Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

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12. Kapitel.

»Fred, ich bitte dich noch einmal herzlich – laß uns nicht heute hinuntergehen. Tu es mir zuliebe!«

Frau Ursula bat in fast flehendem Ton den Gatten, der bei seiner Absicht beharrte, an dem geselligen Beisammensein teilzunehmen, das heute abend die Pensionäre des Hauses vereinen sollte.

»So? Sollen wir also wieder den Abend hier stumpfsinnig auf dem Zimmer hocken? Nein, das kannst du wahrhaftig nicht von mir verlangen!«

»Aber Fred! Du weißt doch warum. Heute abend ist eine Begegnung mit Wigand sicher unvermeidlich.«

»Nun, und wenn? Zum Donnerwetter, was ist da weiter? Man drischt ein paar konventionelle Phrasen, und fertig ist die Sache. Darum werde ich doch nicht auf die einzige Zerstreuung verzichten, die man in dieser gottverlassenen Bude hat.«

Ursula Drenck sah den Gatten mit einem schmerzlichen Blick an: Was hatten die Jahre des Leidens aus ihm gemacht! Wo war all das Zarte, Ritterliche an ihm geblieben! – Aber sie gedachte daran, daß er eben ein Kranker war, ein Unglücklicher, den ein grausames Schicksal erbarmungslos unter die Füße trat; so erwiderte sie denn in Güte:

»Wenn es dir selbst auch schon nichts ausmacht, Fred, so denk doch ein wenig an mich. Kannst du dir denn wirklich nicht vorstellen, wie furchtbar mir ein gesellschaftliches Zusammensein mit Wigand sein muß?«

Ursula trat bittend zu dem Gatten, der, ihr abgewandt, im Fauteuil saß und sich während dieser Unterhaltung damit beschäftigte, seine wohlgepflegten Fingernägel sorgfältig zu polieren. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte er jetzt einen Moment unentschlossen auf die Fingerspitzen; er schwankte, ob er ihr nicht doch nachgeben sollte. Noch einmal regte sich bei ihm, wenn auch schwach, ein Gefühl, das ihn mahnte, seiner Frau diese Rücksicht nicht zu versagen. Aber stärker war schließlich doch der Egoismus, das Bedürfnis nach Zerstreuung und Aufheiterung. Mein Gott, was hatte er denn eigentlich noch von seinem jämmerlichen Leben, wenn er da nicht die paar Gelegenheiten ausnutzen wollte, sich mal in animierter Gesellschaft über die Öde hinwegzuhelfen!

»Nein, liebes Kind!« Entschlossen erhob er sich vom Sessel, das Polsterkissen in das Nagel-Necessaire auf dem Toilettentisch zurücklegend. »Das kannst du wirklich nicht von mir verlangen. Gewiß! Ich weiß selbstverständlich so gut wie du, angenehm ist solch Begegnen mit Wigand für dich nicht – für mich übrigens doch auch nicht, nicht wahr? Aber warum sollst du dich schließlich nicht darüber ebensogut hinwegsetzen wie ich? – Na, siehst du! Da weißt du selber nichts zu sagen.«

Ursula schwieg in der Tat; aber nicht, weil sie nichts zu erwidern gehabt hätte. Im Gegenteil, wenn sie nur hätte reden wollen! Aber sollte sie dem Gatten sagen, wie aufgerührt ihr Inneres war seit jener Minute neulich im Garten? Daß gegen ihren Willen sich ihre Gedanken unablässig mit Wigand beschäftigten, um ihr inneres Verhältnis zu ihm klarzustellen? Sollte sie sich Fred offenbaren, ihm zurufen: »Du ahnst ja nicht, was um dich vorgeht. Siehst ja nicht, wie die Frau an deiner Seite in Qual und Angst lebt, ohne daß du dich um sie kümmerst; hilf ihr in dieser ernsten Stunde, wie es doch deine heilige Pflicht ist!«

Ursula brannten Worte der Aufklärung auf den Lippen, in dunklem Triebe drängte es sie schutzsuchend zu dem Gatten. Schon krampften sich ihre Hände zu einem Entschluß ineinander, schon wollten sich ihre Lippen bewegen zu der schwerwiegenden Mitteilung, aber wie da ihre geängstigten Blicke den Gatten trafen, der sich schon wieder von ihr abgewandt hatte und nun vor dem Spiegel die Krawatte mit großer Aufmerksamkeit sich zurechtzupfte, da schlossen ihre Lippen sich wieder fest aufeinander. Eine unendliche Bitterkeit quoll in ihr auf: Nein, nein! Fred war nicht der Mann, sie zu verstehen, geschweige denn, sie mit fester Hand zu führen und zu stützen in diesen schweren Stunden dunklen Suchens. Von ihm durfte sie nichts erwarten – höchstens nur noch Vorwürfe, daß sie überhaupt noch mit Wigand sich in ihren Gedanken beschäftigte. Also allein mußte sie sich durchkämpfen zu Klarheit und Ruhe.

Allein! Noch nie war es ihr so trostlos, so bitter ernst zum Bewußtsein gekommen, wie vereinsamt sie an der Seite ihres Mannes war, wie in diesem Augenblick. Ach, daß sie doch nur eine Menschenseele auf der Welt gehabt hätte, zu der sie sich jetzt hätte flüchten können mit all dem Leid, das sie bedrückte!

Drenck hatte inzwischen sein Werk vor dem Spiegel vollendet. Er sah in der Tat sehr distinguiert und bildhübsch aus, wie er sich nun so ihr zuwandte. Hoch, schlank gewachsen, in elegantem Smoking und schmalen Lackschuhen, mit seinem feinen, zartfarbigen Gesicht über dem hohen, glänzenden Stehkragen. – »Vraiment, wie ein kleiner Prinz! Was sind Sie zu beneiden, kleine Frau!« hatte seufzend die angejahrte, aber immer noch verliebte russische Fürstin in Cannes zu ihr gesagt. – Zu beneiden! Bitter lachte Ursula im stillen auf.

Drenck ahnte nicht, was alles in Ursula vor sich ging; er glaubte, daß ihre tief-ernste Miene nur der Ausdruck ihrer schon vorhin geäußerten Abneigung gegen den Besuch der Gesellschaft sei.

»Na, Kind, wenn dir die Sache so furchtbar contre cœur ist, so bleib' du doch hier, und ich geh' auf ein paar Stunden allein hinüber. Das ist doch auch ein Ausweg – nicht?«

Ganz froh, in der Meinung, ihr da schon beträchtlich entgegengekommen zu sein, klopfte ihr Drenck auf die Schulter und wollte dann in flüchtiger Vertraulichkeit den Arm um sie legen.

Aber Ursula entzog sich ihm mit schneller Bewegung. Ah, er machte es sich wahrhaft leicht! Sie mochte ruhig hier oben mutterseelenallein sitzen, während er seinem Vergnügen nachging! Und doch zehnmal lieber hätte es sie getan, als da mit ihm hinunter zu gehen, aber sie durfte ja nicht. Sie kannte Fred ja nur zu gut! In anregender Gesellschaft vergaß er nur zu leicht die gebotene Vorsicht, animierte sich, trank, und dann war womöglich das Unglück wieder fertig, ging es wieder wie damals – eine Zeit schwersten Leidens für ihn und sie. Nein, das durfte sie nicht aufs Spiel setzen, lieber auch das schwerste Opfer bringen.

»Ich werde dich begleiten!« Ernst, aber entschlossen wandte sich Ursula an ihren Mann. »Bitte, nur wenige Minuten, so bin ich fertig.« Und schnell wandte sie sich zum Nebenzimmer.

»Na, das ist ein vernünftiger Gedanke!« lobte Drenck vergnügt, ihr nachrufend. »Du bist doch schließlich immer noch ein ganz guter, kleiner Kerl! – Mach dich nur ein bißchen niedlich, Schatz; schon um die alten Schauerbesen, die Baroninnen, zu ärgern, die dich immer so impertinent durch die Lorgnette anäugen. Die sitzen auch heut abend sicher wieder in der ewigen schwarzen Fahne da. Also recht schick, ja?«

Ursula nickte nur flüchtig im Abgehen zu Fred hin; ihr war nicht danach zumute, groß Toilette zu machen. Und daß er daran dachte, in dieser Stunde, wo ihre Seele so trostlos dunkel war, war es nicht nur ein neuer trauriger Beweis, wie wenig sie sich verstanden?

 


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