zu handeln – schöne, junge Frau – sollen's billig haben – wirklich! Koofen Se nen hübschen Schmuckgegenstand – –!«

»Lassen Se man zu«, sagte Anna abwehrend, »ick brauch nischt, det sind ja man allet bloß Kinkerlitzkens!«

»Oder –«, der Händler faßte nach seiner Brusttasche und zog einen Lederumschlag heraus, »wie is mit'n Los zur Hamburger Lotterie – nehmen Se's ab, es is das letzte, was ich hab, und kommt bestimmt mit'n großen Gewinn heraus. Wollt ich's selber behalten und een reicher Mann werden, aber so –.« Er machte eine Bewegung des Dankes und zeigte auf das Schnapsglas.

»Willem!« Anna hatte ihren Mann gerufen, aber er hörte es nicht, saß in der Fensterecke bei den Stammgästen und sah zu, wie sie würfelten. Da faßte sie entschlossen in die Tasche, zählte dem Alten das Geld in die Hand und sagte: »Na – eenmal will ick's vasuchen – is ja rausjeschmissenet Jeld – aba ...!«

Niemand hatte sie beobachtet. Als der Händler hinausgehumpelt, bückte sich Anna hinter dem Schanktisch und schob das Los in den Strumpf, um es nachher, beim Schlafengehen, im Bett zu verstecken. Sie verriet auch nichts, als Tante Marie später wieder fragte, was denn nun sei, ob man denn wirklich nicht Lotterie spielen wolle?

»Nee, nee, nee – wir brauchen det Jeld nötjer, uff sonne Jlickszufälle valaß ick mir nich. Kommt nischt bei raus! Is ville vaninftjer, man spart – iberhaupt jetz, wo so ville Ausjaben entstehen werden!«

Der Gedanke an das Kind nahm allmählich alle in Anspruch, selbst die Gäste waren auf das freudige Ereignis gespannt.

»Wenn't man jut ablooft«, sagte der Portier, der in solchen Sachen etwas pessimistisch gestimmt war, »wennt man jut ablooft! Meene Frau ...«

»Ick bin doch aber nich Ihre Frau!«

»Eben –«, sagte Wilhelm.

»Na – ick meene ja man ooch bloß, wenn Sie meene Frau wärn ...«

»Wie können Se'n aba so wat meenen! So wat meent man doch nich, det jehört sich doch nich!«

»Eben –«, sagte Wilhelm.

»Herrjott nich nochenmal, vastehn Se mia doch richtich! Wenn ick Ihn'n jeheiratet hätte und Sie ...«

»Der Mensch is nich von abßukriej'n«, sagte Anna ärgerlich, »ick hätt Ihn'n eben nich jeheiratet – vastehn Se det doch mal!«

»Na – denn nich, denn kann ick Ihn'n ooch die Jeschichte nich azehln!«

»Azehln Se man, aba lassen Se mia jefällichst aus'n Spiel bei – ick weeß doch von alleene, det so wat nich zum Totlachen is!«

Aber nun wollte der Portier nicht mehr, er trank seine Weiße aus und ging.

»Mit den hastet vadorben«, sagte Wilhelm.

»Schad nischt, ick konnte den Kerl nich ausstehen, jleich von Anfang an nich. Und det Nassauern hia – nich een enzjes Mal hat er det Bia bezahlt, et muß doch allens mal seene Jrenzen hab'n!«

Aber auch Tante Marie sagte: »Wenn't nur bloß jlicklich abloofen wollte und iberhaupt schon allet vorüba wär! Is ja nich mehr ausßuhalten mit die Anna, nischt is se mehr recht, wat man ooch sacht – allemal hat se wat jejen. Jewiß, det hängt ja mit den Zustand ßusammen, da is ja jede 'n bißken nörjelich, aba doch nich so, se haut ja alle Jäste vor'n Kopp!«

»Ja – na, ick kann's nich ändern«, sagte Wilhelm resigniert, »ick hab ma ja det Familjenleben ooch'n bißken anners vorjestellt, aba da is nu nischt jejen ßu machen!«


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