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XXII

Umzug

»Und nu ha' ick de Neese pleng«, schloß Wilhelm seine Erzählung, »plenger kann se janich werdn!«

Nach einer Weile, während Anna und Tante Marie stumm und niedergeschlagen dagesessen, fügte er hinzu: »Da haben wa jejloobt, det wa uns hia Freinde aworben haben! Nu sehn wa't ja, wat det for Freinde sind. Denn wenn die annern ooch so tun – jetz jloob ick an keen'n mehr, alle sind se falsch! Und worum? Weil se't een nich jönnen, det man 'n bißken Jlick jehabt hat!«

»Na – det is nu ooch nich janz richtich«, sagte Tante Marie. »Erst seit ihr damals in die Lotterie jewonnen habt, da fingen se an, so von hinten rum Andeitungen ßu machen, det ihr von Jottes und Rechts wejen det Jeld hättet redlich unter alle verteilen sollen.«

»Ja – et soll mal bloß eener kommen mit seene Ansprüche«, sagte Anna und hob die Hand, als ohrfeige sie jemanden.

»Und nu paß mal uff«, sagte Wilhelm, »det wird nu so weiterjehn, bis ick mia mit die janze Ackastraße jekeilt habe. Denn wat jloobste woll, det sind ja rachsichtje Karnalljen, diese Pottjehs, die loofen ja rum und machen beeset Blut jejen eenen!«

»Und wat man so allet in lauta Liebe und Freindschaft vasetzt kricht«, sagte Anna. »Mia traut sich ja keener wat zu saren, und ick lach ja ooch heite den janzen Vormittag – ick hatte so jreuliche Schmerzen –, aba erzehl ma, Tante Marie, wat der Schlossa jesacht hat!«

»Er hat mit so'n hehnischet Lächeln jesacht: ›Na – nu werden woll die Knoblenda bald 'n bißken jrößa und dicka bei eich werden?‹ Und als ick ihn druff janz sanftmietich frare: ›Woso, wie meenen Se det?‹ sacht er: ›Na ja, wenn man die Konkurrenz ibatrumpfen will!‹«

»Det vasteh ick nich«, sagte Wilhelm.

»Ick zaerst ooch nich«, sagte Tante Marie, »bis er denn deitlicha jeworden is: Also, an die Ecke wird ooch ne Jastwirtschaft uffjemacht. Der Laden is vermiet', und nu kriejen wa Konkurrenz.«

»Ach so?« Wilhelm begann auf und ab zu gehen. Dann blieb er plötzlich stehen und sagte entschlossen: »Wißt ihr wat? Det beste wär doch – raus aus die vaflixte Jejend, janz raus. So ville haben wa ja, Jott sei Dank, det wa den Betrieb janz und jar vaändern können, wa haben et ja doch jewiß nich netich, hia in det Kellaloch ßu sitzen und uns von die vadammte Bande Jallensteene ärjern ßu lassen!«

»Det sare ick ooch«, stimmte Anna bei, »schon wejen Edwin und det annere, det noch unterwegs is. Denn wenn wa ooch hinten die Wohnung haben, wa schlafen ja bloß drinne, die meeste Zeit sitzen wa doch hia unten. Und det kann for keen Kind jut sind. Edwin sieht jrien aus, det macht die schlechte Luft; wo keene Sonne hinkommt, kann ooch nischt jedeihen!«

»Det is ja richtich«, sagte Tante Marie, »aba wer weeß, wie et uns woanners jeht und unta wat for Pack wia da erst kommen! Jedenfalls mißte die Sache erst jrindlich ibalecht werden!«

Und sie wurde gründlich überlegt. Denn wenn auch Tante Marie, die »ihre Jejend«, die Ackerstraße, sehr liebte, immer noch heimlich gehofft hatte, daß allmählich alles wieder ins alte Geleise kommen werde, so merkte sie schließlich doch selbst, wie gut es wäre, wenn der Schauplatz geändert würde.

»So wat von Rachsucht is ma ja noch janich vorjekommen«, sagte sie eines morgens beinahe weinend, als sie in die »unterirdische Tante« gekommen war. »Jeh ick durch'n Flur, besprengt mia der Kerl mit'n Schlauch die janzen Beene, bis an die Knie, wo ick so schon mit det Jliederreißen ßu tun habe!«

»Ja – und ick steh for nischt mehr in«, sagte Wilhelm, der vor Wut kirschrot geworden war, »wenn ick den Kerl jetz noch mal unter die Klauen krieje, denn hau ick'n ßu Appelmus. Ick muß mia imma ßusammennehmen, wenn er mia so dämlich anjlotzt, det ick'n nischt tue.«

»Na – und wie mia die Uffrejung schadet«, sagte Anna, »wat soll denn det for'n Kind werden! Wenn ick ma nich vakieke, denn wird's 'n Krippel oda 'n Mörda, denn ick beschäftje mia bloß noch in Jedanken, wie ick dem Pottjehweibe de Haare von Koppe reiße und se det Jenicke breche!«

»Denn wollen wa doch schon aus die vaflixte Jejend raus«, sagte Tante Marie, »hia is vorbei mit uns!« Und mit einer gewissen Genugtuung setzte sie hinzu: »De Sahne haben wa ja ooch abjeschöppt, der Neue an de Ecke wird's bald merken, laß'n man kommen!«

»Ja, et bleibt wirklich nischt ibrich, ick werde nu jeden Tach jehen und sehen, det ick wat anneres finde«, sagte Wilhelm.

»Na – det wird'n Uffruhr jeben«, sagte Anna.

An einem der nächsten Vormittage erschien dann der Portier mit einem Stuhl vor der Haustür. Er stieg hinauf und nagelte einen roten Pappdeckel mit der Inschrift: »Hier ist ein Kellerlokal zu vermieten« über dem Eingang an.

Der Portier tat dies mit einer gewissen Genugtuung, aber auch mit einer gewissen Wehmut, denn er wußte, daß, wenn Lemkes jetzt auszogen, seinem Leben Wert und Inhalt genommen war. Wo fand er nun eine Ersatzpartei, mit der er sich in den Haaren liegen konnte?

Dann begann Onkel Karl seine Besuche regelmäßig zu machen. Er kam, wie man bald merkte, um die Möbel Tante Maries für den Umzug aufzuputzen und zu polieren. Man hörte ihn sägen und hämmern, und Tante Marie führte seitdem ein Leben wie ein Hottentotte, wie sie sich ausdrückte. Denn ihre Bettstelle war frisch gestrichen worden, und die Farbe wollte und wollte nicht trocknen. Außerdem herrschte eine greuliche Finsternis in der Stube, weil Onkel Karl, damit die Leute nicht durch die gardinenlosen Fenster sehen konnten, alte Decken vor die Scheiben genagelt hatte.

In den Straßen der Stadt begannen die grünen Möbelwagen allmählich eine Rolle zu spielen. Man sah sie vollbepackt dahinschwanken, ein Greuel für die Kutscher anderer Fuhrwerke, denen sie den Weg versperrten. Und dann war endlich jener große Tag gekommen, da ein solches grünes Ungetüm vor der »unterirdischen Tante« haltmachte, eine Anzahl wild und verwegen aussehender Männer unter Onkel Karls Oberleitung das Innere des Wagens verließen und mit großem Hallo in der »unterirdischen Tante« verschwanden.

Beim Anblick dieser Rotte hielten es der Portier, seine Frau und ihre Freundin Kufahl, die jetzt im Besitz der Samtmantille war, doch für angebracht, sich hinter die Haustür zurückzuziehen und von dort aus die Weiterentwicklung der Dinge zu beobachten. Aber es dauerte lange, ehe die Männer wieder zum Vorschein kamen, und inzwischen sammelten sich die Kinder aus der Ackerstraße bei dem leeren Möbelwagen, zogen das Seegras aus einer auf dem Bock liegenden, schadhaften Matratze, versuchten die Pferde damit zu füttern und spielten dann, da sich die Pferde beharrlich weigerten, Versteck und Zeck in und um den Wagen.

Aber dann ergriffen sie allesamt plötzlich die Flucht: Onkel Karl war auf der Straße erschienen und gab im Feldherrnton die notwendigen Anweisungen zum Aufladen der Möbel. Der Oleander, der den Eingang geziert, wurde beiseite gerückt und neben ihn dann, als erste Stücke, eine Petroleumlampe und ein Spiegel gestellt, den die Hunde anbellten und alle Vorübergehenden benutzten, um die Wirkung ihrer Persönlichkeit zu prüfen.

Wer von ihnen dann noch einen Blick in das Innere des Kellers tat, sah, daß dort noch immer in fieberhafter Eile gepackt wurde. »Det wa aba ooch sonne Masse Krimskrams haben«, hörte man Frau Lemkes Stimme.

Immer lauter und schallender wurden die Stimmen in den leer werdenden Räumen. Dann erschien Tante Marie in ihrem Umschlagetuch, stieg mit Hilfe einer »Hutsche« auf den Möbelwagen und nahm auf dem Bock Platz. Wilhelm mußte ihr die Lampe hinaufreichen, die sie sich auf den Schoß nahm. Und da saß sie und ließ geduldig alle Witze der Straßenjungen über sich ergehen und wurde selbst nicht böse, als einer sie fragte, »ob sie eene kluge Jungfrau sei, die Öl uff ihre Lampe jejossen habe«?

Dann erschienen Herr und Frau Lemke mit dem kleinen Edwin und nahmen neben ihr Platz. Auch der Kutscher stieg hinauf, aber gerade als die Pferde anziehen wollten, schrie Tante Marie: »Um Jottes willen, ihr vajeßt ja den Oljanda!«

Der grüne Kübel mit dem trübseligen Baum wurde hinten auf den Wagen gesetzt, dann begannen sich die Räder zu bewegen, und einige freundlich gesinnte Leute schrien hinterher:

»Adje, adje, lassen Se mal wat von sich hören!«


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