Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

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14. Kapitel.

Am anderen Morgen war Wigand gerade im Begriff, vom Frühstückstisch aus in sein Sprechzimmer hinüberzugehen, als das Stubenmädchen zu ihm eintrat mit einer Empfehlung von Frau Drenck: Die gnädige Frau lasse Herrn Doktor bitten, möglichst doch sofort einmal hinaufzukommen des gnädigen Herrn wegen.

Einen Moment zögerte Wigand, er hielt auf größte Pünktlichkeit und ließ seine Patienten in der ohnehin überreichlich besuchten Sprechstunde niemals warten. Hatte es mit Drenck denn nicht Zeit bis nachher? Er war doch schließlich zu wichtigeren Dingen da, als Ursula Drenck bei der Direktion ihres unfügsamen Mannes zu helfen; aber dann sagte er sich doch, daß möglicherweise mit Drenck etwas Ernsteres passiert sein könnte – gerade nach gestern! Und so ging er denn schnell nach dem ersten Stock hinauf.

Auf sein Klopfen an der Tür wurde ihm mit einem halblauten »Herein!« sofort geöffnet; Ursula, die ihn augenscheinlich hier bereits erwartet hatte, stand so dicht vor ihm, daß, wie sie nun mit gedämpfter Stimme eilends zu ihm sprach – er hatte noch die Türklinke in der Hand – der Hauch ihres Mundes ihn fast berührte. Ihr blasses, überwachtes Antlitz verriet ihm eine hochgradige Aufregung.

»Verzeihen Sie vielmals, daß ich schon wieder Ihre Hilfe in Anspruch nehmen muß, ehe ich Ihnen noch für Ihren gestrigen großen Dienst gedankt habe!«

Aus ihren umschatteten Augen, die heute so weich, so namenlos traurig blickten – ihr übermächtiger Kummer hatte den kalten Stolz ihm gegenüber heute gebrochen – traf Wigand plötzlich ein warmer Blick, ein Blick, der ihn bis ins Innerste traf, der wie mit einem Zauberschlag die ganze Vergangenheit mit ihrem seligen Glück und all ihrem Weh gewaltig heraufbeschwor. Er fühlte, wie er unter diesem Blick erblaßte, und wie ein Zittern seinen ganzen Körper überlief. Aber im nächsten Moment hatte er sich schon wieder in der Gewalt. Lächerlich! Um eines betörenden Augenaufschlags willen wollte er vergessen, was diese Frau ihm angetan mit all ihrer Falschheit? Wer sagte ihm denn, daß nicht auch diese Freundlichkeit jetzt nur Heuchelei, eitel Lug und Trug war wie alles damals! So blieb denn seine Miene unnahbar kalt, und nur mit einer leicht abwehrenden Bewegung lehnte er jeden Dank von ihrer Seite ab.

Ursula bemerkte es wohl. Gestern noch hätte sie dieses Verhalten in helle Empörung versetzt, aber die entsetzliche Nacht, die sie verlebt, hatte alle ihre Widerstandskraft ermatten lassen. So nahm sie denn nur mit einem dumpfen Gefühl bitteren Schmerzes wahr, daß sie auch hier wieder abgestoßen und verwundet wurde, zum Zusammenbrechen elend, wie sie war. Nun, mochte es sein, es war ja das ihr Schicksal! Nur noch etwas gequälter klang ihre Stimme, als sie dann fortfuhr:

»Mein Mann hat sich seit gestern abend in den Kopf gesetzt, das Haus hier zu verlassen, und zwar sofort – heute noch! Er will überhaupt in keine Anstalt mehr gehen! Ich sehe aber voraus, daß dies unfehlbar zu seinem Verderben führen wird – bitte, Herr Doktor, helfen Sie mir ihn umstimmen. Ich weiß mir ja sonst keine Hilfe!«

Unwillkürlich streckten sich ihre Hände mit einer flehenden Gebärde zu ihm hin und aus ihren Augen schrie eine peinigende Angst. Wieder wallte es in warmem Mitleid, in einem fortreißenden Zärtlichkeitsgefühl in Wigand auf: Arme, unglückliche Frau! Was sie ihm auch angetan hatte – sie büßte es jetzt aufs schwerste! Aber ehe er noch ein Wort der Erwiderung gefunden hatte, ging plötzlich die Tür zum Nebenzimmer auf, und Drenck erschien.

»Ah – dacht' ich mir's doch!« Mit ironischem, leichtem Kopfnicken nahm er von der Anwesenheit Wigands Notiz, auf der Schwelle stehen bleibend. Dann trat er langsam auf die beiden zu, Wigands formelle, stumme Begrüßung fast beleidigend kühl nur erwidernd.

»Sie sind natürlich von meiner Frau herbestellt worden?« Brüsk wandte er sich nun an Wigand.

»Allerdings.« Mit gerunzelter Stirn, nun auch seinerseits mit kaltem Ton, erwiderte es der andere. Bei aller ärztlichen Rücksichtnahme auf die Laune eines Patienten wurde ihm diese Behandlung doch zu viel. »Wenn Sie aber meine Hilfe nicht wünschen, so werde ich mich selbstverständlich nicht aufdrängen.«

»Ich bedaure in der Tat sehr – ich bedarf Ihrer nicht. Meine Frau befindet sich in dieser Beziehung in einem starken Irrtum.«

Hochmütig abweisend kamen die Worte heraus, beide gleich heftig verletzend. Noch mehr fast als die eigene Kränkung empfand aber Wigand die der armen, angstgefolterten Frau neben ihm, die unter der kalten Zurechtweisung vor einem dritten wie unter einer körperlichen Züchtigung zusammenzuckte. Eine scharfe Erwiderung schwebte ihm auf der Zunge, aber er drängte sie doch wieder zurück. Mit welchem Rechte wollte er die Partei der Frau da ergreifen? Drenck war ihr Mann, sie selbst hatte sich ihn gewählt, mitleidlos ein anderes, ihr treu ergebenes Herz zertretend – nun mußte sie tragen, was sie selbst sich auferlegt hatte!

Mit kaltem Schweigen wollte sich Wigand kurz zur Tür wenden, aber da trat ihm Ursula entgegen.

»Bitte, bleiben Sie, Herr Doktor! Ich bitte Sie dringlichst darum!« Dann wandte sie sich zu ihrem Manne; eine feste Entschlossenheit sprach aus ihren Zügen, die in diesem Augenblick etwas Hartes, Unbeugsames erhalten hatten. »Es ist unbedingt nötig, daß ich Herrn Doktor in deiner Gegenwart spreche. Du weißt, was ich dir heut nacht erklärt habe: es ist mein vollster Ernst – also bitte!«

Drencks hochmütiges Gesicht überflog eine lichte Röte des Zornes, aber der Anblick seiner Frau bewog ihn zur Selbstbeherrschung. Noch nie hatte er sie, die stets Sanfte und Nachgiebige, so zum Äußersten entschlossen gesehen. Offenbar: er durfte den Bogen nicht weiter spannen, sollte er nicht brechen! Im Verlauf ihrer äußerst erregten Auseinandersetzungen, die sie beide heute bis spät in die Nacht hinein gehabt hatten, hatte Ursula schließlich erklärt, sie würde nur dann noch mit dem Gatten weitergehen, wenn der Arzt hier eine sofortige Abreise für unbedenklich hielte und einen freien Aufenthalt in irgend einem Riviera-Hotel – wie Fred wollte – für statthaft erklärte. Es sei das ihr fester, unwiderruflicher Entschluß. Sie wollte nicht blindlings mit ihm ins Verderben hineinlaufen.

Also, es war ihr wirklich Ernst! Drenck konnte nun nicht mehr daran zweifeln. Er mußte sich nun also, wohl oder übel, dem Urteil Wigands unterwerfen, wie widerwärtig ihm dies auch war.

Eine Weile drehte sich Drenck noch nervös am Schnurrbart, dann begann er, nun wenigstens darauf bedacht, seine Sache so gut wie möglich zu führen, in verändertem, höflichem Ton:

»Es handelt sich darum, Ihr ärztliches Gutachten in einer Frage einzuholen, Herr Doktor, wo wir verschiedener Meinung sind,« leitete Drenck ein. »Um mich kurz zu fassen – ich meinerseits habe den dringendsten Wunsch, ja geradezu ein Bedürfnis, aus dem Anstaltsleben, das mich einengt, verstimmt, ja sehr stark deprimiert, hinauszukommen unter frohe, gesunde Menschen, mit denen ich mich selber frei und froh bewegen kann. Ich fühl's ganz genau, wie wohl mir das tun würde, zehnmal mehr als all der Kram hier – Pardon, ich will natürlich der unzweifelhaft an sich ja vortrefflichen Anstalt nicht im geringsten zu nahe treten! – Ich bin nun mal ein Mensch, der Zwang in keiner Weise verträgt, kann mir nicht helfen! Und ich habe das Vertrauen zu Ihrer Objektivität, Herr Doktor, daß Sie, wiewohl Leiter solcher Anstalt, doch auch Verständnis haben für anders geartete Patienten, die aber nur in freier Behandlung sich wohl fühlen können. Meine Frau hat das leider nicht – will mich im Gegenteil mit aller Gewalt interniert wissen. Bitte, nun entscheiden Sie zwischen uns!«

Ursula hatte mit einer steigenden Erregung Drencks geschicktes Plaidoyer mit angehört. Ja, wenn er die Sache so darstellte, da mußte er ja den Schiedsrichter auf seine Seite ziehen. Da mußte sie ja als eine gefühllose Frau erscheinen, die dem eigenen Mann die Freiheit nicht gönnte. Aber wenn sie reden wollte, aus dem tiefsten Grunde ihres geängstigten Herzens! Doch sie vermochte es nicht, eine doppelte Scheu verschloß ihr den Mund: die Scheu, den eigenen Gatten in seiner Energielosigkeit vor einem dritten zu enthüllen und damit all die Seelenqualen bloßzulegen, die ihr aus diesem Leid erwachsen waren – noch mehr aber die Scheu, gerade dem Manne, der ihr Leben zerstört, sie in all dies Unheil gedrängt hatte, zu zeigen, wie namenlos unglücklich sie geworden war. So blieben denn Ursulas Lippen fest geschlossen.

Wigand, der äußerlich völlig unbeweglich Drencks Worte angehört hatte, ließ jetzt einen tief forschenden Blick auf Ursulas Zügen ruhen. Ihre starre Ruhe konnte ihn doch nicht täuschen; er ahnte nur zu gut, was da drinnen mühsam niedergekämpft lag. Arme Frau, sie hatte gelernt, tapfer zu sein!

»Ehe ich mir eine Entscheidung in der Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin, wie Sie sie wünschen, Herr Drenck, erlaube, müßte doch wohl auch Ihre Frau Gemahlin selbst Gelegenheit gehabt haben, ihre Gegengründe zu äußern.« Mit einer Wendung zu Ursula hin sprach es Wigand.

»Ich bitte, mir das zu erlassen.« Gepreßt entrang es sich ihren Lippen. »Ich sollte meinen, daß Sie auch so schon – wie Sie selber als Arzt meinen Mann haben beurteilen lernen – werden sagen können, ob ihm ein Anstaltsaufenthalt not tut oder nicht.«

Einen Moment zögerte Wigand noch; es galt, eine Drenck nicht verletzende Form des Ausdrucks zu wählen. Dann wandte er sich diesem voll zu:

»Mein Urteil kann nicht zweifelhaft sein, Herr Drenck. Es sprechen gewichtige objektive und subjektive Gründe für Ihre Behandlung in einem Sanatorium.« Drenck fuhr heftig auf, aber Wigand fuhr mit ruhigem Ernst fort: »Objektive, denn der Befund Ihrer Lunge ist leider immer noch so, daß er eine regelrechte Kur erfordert. Subjektive, weil Ihre persönlichen Anlagen, Ihr ganzes Temperament Sie draußen, im gesellschaftlichen Leben nur zu leicht in Versuchung führen werden.« –

»Danke, danke! Kenn' ich schon auswendig!« Erregt schnitt ihm Drenck das Wort ab. »Betet mir meine liebe Frau ja tagtäglich hundertmal vor!« Und aufgeregt wandte er sich ab, dem Fenster zu: »Man könnte geradezu glauben, sie habe Sie erst informiert.«

Rasch fuhr er wieder herum, und ein wütender Blick schoß zu Ursula hinüber. Wieder zuckte diese leise zusammen, aber diesmal versagte sich Wigand die Antwort nicht.

»Es versteht sich ganz von selbst,« erklärte er sehr bestimmt, »daß mein Urteil auf eigenen Wahrnehmungen beruht. Im übrigen erweist Ihnen Ihre Frau Gemahlin tatsächlich den allerbesten Dienst, Herr Drenck, wenn sie die wenig dankbare Rolle des Warners spielt. Falls Sie aber meinem Urteil nicht glauben wollen – bitte, gehen Sie zu einem andern Arzt. Ich bin mir dessen absolut sicher, daß jeder gewissenhafte Kollege, der Sie kennt, Herr Drenck, Ihnen nichts anderes sagen wird, als ich! – Doch damit hätte ich ja nun wohl meine Mission erfüllt?«

Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Wigand erst von Drenck, der noch immer finster abseits stand, und dann von Ursula. Jener erwiderte nichts; in hoffnungslos düstere Gedanken verloren, starrte er abgewandt zum Fenster hinaus; Ursula aber schlug jetzt ihre Augen zu Wigand auf. Tränenfeucht schimmerte es darin; all der aufgerührte Schmerz, der sich dort in langen Jahren still angehäuft hatte, spiegelte sich darin, und zugleich leuchtete ein stummer, tiefer Dank heraus. Daß er da vorhin für sie, die todmatt Gehetzte, ein Wort der Verteidigung gegen den gefühllosen Angriff des eigenen Gatten gerichtet hatte, das hatte ihrer wunden Seele so wohl getan. Zehnmal mehr noch, als daß er auch Fred ernst abgeraten hatte von seinem unüberlegten Plan.

Im instinktiven Regen dieses Dankes – ihre Lippen blieben vor innerster Bewegung fest geschlossen, sie wollte nichts preisgeben von ihrem unsagbaren Weh – streckte sie plötzlich Wigand ihre Rechte entgegen.

Unwillkürlich, dem gewohnten Brauch folgend, griff Wigand danach. Aber in derselben Sekunde, wo er ihre eiskalten Finger, diese weichen, zarten Finger berührte, zuckte seine Hand zurück. Blaß wie der Tod ward sein Gesicht, über das sie – nun selber tödlich erschrocken hinstarrend – ein schmerzhaftes Zusammenkrampfen fliegen sah, und im nächsten Augenblick hatte er das Zimmer verlassen.

Noch stand Ursula wie festgebannt: Mein Gott, was hatte das zu bedeuten? Warum fuhr Wigand bei ihrer Berührung zurück, wie vor einer Aussätzigen? Was hatte sie ihm denn eben getan? – Doch da drehte sich ihr Mann zu ihr hin, er hatte nur gewartet, bis sich die Tür hinter Wigand geschlossen hatte, und mit bitterem Hohn sprach er:

»Nun, da hast du ja erreicht, was du wolltest! Einen besseren Helfershelfer hättest du dir ja wirklich nicht wünschen können! – Aber nein!« Sein Ton schlug plötzlich in heftigsten Trotz um. »Und wenn ihr euch allesamt auf den Kopf stellt – ich tue euch den Gefallen nicht! Ich habe es satt! Wer weiß, wie lange mein lumpiges Leben noch dauert, ich will wenigstens noch was davon haben!«

Mit aufgeregten Schritten durchmaß er das Zimmer; in seinen Mienen prägte sich die finstere Entschlossenheit eines Menschen aus, der nichts mehr zu verlieren hat. In höchster Angst krampfte sich Ursulas Herz zusammen; sie sah, die Stunde der Entscheidung war da. Flehend drang sie auf ihn ein.

»Fred – Liebster, Einziger! Nicht doch so! Das heißt ja mit dem Leben va banque spielen!«

Aber hastig stieß er sie von sich.

»Und wenn! – Ich hab' lange genug euch zu Gefallen gelebt, nun will ich nach meiner Fasson selig werden!«

»Fred – und wenn dir schon wirklich an deinem Leben nichts mehr gelegen wäre – denk' doch an mich! Was soll denn aus mir werden? Ich habe doch bei Gott wahrhaftig schon genug um dich getragen – soll es denn nun noch schlimmer werden? Nimm doch ein wenig Rücksicht auf mich, Fred – was hab' ich denn noch von meinem jammervollen Leben?«

»Und was hab' ich davon?« Erregt trat Drenck vor sie hin. »Hast du danach schon mal gefragt? Was hab' ich von meinem verpfuschten Leben – und warum ist es verpfuscht? Bitte, denke gefälligst auch mal daran und nicht bloß immer an dich! – Ich hab' es, weiß Gott, lange genug still mit mir rumgetragen, aber mal muß es doch heraus! Du zwingst mich ja förmlich dazu!«

»Fred!« Kreidebleich starrte Ursula ihren Mann mit entsetzt aufgerissenen Augen an. Barmherziger Gott! Hörte sie denn recht? Jetzt warf er ihr, die ihm ihr ganzes Leben geopfert hatte, noch Egoismus vor – jetzt schleuderte er ihr für all das das brutale Wort ins Gesicht: ›Du bist ja schuld an all meinem Unglück, daß ich ein siecher, dem Tod verfallener Mann bin!‹ – Nein, nein – das konnte ja nicht, das durfte ja nicht sein! Und beschwörend, flehend streckte sie die Hände nach ihm aus: »Fred!«

»Nun ja – es ist doch mal so!« Mit fühlloser Offenheit stieß er es trotzig heraus; ihr entsetztes Gesicht reizte ihn geradezu, noch mehr zu sagen.

»Warum die Wahrheit bemänteln? Um dich ist doch die ganze unselige Geschichte gekommen. Wenn du damals nicht« –

Ein stöhnender Aufschrei Ursulas ließ ihn abbrechen. Er sah, wie sie sich mit der Hand zum Herzen fuhr und zurücktaumelte. Helfend tat er einen Schritt auf sie zu, aber in furchtbarer Erregung stieß sie seine Hand zurück.

»So vollende doch! So sprich es doch aus!« Keuchend fast kam es aus ihrer Brust. »Wenn ich damals nicht alles angestiftet, dich nicht an mich gelockt hätte, so wäre es nicht zum Konflikt mit Wigand, nicht zum Duell gekommen – so wärest du heute noch Offizier, ein kerngesunder Mann – so sag's doch! So ist's ja!«

Einen Moment zauderte Drenck, dann sagte er mit finster zusammengezogenen Brauen – zum Teufel! Warum sollte er nicht einmal seinem innersten Herzen Luft machen? Es war ja doch die reine Wahrheit:

»Ja – so ist es allerdings! Wenn auch freilich nicht so kraß, wie du es eben machst, aber« –

»Das tut ja nichts! Auf Kleinigkeiten kommt's ja hier nicht an!« Mit furchtbarer Bitterkeit entrang es sich Ursula; fast tonlos war ihre Stimme geworden. »Die Hauptsache ist und bleibt ja: Ich bin schuld – ich allein! Und nichts hab' ich getan, diese Schuld wieder gutzumachen – nichts, nichts! O du barmherziger Gott!«

Im Übermaß ihres Schmerzes versagte ihr plötzlich die Stimme gänzlich, ihr ganzer Körper flog in einem unterdrückten Schluchzen, und, die Hände vors Gesicht schlagend, stürzte sie ins Nebenzimmer.

Einen Augenblick blieb Drenck mit finster gefurchter Stirn auf seinem Platze stehen. Dann entschloß er sich doch, ihr nachzugehen. Aber als er auf die Klinke der Tür drückte, die sie hinter sich zugeworfen hatte, merkte er, sie hatte sich eingeschlossen.

Nun, auch gut! So war ihr eben nicht zu helfen. Sich immer mehr in seinen brutalen Trotz hineinsteigernd, zog Drenck gelassen seinen Überzieher an, nahm Hut und Stock und verließ dann das Zimmer zu einem Ausgang. Wenn er wiederkam, würde sich ihre Aufregung wohl wieder gelegt haben. Es war schließlich das allerbeste so.

 


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