Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

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6. Kapitel.

»Ist es wahr, Ursula? Du hast Frau von Schlehden auch heut wieder weggeschickt?«

Mit finsterer Stirn sah der Major streng die Tochter an. Frau von Schlehden war die Gattin eines einstigen Regimentskameraden, des einzigen, mit dem er noch lose Beziehungen hatte.

»Ja, Papa!« Mit einer festen, fast trotzigen Entschiedenheit im Ton, die ihr früher fremd gewesen, antwortete Ursula, und auch zwischen ihren Brauen zeichnete sich eine scharfe Falte.

»So!« Das grollende Unwetter zog herauf, und die Finger des Majors trommelten nervös auf den Tisch. »Und aus welchem Grunde, wenn ich fragen darf?«

»Weil Frau v. Schlehden unfehlbar nach Jörg gefragt hätte und ich weder Lust habe zu lügen, noch ihr die Wahrheit zu sagen.«

»Und glaubst du denn, daß du die Sache ewig wirst bemänteln können – wie?!« Erregt trat Drenck dicht vor Ursula, die mit einer Handarbeit am Tisch im Wohnzimmer saß.

Mit fast unnatürlicher Ruhe zuckte Ursula die Achseln, aber stichelte mechanisch weiter. Ihr war alles gleich – nur nicht zu den Leuten reden zu müssen über die Dinge, die ihr fast das Herz gebrochen hatten, die sie – endlich, endlich – noch einmal überwunden hatte.

»Bitte – ich wünsche eine Antwort!« herrschte sie der Major an. Noch nie hatte er so hart, mit herrischer Kommandostimme die Tochter angelassen – solange sie denken konnte.

Trotz all der Stumpfheit ihrer wunden Seele empfand Ursula schmerzlich diesen Ton, und ein bitterweher Zug schlich sich um ihre herb geschlossenen Lippen.

Freilich, sie wußte ja: der Vater verzieh ihr nicht, daß sie ihm das angetan hatte, daß zum zweiten Male seinem Hause, seinem Namen ein Makel angeheftet worden war, erst durch die Frau, nun durch die Tochter. Nach seinen strengen Ehrbegriffen war die Tatsache, daß die Verlobung – zumal in diesem ganzen Zusammenhange – zurückgegangen war, ein schwerer Makel; denn nach seinem ersten großen Unglück hatte er um so ängstlicher seine Ehre, seinen Ruf bei den Menschen gehütet. Und Drenck hielt, nach seinen ganzen Mannesanschauungen, die Tochter für die weitaus mehr, ja fast einzig Schuldige. Sie hatte, wie sie selbst ihm ja eingestanden, Jörg durch ihr Benehmen herausgefordert und die beiden Männer aufeinander gehetzt, die nach den Ehrbegriffen ihres Standes nun das tun mußten, was geschehen war. Für den unseligen Ausfall war Jörg nicht verantwortlich zu machen, und nun hatte Ursula noch obendrein – um alles zu krönen – ihrerseits dem Verlobten den Laufpaß gegeben!

Das war zu viel für Drenck gewesen. Er hatte Ursula sein ganzes Leben lang innig geliebt, aber nun war ein tiefer Riß durch sein Herz gegangen. Zum zweiten Male fühlte er sich durch das Weib in seinem Heiligsten, seiner Ehre, gekränkt, und wenn ihm nach der ersten schweren Enttäuschung noch ein Rest von Vertrauen auf das Gute in der Frau geblieben war, um der eigenen, heranblühenden Tochter willen, nun war es dahin! Sie waren es allesamt nicht wert, daß sich ein ehrlicher, anständiger Kerl ihretwegen das Herz beschwerte.

Die Verbitterung Drencks war so in den letzten zwei Wochen fast zur Verbissenheit geworden. Selbst die schuldlose Tante Marie hatte unter seiner kaltverächtlichen Geringschätzung zu leiden, sie war ja eben auch ein Mitglied jenes minderwertigen Geschlechts. Bisher hatte der Major zwar noch immer an sich gehalten, er trug seinen Ingrimm, nach seiner Art, still mit sich herum; aber der angehäufte Zündstoff harrte nur auf den Augenblick eines Ausbruchs. Und heute nun war er gekommen.

»Kannst du nicht reden? Ich will wissen, wie du dir die Zukunft denkst!« herrschte der schwer erregte Mann die Tochter an. »Dein Verlobter kann doch nicht einfach spurlos verschwunden sein?«

Ursula sandte einen kurzen, flehenden Blick zu dem Vater auf: Hab doch einen Funken Mitleid mit mir! Wenn du ahntest, wie mein Inneres zerrissen ist! – Aber Drencks Miene blieb unerbittlich hart. Da sagte sie leise, müde:

»Ich weiß nicht, Vater. Ich habe darüber noch nicht nachgedacht.«

»Es wird aber die höchste Zeit!« Zornröte schoß Drenck ins Gesicht. »Sollen die Menschen vielleicht erst anfangen, sich die Sache auf ihre Weise zu erklären? Ein angeschossener Vetter, den die Braut aufopfernd pflegt, und ein Bräutigam, der dankend auf diese Braut verzichtet und davongeht – ich denke, die Leute brauchen sogar nicht erst groß zu suchen.«

»Vater!« Totenblaß war das Mädchen geworden, die Näharbeit entsank ihren zitternden Händen, und sie fuhr empor. »Wenn du das denkst – ich werde aus dem Hause gehn, noch heute.«

»Unsinn!« trat ihr Drenck entgegen. »Mit solchen Überspanntheiten wird die Sache um nichts besser. Nein! Was ich will, ist das: Du sollst die Leute nicht wegweisen, wie heute; empfangen sollst du jeden Bekannten und ihm selber sagen, daß ihr euch getrennt habt – in richtiger Weise natürlich.«

Ursula fuhr zusammen.

»Vater, alles, nur das nicht!« Und sie hob flehend die Hände zu dem Major. »Erspar mir doch das wenigstens!« Aber des Vaters Miene blieb unerbittlich. Da flehte sie weiter: »Es ist ja keine Überspanntheit, Vater, sondern mein voller Ernst. Laß mich fort von hier – daß ich dir aus den Augen komme und den Leuten. Dann wird das Gerede schon von selbst bald aufhören.«

Ein leises Zittern bebte in ihrer Stimme. Der Major sah sie an, wie sie, im Innersten gebrochen, blaß und gequält, ihn mit ihren todtraurigen Blicken anflehte.

»Und wie denkst du dir dieses Fortgehen?«

»Ich möchte Diakonisse werden, Vater. Wenn du deine Güte noch so weit führen wolltest – wenn du es könntest – mich außerhalb in einem Diakonissenhause das Lehrjahr zu unterhalten, dann – nachher würde ich ja deine Opferwilligkeit nicht mehr in Anspruch zu nehmen brauchen.«

Der bescheidene, demütige Ton, die hoffnungslose Entsagung in ihrer Stimme ließen in Drenck ein weicheres Empfinden aufsteigen. Etwas wie Mitleid mit ihrer zerstörten Jugend kam über ihn. Er räusperte sich ein paarmal, kehrte sich von ihr ab, um ihr sein Gesicht nicht zu zeigen, und ging so eine Weile im Zimmer auf und ab. Dann blieb er plötzlich stehen, schüttelte den Kopf und drehte sich scharf auf dem Absatz zu ihr herum.

»Nein, nein! – Ist ja doch alles Unsinn!« Und er kam näher zu der Tochter. »Das verlangt kein Mensch von dir, daß du dich lebendig im Krankenhaus begraben sollst. Gewiß, du hast gefehlt. Aber was der Mensch auch gefehlt hat, das kann er wieder gutmachen. Und das sollst du – nichts weiter!«

Ursula sah fragend zu ihm auf, mit einem trostlosen, müden Ausdruck. Wie ging das wohl je wieder gutzumachen, was sie getan hatte?

»Was soll ich tun, Vater?«

Der Major antwortete nicht gleich. Das »Wie« hatte er sich selbst noch nicht klargelegt. Nachdenkend strich er sich ein paarmal durch den Schnurrbart; dann warf er entschlossen den Kopf auf.

»Nur nichts Übereiltes und vor allem nichts, was dich vor der Welt noch mehr belasten kann. Also, du bleibst selbstverständlich, bis auf weiteres, hier im Hause. Das Spätere wird sich finden. Aber unsere nächsten Bekannten werden selbstverständlich jetzt erfahren, was sich hier zugetragen hat.« Ursula fuhr abermals zusammen. »Jawohl!« bekräftigte Drenck mit Nachdruck. »Wer eine Schuld begangen hat, muß auch den Mut haben, sie offen zu bekennen.«

In dem blassen Antlitz der Tochter war eine lichte Röte aufgeschossen.

»Gewiß, Vater. Meinen Anteil an der Schuld will ich auch keinen Augenblick zögern einzugestehen. Aber ich kann mich nicht als die allein Schuldige hinstellen lassen. Ich, die er hier verlassen hat – ohnmächtig, schutzlos, dem öffentlichen Skandal preisgegeben, während er« –

Ihre Stimme erstickte in einem heraufdrängenden Schluchzen der Bitterkeit, aber sie preßte sich, dem Vater ihr Antlitz verbergend, das Taschenbuch vor den Mund und biß die Zähne krampfhaft aufeinander.

Der Major sah, wie ihre ganze Gestalt zuckte, in dem Bestreben, Herr ihrer ausbrechenden Verzweiflung zu werden, und abermals ging ein weicheres Regen durch seine Seele. Fast schien es ihm in diesem Augenblick selber, als hätte Jörg unritterlich gehandelt, daß er die einst Geliebte hier allein zurückgelassen hatte, während er all dem Kampf mit der Gesellschaft, dem öffentlichen Eklat einfach aus dem Wege gegangen war – das hieß freilich, das leichtere Teil wählen!

Plötzlich fühlte Ursula eine Hand auf ihrer Schulter, und halblaut klangen ihr die Worte des Vaters im Ohr:

»Nun, nun – laß gut sein, Mädel. Geschehen ist geschehen! Man muß es zu ertragen lernen, und ich – komm, ich will dir dabei helfen.«

Das war wieder der alte väterliche Klang in seiner Stimme. Da warf sich Ursula dem Major wortlos an die Brust, aber ihre Hände, die ihn krampfhaft anpackten, ihr zuckender Körper verrieten ihm, wie seine Güte sie im Innersten erschüttert hatte.

 


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