Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

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2. Kapitel.

»Was ist dir denn bloß, Liebster? Du sprichst ja kein Wort mehr!«

Unterm Tisch fühlte Wigand bei den leis geflüsterten Worten Ursulas den lebhaften Druck ihrer warmen, weichen Hand auf seiner Rechten, die die Serviette auf dem Schoß hielt. In der Tat hatte Wigand die letzten Minuten schweigend neben ihr gesessen und gedankenverloren, mit gefurchter Stirn in dem fröhlichen Geschwirr der Tafelunterhaltung ringsum vor sich hingeblickt.

Nun sah er auf, bestrebt, mit einem Lächeln seine wahren Empfindungen zu verbergen.

»O nichts!« Er strich seine Serviette glatt. »Ein ernster Fall in der Praxis ging mir nur gerad' durch den Kopf.«

»Gott sei Dank!« Erleichtert und wieder froh preßte sie noch einmal seine Hand. »Ich dachte schon, du wärst böse auf mich, weil ich mich so lange mit Fred unterhalten habe.«

Sein Blick flog unwillkürlich einen Moment hinüber zu dem jungen Ulanen Ursula gegenüber, der eben mit lachender Miene angelegentlich zu seiner Tischdame sprach. Wie ein noch fernes Wetterlohen zuckte es in diesem Blick auf, unbemerkt von denen, denen es drohte.

In der Tat, Ursula und der Vetter hatten da eben wohl zehn Minuten lang, Auge in Auge versenkt, mit strahlenden Gesichtern geplaudert, ganz verloren in gemeinschaftliche Jugenderinnerungen, von denen Jörg nichts wußte. So hatte er denn recht überflüssig dabei gesessen, ohne daß die beiden im unbewußten Egoismus ihres Frohsinns auch nur den Versuch gemacht hätten, ihn in die Unterhaltung zu ziehen.

Aber das war ja nur ein Glied in einer langen Kette von schmerzlichen Erfahrungen, die Wigand in diesen letzten acht Tagen hatte machen müssen, wo der Vetter nun schon bei ihnen zu Besuch war. Die Erscheinung Alfred Drencks hatte auf Ursulas Wesen noch weit schlimmer gewirkt, als Jörg es befürchtet hatte. Seine Braut stand ganz unter dem Bann von Freds Persönlichkeit. Es war, als ob er, wie mit einem Zauber, jene zweite, bisher unterdrückte Natur in ihr plötzlich zu stärkstem Leben erweckt hätte.

Es war wirklich etwas wie ein Zauber über Ursula gekommen. Sie sah in Fred gleichsam eine Verkörperung der Welt ihres geheimsten Sehnens. Der elegante, jugendlich geschmeidige Offizier mit seiner bestrickenden Liebenswürdigkeit gegen Frauen, seinem sieghaften, fast kecken Auftreten, seinem stets lachenden Frohsinn, der so leicht mit fortriß – er wirkte einfach faszinierend auf sie. So hatte sie Fred ja gar nicht mehr in der Erinnerung gehabt; so war er aber auch wirklich noch nicht damals vor vier Jahren gewesen, als sie sich das letztemal gesehen hatten – er noch als Fahnenjunker. Das hatte erst die Verwöhnung durch die Gesellschaft aus ihm gemacht.

Willenlos, mit einem Gefühl von Selbstverständlichkeit gab sich Ursula dem Zauber seines Wesens hin, das in ihr ja nur ein allzu mächtiges Echo weckte. Fühlte sie sich doch seiner Art so im Innersten verwandt: Das war's ja, wonach sie gedürstet, worum sie sich kasteit hatte – diese hellstrahlende, berauschende Lichtflut des Lebens! Und war's denn nun ein Unrecht, wenn sie sich von Fred anstecken ließ mit seiner glücklich sorglosen Art? Hatte ihr doch Jörg selbst gesagt, daß er ihr ihren Frohsinn gönnte! Und war doch Fred ihr Vetter, ihr altvertrauter Jugendkamerad, so daß ja in ihrer Intimität kein Unrecht lag. Sie wollte ja auch nichts weiter von ihm als bloß eine Zeit ungetrübter Fröhlichkeit, jenes glückseligen Flatterns von Freude zu Freude – eine kleine Spanne Zeit voll Festesglanz, der ihr ganzes Leben lang noch nachleuchten sollte! Sie wollte ja nur ein wenig nachholen, worum sie in ängstlicher Askese sich selbst bisher betrogen hatte!

Fred, der auch das Herz des Majors gewonnen hatte – in wehmütiger Erinnerung stieg bei seinem Anblick dem ersten Manne die eigene schöne Leutnantszeit in der Erinnerung auf – wußte es dem Onkel abzuschmeicheln, daß fast jeder Tag seines Besuchs ein neues Fest für die jungen Leute brachte. Wohl hatte Wigand ein paarmal versucht, dem liebenswürdigen Verführer in Ursulas ernstem Interesse ein Paroli zu bieten; aber der alte Drenck hatte ihm schließlich selbst zugeredet, doch einmal fünf gerade sein zu lassen und sich und den anderen die paar Festtage zu gönnen. Freds Urlaub liefe ja nach vierzehn Tagen ab, und dann käme alles wieder ins alte Gleis der Ordnung.

Ebensowenig wie bei dem Major hatte Wigand bei der Braut selbst Glück gehabt. Wenn er mit ernsten, aber innigen Worten Ursula fragte, ob sie denn solch rauschende Freuden wirklich befriedigten, ob sie denn in diesen Tagen beständigen Dahinwirbelns nicht auch den Wunsch nach einer Stunde traulich-ruhigen Beisammenseins mit ihm habe, so war sie ihm stets um den Hals gefallen, hatte seine Fragen mit Küssen erstickt und ihn beschworen, sie doch nicht aus ihrem Glücksrausch aufzurütteln. Er solle doch mittun, ja auch einmal recht von Herzen ausgelassen sein! Sie würde ja selig sein, ihn noch viel lieber haben, wenn sie ihn auch einmal so recht jugendlich sehen könnte!

Mit leisem Weh hatte Jörg es da aufgegeben, sie umzustimmen. Was hätte es ihm auch genützt, wenn er mit einem Machtwort ihre Freuden hätte abschneiden wollen? Wenn sie es nicht aus innerster Überzeugung tat – zwingen wollte er sie nicht. So ließ er denn alles gehen und tat äußerlich auch mit, erforderte doch schon die gesellschaftliche Sitte seine Anwesenheit bei der Braut und Fred. Aber es verließ ihn nie dabei das bittere Gefühl, daß er eigentlich nur die Rolle einer Ehrenwache für die beiden spielte, die sich da, unbekümmert um ihn, ganz von den Wogen rauschender Lust zusammen treiben ließen.

Wie schmerzlich auch Wigand diese Rolle war, so war ihm doch zu Anfang jedes kleinliche Gefühl der Eifersucht fremd gewesen. Wußte er ja doch: was die beiden da verband, das war nur die gemeinsam verlebte Jugend und heiterer Lebensgenuß. Außerdem traute er – Ursula ja ganz selbstverständlich – aber auch Fred niemals einen Mißbrauch der Intimität zu, die er ihnen gewährte. Wenn ihm auch der junge Offizier mit all seiner glänzenden und selbstbewußten Oberflächlichkeit durchaus unsympathisch war, so stand ihm doch seine Ehrenhaftigkeit außer jedem Zweifel.

Seit den letzten Tagen aber waren in Wigand doch ernstere Bedenken aufgestiegen. Er hatte als stummer Beobachter manch übermütiges Wort, manchen noch beredteren Blick unverhohlener Bewunderung Freds für die Cousine aufgefangen. Dieser suchte auch gar nicht zu verbergen, was ihn bewegte.

»Donnerwetter! Mädel – was ist aus dir geworden!« sagte er ihr mit blitzenden Augen ins Gesicht. »Du bist ja ein famoser Kerl geworden – wahrhaftig, einfach famos!«

Und Ursula hatte seine kecke Huldigung mit hellem Lachen hingenommen, sicherlich noch in vollster Unbefangenheit – mein Gott, Fred war doch nicht ernst zu nehmen! – aber doch stieg eine quälende Unruhe in Jörg auf: Was sollte dies gefährliche Spiel? Wer konnte wissen, was da aus dem Scherz schließlich noch für Ernst entstand – wenn auch nur bei dem Vetter, es hätte doch genügt, seine Kreise auch in Ursulas Wesen zu ziehen. Und das war gerade schon aufgerührt genug!

Heute nun, während des Soupers auf dem Ballfest, hatte sich Wigands Unruhe fast schon zur Qual gesteigert. Obwohl Ursula, wie ja selbstverständlich, seine Tischdame war, hatte sie sich fast ausschließlich mit ihrem Gegenüber, Fred, unterhalten, und wie die beiden da in ihrer impulsiven, unbekümmerten Art, getragen von der rosigen Feststimmung, sich ganz ineinander verloren hatten, da hatte Wigand, als der verbittert Draußenstehende, mit seinem geschärften Beobachterblick wahrgenommen, ganz unzweifelhaft, daß Fred – vielleicht sich selbst noch unbewußt! – hell in Flammen stand für seine reizende Cousine. Noch zwar merkte sie es nicht, aber Jörg durfte es nicht erst dahin kommen lassen; es galt jetzt ernstlich, ihre Herzensruhe und seine heiligen Rechte zu schützen!

Aber es mußte das unauffällig geschehen, daß Ursula nicht gerade dadurch erst die Augen geöffnet wurden. Jörg suchte daher die Braut zunächst einmal in eine ernstere Unterhaltung zu ziehen, ihr Interesse von Fred abzulenken. Er begann, in Anknüpfung an seine letzten Worte, von der Zukunft zu sprechen, wenn sie als eine kleine Doktorsfrau ihm auch in beruflichen Dingen treu zur Seite stehen würde.

»Wie traulich könnte ich mir das denken, wenn wir dann so abends still beieinander sitzen, und ich erzähle dir von allem, was ich tagsüber erlebt.«

»Ach ja, Schatzi, das kann wonnig werden!« Zärtlich schmiegte sie sich einen Augenblick mit ihrer Schulter an seinen Arm, daß es ihn freudig durchrieselte. Gottlob, sie war doch noch ganz sein! Aber gerade wie er ihr ein leises Wort der Glückseligkeit ins Ohr flüstern wollte, sah er sie plötzlich mit strahlender Miene Fred zunicken, dessen suchende Blicke sie eben mit hellem Aufleuchten grüßten.

Heißer Grimm schoß Wigand ins Herz. Er hätte dem lockenden Mädchenfänger da an die Kehle gehen können! Unwillkürlich legte er seine Rechte um Ursulas Arm, wie um sie an sich zu ziehen – zu ihm, dem sie gehörte. Im selben Augenblick hob aber der Vetter drüben den Sektkelch, und mit eleganter Bewegung präsentierte er das Glas erst vor Ursula, dann vor Wigand. »Prosit – euer Wohl!«

Schnell erhob auch Ursula ihren Kelch: »Danke – deins!« rief sie glückselig hinüber. Es war ja heute so einzig schön, und alle die Ihren nahmen teil an dieser Freude. Dort oben der Vater und die Tante – sie nickte ihnen strahlend mit rosig erglühten Wangen zu – neben ihr Jörg, sie preßte mit ihrem Arm seine Hand zärtlich an sich, und da drüben Fred, der Jugendvertraute, mit seinem bildhübschen, kecken Leutnantsgesicht und den lachenden Augen. Ein zu lieber Junge!

Und plötzlich schoß es ihr durch den Kopf, daß sich ihr Verlobter noch immer ganz steif »Sie« mit ihm nannte – mit Fred, der doch so gut wie ihr leibhaftiger Bruder war. Doch eigentlich zum Lachen! Ihrem Impuls sofort nachgebend, warf sie den Kopf zu Jörg herum, der eben – dem elenden Zwange gehorchend – mit sehr reservierter Miene flüchtig Fred Bescheid getan hatte.

»Nein, Schatzi, wie lächerlich, daß du und Fred euch noch immer siezt!« Hell lachte sie auf. »Kommt, trinkt doch Brüderschaft, wie sich's gehört.« Und sie winkte vertraulich dem Vetter zu, der ihre Worte gleichfalls vernommen hatte und nun, seiner gutmütig-leichtherzigen Natur nachgebend, fröhlich nickend sofort seinen Kelch frisch füllte zu der zeremoniellen Handlung. Da fühlte sie plötzlich einen heftigen, schmerzhaften Druck an ihrem Arm, wo Jörgs Hand lag, und sah nun ganz erschrocken auf den Verlobten. Mein Gott, wie sah der denn aus? Ganz finster, fast grimmig! Ach, was hatte sie denn nun nur jetzt wieder angerichtet? Ganz ahnungslos in ihrer harmlosen Fröhlichkeit!

Wigand hatte in der Tat einen hellen Zorn auf Ursula. Nun auch das noch: Schmollis mit dem Menschen, dem er sonst was hätte antun können! Und er konnte sich doch nun eigentlich nicht mehr der Aufforderung entziehen, die leider ja so unvernünftigerweise hier, gewissermaßen öffentlich, an ihn gerichtet worden war. Er sah ja auch schon, wie der drüben sein gefülltes Glas erheben und ihm herüberhalten wollte. Er mußte also gute Miene zum bösen Spiel machen.

Schon zuckten auch seine Finger zum Glase hin; da trotzte es aber plötzlich in ihm auf: Nein! Trotz allem nicht! War er so schwach, so charakterlos, sich durch bloße Zufälligkeiten, durch einen törichten Einfall seiner Braut zu einem Schritt zwingen zu lassen, der für ihn seiner Gepflogenheit nach mehr als eine oberflächliche Zeremonie war? Er hatte bisher nur immer Leute geduzt, die ihm innerlich nahe standen, und so sollte es auch bleiben.

Wigand gab sich einen Ruck, und mit einem leichten Lächeln, nicht unfreundlich, aber doch zurückhaltend, verneigte er sich zu Fred hinüber, der gerade das Glas ihm entgegenstreckte.

»Pardon!« bat er leicht. »Ursula hat uns da eben in eine kleine Verlegenheit gebracht. Ich bin überzeugt, Sie denken ebenso wie ich, Herr Drenck, daß ernsthafte Leute lieber erst Schmollis trinken, wenn sie sich bereits längere Zeit kennen. Nicht wahr? Also in diesem Sinne!« Und er trank Fred jetzt zu.

Dem jungen Offizier schoß unvermittelt eine jähe Röte ins Gesicht, und seine Hand mit dem Glas zog sich mit einem Ruck zurück, so heftig, daß der schäumende Trank das Tafeltuch netzte.

»Danke!« stieß er kurz hervor, den Gegner mit einem Aufblitzen im Auge sekundenlang durchbohrend wie mit einer blanken Klinge. »Im übrigen ganz Ihrer Meinung!« Und ohne ihm Bescheid zu tun, wandte er sich dann geflissentlich seiner Dame zu; auch Ursula streifte sein Blick nicht mehr.

Das Mädchen starrte den Verlobten fassungslos an: Was war denn das? Warum diese öffentliche Zurückweisung, diese Beleidigung des Vetters? Was hatte er denn Jörg getan?

Wigand fühlte diesen Blick Ursulas wie einen stummen Vorwurf auf sich haften, und es machte ihn nur noch gereizter. Daß sie ihn jetzt noch anklagte wegen einer peinlichen Situation, die sie doch allein herbeigeführt hatte! Auch schien es ihm, daß man ihn an der Tafel beobachtete. All das machte Wigand nur noch härter, und das von Ursula erwartete leise Wort der Aufklärung, der Entschuldigung kam so nicht von seinen Lippen. Dies rief wiederum auf ihrer Seite eine gerechte Entrüstung wach, und so erhielt denn Wigand, als er sich nach einer Weile ihr wieder im Gespräch zu nähern suchte, gar keine oder nur ganz kurze, kühle Antworten.

Dagegen mußte Jörg zu seinem immer heftiger auflodernden Grimme sehen, wie Ursulas Augen immerzu den Vetter suchten mit einem beschwichtigenden Ausdruck, einer stummen Bitte, der sich aber Fred offenbar absichtlich durch angelegentliche Unterhaltung mit seiner Nachbarin entzog. So lastete denn zwischen den Verlobten eine schwüle, drohende Stimmung, und beide atmeten hoch auf, als endlich mit lautem Gelärme die Tafel aufgehoben wurde.

Wigand hätte nun gern sofort eine Aussprache mit Ursula herbeigeführt, aber es kam nicht dazu, da Major Drenck und Tante Marie sich zu ihnen gesellten. Während der nun gemeinsam geführten Unterhaltung, an der sich Jörg nur gezwungen mit wenigen Worten beteiligte, schaute Ursula immerwährend nervös und ungeduldig nach Fred aus. Aber er ließ sich nicht bei ihnen sehen; er hielt sich absichtlich fern in einem Nebenraume bei den Angehörigen seiner Tischdame. Selbst dem Major fiel schließlich das Wegbleiben Freds auf.

»Wo steckt er denn nur?« fragte er die Tochter. »Die Musik spielt ja schon zum Tanz.«

Ursula erhob sich eilig, den willkommenen Anlaß zu benutzen. »Ich will doch gleich mal nach ihm sehen.«

Aber schon war Wigand an ihrer Seite: »Ich begleite dich natürlich.« Und mit festem Griff legte er ihren leise widerstrebenden Arm in den seinen. Statt in den Ballsaal zu gehen, wo eben die Paare zum ersten Walzer antraten, führte er sie aber seitlich in einen Vorraum, der jetzt leer von Festgästen war.

»Was willst du denn hier?« – Ungeduldig zuckte Ursulas Hand in seinem Arm, um frei zu werden. »Warum läßt du mich nicht zu Fred gehen?«

»Weil ich mit dir zu reden habe, Ursula, und zwar sehr ernst!«

Das war wieder der strenge, überlegene, schulmeisterliche Ton an ihm, den sie für den Tod nicht leiden konnte und der denn auch jetzt gleich wieder den wilden Trotz in ihr wachrief.

Mit einem Ruck riß sie jetzt ihre Linke aus seinem Arm, und fast feindselig blitzten ihn ihre dunklen Augen an, die sonst stets so lieb und gut blickten. Ein Warnsignal! Jörg sah es und sagte zu sich selbst: »Du darfst den Bogen nicht überspannen.« Im selben Moment tönte ihm aber auch schon ihre erregte Frage im Ohr:

»Nun, und was habe ich denn jetzt wieder verbrochen? Ich bin wirklich begierig. Ich dächte, es wäre an dir, wieder etwas gutzumachen!«

Hastig atmend, schob sie den hochgestreiften Armreif am linken Handgelenk wieder zurecht.

»Ich begreife vollkommen, Ursula, daß dich mein Benehmen vorhin überrascht hat.« Seine Stimme nahm einen freundlichen Klang an. »Darum will ich dir ja alles erklären. Aber, das ist nicht so eins zwei, drei gesagt; das ist eine peinliche Angelegenheit.«

Er stockte, und ihre Augen blickten ihn groß, verwundert an.

»Komm, Ursel!« Zärtlich nahm er plötzlich wieder ihren Arm und begann mit ihr in dem Raum auf und ab zu gehen. »Sieh, es tut mir aufrichtig leid, daß ich dir da vorhin einen anscheinend so harmlosen Wunsch abschlagen mußte, aber« . . .

»Ja, ich weiß schon: du kannst Fred nicht ausstehen! – Aber warum in aller Welt nur nicht? Was hat er dir denn getan?« Erregt rief sie es aus.

Wigand zögerte einen Moment, dann kam es leise und innig von seinen Lippen, während er ihren Arm fest an sich preßte:

»Ursel – glaubst du mir, daß ich es so gut mit dir meine wie keiner auf der Welt, daß ich dich unendlich liebe und nur dein Bestes will?«

»Nun ja,« doch es kam nur widerstrebend von ihren Lippen, »aber was hat denn das mit Fred zu schaffen?«

»Ursel, ich muß dich warnen vor ihm – er droht dir gefährlich zu werden!«

»Was – Fred?« verständnislos, aber doch betroffen blickte sie ihn an.

»Ja, meine Ursel. Er ist Gift für dich, er weckt all die verhängnisvollen Neigungen in dir, vor denen du selbst dich so oft gefürchtet. Weißt du nicht mehr die Stunden, mein Liebling, wo du dich zu mir geflüchtet und gebeten hast: ›Steh mir bei, Jörg, daß ich den Dämon in mir überwinde!‹ Weißt du es nicht?«

»Ja, ja – gewiß!« Etwas ungeduldig kam es von ihren Lippen. »Aber du siehst wirklich Gespenster! Daß ich jetzt mal ein paar Tage vergnügt gewesen bin, das ist doch keine Gefahr. – Außerdem, du sorgst ja schon genug dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen!«

Wigand überhörte die Bitterkeit in ihrem Ton. Eine wirkliche Angst hatte ihn jetzt befallen. Daß sie auch so ganz ahnungslos war! Er konnte ihr doch nicht mit dürren Worten sagen: ›Fred liebt dich!‹ Das hätte sie ja erst gerade in die Gefahr hineingetrieben, vor der er sie bewahren wollte. Wie sollte er es aber nur anstellen?

»Ursel,« bat er nach kurzem Besinnen. »Sieh mal, ich habe eine so große, innige Bitte an dich. Willst du sie mir erfüllen?«

Sie schwieg unschlüssig; der zärtlich bittende Ton Jörgs begann bereits, ihren Trotz allmählich wieder zu bannen.

»Gib dich weniger mit Fred ab – vermeide das Alleinsein mit ihm. Bitte, bitte, mir zuliebe!«

Wiederum höchst erstaunt sah sie ihn an: »Ja, aber so nenn mir doch bloß einen vernünftigen Grund dafür, Jörg!«

»Weil – weil dein vertrauter Verkehr mit Fred schon auffällt! Die Leute reden bereits darüber.« Es fiel ihm in seiner Ratlosigkeit nichts anderes ein.

»Pah – laß sie reden!« Gleichgültig schnippte Ursula mit dem Fächer. »Wenn man immer danach fragen wollte!«

»Nun gut, wenn es dir schon gleich ist, so tu's um meinetwillen!«

Ursula blieb stehen und sah ihn forschend an. »Dir ist das Gerede der Leute lästig?« Er nickte. »Und darum soll ich mir im Verkehr mit Fred Zwang antun – mir die ganze, harmlose Freude an diesem Verkehr verderben lassen?« Er senkte die Augen mit verlegener Miene, erwiderte aber nichts.

»Ah, für so egoistisch, so kleinlich hätte ich dich wirklich nicht gehalten!« In neuem Unwillen machte sie sich von seinem Arme frei.

Das raubte ihm die ruhige Überlegung.

»Nein, Ursula, nicht darum.« Mit finsterer Entschlossenheit stieß er die Worte hervor, nun ganz in die Enge getrieben. »Um meiner Ruhe willen! – Nun weißt du den wahren Grund!«

»Ah – du bist eifersüchtig auf Fred?«

Er gab keine Antwort, da brach sie in ein helles Lachen aus.

»Ach du großes, großes Dummchen! Darum hast du dich also heut und all die Tage so angestellt! Ach du – das ist ja zu komisch!« Und sie schüttelte ihn, ausgelassen vor sich hinlachend, bei den Schultern.

Aber ihre Heiterkeit steckte ihn nicht an, sie verletzte ihn im Gegenteil. Das also war das Echo, das all seine schmerzlichen Empfindungen, seine ernsten Vorstellungen bei ihr wachgerufen hatten! Weil sie in ihrer Unerfahrenheit und Leichtherzigkeit die drohende Gefahr nicht sah, lachte sie ihn aus wie eine komische Person. Das Blut stieg ihm heiß in die Schläfe.

»Mir ist die Sache nichts weniger als lächerlich.« Scharf klangen seine verweisenden Worte. »Aber nun genug! Da alle Vorstellungen bei dir nichts fruchten, da du mich nicht verstehen kannst oder willst – so mag dir mein ausdrücklicher Wunsch genügen. Ich will nicht mehr, daß du mit Fred Drenck allein bist! Ich wünsche auch nicht, daß du heute mit ihm tanzst.«

»Wie?« Seine herrischen Worte ließen ihre Stimmung im Augenblick umschlagen. Dicht trat sie vor ihn, mit sprühenden Blicken: »Verbieten willst du mir –?«

»Ich wünsche es nicht,« beharrte er fest.

»Wortklaubereien!« Verächtlich warf sie ihm das Wort hin. »Gleichviel – ich will dir zeigen, daß ich nicht deine Sklavin bin.« Und schon wandte sie sich heftig von ihm ab.

»Ursula!« Halb erschrocken, halb bittend scholl es ihr gedämpft nach, aber vergeblich: Sie entschwand im Tanzsaal.

Einige Augenblicke blieb Wigand allein zurück, ganz gelähmt von einem Gefühl tiefen Schmerzes und bitterer Kränkung. Wie konnte sie ihm das antun; ihm, der es doch so gut gemeint, der nur schwere Kämpfe ihr wie ihm hatte ersparen wollen!

Dann aber wich die weiche Regung aufwallendem Zorn: Sie verlachte ihn, sie mißachtete seine Wünsche – ja, sie tat in offenem Trotz gerad' das Gegenteil! Sie wollte ihre Kräfte mit ihm messen – gut, sie sollte ihn kennen lernen. Nun mußte jede Rücksicht aufhören, sein Mannesstolz stand auf dem Spiele – nun wollte er ihr zeigen, daß er sich nicht ungestraft herausfordern ließ. Jetzt hieß es für ihn nur noch: Biegen oder Brechen!

Schnellen, festen Schritts, mit einer fiebrigen Kampferregung in allen Nerven, ging Wigand in den Tanzsaal hinüber. Er spähte ungeduldig, mit grimmiger Erwartung in das Gewühl – richtig, da hing sie in Freds Arm, lachend, strahlend, und er blickte mit seinem verhaßten Triumphatorenlächeln auf sie herab, während er sie mit eleganter Sicherheit im Walzertakt wiegend, durch die Wogen der Tänzer steuerte.

Wigand war auf diesen Anblick gefaßt gewesen, er hatte ihn kampfbegierig ja herbeigewünscht, aber doch – wo er nun die beiden so sah, nun krampfte es ihm mit einem Male das Herz zusammen. Er wurde bleich, und seine heißen Augen starrten wie gebannt auf das qualvolle Bild.

Gerade jetzt, wo er die Braut in all ihrem Reiz in den Arm des andern, des verhaßten, geschmiegt sah, gerade jetzt fühlte er, wie heiß er sie liebte. Das war nicht mehr jenes abgeklärte, innige Empfinden, das aus Mitleid, aus Seelenverwandtschaft entsprungen war – nein, das war eine flammende, aufbrausende Macht, die ihn im Innersten erzittern machte. Zum ersten Male sah er so recht ihre junge, lockende Schönheit; in dieser Stunde liebte er in ihr zum ersten Male das Weib.

Und lodernd wie dies Empfinden Wigands war sein Schmerz, der Grimm, sie gerade so im Arm eines anderen zu sehen. Es raste in ihm, er hätte sich mitten in das Tänzergewühl stürzen und sie dem Verhaßten entreißen, ihn mit einem Schlage niederschmettern mögen! Aber statt dessen mußte er hier still stehen und zähneknirschend zusehen, wie sich die beiden da, weltvergessen, selig am Tanz erfreuten – als ob er nie dagewesen wäre.

Die Musik war verstummt, Alfred Drenck hatte die Cousine mit Scherzen und Lachen wieder den Ihren zugeführt, nun kam er leichtfüßig, sporenklirrend über das Parkett chassiert, am Büfett rasch ein Glas frappierten Sektes zur Abkühlung hinabzustürzen. Da trat ihm plötzlich am Eingang zu dem Vorsaal unvermutet ein Herr entgegen – Wigand. Ah! Das sah ja gerade aus, als sollte ihm der Weg versperrt werden.

Kalt und hochmütig reckte sich der schlanke Ulan straff auf, seinen Gegner verächtlich mit dem Blick streifend. Dann wollte er langsam an ihm vorüber. Doch da trat ihm Wigand wirklich entgegen:

»Ich wünsche mit Ihnen zu reden!« Fast heiser vor Erregung klangen die gedämpften Worte, und auf Wigands Gesicht entbrannte eine fliegende Röte.

Die ersichtliche Aufgeregtheit des andern machte den Leutnant nur noch ruhiger.

»Aber bitte! Ganz zu Ihren Diensten,« kam es spöttisch verbindlich von seinen Lippen.

In Wigands Augen schoß es nachtdunkel auf, aber doch beherrschte er sich:

»Ich habe vorhin einen Wunsch zu meiner Braut geäußert,« sagte er ruhiger, aber scharf und herrisch. »Bedauerlicherweise hat es Ursula aber nicht für nötig gehalten, ihn zu beachten. Nunmehr muß ich mich also direkt an Ihre Adresse wenden: Ich wünsche nicht, daß Sie weiterhin mit meiner Braut tanzen!«

In dem Ulanen zuckte es auf, aber er beherrschte sich tadellos.

»Ihre Wünsche sind selbstverständlich ganz unmaßgeblich für mich,« erwiderte er mit kalter Geringschätzung. »Für mich existieren nur die meiner Cousine.« Damit wollte er hochmütig den anderen stehen lassen.

»Sie sind ein Unverschämter!« Bebend vor Erregung stieß es Wigand hervor.

Drenck war bleich geworden, als ihn das Wort traf; aber er bewahrte die Fassung auch jetzt noch:

»Ich werde Ihnen morgen meinen Kartellträger schicken – nun aber wären wir wohl fertig?«

»Selbstverständlich.« Straff aufgerichtet kehrte sich Wigand ohne Gruß von dem Gegner ab, ein Gefühl grimmiger Befriedigung im Herzen. Ah, das tat wohl! Nun hatte der heiße Haß, der ihn zu verzehren drohte, sein Opfer erreicht.

 


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