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XI

Kindtaufe

Die Tauffeierlichkeit war vorüber, und der Kirchendiener winkte den Kutschern, daß sie vorfahren sollten. Dann erschien Tante Marie – in ihrem weiten Lilaseidenkleide und mit ihrer ungeheuer großen, etwas verstaubt aussehenden Taftschleife am Hinterkopf, die Sensation der spalierbildenden Neugierigen – und trug feierlich, wie auf einem Präsentierbrett, den jungen August Karl Edwin Lemke in seinem Steckkissen nach dem Wagen.

»Det is die Schwiejermutta jewesen«, erklärte ein Kundiger, »die hat Beschlach uff den Kleenen jelecht!«

»Und nu kommt det jeehrte Elternpaar«, sagte ein anderer, als die alten Lemkes aus der Kirchtür traten. »Die sehen ja aus wie't heilje Donnerwetter – macht bloß Platz!«

Er im schwarzen Rock und Zylinderhut, sie in grauer Seide, so riefen die beiden Alten wirklich einen überaus respektablen Eindruck hervor, und als nun Wilhelm Lemke mit Anna erschien, nahm man kaum Notiz von ihnen. Desto mehr Aufsehen erregten wieder Onkel Karl und Onkel August, und zwar wegen ihrer Zylinderhüte. »Det war Miller und Schulze«, erklärte der Kundige, »und nu kommt det ibrige Jefolge!«

Ein Wagen nach dem anderen war vorgefahren und davongerollt – durch die Straßen der Stadt, hinaus nach Schöneberg.

»Deene liebe Mutta tut zu mia 'n bißken sehr etepetete«, sagte Anna während der Fahrt, »et kommt sie eklich sauer an, 'n bißken liebreich zu mia zu sind.«

»Laß ihr man, se wird nachher schon anners werden«, sagte Wilhelm, »Mutta is so, det is aber man bloß äußerlich!«

»Und Tante Liese is wahaftich nich jekommen, die tickscht feste weiter. Onkel Aujust sacht, se hat Zahnschmerzen – wer det jloobt! Wenn sich man Onkel Karrel anständich benimmt, der is jetz schon janz iberkandidelt!« Dann begann sich Anna interessiert umzusehen: »Wie sich det hier in die kurze Zeit allens vaändert hat, iberall bauen se – nischt wie Kalch und Ziejelsteene.«

»Ick bin bloß froh, det mit Edwin allens so jut jejangen is – au Backe – wat hätte det werden können, wenn der nich jewollt!« sagte Wilhelm.

»Und der Pasterich hat sonne scheene Rede jeredt, und keen Mensch hat ihn injeladen. Det hätte sich doch jewiß so jehört!«

Dann war man endlich angelangt, stieg aus und trat in den Garten, der mit bunten Fähnchen und Stocklaternen geschmückt war.

»Jroßartich, eenfach jroßartich«, hörte man Onkel Karls Stimme, »wenn det Essen ebensojut is –«, und er spähte neugierig nach der langen weißgedeckten Tafel im Hintergrunde des Gartens. »Und 'n Kellner haben se ooch, mit ne richtje Servjette untern Arm wie bei Hillern«, setzte Onkel Karl hinzu.

»Zwee sojar, da steht doch noch eener«, sagte Onkel August, »oder soll det 'n neier Verwandta sind?«

»Det wird 'n Vawandta sind, da sitzt doch in die Laube noch ne janze Klicke beisammen, det wird der Järtner sind aus Wilmersdorf und die andern Lemkes aus Tempelhof. Sehste, da kommen se, alle uffjedonnert wie die Fingstochsen. Zieh dia die Weste stramm, det Schemisett looft dia wech!«

»Jestatten Sie, meene Herrschaften, det ick Ihnen bekannt mitenander mache«, sagte Herr Lemke mit seiner sonoren, gewichtigen Stimme, »et is am besten, Se stellen sich in zwee Reihen uff, die Damen rechts und die Herren links. Darf ick bitten – so, und nu jeh ick mitten durch und rufe die Namen uff, und nu passen Se jefällichst uff, det Se sich nachher nich mitenander vawechseln. Den Teifling werd ick Ihn'n später apart vorführen, meene Schwiejertochta und meene Olle sind mit ihn int Haus jejangen und machen ihn menschlich.«

»Bravo, bravo«, sagte Onkel Karl. Und dann, bald die rechte, bald die linke Hand ausstreckend, nannte Herr Lemke die Namen der Anwesenden, und die Herren verbeugten sich, und die Damen nickten.

»So – nu können Se sich wieda vamischen«, sagte Herr Lemke, »setzen Se sich an de Festtafel, wo jeder am besten hinpaßt. Sehen Se, da kommen ooch die Hauptpersonen« – er deutete nach dem Hause, aus dem die alte und die junge Frau Lemke traten, »wie et scheint, haben se sich jejenseitich Luft jemacht. Nu seh ick bloß noch nich die Tante Marie!«

»Die hat die Sonne zu sehr uff'n bloßen Kopp jestochen«, sagte Anna herantretend, »die bleibt ins Haus bei den Kleenen!«

»Jestatten Se, det ick det nachhole«, sagte Herr Lemke, »meine Jattin is Sie ja hinlänglich bekannt, bloß die Vornamen villeicht nich – Klara Emilie – und dieses hier is Frau Anna Lemke, geborne Zander, meenen Willem seene Frau.«

Anna sah die Augen auf sich gerichtet, fühlte, wie man sie musterte, blickte aber alle der Reihe nach fest an und sagte: »Na, ick kenne ja die Herrschaften alle noch von frieha her und freue mir, Sie alle so jesund und munta wiederzusehen. Nu is man bloß der Kellner noch da, villeicht stellste den ooch noch vor, Schwiejavata?«

»Bravo, bravo«, sagte Onkel Karl aus dem Hintergrund.

»Onkel Karrel, sei stille, du hast dia vorhin schon mal so bemerkbar jemacht«, sagte Anna, »und jetz schlach ick vor, det wa nu mal erst wat Ordentliches in'n Maren kriejen. Willem, ick komm zu dia rum, ricken Se jefällichst alle 'n Sticksken!«

»Und ick sitz hia«, sagte die alte Frau Lemken, auf einen Eckplatz zeigend, »ick muß freie Bahn haben und in die Küche können, wenn mein Meechen ja ooch sehr tüchtich is. Helf ma mal eener«, sie faltete eine weiße Schürze auseinander und ließ sich von Anna die Schulterbänder feststecken. Und dann gab sie dem Kellner einen Wink. Von der Köchin gefolgt, kam er – eine riesige Bratenschüssel tragend – zurück. »Minna, die Soße und die Kartoffeln hierher, und Sie, Franz, reichen Se mal imma rum. Et is Kalbsbraten, det Se's nich for wat anneres halten – und nu langen Se bitte zu und lassen Se sich nich nötijen –, wer sich ziert, kommt zu kurz, ick kann nich bei jeden uffpassen!«

Auf diese Aufforderung suchte sich jeder seinen Teil zu sichern. Mit bedächtigem Ernst, prüfend die Portion abwägend, nahmen die schweigsamen Verwandten aus Wilmersdorf und Tempelhof von den Schüsseln, auch die anderen suchten durch gemessene Gebärden zu beweisen, daß sie nicht ausgehungert hergekommen waren, nur Onkel Karl blieb es vorbehalten, das Ansehen der Zanders durch einen ungestümen Angriff auf Fleisch und Soße in Mißkredit zu bringen. Alle sahen ihm staunend zu, wie er sich das Fleisch auftürmte, und Onkel August, der die verwunderten Blicke bemerkte, stieß ihn deshalb mit dem Fuß an. Onkel Karl jedoch verstand das falsch: »Nee, Aujust, Kartoffeln nehm ick nich, die ha ick jenuch zu Hause. Fleesch is die Hauptsache, Fleesch, det sieht man ja bei'n Löwen. Wat jloobste woll, wie der aussähe, wenn er Kartoffeln fressen wollte!«

»Ja, aber du freßt wie zwee Lewen«, sagte Onkel August, »det jeht doch nich!«

»Sollst ma' sehen, wie det jeht, ick bin eha fertich a's du – wetten det?«

»Nee, ick schenier mia mit dia«, sagte Onkel August, »du weeßt, ick bin sonst nich so und kann 'n ordentlichen Stiebel vatraren, aba schling bloß nich so, sonst astickste noch!«

»Heiljer Brummtriesel«, sagte Onkel Karl und wischte sich die fettigen Finger an seinem Borstenkopf ab, »wat ha' ick dia denn jetan, dette ma nich in Ruhe essen läßt? Nu ha' ick jedacht, et wird mal jemietlich werden, weil deine Olle mit ihre Zimpabeene nich bei is, und nu fängst du an zu stänkern! Is doch keen Vaein nich! Ick varenk ma lieba 'n Bauch, a's det ick wat umkommen lasse!«

»Essen Se so ville, wie Se wollen«, rief Frau Lemke herüber, »is jenuch da!«

»Hauptsache, det et Sie schmeckt«, sagte Herr Lemke.

»Sehste, Aujust, die Leite sind ja janich so«, sagte Onkel Karl vorwurfsvoll.

Bei jedem Teller stand eine Flasche mit Wein, und man hatte sich auch die Gläser gefüllt, trank aber fast gar nicht, nur der Gärtner aus Wilmersdorf nahm ab und zu ernst und gewissenhaft einen Schluck. Drei junge Mädchen in weißen Kleidern steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

»Jrete, wat wollt ihr?« rief Frau Lemke hinüber.

»Ob wa nich 'n bißken Streizucker kriejen können, Tante, wa wollen den Wein 'n bißken sißer machen!«

»Die Kälber sind janich so dumm«, sagte Onkel Karl, »der Wein mag ja sehr jut sind, aba det is bloß wat for Kenna! Ne Weiße wär ma lieba!«

»Ja – mit Himbeer, Tante«, riefen die Mädchen.

»Mir ohne Himbeer, Tante, oder in wat für ne Vawandtschaft wia nu stehen«, sagte Onkel Karl.

»Ick hab ma det jleich jedacht, det det rausjeschmissenes Jeld is mit dem Wein«, sagte Herr Lemke, »wer will noch Weiße?«

Es ergab sich, daß alle Weißbier haben wollten, und als es dann auf dem Tisch stand und man trank, wurde man bald fideler.

»Et is eenen jleich, als wenn man sich den Kraren abjemacht und die Stiebeln ausjezogen hat, wat, Willem?« sagte Onkel Karl. »Wat is denn mit dir und deene Jattin los, von eich hört man ja heite janischt!«

»Eß du man und trink du man«, fertigte ihn Anna ab, »statt detste ne scheene Rede jered't hättest, denkste bloß an dia!«

»Det kann ick ja noch imma, wennste desterwejen vaschnuppt bist! Ick weeß nich, wenn ick mal fidel werd, kriejen's annere Leite imma mit die Traurichkeit!« Er wollte gerade aufstehen und an seine Weiße klopfen, als ihn Onkel August gewaltsam auf den Stuhl zwang. »Paß doch 'n bißken uff, Karrel, seh doch, da fängt ja schon eener an – ihr könnt doch nich beede jleichzeitich durchenander quasseln!«

Der Gärtner aus Wilmersdorf klopfte nochmals an sein Glas und wiederholte lauter: »Jeehrte Herren und Damen!«

»Falsch –«, sagte Onkel Karl halblaut, »et muß heeßen: ›Hochjeehrte Damen und Herren‹, denn die Damen kommen imma zuerst, nur bei Adam und Eva war det anners, da war erst der Mann da und dann kam sie. Inzwischen hat sich det aber jrindlich jeändert. Wir leben jetzt ins neunzehnte Jahrhundert und ...«

»Wer red't denn da imma mang?« rief jemand von der Verwandtschaft aus Tempelhof.

»Psst – Ruhe, man versteht ja sonst nischt«, rief auch Anna mit einem wütenden Blick auf Onkel Karl.

Und nun konnte der Redner ungestört die Bedeutung des Tages würdigen. Als er endlich fertig war, schüttelte Onkel Karl den Kopf: »Ick hätt's bessa jemacht, wenn ick so lange drieber nachjedacht hätte wie der! Der hat doch die janze Zeit vorher über seine Rede jebrietet!«


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