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IV

»Nu is er futsch«

Blitzschnell hatte sich die Nachricht in der Ackerstraße verbreitet: »Bei de untairdsche Tante hält ne Hochzeitskutsche!« Und alle gerieten in atemlose Aufregung, jedes Fenster der umliegenden Häuser war mit Neugierigen besetzt. Die Mütter holten ihre Kinder und hoben sie hoch, damit sie auch etwas von der Herrlichkeit sehen konnten, alte, erfahrene Frauen, die da wußten, daß »so wat lange dauerte«, schleppten Fensterpolster herbei, und der Herr Rentier, drüben aus der Beletage, putzte sogar einen Ferngucker und richtete ihn auf die Kellertür.

Ernst und gemessen thronte der Kutscher auf seinem Bock, erhaben über das Gewühl um den Wagen. Denn da hatten sich die Kinder aus dem ganzen Viertel eingefunden, Frauen in großblumigen, bunten Jacken, und dann der Herr Portier, der plötzlich in der allgemeinen Achtung stieg, da er der einzige war, mit dem sich der Hochzeitskutscher zu unterhalten geruhte, sei es auch nur, daß er ihm verständnisinnig zunickte oder zublinzelte. Aber wehe, wenn sich der Herr Portier dann plötzlich umwandte und die Kinder nicht sofort scheu und ehrerbietig zurückwichen!

Der Auflauf hatte einen Schutzmann angelockt, langsam kam er jetzt daher, aller Blicke waren auf ihn gerichtet; was würde er jetzt tun, wen würde er aufschreiben? »Nicht stehenbleiben – weitergehen«, kommandierte er.

Die Kinder flüchteten auf den Fahrdamm, und die Frauen traten in die benachbarten Haustore, fest entschlossen, keinen Schritt weiter zurückzuweichen. Portier und Hochzeitskutscher aber hatten getan, als hätten sie den Schutzmann bis jetzt nicht gesehen. Nun trat er zu ihnen, und zur allgemeinen Verwunderung schüttelte er beiden die Hände. Wer hätte gedacht, daß dieser Portier einen Schutzmann zum Freund hatte!

In diesem Augenblick erhoben ein paar Kinder den lauten Ruf: »Sie kommen – sie kommen!« Alles wich zurück, lautlose Stille trat ein, nur der Schutzmann traf noch rasch einige Anordnungen, und der Portier streute weißen Sand.

Und nun erschienen die Braut und der Bräutigam, er in Schwarz, sie in Weiß mit langem Schleier. Ein Lohndiener, der bisher unsichtbar gewesen, öffnete den Kutschenschlag, Anna hatte den Vortritt; jetzt war sie glücklich im Wagen, nur die Schleppe war noch draußen. Wilhelm und der Lohndiener stopften sie gemeinsam hinein, dann stieg auch der Bräutigam ein – heiß und rot – der Kutschenschlag wurde zugeworfen, der Diener schwang sich auf den Bock, und die Pferde zogen an.

Im nächsten Augenblick erhob sich ein ohrenbetäubender Lärm, die Kinder schrien sich die Lunge aus, einige versuchten hinter dem Wagen herzulaufen, und der Schutzmann hatte alle Hände voll zu tun, sie von diesem Vorhaben abzubringen. In der allgemeinen Aufregung hatte man nicht beachtet, daß zwei Droschken ebenfalls vorgefahren waren. Nun erschien Tante Marie mit den Trauzeugen. Sie hatte ihr »gutes Schwarzes« an, und die anderen sahen auch feierlich aus. Eine ganze Gesellschaft kam aus der »unterirdischen Tante«, die nachher wohl ganz verwaist gewesen wäre, wenn der Herr Portier sich nicht schon früher verpflichtet hätte, »det Jeschäft solange zu besorjen!«

Als auch die Droschken abgefahren, zerstreute sich allmählich der Auflauf. »Nu is er futsch«, sagten die Männer bedauernd und meinten Wilhelm, »aba et jeschieht ihm recht, wia sind ja ooch rinjeschliddert.« Bei den Frauen aber begann die Kritik, unglaublich, was sie alles in der kurzen Spanne beobachtet hatten. »Der Kranz wa offen!« – »Nee, er wa zu, ick hab extra bloß daruff uffjepaßt!« – »Jlooben Se denn, det det reene Seide war – ick jloobe et nich!« – »Nu wollen wa ma' uffpassen, wenn die Kutsche wieda zurückkommt, denn werden wa's ja janz jenau sehn!«

Als dann nachher die »Brauteklipasche« vorfuhr, verpaßte man jedoch den richtigen Augenblick und sah das neuvermählte Paar nur noch im Keller verschwinden. Um so kritischer wurde daher jetzt die übrige Hochzeitsgesellschaft unter die Lupe genommen, die sich in den beiden Droschken zusammengezwängt hatte und nur mit Mühe aussteigen konnte.

»Die haben sich vaheddert, wie die Maikeber in de Zigarrenkiste, paßt ma' uff, eener wird sich jewiß die Beene ausreißen, wenn er zu sehr zoppt!«

Diese Prophezeiung der Straßenjungen ging aber nicht in Erfüllung, alles verlief ohne Unfall, und wessen Neugierde noch nicht gestillt war, konnte ja in die »unterirdische Tante« hinabsteigen. Denn trotz des Hochzeitstages ging der Schankbetrieb so wie sonst weiter.

Die »junge Frau Lemke«, wie nun alle Anna beständig nannten, hatte sich nur auf kurze Zeit zurückgezogen, um das Hochzeitskleid auszuziehen, nun übernahm sie trotz Tante Maries und der Gäste Protest wieder die Wirtschaft. Als dann aber Wilhelm auch seinen schwarzen Anzug ablegen und ihr behilflich sein wollte, wurde sie beinahe grob zu ihm. »Det wär ja noch schöna, du bleibst so, eena muß doch nach wat aussehen!«

So wurde er mitten auf das Sofa zwischen die neue Verwandtschaft gesetzt, und da hockte er nun mit schuldbewußtem Gesicht und sah, wie Anna sich mühte, die Hochzeitsgesellschaft zu bewirten. Auch als Tante Marie helfen wollte, duldete das die junge Frau nicht.

»Ick sare's dia, Tante, setz dia hin und sitz, sonst vaderbste mia die Freide!«

Und wenn sie hier etwas aufgetragen hatte, alle löffelten oder säbelten, lief sie wieder nach der Schankstube und bediente die Kundschaft. »Nachher kommt noch Musike«, sagte sie verheißungsvoll, »ick wundere mia iberhaupt, det sie noch nich da is«, und dann rannte sie die Kellertreppe hinauf, winkte einem der Jungen und sagte: »Loof mal schnell nach die Jroße Hamburja dreizehn, da wohnt uff'n Hof links in'n Kella 'n Leiakastenmann. Ick lassen saren, er soll sofort kommen, sonst besorj ick mia 'n annern. Aba loof schnell, wennste'n jleich mitbringst, schenk' ick dia 'n Jroschen!«

Als sie wieder nach der Hinterstube kam, hatten sich die Männer die Röcke ausgezogen und den Kragen abgemacht. »Det is recht so«, lobte die junge Frau, »et wird eenen heiß beit Essen. Willem, zieh dir ooch dein'n juten Rock aus – jetz kannste – jib'n aba jleich her, sonst wird er jeknautscht. Biste satt jeworden, hat eener von eich noch Hunga – is noch jenuch da, braucht's bloß ßu saren. Onkel Aujust, wie is noch mit'n Sticke Kalbsbraten – is doch jut und saftich jewesen, nich?«

Onkel August ließ sich überreden, machte sich aber zur Vorsicht die Westenknöpfe und den Lederriemen auf. »So«, sagte Frau Lemke, »und die andern, die fertich sind, jehen jetz nach vorne und machen sich's dort jemietlich. Ick werd jetz ooch 'n paar Bissen runtaschlingen, denn nachjrade wird mia 'n bißken schwach in'n Maren, denn räum ick hia ab, und denn könnt ihr alle wieda rinkommen. Onkel Aujust, wennste merkst, det dia schlecht wird, jeste erst nach hinten, du weeßt schon wo, und denn lechste dir lang uffs Sofa, da derf dia niemand stören – nu raus, alle mittenander!«

Sie schob die Zögernden nach vorn, zog dem und jenem, kaum daß er aufstand, den Stuhl weg, winkte Wilhelm und sagte so laut, daß es alle hören konnten: »Nu schenk in – jeden, wat er will, und so ville wie'r will. Für die Damen jibt's jleich 'n starken, juten Kaffee, keene Zichorjen mang, jemahlen is er schonst!«

Und dann überblickte sie das Schlachtfeld und war befriedigt. Nur Tante Liese, Onkel Augusts Frau, hatte etwas auf ihrem Teller liegenlassen. »Die tut immer 'n bißken etepetete, schon wejen ihren Mann, weil er so ville vertilcht!«

»Schade, die Soße is schon 'n bißken kalt jeworden«, sagte sie, während sie sich auftat und das Fleisch kurz und klein schnitt, um nachher keinen Aufenthalt beim Essen zu haben. Dann entstand ein großes Hallo, der Leierkastenmann war gekommen. »Menschenskind, wo bleiben Se denn?« schrie ihm Anna durch die halboffene Tür zu, »Willem, jib den Jungen 'n Silberjroschen und den Orjelfritzen ne Jroße mit Mit, und denn los mit die Musike, sonst is det ja keene Hochzeet nich!«

Der Orgelspieler trocknete sich den Schweiß ab, nahm einen kräftigen Schluck von der Himbeerweiße und wollte dann erst dem jungen Paare seinen Glückwunsch abstatten. Wilhelm, an den er sich zuerst gewandt, hörte ihm auch ganz verdutzt zu, aber Frau Lemke fuhr dazwischen: »Det hab'n Se sehr scheen auswendich jelernt, aber hätten Se sich man lieba nich erst so lange injeübt. Und denn sollen Se ja hier ooch keene Reden nich halten, fangen Sie jleich ohne Korridor an!« Und sie trällerte:

»Kommen Se rin, kommen Se rin,
Kommen Se rin –
Kommen Se rin in die jute Stu–be!«

Aber Onkel August war dieser Anfang nicht feierlich genug. Seine Frau, sagte er, die schon viele feine Hochzeiten mitgemacht habe, wäre der Ansicht, daß man »mit den Jungfankranz beginnen müsse«.

»Von meenswejen!« sagte Anna.

»Oda hat Willem wat jejen?« fragte »Onkel Karrel«, wie man Tante Maries Bruder nannte, den Witzbold in der Verwandtschaft.

»I, wat soll er'n jejen haben, man imma feste druff los. Wia win–den dia – den ...«

»Hör uff, falsch – Onkel, du mußt mit'n Leierkasten mitsing'n, sonst jeht ja allens durchenander, und denn singste ja ooch ville zu tief, da kann ja keen Mensch nich mitkommen.«

»Ick werd'n Takt ßu schlaren, wie bei ne richtje Kapelle, eenen Oogenblick, ick hol erst meen Stock!«

Aber während er danach noch suchte, hatte die Gesellschaft schon angefangen:
»Wir winden dia –
Den Jungfankranz –
Mit veil–chenblau–au–e S–a–a–ide –«

»So –«, schrie Onkel Karl hinzukommend, »nu alle nach mein'n Stock jekiekt!«

Und dann begann der Gesang aufs neue.


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