Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

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18. Kapitel.

»Nein, dieses Zusammentreffen! Begegne ich da eben unten auf der Straße einem Herrn – ich denke, ich traue meinen Augen nicht! – Wigand! – Und richtig, er ist's, begrüßt mich und sagt mir denn auch, daß er von uns kommt, dir eben Lebewohl gesagt hat, um nach Afrika zu gehen – na, was sagst du bloß zu dem allen?«

Ganz aufgeregt trat Marie in den Salon, wo Ursula noch immer im Erker stand. Nun zuckte diese mit ruhig ernster Miene die Schultern. »Was soll man dazu sagen?«

»Na weißt du!« Ganz entrüstet stemmte die lebhafte, alte Dame die Hände in die Hüften und blickte mißbilligend die Nichte an: »Nach Afrika will er – er hat es dir doch gesagt?«

»Natürlich, ja! Aber mein Gott, das ist doch schließlich heutzutage nichts gar so Seltenes mehr!« Ursula bemühte sich, ihrer eigenen Überzeugung zuwider die Sache als ganz selbstverständlich und bedeutungslos zu nehmen.

»So, wo die schwarze Bande dort jetzt alles auf den Kopf stellt, sengt und mordet? Liest du denn keine Zeitungen? Tagtäglich bringen sie ja ein paar Dutzend Weiße mehr um!«

»Gewiß, Tante, das weiß ich so gut wie du,« beharrte Ursula hartnäckig bei ihrem Tone. »Aber trotzdem – ich finde es von Wigand ganz begreiflich, daß er dorthin will.«

»So? – Na, das ist ja freilich etwas anderes!« Etwas verletzt schwieg Tante Marie und benutzte diese Pause, um inzwischen Hut und Jackett abzulegen. Aber die große Begebenheit, die sie so ganz beschäftigte, trieb ihr doch bald wieder die Worte auf die Lippen.

»Aber, daß er hierher kommt – zu dir! Denn natürlich hat doch sein Besuch nur dir gegolten – hat dich denn das gar nicht ein bißchen verwundert?«

Gespannt sah die alte Dame ihre Nichte an. Ursula, die sich inzwischen auf den Sessel vor den Flügel gesetzt hatte und nun in ihren Noten blätterte, sah einen Moment gelassen zu ihr herüber.

»Du kannst es ja ruhig wissen, was er hier gewollt hat, Tante: meine Verzeihung! Und ich habe sie ihm gegeben – wir haben uns beide verziehen, was wir damals aneinander gefehlt haben.«

Mit ernstem Gesicht begann sie weiter, sich mit ihren Noten zu beschäftigen.

Tante Marie schwieg. Das war ja allerdings eine annehmbare Erklärung, die sie da eben von Ursula bekommen hatte, aber sie befriedigte sie doch nicht ganz. Sie hatte so ein unbestimmtes Gefühl, das sie aber sicher nicht betrog, daß da doch noch etwas anderes hinter Wigands Besuch stecken müsse, daß zum mindesten bei ihm ein still-geheimes Hoffen mitgewirkt haben müsse, das ja nun freilich – ein Blick auf Ursulas ernst-entschlossenes Gesicht bestätigte es nur allzu deutlich – gegenstandslos geworden war. Schon sein Anblick drunten auf der Straße, die tief ernste, hoffnungslose Miene, mit der er gedankenverloren fast an ihr vorübergelaufen wäre, hatte ihr dies Empfinden wachgerufen. Und es war ja auch schließlich nur zu natürlich so!

Wigand hatte Ursula aufrichtig geliebt, sie nie vergessen können – nun war sie wieder frei. Was wäre also natürlicher gewesen, als daß er noch einmal nach ihrer Hand griffe, die sie ihm ja damals nur in jugendlicher Hitzköpfigkeit entzogen hatte, sich selbst zur schwersten Strafe? Und Ursula selber? Hatte sie nicht Wigand auch wahrhaft geliebt? Bot sich nicht so die beste Gelegenheit, alte Schuld wieder gutzumachen und ein lang verspätetes Glück endlich nachzuholen?

Aber nun diese kalte, abwehrende Ruhe bei ihr und bei ihm nur allzu deutlich die traurige Resignation eines Mannes, der eben seine Hoffnungen endgültig aufgegeben hat!

Zu unbegreiflich – zu töricht!

Tante Marie war wirklich ernsthaft böse auf die Nichte. Gewiß, sie kannte ja zur Genüge deren überspannte Ideen. Nach Fred Drencks Tode, als sie aus der Schweiz zurückgekehrt war und wieder im Hause ihres Vaters die erste Zuflucht gesucht hatte, war ja gleich wieder bei ihr der alte Gedanke aufgetaucht, Diakonisse zu werden, ihr Leben fortan ganz andern zu widmen. Nur die Rücksicht auf den alten Major, der für seinen Lebensabend ihre Pflege selber brauchte, hatte sie schließlich bewogen, vorläufig davon Abstand zu nehmen. Aber sie hatte wenigstens nun die Zeit nicht ganz ungenützt für ihre Pläne verstreichen lassen, in einem Krankenhause als Lehrschwester eine regelrechte Ausbildung in der Krankenpflege erhalten. Wenn dann später einmal sie keine andere Pflicht mehr binden sollte, so würde wenigstens ihrem sofortigen Eintritt in ein Diakonissenhaus nichts im Wege stehen.

Und diese Zeit war nun nahe herangerückt. Ursulas Vater war gestorben, bald ein Jahr tot, und Ursula wollte nur noch das Trauerjahr abwarten, dann war sie entschlossen, ihren lang gehegten Plan auszuführen. Alles Abreden der Tante hatte nicht vermocht, sie von dieser »unvernünftigen Idee« abzubringen, und so hatte denn Tante Marie sich schon an den Gedanken gewöhnt, sie in der düsteren Klostertracht der Diakonisse zu sehen, für immer vom Leben geschieden. Denn für Tante Maries gesund menschliches Empfinden war das Dasein einer barmherzigen Schwester nichts anderes als eine Art lebendig Begrabensein, ein trübseliges Nonnendasein. Das mochte ganz gut sein für arme, schwache Naturen, die sich sonst nicht mehr in der Welt zurecht zu finden wußten, aber doch nicht für eine im Grunde lebensfrohe Natur wie Ursula, die nur durch ein trauriges Schicksal jahrelang niedergedrückt worden war. Die sollte jetzt erst recht sich aufrichten und endlich sich wieder des Lebens erfreuen, das sich nun von neuem hoffnungsvoll vor ihr auftat.

Mein Gott, mit ihren 28 Jahren! Da vergaß man doch noch einmal alles, da konnte man doch noch ein volles Glück sich gewinnen – namentlich wenn man noch so aussah wie die Ursel! Freilich, die Tante ahnte ja nicht den letzten Grund, der Ursula zu ihrem Vorhaben trieb, das stille Gelübde, das sie an Freds Totenbett sich selbst abgelegt hatte: Die geheime Schuld ihrer Gedanken, die er ihr nicht mehr hatte verzeihen können, wollte sie sühnen, indem sie ihr Leben ganz andern opferte, indem sie nichts mehr für sich begehrte! Und an diesem geheimen Beweggrund war alles Reden Tante Maries wirkungslos abgeprallt.

Auch jetzt mußte sich die alte Dame wieder sagen, daß jeder Versuch, Ursula umzustimmen, vergeblich sein würde, wie sie diese so ernst und fest entschlossen vor sich sitzen sah.

Schade! Ein Seufzer entfuhr Tante Marie. Es tat ihr aufrichtig leid um die Ursel und auch um Wigand. Wirklich, er hatte ihr sehr gut gefallen, wie sie ihn vorhin da gefunden hatte bei dem Wiedersehen – sie war wohl eine gute Viertelstunde lang mit ihm auf der Straße gegangen – viel besser als damals als Bräutigam. Die leidenschaftliche Schärfe seines Wesens hatte sich offenbar ganz verloren, es war eine so schöne, echt männliche Ruhe über ihn gekommen, ein so mildes und abgeklärtes Verstehen. Das wäre jetzt gerade ein Mann für die Ursel gewesen, wie sie keinen bessern hätte finden können!

Und nun sollte der Ärmste hinaus in den schwarzen Erdteil, wo die Wilden ihn vielleicht massakrieren würden oder der Typhus ihn hinraffte – wie es Tante Marie ja fast täglich in der Zeitung las – wo hier alles so schön sein könnte, wenn die Ursel da nicht so halsstarrig und unvernünftig wäre! Wigand hatte der Tante vorhin ja auf ihr eingehendes, teilnahmsvolles Fragen hin alles erzählt: wie er sein Glück hier in der Heimat noch einmal versucht habe, aber vergeblich, und nun notgedrungen zu dem verzweifelten Plan gekommen sei, hinauszugehen. Also bloß um des elenden Geldes willen, das ihm zur Gründung einer befriedigenden Existenz fehlte, wollte er sein Leben da drunten in die Schanze schlagen! Wahrhaftig, wenn sie es nur gehabt hätte, sie hätte ihm von Herzen gern die nötigen Mittel vorgestreckt! Aber wenn auch, er wäre ja natürlich zu stolz gewesen, solche Hilfe anzunehmen. Ach, wenn man ihm doch heimlich noch irgendwie helfen könnte – schnell, in letzter Stunde noch, daß er den verzweifelten Entschluß doch nicht auszuführen brauchte! Aber wie?

Tante Marie zerbrach sich vergeblich, die Arme verschränkt, vor sich hindenkend, ihren Kopf.

»Nein, nein,« ein Seufzer entfuhr ihr unbewußt, und mit ihm halblaut die Worte: »es ist ihm doch nicht mehr zu helfen!«

»Wem ist nicht zu helfen?« Von ihren Notenblättern aufsehend, blickte Ursula erstaunt auf die alte Dame, die da eben ihr minutenlanges Schweigen so merkwürdig unterbrach.

»Nun Wigand doch natürlich!« verwunderte sich ihrerseits die Tante. An wen sollte sie denn sonst eben gedacht haben! Aber die Nichte war heute sonderbar schwer von Begriff.

»Wieso denn aber?« fragte sie weiter. »Wie sollte ihm denn zu helfen sein?«

Die Tante blickte sie nun wirklich erstaunt an. »Na, das liegt doch wirklich auf der Hand. Hat er dir denn nicht auch erzählt, wie traurig es ihm hier gegangen ist?«

Ursula schüttelte schweigend den Kopf.

»Nein?« verwunderte sich die Tante. »Ja, dann freilich!« Und eifrig berichtete sie der Nichte nun wieder, was sie von ihm selber erfahren hatte.

Mit steigendem Interesse hörte ihr Ursula zu. Das war ja freilich traurig! Wenn es nur dies Mißgeschick war, das leidige Geld, das ihm nicht erlaubte, in der Heimat sein Glück zu finden, sondern ihn in ein abenteuerliches Leben in der Fremde hinaustrieb! Wie bitter mußte das für einen Mann von ernstem Wollen und Können sein, gerade hieran zu scheitern! Und plötzlich fiel ihr ein, wie vielversprechend sich damals seine erste Praxis als Bräutigam angelassen hätte; wenn das Unglück mit Fred dann nicht gekommen wäre, so hätte er heute sicher eine glänzende Existenz. Und das alles hatte er verloren mit durch ihre Schuld!

Ursulas Stirn furchte sich. Wigands Entschluß, nach Afrika zu gehen, stand plötzlich in einem ganz anderen Lichte vor ihr. Aber warum hatte er ihr nur vorhin kein Wort davon gesagt?

Bitterkeit wollte in ihr aufsteigen: Da der Tante schüttete er sein Herz aus, und ihr, die ihm doch einst ganz anders nahe gestanden – Aber, halt! Voller Beschämung rief sie es sich selbst zu. Wie hätte er davon wohl zu ihr sprechen sollen, wo sie ihn mit solch gemessener Ruhe, mit solcher abwehrenden Kühle empfangen hatte! Da mußte ja ein charaktervoller Mann sich in sich verschlossen zurückhalten, und wenn ihm das Herz noch so schwer sein mochte.

Nun fiel Ursula ihr Benehmen vorhin plötzlich schwer aufs Herz: Daß sie ihn, der so schwer enttäuscht der Heimat den Rücken wenden mußte, ein so frostiges Lebewohl gesagt! Mit herzlichen, teilnehmenden Worten hätte sie ihm doch wenigstens das Gedenken an diesen Abschied erleichtern können. Nun hatte sie aber zu aller Unbill der Heimat noch diese letzte, ihm vielleicht schmerzlichste gefügt.

Unruhig sprang Ursula auf und ging ans Fenster; sie wollte der sie gespannt beobachtenden Tante ihre Mienen nicht zeigen. So stand sie eine Weile stumm, ihr abgekehrt, aber ihre Gedanken arbeiteten um so erregter. Immer wieder tönte ihr der unabweisliche Vorwurf aus ihrem Innern entgegen: Du bist mit schuld an seinem traurigen Leben, daß er jetzt hinausgeht in die freudlose Fremde, in ernste Gefahren – vielleicht in den Tod! Und immer wieder sah sie ihn vor sich stehen, da vorhin an der Tür, ihr abgewandt, die Hand an der Klinke, auf ein letztes freundliches Wort von ihr hoffend. Daß sie ihn so hatte gehen lassen! Sie empfand es nur zu gewiß: Sie verzieh es sich nie! Es würde sie nun quälen, ihr wieder die Ruhe rauben in einem fort.

Aber war es denn nicht noch Zeit, das wieder gutzumachen, überhaupt hier noch gutzumachen, was sie verschuldet hatte?

Hastig fuhr Ursula plötzlich herum.

»Hat dir Wigand seine Adresse gegeben?«

Tante Marie war ordentlich erschreckt über dieses unvermutete Anrufen, aber es war ein freudiger Schreck: Ah, Ursula bekam plötzlich Interesse an der Sache – sogar ein sehr lebhaftes, wer wußte, was da noch vor sich ging! Aber alsbald kam ein richtiger Schreck über sie: Herrgott ja, seine Adresse! Danach hatte sie ja natürlich nicht gefragt.

Etwas kleinlaut gestand es die alte Dame der Nichte ein. Nein, diese Dummheit auch! Wie sollte man ihn denn nun hier in der Millionenstadt ausfindig machen? Er hatte ihr wohl den Namen des Ortes, wo er zuletzt gewohnt hatte, hier in Berlins Nachbarschaft genannt, aber auch den hatte sie natürlich vergessen. Ja, ja, ihr alter Kopf – er wollte doch gar nicht mehr recht! Und seufzend, wirklich tief bekümmert, fiel Tante Marie in ihren Sessel zurück: Wenn nun deswegen womöglich alle Hoffnungen wieder zunichte werden sollten?

Einen Augenblick stieg auch in Ursulas Herz die Angst auf, daß nun an einem plumpen Zufall ihr Vorhaben scheitern sollte! Aber Unsinn! Energisch drängte sie dies Empfinden schnell wieder zurück. Und wenn man aufs Kriegsministerium oder Kolonialamt gehen mußte, zu erfahren würde Wigands Adresse ja sein – nur Eile tat not, höchste Eile allerdings; denn in einigen Tagen konnte er vielleicht ja schon fort sein.

Mit ihren Gedanken entschlossen zu Rate gehend, stand Ursula einen Augenblick; da fiel ihr Auge durch einen Zufall auf ein weißes Blättchen Papier da vor ihr auf dem Salontisch. Schnell griff sie danach – wie lächerlich, nicht gleich daran zu denken: Wigands Visitenkarte! Richtig, da stand ja alles: Villenkolonie Birkenkamp bei Berlin, Platanen-Allee 3.

»Nun, die Sorge wären wir los!« Ein frohes Lächeln zeigte sich plötzlich um Ursulas Mund, als sie der Tante mit schneller Bewegung die Karte hinhielt.

»Gott sei Dank!« Der alten Dame fiel ein Stein vom Herzen, wie sie ihr nun die Karte abnahm und sich selbst von der Adressenangabe überzeugte. »Aber was denkst du nun zu tun?«

Mit größter Spannung blickte sie die Nichte an. Die stand noch einen Augenblick schweigend vor ihr, gesenkten Hauptes den Plan durchdenkend, der ihr da eben vor einer Minute durch den Kopf geschossen war. Würde er wirklich durchführbar sein? – Aber ja! Warum nicht? Es kam nur darauf an, daß die Freundin, deren Mithilfe sie dabei brauchte, völlig verschwiegen blieb, und daß Wigand selbst natürlich an dem Vorschlag Gefallen fand, den sie ihm machen wollte – daß er sich dadurch abbringen ließ von seinem Gedanken, die Heimat zu verlassen. Aber da er dies – nach seinen eigenen Mitteilungen an die Tante – nur notgedrungen tat, so war doch gewiß zu erhoffen, daß er davon abstehen würde, wenn sich ihm nun plötzlich noch eine gute Aussicht in der Heimat bot, einen Wirkungskreis so ganz nach seinem Wunsche zu finden. Und an recht überzeugenden Worten des Zuredens wollte sie es nicht fehlen lassen – es drängte sie ja, ihre gefühllose Kälte von vorhin gutzumachen und ihre alte Schuld gegen ihn!

Entschlossen richtete sich also Ursula auf.

»Du weißt doch, Tante, daß Beate« – Beate von Rommertz war die Freundin, an die sie gedacht hatte, eine nur wenig ältere Kameradin aus dem Lehrkurs im Schwesternhaus, zu der sie im Laufe dieser Jahre in freundschaftliche Beziehungen getreten war – »schon längst den Plan hat, sich eine Privatklinik einzurichten. Es fehlt ihr nur eben an den Mitteln dazu. Jetzt habe ich nun eine Idee, die ihr und Wigand mit einem Schlage helfen kann: Ich gebe das Geld zur Einrichtung und Unterhaltung der Klinik her, bis das Unternehmen sich selbst erhält. Beate übernimmt die Leitung der Pflege und Wirtschaft und Wigand die ärztliche Leitung. Bei Beates großartigen Beziehungen wird sie sich bald ein volles Haus verschaffen, und Wigands Tüchtigkeit wird das Ihre tun. Nun sag', ist das nicht eine glückliche Idee?«

Mit freudegeröteten Wangen, die Ursulas feinem Gesicht über dem düstern Traueranzug plötzlich einen Hauch verschönender Jugendlichkeit gaben, stand Ursula vor der Tante, diese erwartungsvoll ansehend.

»Großartig, gewiß ganz großartig,« stimmte die alte Dame bei. »Aber – ich weiß nur nicht – wenn nur Wigand deine großherzige Hilfe annehmen möchte!«

»Er darf doch selbstverständlich nie erfahren, daß ich bei der Sache beteiligt bin!« beschwichtigte sie Ursula eifrig. »Er muß natürlich denken, daß Beate aus eigenen Mitteln das Unternehmen betreibt.«

»Ja, das ist freilich etwas anderes! Kind, was für eine glückliche Idee von dir!« Und jetzt erst sich ganz ihrer Freude hingebend – sie sah ja nun in der Zukunft auch ganz andere, geheime Hoffnungen bereits verwirklicht – sprang die alte Dame auf und drückte frohbewegt die Nichte an sich. »Aber wie willst du Wigand nun das beibringen?«

»Dazu wird es natürlich einer längeren, persönlichen Unterredung bedürfen. Ich bin gefaßt darauf, daß das durchaus nicht so glatt gehen wird.« Ursulas Miene wurde wieder ernster. »Aber trotzdem – ich traue mir zu, daß ich es zustande bringe!«

Sie sprach es nicht aus, aber sie faßte den Entschluß, jede Zurückhaltung ihm gegenüber fallen zu lassen, aus vollem, warmem Herzen zu ihm zu sprechen – es mußte, es würde ihr ja so gelingen! Und schnell entschlossen eilte sie zu ihrem Schreibtisch in den Erker.

»Ich will sofort an ihn telegraphieren.«

Eilends flog ihre Feder über den Briefbogen.

So! Noch einmal überlas sie und mit ihr die Tante, die hinter sie getreten war, die Eilbotschaft für Wigand:

»›Bitte herzlichst und dringlichst um Ihren sofortigen nochmaligen Besuch. Habe Ihnen Mitteilung von allerhöchster Wichtigkeit zu machen. Ursula Drenck.‹«

»Meinst du nicht, daß er daraufhin kommen wird?« Nun doch mit einem aufsteigenden leisen Zweifel fragte es Ursula die Tante.

»Aber sicherlich!« beruhigte sie Tante Marie voller Zuversicht. »Er kann ja gar nicht wissen, ob du ihn nicht um deinetwillen sprechen willst, weil du seiner Dienste vielleicht bedarfst. Nein, nein – ängstige dich nur nicht, Kind, er kommt schon!« Zärtlich streichelte die alte Dame Ursulas Wangen, die leider den rosigen Hauch schon wieder verloren hatten. »Und sollte er wirklich nicht, wider alles Erwarten – na, so fahre ich morgen vormittag zu ihm hinaus und bring' ihn dir!«

Stumm drückte Ursula einen Augenblick die Hände der guten alten Frau gegen ihr Gesicht, dann aber machte sie sich los und sprang auf, das Mädchen herbeizuklingeln. Schleunigst wurde so das Telegramm zur Post befördert. Wenn alles glatt ging, konnte Wigand heute nachmittag bereits erscheinen. Ursula machte sich daher unverzüglich zum Ausgehen fertig, um mit ihrer Freundin Beate schon immer alles Nötige zu besprechen.

 


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