Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Kapitel.

»Na, mein lieber Herr Drenck, nun lassen Sie mir aber doch nicht gleich den Kopf ganz hängen. Dazu liegt doch wahrhaftig kein Grund vor. Wenn's freilich mit dem Dienst auch vorbei ist, aber es läßt sich doch auch so noch leben. Wir können doch nicht alle Offizier sein! Nicht wahr? Na, und Sie werden sich sonst ja schon wieder rausmustern, wenn Sie, namentlich die nächste Zeit, recht vorsichtig leben. Ihre Konstitution ist ja gottlob vortrefflich, und –«

»Lassen Sie nur, Herr Doktor.« Mit einem schwachen Lächeln wehrte Alfred Drenck ab. »Ich weiß, Sie meinen es gut; aber im Moment – Sie verstehen!«

»Gewiß, gewiß, Sie müssen sich erst an den Gedanken gewöhnen. So was muß man allein mit sich ausmachen. Na, Sie sind ja ein Mann von Energie – nicht wahr? – Sie werden sich schon durchbeißen. Es ist nötig, lieber Herr Drenck, verstehen Sie? Es würde Ihnen schaden –«

Drenck machte eine müde, gleichgültige Handbewegung: Was lag nun noch daran?

»Na, ich verlass' mich auf Sie. Und morgen komm' ich wieder, da reden wir weiter über Ihre Zukunft, nicht wahr? Da werden Sie die ganze Sache schon weit ruhiger ansehn. Also, auf Wiedersehn, mein lieber Herr Drenck!«

Der Arzt schüttelte ihm teilnehmend die Rechte, die Drenck ihm schlaff überließ; dann ging er aus dem Zimmer.

Regungslos blieb Drenck in seinem Lehnstuhl am Fenster sitzen, den Kopf müde zur Seite geneigt, mit geschlossenen Augen. So durchdachte er noch einmal die letzte Viertelstunde – diese kurze Spanne Zeit, die ihm eben sein Vernichtungsurteil gebracht hatte.

Wie so wenige Minuten im Herzen drinnen alles starr und kalt machen konnten! vorhin, wie der Doktor ins Zimmer getreten war, da grünte noch alles in freudigem Hoffnungsdrang der Zukunft entgegen. Lachend hatte er den Arzt empfangen, mit einem übermütigen Scherz; die kleine Verstimmung letzthin über Ursulas Ausweichen war ja längst wieder verflogen. Er mußte ihr eben ein bißchen Zeit lassen, sich in die neue Lage hineinzufinden; aber ihm war nicht bange, er würde sie sich schon erringen. Herrgott! Es steckte ja doch schließlich im innersten Kern bei ihr die lebensfrohe, sprudelnde Ursel drinnen, die ihm so innerlich verwandt war, die sich schon wieder zu ihm finden würde, wenn nur erst das andere ganz überwunden und vergessen war. Und wenn sie sich jetzt auch noch ängstlich sträubte, von seinem Herkommen nichts wissen wollte, der Leute wegen, er wollte einfach nicht mehr davon reden, aber handeln, sie keck überrumpeln, nach flotter Reitersart – eines schönen Tages einfach hier antreten als frisch nach Berlin Kommandierter.

Dieser frohen Hoffnung voll hatte er den Arzt empfangen, der ja eigentlich nur noch pro forma zu ihm kam und heute seinen letzten Besuch machen wollte. Lachenden Mundes hatte er ihm zugerufen: »In drei Wochen, Herr Doktor, quetsche ich nicht mehr den Lehnstuhl, da wird der Gaul geklemmt!«

Aber der Doktor war auf diesen Ton nicht eingegangen. Langsam hatte er abgelegt, sich umständlich einen Stuhl herangerückt und dann mit ernster Miene angefangen. Er würde diese einleitenden Worte nie vergessen, die ihn trotz all ihrer vorsichtigen Gewundenheit doch alsbald niedergeschmettert hatten: »Mein lieber Herr Drenck, Sie sind nun so weit wiederhergestellt, daß wir mal ein ernsthaftes Wort miteinander reden können. Das heißt – na, nun erschrecken Sie nur nicht gleich! – Es ist ja nichts Schlimmes, nur – Ihre Zukunft wird sich doch nicht ganz so gestalten können, wie Sie glauben.«

Und dann war es gekommen, nach ein paar weiteren beschwichtigenden Redensarten, das furchtbare Wort, das allem ein Ende gemacht hatte: »Ihre Lunge hat einen kleinen Knacks weg. Sie können zwar, wenn Sie immer recht vernünftig leben, alt dabei werden, eine ernste Gefahr besteht also keineswegs, aber an Diensttun ist nicht mehr zu denken. Darüber dürfen Sie sich keiner Täuschung mehr hingeben.«

Dies Wort hatte ihn so zu Boden geschmettert, in völliger innerer Zerbrochenheit, daß er kaum noch gehört hatte, was alles der Doktor hinterher noch redete von einem längeren Aufenthalt im Hochgebirge, in einem Sanatorium, wo er sich sicherlich so weit wieder ganz herstellen würde, daß er nachher einen anderen Beruf mit gesunder Lebensweise, vielleicht als Landwirt, werde ergreifen können.

Was sollte ihm das alles auch noch? Mit dem Dienst war es aus – für immer! Das war sein Beruf gewesen, sein wirklicher, sein einziger, zu dem es ihn seit Kindesbeinen gedrängt, den er mit glühendem Herzen umfaßt hatte. Nun er den verlieren sollte, was wollte er da überhaupt noch auf der Welt? Nun war es das richtigste, er machte diesem elenden, verpfuschten Dasein überhaupt ein Ende!

Mit starren, großen Augen blickte Drenck hinaus ins Leere. Er sah nicht, wie draußen, im grauen, naßkalten Tag der feine Regen herniederrieselte, er beachtete nicht, wie ihm die Decke von den Knien geglitten war und ein Frösteln die Glieder heraufschlich – er dachte und empfand nur immer eines: Es war aus, alles aus.

Auch wie nun die Tür hinter ihm aufging, hörte er es nicht. Ursula war eingetreten und blieb nun am Eingang stehen, einen Moment mit tiefstem Mitleid angstvoll nach dem Einsamen spähend. Der Arzt hatte da draußen auch eben ihr und dem Vater dieselbe Eröffnung gemacht, und es war kaum minder furchtbar in ihre Seele gefahren.

Fred dienstunfähig – zeitlebens ein siecher, schonungsbedürftiger Mann. Und das um ihretwillen, durch ihre Schuld! Barmherziger Himmel, es war ja nicht auszudenken!

In furchtbarer Betäubung erstarrt, hatte sie draußen eine Weile gestanden; dann war sie hinausgegangen, hierher – wie mechanisch. Ein instinktives Gefühl trieb sie zu ihm, dem sie das angetan, daß er wenigstens in dieser schwersten Stunde seines Lebens nicht allein war. Es war ihr: sie gehörte nun zu ihm, unlöslich; ihre Schuld zwang sie zu ihm hin. Ihr Leben gehörte nun nicht mehr ihr, sondern nur ihm, der es sich mit dem Opfer seiner Gesundheit und seines Berufs erkauft hatte.

Wie sie jetzt aber bei ihm war und den Niedergebrochenen so hoffnungslos vor sich hinstarren sah, da packte sie eine furchtbare Angst. Ihr Schuldgefühl drohte sie zu ersticken. Wenn er sie nun ansehen würde mit einem stummen Blick des Vorwurfs: Da, sieh her, was du aus mir gemacht hast! Hier, dein Werk!

Großer Gott! Sie ertrug es ja nicht. Und plötzlich lag sie ihm zu Füßen, vergrub den Kopf in seinen Knien und schrie wild auf: »Vergib mir! Vergib mir!«

Erschrocken fuhr Drenck auf. Die fast Besinnungslose da vor ihm, ihr erschütternder Aufschrei – es entriß ihn seiner Starrheit und führte ihn wieder ins Leben zurück. Da sah er's, fühlte er's: da war noch eine, zertreten und verzweifelt wie er; ja, sogar noch elender, denn sie heischte noch Hilfe von ihm, dem Armseligen, der nichts mehr zu besitzen meinte. Das war ihm plötzlich wie eine Offenbarung: Er hatte noch etwas zu vergeben, so konnte er doch nicht so ganz unnütz auf dieser Welt sein. Und wenn er nur noch lebte, um dieser Ärmsten da die Ruhe wiederzugeben – es war doch ein Ziel, ein Zweck seines Daseins.

Ein gütiges Empfinden begann ihn plötzlich von innen her zu erwärmen. Ihm war, als käme in dieser Stunde tiefsten Unglücks eine heilige, hohe Weihe über ihn, die ihn erhob und stärkte. Seine Hände legten sich ihr leise aufs Haupt, wie mit einem stummen Gelübde, daß sie nicht umsonst als Hilfeflehende zu ihm gekommen sein sollte, daß er sie schirmen und stützen wolle.

Ursula verstand ihn, und im übermäßigen Drange ihres Herzens ergriff sie plötzlich seine Hände und preßte ihre schluchzenden Lippen darauf, ihre heißen Tränen brannten auf seiner Haut. Fred zuckte zusammen unter dieser Berührung. Wie eine heiße Welle schoß es ihm von den Händen zum Herzen hin. Ein Wunder geschah ihm von den Küssen dieser heißen, jungen Lippen. Ein machtvoller Drang zum Leben kam über ihn. Er blickte auf Ursula herab, auf ihre schlanke Gestalt, die selbstvergessen da vor ihm lag, an ihn gepreßt, daß ihre im leisen Schluchzen zitternde Brust seine Knie preßte; er beugte sich über sie, immer tiefer, daß der feine, ihm so unendlich sympathische Duft ihres dunklen, schönen Haares ihn umwehte, und da fühlte er es plötzlich: Nicht bloß um ihretwillen möchte er leben. Nein, es gab doch auch noch etwas, das er für sich selbst ersehnte und wünschte, das ihm dies verpfuschte Dasein doch noch erträglich, ja sogar noch reizvoll machen könnte.

Da ergriff er ihren Kopf, richtete ihn zu sich auf und bat leise, mit zitternden Lippen:

»Ursel, wir gehören nun zusammen. Bleib bei mir, immer – hilf mir das Leben ertragen!«

Das Mädchen erschrak nicht, es überraschte sie nicht. Es war ihr in diesem Augenblick, als ob das ganz selbstverständlich hatte so kommen müssen. Sie war ja selber ganz beherrscht von dem Gefühl, daß sie zu ihm gehöre, daß sie ihm ihr Leben weihen müsse als seine Pflegerin, seine Trösterin, in unermüdlicher, selbstloser Hingabe. Kein anderes Empfinden hatte in dieser Stunde sonst noch in ihrer Seele Raum. Für sich selbst erhoffte und erwünschte sie ja nichts mehr. Nur gutmachen können, was sie gefehlt, durch ein ganzes Leben voller Aufopferungen, es war alles, was sie vom Schicksal verlangte. So gab sie Fred Drenck ihr Ja.

 


 << zurück weiter >>