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XIV

»Jroßmutta is tot!«

Daheim fand Onkel Karl das ganze Haus in Aufregung. Frau Lemke war mit dick verweinten Augen zurückgekommen. »Jroßmuta is tot!« hatte sie schluchzend gesagt. Edwin und Lieschen hatten laut zu heulen begonnen, nur Minna, das Mädchen, behielt die Fassung. »Ick habe ihr nich jekannt«, sagte sie zur Entschuldigung.

Als Onkel Karl in die Gaststube kam, saß Frau Lemke noch immer auf dem schwarzen Ledersofa und wischte sich die Augen.

»Wat hat se denn zuletzt noch jesacht?« erkundigte sich Onkel Karl bedrückt.

»Aba – Karrel –«, schluchzte Frau Lemke, »wat soll se denn in sonnen Momang noch saren!«

»Immahin, man hätte ihr allerlei fraren können; et is jammaschade, det ick nich beijewesen bin. Und wo is Willem?«

»Der is dajeblieben, Jroßvata kann doch det nich allens alleene besorjen. Denk doch ma' bloß die Looferei, die janzen Jänge nach't Standesamt und uff die Polizei.«

»Denn werd ick hin«, sagte Onkel Karl, »det vasteh ick bessa. Ick werd ooch jleich mein Zylinda mitnehmen, der hat 'n paar kleene Beulen und muß uffjebiejelt werden.«

»Et is mia eenfach unfaßbar, wieste jetz an sonne Kleenichkeeten denken kannst«, sagte Frau Lemke, »wennste ihr man jesehen hättest, wie se so starr und stumm dajelejen hat!«

»Habt ihr se ooch die Oogen orntlich zujedrickt, denn da muß man wat zwischenklemmen, wenn se wieda hochjehen!«

»Hör uff, hör uff«, jammerte Frau Lemke, »ick kann det janich mit anhören.«

»Und hat sich sonst wat bemerkbar jemacht – keene Anzeichen – janischt?« erkundigte sich Onkel Karl.

»Laß mia man jetz erst 'n bißken, ick kann so ville Fraren janich beantworten«, sagte Frau Lemke und hielt sich den Kopf, »det beste wär's schon, du jehst hin und hilfst'n bißken.«

»Ick werd mia sofort 'n Droschkong nehmen«, sagte Onkel Karl eifrig, »det jeht schnella.« Und da Frau Lemke viel zu sehr von ihrer Traurigkeit in Anspruch genommen war, erhob sie keinen Protest. Erst als Onkel Karl, angetan mit seinem verbeulten Zylinder, in der Droschke Platz nahm, kam es ihr zum Bewußtsein, daß Onkel Karl ein bißchen großartig auftrat.

»Vaschmaddere nich ßu ville Jeld bei die Jelegenheet«, warnte sie.

Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Seh ma'«, sagte er und zeigte eine Zitrone vor.

»Wat wisten damit?«

»Det is so – bei Bejräbnisse – wenn een schwach wird, riecht man dran«, sagte Onkel Karl, und dann gab er dem Kutscher das Abfahrtszeichen, schwenkte seinen Zylinder und lehnte sich in die roten Plüschpolster zurück.

Als der Wagen nachher vor dem Lemkeschen Hause in der Potsdamer Straße hielt, überzeugte sich Onkel Karl, daß die Fenstervorhänge im Sterbezimmer heruntergelassen waren. »So is recht«, lobte er diese Anordnung, und wie ihm der junge Herr Lemke dann öffnete, haschte er nach dessen Hand. »Willem – nu bin ick da, nu löse ick dia ab!« sagte er tröstend.

Herr Lemke weinte wie ein kleiner Junge. »Meene arme Mutta –«, schluchzte er.

»Ja – et war eene bedeitende Frau«, sagte Onkel Karl, »führe mia bei se!«

Und dann steckte der alte Lemke seinen Kopf durch die Türspalte. »Wer is denn jekommen, Willem?« fragte er ängstlich.

»Onkel Karrel, Vata ...«

»Det is net von Sie, Se sind wahaftich ne treie Seele«, sagte der Alte und wischte sich die Augen.

»Nich die Rede wert«, sagte Onkel Karl, »ick jehe sehr jerne bei Bejräbnisse, weil ick so selten in die Kirche komme. Derf man die Leiche ma' sehen?«

Der Alte winkte ihm, und auf den Zehenspitzen traten alle drei ein. Wilhelm überwältigte sofort wieder der Schmerz, er wandte sich ab, auch Großvater konnte die Tränen kaum zurückhalten, aber Onkel Karl erwies sich als standhaft.

»Nu weeß se, ob's 'n Himmel und ne Hölle jibt –«, sagte er feierlich und faßte die Hand der Toten. »Haben Se nich 'n bißken Siejellack da?«

»Wat wollen Se'n damit?« fragte der alte Lemke verwundert.

»Mia kommt et imma so vor, als wenn der Puls noch jeht«, sagte Onkel Karl, »et kann doch sind, det se bloß scheintot is, und da wollt ick ihr heeßen Siejellack uff die Beene trippen.«

»Lassen Se det man«, sagte Großvater, »der Dokta hat doch schon den Schein ausjestellt!«

»Det will janischt besaren, die Doktors verstehen alle nischt«, meinte Onkel Karl überlegen. »Aba, wie ihr wollt – ick hielt's bloß for meene Flicht, druff uffmerksam ßu machen. Denn kommen nu also die annern Formalitäten dran? Ick denke mia, et wird eene Leiche ersta Klasse?«

»Mutta hat uff so wat janischt jejeben«, sagte Wilhelm, »wat meenste, Vata?«

»Aba – et macht sich doch sehre scheen, wenn die Leichenferde sonne schwarzen Fedapuscheln uff'n Kopp haben«, warf Onkel Karl ein. »Ihr mißt schon 'n bißken wat hermachen. Denn wat wird det for ne Beteiljung werden, wenn sich det erst vabreitet, det die olle Lemken nu ooch tot is ...«

Großvater schwankte noch einen Augenblick. »Ick wollte ihr in alle Stille beerdjen«, sagte er mit halberstickter Stimme, »ohne allen Klimbim, denn det konnte se uff'n Tod nich vatraren. Aba, wo se nu wirklich janischt jehabt hat in ihr janzet Leben ...«

»Die Leite wirden Sie for'n ollen Knicka halten, und det derfen Se nich uff sich kommen lassen«, sagte Onkel Karl sehr entschieden, »hören Se uff mia, Jroßvata, und du ooch, Willem, nich an'n unrechten Fleck sparen!«

»Denn wäre't villeicht doch det beste, Sie ibanehmen die janze Schohse.«

»Ick will et jerne tun«, sagte Onkel Karl, »denn könnt ihr eich janz ruhich eiern Schmerz ibalassen, und ick ibanehme det Jeschäftliche! Ick wirde beispielsweese ooch unsan frieheren Jesangvaein – die ›Blaue Kaffeetiete‹ – wieda zusammenkriejen. Wir hatten uns dunnemals ooch 'n paar Jrabjesänge injeibt! Und denn – Jroßvata – Se werden sich doch 'n kleenet Erbbejräbnis nehmen?«

»Ja, ja, ja«, sagte der alte Mann, »'n Plätzken neben ihr hätte ick jerne jehabt. Wo wia nu fuffzig Jahre lang allet miteenanda durchjemacht haben, wirde ick am liebsten ...« Großvater vermochte nicht weiterzusprechen und machte eine abwehrende Handbewegung.

»Na nu – Kopp hoch«, tröstete Onkel Karl, »wenn Se sich da sonne kleene Kapelle bauen lassen, denn is det wie ne jute Stube. Da können se denn den janzen Tach bei sie sitzen. Und wie hibsch kiehl is det in'n Somma in sonne kleene Kapelle!«

»Wat nehmen wia denn for'n Pastor?« fragte Wilhelm, der stumm und verweint in seinem Winkel gesessen hatte.

»Aba Willem«, sagte Onkel Karl vorwurfsvoll, »wie kannsten bloß so fraren? Bei so'n Bejräbnis können wia doch nich 'n janz jewöhnlichen Pasterich nehmen! Natierlich nehmen wia den Suppandenten, wozu is denn der Mann da!«

»Ach Jott, wird det een Trara werden«, sagte Großvater ganz verzagt, »wenn man erst allet jlicklich vorüba wär.«

»Helf er sich – det is doch nu ma' so«, sagte Onkel Karl. »Nu werd ick ma' erst Trauakarten bestellen jehen, denn wia missen doch die Vawandten benachrichtjen.«


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