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Mein Ämtlihunger, und wie ich abgespiesen werde

Nun hatte ich endlich mein kleines Eigentum beisammen, und konnte überschlagen, was damit anzufangen sei. Im Notfalle reichten dessen Zinsen hin, mich zu nähren. Aber ich wollte nicht bloß einen Rücken haben, ich wollte auch etwas sein; es kam nur darauf an, was. Auf meiner ganzen Reise übersann ich dieses, dachte bald an dieses, bald gefiel mir jenes, wählte und verwarf, bis ich endlich bei meiner Heimkunft meinen Fecker mit dem Entschluß überraschte, Schulmeister werden zu wollen. «Aber, Gotthelf», sagte er mir, «wißt Ihr auch, was Ihr wollt? Ich weiß wohl, daß Ihr ein verständiger Mann seid, aber mit dem ist's nicht gemacht; habt Ihr auch die nötigen Kenntnisse? Man fordert jetzt weit mehr als sonst. Wißt Ihr auch, was Ihr mit einer Schule für ein Amt übernehmet? Wisset Ihr, daß wenn Ihr ein wahrhaft guter Schulmeister sein, das heißt das Böse meistern und austreiben, das Gute zeugen und auferziehen wollt, Ihr Jahre lang von den Alten werdet verlästert, Eure Arbeit an den Jungen von ihnen werdet geschädiget sehen, und daß Euch dieses noch zehnmal mehr als einem andern geschehen wird, weil Ihr ein Roter und in Frankreich gewesen seid?» Ich gab ihm einige Proben meines Wissens, mit denen er zufrieden schien; auch den andern Einwurf hätte ich wohl überdacht, aber es dünke mich doch gar schön, zu verhüten, daß Kinder nicht mehr so erzogen würden, wie ich. Ich glaube, der liebe Gott habe mir in diesem Entschluß einen besondern Fingerzeig gegeben seines Wohlgefallens, daß ich nun, was an mir gesündigt worden, an vielen andern verhüte. Ob er wohl eine schönere Lebensaufgabe kenne? Uebrigens glaube ich mit den Leuten wohl nachzukommen; täten sie am Ende auch räsonnieren, so könnten sie mich doch nicht kujonieren.

Der Fecker meinte, wenn ich die Sache von dieser Seite nehme, so könne ich es einmal probieren; wenn ich später über meine Täuschung komme, so könne ich immer noch etwas anderes wählen; versäumt sei nichts, ich aber an Erfahrungen reicher geworden. Ich eröffnete ihm, daß ich für eine in der Nähe ausgeschriebene Schule mich zu melden gedächte. «Das ist aber doch ein verwegenes Stücklein,» meinte der Fecker; «Ihr habt Euer Lebtag kein Schulmeisterexamen gehört und wollt nun so mir nichts dir nichts eins machen.» Ich behauptete, nicht mehr so klüpfiger Art zu sein, und was einer wisse, das könne er auch sagen. «Ich will nicht mit Euch disputieren,» sagte er; «aber einen guten Rat will ich Euch geben: Geht zum Schulkommissär, der das Examen hält, und meldet Euch bei ihm als Bewerber für die X. Schule und sagt ihm zugleich, Ihr seiet französischer Gardist. Die meisten Schulkommissäre würden freilich den Kopf schütteln, aber nicht weiter eintreten, sondern sagen, es komme auf das Examen an; sie wollten dann sehen, was Ihr könnet. Der aber nicht also; der examiniert gar zu gerne, und wo er einen zwischen seinen examinierenden Schraubstock kriegen kann, erlabet er sich an den Öl- und Schweißtröpflein, die er hervorpreßt, gar wonniglich. Der wird auch den Kopf schütteln; aber er wird nicht warten mögen bis zum Examen, sondern Euch gleich auf den Zahn fühlen und, ohne daß er es selbst weiß, zu examinieren anfangen. So habt Ihr den doppelten Vorteil, daß Ihr wißt, wie es bei einem Examen zugeht und wie Ihr in einem solchen bestehen würdet.» Den Rat fand ich allerdings gut und an einem schönen Morgen befolgte ich ihn. Ich wurde zu einem kleinen Herrn geführt mit schönen glatten, schmalen, langen Backen und schnarrender Stimme. Auf mein Anbringen schüttelte er richtig den Kopf und sagte: «Ihr seid ein Roter, aber wisset Ihr auch, was ein Schulmeister ist?» Auf einige schöne Redensarten von mir sagte er: «Das ist gar schön, aber mit dem ist es noch nicht gemacht; wisset Ihr auch, was Ihr die Kinder lehren sollt?» Ich erwiderte etwas recht Kluges, wie ich meinte, aber er meinte: «Das ist nüt, darauf kommt es gar nicht an; ich frage Euch, ob Ihr die Fächer kennet, die Ihr lehren sollt? Kennt Ihr z. B. die deutsche Sprache?» Ich könne deutsch und französisch, meinte ich. «Ja, ich höre wohl, daß Ihr deutsch redet,» sagte er schneidend; deswegen kennt Ihr die deutsche Sprache doch nicht; könnet Ihr z B. sagen, aus wie vielen Bestandteilen ein Satz besteht?» Natürlich war ich am Hag. «Ihr kennt doch die Zustands- oder Aussagewörter?» Ich wußte wieder nichts. «Oder saget Ihr ihnen noch Zeitwörter?» Ja, die kannte ich endlich. «Könnet Ihr sie konjugieren?» «Ich liebe, du liebst, er sie es liebt.» «Nicht wahr, er, sie, es sind Fürwörter und stehen für Hauptwörter da; sollen sie die Stelle von Hauptwörtern vertreten, so müssen sie auch dekliniert werden können, nicht wahr?» Ja, das waren mir nicht nur böhmische, sondern auch spanische Dörfer, und ich schüttelte betrübt den Kopf. «Da seht Ihr, wenn man schon deutsch kann, so kann man doch die Sprache noch nicht kennen und das fordert man heutzutage.» Da er im Zuge war, so ging es durch mehrere Fächer fort, und in der Religion, wo ich meine Hauptstärke wähnte, bestund ich am schlechtesten. Ich sollte die Wörter Gnade, Barmherzigkeit, Langmut, Güte erklären und die bezeichnenden Unterschiede zwischen ihnen angeben. Ich redete wieder allerlei Schönes, wie ich glaubte; allein das sei nichts, sagte er mir, ich solle jedes besonders definieren mit bestimmten, kurzen Worten. Das konnte ich aber nie recht treffen, so wie er sich das ausgedacht hatte. Auf einmal heimelete die Sache mich; meine Unterweisung kam mir in Sinn; ich dachte, das sei vielleicht ein Sohn des Pfarrers, der mich unterwiesen, und natürlich werde er die Erklärungen seines Vaters wollen. Ich stoppelte nun aus meinem Gedächtnis zusammen, was ich noch wußte; aber o weh, es mußte doch nicht sein Sohn gewesen sein; denn er fuhr mich ordentlich an und nach vielen Wendungen fragte er mich, ob ich nicht selbst einsehen müsse, daß meine Erklärungen durchaus unverständig gewesen seien. Ich sehe aber hoffentlich nun selbst, daß nicht jeder Schulmeister sein könne, der es sich einbilde; er rate mir nicht, das Examen zu machen, sondern vor allem einen Wiederholungskurs zu besuchen.

Ganz zerschlagen und erbittert kam ich zum Fecker, erzählte ihm den Hergang, schimpfte weidlich über den Schulkommissär und behauptete, wenn es nach ihm ginge, müßten die Schulmeister Papageien werden und die Kinder zu solchen erziehen. Als ich ausgetaubelet hatte, sagte er mir, ich solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und ich verstünde die Sache doch nicht recht. Er wisse wohl, der Kommissär halte, ohne daß er es wolle, viel zu viel auf dem Eintrichtern, und obgleich er dagegen losziehe, begehe er doch den Fehler in hohem Grade. Er sei auch überzeugt, ich würde die Kinder in der Schule wecken und beleben, aber ihnen vielleicht zu wenig eintrichtern. Denn einmal müsse man den Kindern in der Schule auch etwas beibringen, und dieses müsse in einer bestimmten Ordnung und Form geschehen, und wenn der Lehrer diese Ordnung und Form die Kinder schon nicht auswendig lernen lasse, so müsse er sie doch selbst im Kopfe haben, um die Kinder so leiten zu können, daß sie, wenn auch nicht die willkürlichen Wörter, doch wenigstens die Sachen selbst fänden. Kenne der Lehrer weder Ordnung noch Form, so komme er bei aller Mühe nicht weit, nie zu einem sichern Gang, könne nie das rechte Ziel sich stecken. Da hinke es nun aber allerdings bei mir, und wenn es auch nicht die Hauptsache bei einem Lehrer sei, so sei es doch wenigstens die wichtigste Nebensache. Bei meinem verständigen Sinn und meiner Gewohnheit zu lernen, könne ich mir aber das wohl noch erwerben, wenn ich bei meinem Vorhaben bleiben wolle. Dazu hatte ich aber durchaus keine Lust. Das, was ich erlernen sollte, kam mir so kraus und fremd vor, dazu so geistlos und überflüssig, daß ich verzweifelte, je mir dasselbe aneignen zu können. Ich gab also den Traum, Schulmeister werden zu wollen, auf, gab den Glauben auf, daß die Vorsehung mich dazu berufen, und wollte mich auf etwas anderes besinnen.

Was ich nun wieder alles sann und verwarf, will ich nicht alles anführen. An einem Sonntage fiel mir im Amtsblatte die in meinem Amte ausgeschriebene Straßen-Inspektorstelle auf. Plötzlich schien mir ein Licht aufzugehen. Gerade dieser Posten schien wie gemacht für mich, und zwar aus zweien Gründen. Mit Schwellen und Straßen sah ich sehr geschickte, aber auch zweierlei andere Leute hantieren, und zwar zu großem Schaden des Staates. Erstlich Landeskinder, die wohl ihrer Lebtag hatten gemeinwerchen sehen an Schwellen oder Straßen, aber sonst nichts weiteres, die vielleicht nie darüber nachgedacht hatten, warum man eine Sache so mache und nicht anders. Ich sah wieder Leute, die vielleicht viel Kunst hatten, aber keinen Begriff vom Lande; die einen Fluß dämmen wollen, ohne seine Natur zu kennen, ohne glauben zu wollen, was man ihnen darüber sagte; ja, deren Einfalt so weit ging, daß, als sie an einer Brücke vom wilden Fluß an die Jöcher getragenes Holz sahen, sie frugen: «Wer hat denn das gemacht?» Sie glaubten wahrscheinlich, die Bauern hätten expreß Holz in den Fluß und an die Brücke geworfen, um sie zu schirmen, und schienen das sehr klug zu finden. Möglich, daß auch nächstens in einem gelehrten Werke dieses als ein sehr probates Mittel der Schweizerbauern zum Schutze der Brücken angepriesen wird.

So wurden Theorien aufgestellt, die für das Land nicht passen, und diese Theorien auf eine Weise ausgeführt, wie sie für die Theorie nicht paßte.

Nun kannte ich das Land, ich kannte auch etwas vom Straßen- und Schwellenbau. In Italien und in Frankreich hatte ich von beiden viel gesehen; und italienische Flüsse haben mit den unsrigen weit mehr Ähnlichkeit als z. B. die polnischen. Ich hatte auch manches darüber gelesen; denn Bonjour schleppte Bücher aller Art für mich zusammen. So hoffte ich die nötigen Kenntnisse zu haben für dieses Amt. Aber eigentlich der zweite Grund trat begeisternd vor mich. Wohin ich blickte, sah ich selten einen Vertreter des eigentlichen Staats- oder Gesamtinteresses, und noch viel seltener einen freundlichen uneigennützigen Vermittler zwischen dem Staats- und Privatinteresse. Freilich habe ich seit der Beresina etwas schwache Augen.

Auf der einen Seite herrscht die Ansicht: Wer Korporationen, besonders den Staat, am besten beschummeln könne, der sei der Gescheuteste; wer sein Maul an's Staatsbüpi hängen könne, werde am schnellsten fett, und je mehr er sauge, desto respektabler werde er. Das gilt vielen Leuten als vollkommen recht und untadelhaft, und man rühmt sich ordentlich dessen. Ja, ein Gemeindsvorstand, der mit seiner Unterschrift ebenfalls den Staat beschummeln wollte, glaubte mit vollem Recht dem ewige Rache drohen zu dürfen, der die Schelmerei ihm ausbrachte. Er brachte sie ihm zwar nicht absichtlich aus, sondern nur, weil er nicht zum Lügner werden wollte; aber es meinte der Gemeindsvorsteher wahrscheinlich, dem Staat gegenüber heiße lügen nicht lügen, stehlen nicht stehlen, sondern ganz anders.

Der, welcher mehr Taggelder verrechnete, als Tage im Jahr waren, scheint der gleichen Meinung gewesen zu sein. Und der, welcher des Tages ins Glas sah, und Nachts bei Laternenschein seine Augenscheine einnahm, scheint in seiner Meinung von den frühern nicht viel zu divergieren.

Ach Gott! wie schön ist's, Coulissen aus zerbröckelten Steinen aufführen zu können, die Steine zu 2 Kr. bezahlen, zu 5 Kr. zu verrechnen, Steine zu Brückendeckeln nur 8´´ ausbrechen zu lassen, um 1/3 Fuhrlohn in den Sack zu stecken, mehr Taglohn zu verrechnen, als man Arbeiter bezahlt, unter dem Vorwand, der Abzug werde zu einem Imbiß, daß Gott erbarm. Und abgegrabene Erde steckt man nicht in Sack, wohl aber das Geld dafür o bene über bene! Ach Gott! welch beseligend Gefühl ist es, die Aussicht zu haben, noch Jahre lang 8 Fr. Taggeld zu beziehen, und am Scherm und Schatten bequemlich 3 Fr. davon zu verzehren, und alle Tage die zur Verdauung notwendige zweistündige Bewegung zwischen zweien Wirtshäusern hin und her machen zu können für 8 Fr. täglich! Ach! wie wohl muß dem der Schlaf tun, wenn er, sich niederlegend, sagen kann: Gottlob! heute ist wieder nicht viel geschehen, und für diese oder jene Arbeit habe ich die günstigste Zeit verdreht, sie auf die Weise angeordnet, wie sie am langsamsten geht. Wenn man mich machen läßt, so währt mein Schlaraffenleben noch einen Schutz. Ach Gott! wie wohl tut mir der zehnbatzige Wein und alle Tage Voressen! Und wenn der Mann Großrat wäre zufällig, so würde er hinzusetzen: Aber wer wird gegen mich etwas sagen dürfen, gegen mich Großrat? Dem D. wollte ich es zeigen, was er sei und was ein Großrat zu bedeuten hat; und wär's ein Oberst, ich wollte ihm zeigen, was ein Großrat sei! Aber ein Oberst, der nicht Großrat ist, aber auch von Taggeldern lebt, wird sich wohl hüten, mit einem Großrat es zu verderben.

Ach! wer doch für die Regierung straßen könnte! Wie könnte der dann schön bauen für sich, und seinen Sohn getrost beeteln lassen, den Satz zu 3 bis 5 Btz.!

Es schien mir fast, als ob die Begriffe Treue, Ehrlichkeit, Wahrheit gegenüber dem Staate ordentlich gespensterartig würden und spukhaft; die Worte hörte man, sah sie auf dem Papier allenthalben; guckte man aber tiefer hinein, so war es, als ob sie lauteten: Beluxen sei eine Tugend, Hehlen eine Pflicht.

Dann sah man wieder andere gegenüber den Gemeinden und Privaten barsch auftreten und roh, jede Einwendung verhöhnend, jedes freimütige Ansuchen abschlagen, sah gnädeln, wo Kriecherei ihnen entgegen kam, und auf merkwürdige Weise Sinn ändern, und aus einem ganz andern Tone reden, wie zum Beispiel eine leere Tasche einen ganz anderen Klang hat als eine, in welche einige Fünfunddreißiger gesteckt worden; sah unbegründet Gemeinden kujonieren, und andere unsinnig begünstigen auf die seltsamste Weise; sah Leute vor die Köpfe stoßen um Kleinigkeiten, und wiederum mit Staatsgeldern umgehen, als ob alle Tannen im Kanton Bern statt Krisnadeln Dublonen trügen, und alle diese Dublonen den Bach ab gejagt werden sollten.

Da schien's mir ganz prächtig, so ein Beamteter zu werden, wie ich mir dachte, daß einer sein sollte, zu walten im angewiesenen Kreise mit Sachkenntnis, als einer, dem man es ansieht, daß er für das Amt da sei, und nicht das Amt für ihn, treu den Staat und das Gesamtinteresse zu vertreten, und jedem freundlich entgegenzutreten, alte Kniffe abzustellen, und neue Handgriffe einzuführen. Ich dachte mir in vielfachem Verkehr tausend Gelegenheiten zu haben, die guten Absichten der Regierung gegen Mißdeutungen zu schützen, und hinwiederum manchen verkannten Biedermann höheren Orts zu vertreten. Kurz, ich träumte gar prächtige Träume, und mochte gar nicht warten, bis ich dem Fecker meinen Entschluß, Amts- oder Straßen-Inspektor zu werden, mitteilen konnte.

Die Stelle war mir ganz nahe gerückt; es war mir fast, als hätte ich sie schon; ich hatte mich überzeugt, daß man sicher tüchtige Leute untüchtigen vorziehen würde, wenn man die ersteren nur hätte. Der Fecker lächelte, als ich meine Hoffnungen so begeistert vor ihm ausschüttete, und meinte, ich solle die Sache nur nicht zu sicher nehmen. Da fuhr ich auf und sagte: Es sei gottlob nicht mehr die alte Zeit, wo man ein Burger von Bern sein mußte, oder der Trabant irgend eines Landvogts, um zu einem Pöstlein zu kommen; jetzt sei man hungrig und durstig nach tüchtigen Leuten, wenn man sie nur hätte; man stelle ja jeden fremden Schminggel an, wenn man nur von weitem hoffe, daß er fünfe zählen könne; um wie viel eifriger würde man also nach tüchtigen Landeskindern greifen, wenn sie sich fänden. Mein Fecker lächelte je mehr und mehr und meinte endlich, ich sei auf dem besten Wege, ein Brandschwarzer zu werden. Ich konnte ihn nicht begreifen, konnte nicht begreifen, warum er gerade heute an einem Sonntage und dazu noch nach einer Predigt, so besonders zum Spaßen aufgelegt sei und stellte ihn darüber etwas hastig zur Rede.

«Mein lieber Gotthelf», sagte er, «wenn Ihr mich ruhig anhören wollt, so will ich Euch das erklären. Ihr stellt Euch vor, die Zeit, die erst kommen soll, und weiß Gott wann! die sei schon da; kommt Ihr nun darüber, daß diese Zeit, in der wir leben, der vergangenen ähnlicher ist, als der erwarteten, so werdet Ihr bitterböse über sie, d. h. brandschwarz; Ihr meint, die Zeit habe Euch betrogen, während Ihr doch Euch selbst betrogen habt. So stellt Ihr Euch vor, es solle nun in allen Dingen ganz anders gehen, als es ehedem ging; da irrt Ihr Euch: es geht in vielen Dingen nicht besser, manche sagen schlimmer; aber daran ist die Zeit, die wir haben, nicht schuld, auch nicht die Menschen, sondern es ist der natürliche Lauf der Welt, der es so mit sich bringt, über den man niemandem zürnen kann als allfällig Gott, wer Lust dazu hat. Ich will Euch das gerade an Euerem Posten deutlich zu machen suchen. Ehedem war allerdings der Kanton Bern gerade wie ein Lebkuchen, um den apartige Leute saßen und daran gnagten und sich erlabten. Rings um sie warteten auf den Hinterpfoten eine Menge wunderlicher Tiere mit Menschenaugen, aber einem Hundemagen, auf und apportierten die Brosamen, die von der Herren Tische fielen. Das geschah nun nicht hinter einem Umhang, sondern der Schmaus wurde aufgeführt vor allem Volk an Hellem Tage. Nun schienen viele der Sitzenden, nicht alle, freilich nur gar kleine Bissen in den Mund zu stoßen auf einmal; aber viele kleine Bissen machen am Ende auch einen großen, und die Bissen, welche sie den kleinen Tierchen, welch» ihnen auf dem Schöße lagen, in die Schnauze schoben, sollt» niemand merken; sie machten freilich saure Gesichter, und wischten sich zuweilen den Schweiß von den Stirnen; allein sie saßen doch alle so behaglich da, und wenn einmal einer auf dem Sessel an dem Lebkuchen saß, so war er nicht wegzubringen. Dem ganzen Spektakel sah man zu, prägte ihn sich tief ein, und wer weiß, ob nicht manchem das Maul wässerte. Wenn Väter es sich wohl sein lassen, und sich nur darum kümmern, daß ihre Kinder nichts von dem erhalten, was sie selbst genießen vor den Augen der Kinder, wer will es den Kindern verargen, wenn sie schwytig werden, an ihrer Väter Stelle zu sein wünschen, und meinen, die Vaterpflichten bestünden in der Verwirklichung des Sprichwortes: Selber fresse macht feiß.

Es gab aber immer Leute, die dieses ärgerte, und die brachten es endlich dahin, daß erkannt wurde, der Kanton Bern solle kein Lebkuchen mehr sein, das Gnagen und Apportieren solle aufhören, aber nicht das Schwitzen und Arbeiten; und wer um den Kanton zu schwitzen und zu arbeiten wisse, der solle ja ordentlich zu essen kriegen, wenn auch nicht Lebkuchen. So wurde es erkannt, so sollte es nun sein, und im Anfang kam gar mancher nicht um des Essens, sondern um des Schwitzens und Arbeitens willen an den Tisch mit dem grünen Tischlaken; auf den Privattischen hat man weiße Tischtücher, weil man auf denselben weniger verzattert. Aber die Menge behielt doch noch den Lebkuchen im Kopf und das Wässern darnach im Munde; aber sie blieb verblüfft und wagte sich nicht zum Tische hin, sich scheuend vor dem ehemals heiligen Bann um denselben. Nur einige Schlauköpfe drängten sich vor, riefen: «Voll, um deinetwillen bis in den Tod!» und schwangen sich noch an einige Plätze und nahmen geschwinde einige Schoßhündchen mit sich auf und zwischen die Beine. Da gingen der Menge Maul und Nase auf, daß ihresgleichen ungestraft und behaglich da sitzen konnten, wo ehemals der Lebkuchen war, und sie wurden bitterböse, daß sie die rechte Zeit versäumt, und noch böser, wenn sie sahen, wie einige am Tische Brocken um Brocken über die Achsel denen reichten, welche hinter ihren Stühlen scharwenzelten und apportierten mit ihren Menschengesichtern und Hundemagen. Die, welche schwitzten und arbeiteten, wurden auch böse, daß Kollegen nichts anders taten, als Brocken austeilen und im Regierungsleist die zu Hause Arbeitenden kritisieren und bespötteln, und noch böser, wenn sie bei ihrer Arbeit von den Pöstli-Lüstlingen, die nicht arbeiten, wohl aber räsonnieren konnten, Mupf um Mupf erhielten, damit sie ihnen Platz machen möchten. Und mancher Ehrenmann wird des Müpfens satt und macht irgend einem hungrigen Menschengesicht Platz, So sieht das Ding aus, und manchmal sieht es fast unverschämt aus, wie an einem Frankfurter Kaisertag, wo man um einen gebratenen Ochsen sich tot schlug, und wer sich am unverschämtesten Platz macht, der schreit doch nicht anders als: «Platz da im Namen des Volkes und für das Volk!» So ist diesen Augenblick ein wüstes Stoßen und Drängen um Brocken, Stühle und den eingebildeten Lebkuchen, der gar nicht mehr da ist. Das macht nun manchem gar böses Blut; er klagt die Zeit und, weiß Gott, Gott selbst an, und wird brandschwarz. Mein Gott, der gute Mensch war gar einfältig, daß er meinte, die Menge sollte vergessen, was sie gesehen, und den Appetit, den sie durch Anschauen erhalten! Es ist gar einfältig, daß er glaubt, der liebe Gott habe so einen Wäschlumpen in der Hand, mit welchem er alle Eindrücke, welche ein Volk durch Jahrhunderte durch erhalten, in einer halben Stunde durchstreiche. Das sind Narrheiten! Gerade so mußte es kommen. Aber nur dafür gesorgt, daß der Lebkuchen nicht mehr hergesetzt werde, und daß das Volk begreifen lerne, was für ein Unterschied es sei zwischen essen und trinken und schwitzen und arbeiten; dann wird das Müpfen und Stoßen von selbst aufhören, und an den Tischen wird nur gelassen, wer zu schwitzen und zu arbeiten versteht. In dieser Zeit sind wir aber noch nicht, im Gegenteil, gerade jetzt ist der Andrang am heftigsten und scheinbar die Meinung oben auf, daß man nur ein recht grober, gottloser Lümmel zu sein brauche, um recht viel zu werden; allein das wird sich von selbst geben ohne Wunder, sobald man gelassen und ruhig dem Ende des Traumes abwartet und zu seinem Ende beiträgt, was man kann. Aber weil nun gerade die Zeit so ist, werdet Ihr die Stelle nicht erhalten. Nach Euern Kenntnissen usw. wird man gar nicht fragen, und nach den Kenntnissen dessen, der sie erhält, noch viel weniger. Ja, wer weiß, ob sie nicht etwa irgend ein Besenbinder oder Kübelimacher erhält, der aufzuwarten versteht, oder irgend jemand an den Tischen hat, der seine Stimme kennt, dem er verwandt ist auf irgend eine Weise; denn es gibt nicht nur verschiedene Grade von Verwandtschaft, sondern auch verschiedene Arten.»

Mit stummem Erstaunen hatte ich zugehört, aber nicht mit sonderlicher Erbauung, und sagte endlich dem Fecker, es scheine doch, die Leute hätten Recht, welche sagen, er hielte es nicht mit dem Volke, sondern er sei halt ein Herr, und keine Krähe kratze der andern die Augen aus, und wenn er es schon nicht mit den ganz Alten halte, so sei er doch ein Freund von weißen Aristokraten, den Bürgern aus kleinen und großen Städten, die den Landleuten die besten Plätze weggenommen hätten und jetzt so grundschlecht regierten, daß ein jedes Kind es besser könnte. «Nun», meinte er, «was die Leute sagen, das muß ich mir gefallen lassen; sie verstehen halt das Ding nicht besser; aber Euch hätte ich verständiger geglaubt. Niemand liebt das Volk mehr und inniger als ich; niemand ist bereit zu größern Opfern als gerade ich, und ist das nicht eben ein Zeichen meiner aufrichtigen Liebe, daß ich über dasselbe nicht verblendet bin und ihm seine Fehler aufrichtig sage? Das Volk ist aber gerade wie ein hübsches reiches Mädchen, dem der Herr so eben erlaubt hat, und das unbekannt mit der Welt in dieselbe hinaustritt. Das Mädchen ist herzgut und hat viel Schönes noch behalten; aber es ist in diesem Augenblick doch wenig mit ihm zu machen, und wenn es je verführt werden sollte, so ist das gerade jetzt am leichtesten. Das gute Mädchen kennt halt seine Leute noch nicht und glaubt, die meinen es am besten mit ihm, die ihm hinten und vornen scharwenzeln, es rühmen von den Züpfen bis zu den Zwicken, alles gescheut finden, was es sagt, alles schön, was es macht, jeder Laune huldigen, von keinem Fehler wissen wollen, das liebe Menschenkind zu einer Göttin des Himmels machen. Nun drängen sich zu demselben eine Menge hofierender Anbeter mit und ohne Brillen; die sagen ihm die schönsten Sachen, freilich in verschiedenen Mundarten, fast wie beim Turmbau zu Babel; sie versprechen für dasselbe in den Tod zu gehen, schwören den Tod jedem, der ihm nur ein schiefes Gesicht ziehe. Sie stellen sich gar uneigennützig; nichts, gar nichts, wollen sie für diese schönen Sachen alle, als einen Blick aus des Mädchens schönen Augen. Aber das Mädchen ist eine gar gute Haut; über so viele gute Freunde, die ihm auf einmal wie Krautstengel aus dem Boden gewachsen oder wie Hagelsteine vom Himmel gefallen sind, ist es gar zu seelenvergnügt; es will doch nicht alles umsonst haben von ihnen; es wirft ihnen Handküsse, Bonbons, Souvenirs aller Art zu, wirft sich ihnen am Ende kehrum in die ausgespreizten Arme, woran die langen Finger teils in schönen Handschuhen stecken, teils mit schönem braunem Bocksleder überzogen sind. Und dann tanzen und gumpen sie mit einander und können sich gegenseitig nicht satt rühmen und loben. Und die alten Freunde des Mädchens, die es auferzogen und von ganzem Herzen liebten, ihm aber wie gute Freunde die Wahrheit sagten, die läßt es auf der Seite stehen, findet sie kreuzlangweilig und nicht passend für ihns; es mag sie eben nicht heißen gehen; aber es wirft gar verständliche Blicke auf die Türe hin, und hätte gar zu gerne, sie hätten selbst Verstand. Aber gute Freunde gehen eben nicht, wenn's dunkelt, von einem Mädchen weg, das von Liebhabern, mit Bocksleder überzogen, umringt ist, und das gerne mit ihnen allein wäre; da könnte dem Mädchen etwas gar Wüstes begegnen. Sie ertragen ganz ruhig die Blicke, bleiben geduldig da, bis die gefährliche Stunde vorüber ist und das Mädchen selbst merkt, daß es gar zu häßlich böckelet um ihns herum, und daß aus den langen Fingern lange Krallen wachsen, und aus den Augen mit und ohne Brillen sieben böse Geister steigen, hungrig und geil. Da wird allgemach dem Mädchen bange ums Herz; nach den alten Freunden sieht es sich wieder um, dankt dem lieben Gott, daß sie noch dageblieben; und zu dem häßlichen Gezüchte sagt es: «Huß use!» bis es von dannen stiebt. Dann ist das Mädchen wieder lieb und holdselig, aber klüger und minder leichtgläubig als ehedem.

«Unter diese alten Freunde nun», sagte der Fecker, «zähle ich mich. Das Volk liegt mir gleich am Herzen, wenn ich schon sehe, daß es gemäß der Entwicklungsperiode, in der es steht, mit Schwengeln liebäugelt, über Laffen mich vergißt. Ich schimpfe auch nicht über das Volk, wenn ich schon dieses Kokettisieren tadle und seine Verblendung bedaure. Und wenn es mir schon nach der Türe winkt, so werde ich doch nicht böse und bleibe getrost; es würde mancher Tochter schön ergehen, wenn die Mutter sich allemal zur Seite drücken wollte, sobald ihre Tochter einen Buhlen mit den Augen brünstiglich zu ver- und umschlingen beginnt. Übrigens, lieber Gotthelf, wollen wir darüber nicht disputieren; das sind Dinge der Erfahrung, Resultate auf Erfahrung begründeter Beobachtungen. Ihr seid noch zu wenig lang im Lande, um durch die Oberfläche in die Tiefe zu dringen. Geht, laßt Euch anschreiben, aber gebt acht, daß Ihr nicht ein Brandschwarzer werdet.»

Ich konnte den Fecker nicht fassen, nicht fassen, wie er das alles so gemütlich hersagte, als ob ihm an der ganzen Sache nichts gelegen sei; ich konnte mich des Verdachts nicht enthalten, er höhne entweder mich oder das Volk mit solchen Reden.

Ich ging nun zum Regierungsstatthalter, um mich anschreiben zu lassen. Ich traf ihn auf dem Sopha sitzend mit einer kurzen Figur, die es sich ganz behaglich darin sein ließ; man sah ihr an, daß so etwas ihr seltsam sei. Der Regierungsstatthalter fragte mich, ohne aufzustehen oder mich sitzen zu heißen: «Was weit dr?» Ich berichtete ganz kurz mein Begehren. «Ja», sagte er, «es sy nit meh die alte Zyte, wo-n-e jede Halunk cha werde, was er will; me wott hützutag bravi u rechti Lüt, daß me o weiß, wer si sy und was mit ne isch.» Ich erwiderte, daß ich kein Halunke sei und etwas verstehe von der Sache. «Ja, me weiß scho, wer dr syt», hieß es wieder, «syt dr nit under de Rote gsy?» «Ja, Herr», sagte ich. «He nu, so weiß me scho, wer dr syt; da isch eine wie dr anger, es isch kene nüt wert, u so söttige Landsverräter git me kei sellige Pfoste.» Es war nach dem Essen; ich hatte einen Schoppen getrunken und der Herr Regierungsstatthalter vielleicht zwei, denn es war gerade Amtsgericht, und ich antwortete hitzig, daß ich kein Landesverräter sei, daß ich Kenntnisse im Fache habe, mich examinieren lassen wolle, und begehre, daß ich mit diesen Bemerkungen solle angeschrieben werden. Der Herr Regierungsstatthalter bemerkte, er hätte viel zu tun, wenn er zu jedem schreiben wolle, was er ihm sage; wenn ich es zwängen wolle, so werde er mich anschreiben; ich werde dann schon sehen, was es mich nütze. Bei allen seinen landesväterlichen Bemerkungen wandte er sich immer zu seinem Kumpanen mit der Frage: «Isch nit so?» Und dieser trommelte mit den Fingern auf dem Ruhbettkissen und sagte dann: «He perschee!» Ein Wort gab das andere; doch faßte ich mich zuerst und bemerkte, es sei mir leid, daß wenigstens hier im Schlosse die volkstümliche Zeit noch nicht herrsche, sondern noch die landvögtliche; wahrscheinlich würde auch die Wahl also ausfallen; es sei mir ferner leid, wenn ich ungelegen gekommen und gestört hätte. Ich müsse aber aufrichtig bekennen, solchen Bescheid und solche Behandlung hätte ich nicht erwartet. Nach unserer neuen Verfassung hätte ich von den Regierungsbeamteten nicht erwartet, daß sie die Leute also behandelten nach ihren Launen; noch trauriger wäre es, wenn sie die Gesetze auch so handhaben würden, das heißt nach Launen, Gunst und Bequemlichkeit. Übrigens würde ich nun den Entscheid der obern Behörde gewärtigen. Das sagte ich in einem Tone, der den Mann doch etwas stutzig machte; aber er war gewohnt, auch wenn er schlotterte, sich forsch zu machen; er wies mir daher die Türe mit der Bemerkung: Auf alle Fälle sei es nicht die Zeit, daß er sich von einem Roten solche Dinge sagen lasse; ich solle machen, daß ich fortkomme, sonst wolle er mir den Meister zeigen.

Mit bitterer Empfindung machte ich mich fort. Also noch immer Vorurteile gegen ganze Klassen von Menschen, noch immer kein humanes Benehmen, sondern ein brutales, und dieses neben der größten Lässigkeit in der Handhabung der Gesetze, in welcher man verleidete Leute entweder gar nicht zitiere, oder nachdem man sie dreimal zitiert und sie dreimal nicht erschienen seien, die Sache endlich auf sich beruhen lasse. Ich begann recht finster zu werden, zu glauben, ich hätte mich in der Zeit getäuscht, und es wäre wenigstens nicht besser als früher. Da fiel mir der Fecker ein und seine Bemerkungen; ich fand, daß ich aus dem Tintenkübel bereits nicht übel geschwärzt worden, daß ich meine Person mit dem Vaterland, den Regierungsstatthalter mit der Verfassung zu verwechseln willens sei. Ich begann nun zu begreifen, was der Fecker gemeint, und ging wieder zu ihm, was ich einige Tage unterlassen hatte. Ich erzählte ihm meine Geschichte und Empfindungen. Er meinte, das sei eben das Unglückliche der gegenwärtigen Zeit, daß man es besser machen wolle als ehedem, aber das Ding trotz dem guten Willen nicht verstehe. Man wolle es besser machen, die Leute dadurch zufriedener erhalten, daß man keinen Nachdruck in die Handhabung der Gesetze lege, daß man sie übersehe, gegen ihren Sinn zu milde auslege; dadurch entstehe aber ein Schwanken, das gerade aussehe wie Willkür, worüber eine Menge unzufrieden werde und entweder über Trägheit oder Ungerechtigkeit schreie. Daneben niste sich doch allmählich bei einigen Beamteten das Gefühl ein, daß sie an den Stellen seien, vor denen man sich ehedem so tief gebeugt und besonders tief alle die, welche gut gesinnet scheinen wollten. Den gleichen Barometer fangen einige nun auch an hinter ihren Stühlen aufzupflanzen, und glauben die, welche etwas geradezu sich benehmen, für Mißvergnügte ansehen und durch ihr Benehmen ihnen das Mißfallen über solche Gesinnung an den Tag legen zu müssen. Viele nun kennen die Menschen zu wenig, gar viele haben nicht Gewandtheit, mit den Menschen umzugehen, und wenn sie einem nicht wohl wollen, so nehmen sie ein Betragen an, welches man dem Hans und dem Sami übersehen hatte, was aber einem Regierungsrat oder Regierungsstatthalter usw. nicht übersehen, sondern von den meisten der neuern Zeit der Verfassung zur Last gelegt werde und mißvergnügt mache. Die guten Leute bedenken nicht, daß sie auf diese Weise gerade die Sünde begehen, welche in der alten Zeit der alten Regierung die meisten Gegner erzeugte. Die Persönlichkeit der Regierenden trägt wenigstens zwei Drittel bei zur Zufriedenheit oder Unzufriedenheit eines Landes, die Verfassung nur einen. Dieses Betragen ist aber wieder nicht ein gleichförmiges, sondern eben die, welche nicht Meister ihres Benehmens sind, kommen bald auf hohen Rossen und handkehrum können sie sich wieder so gemein machen, als ob sie mit jedem Bruder Leipziger an der Schweinfurter Messe Schmollis gemacht. Wenn schon der letztern Art eben nicht viele sind, so paßt man doch zu sehr auf, als daß sie nicht bemerkt, ein bedeutender Lärm über sie erhoben, und viele durch sie verletzt eben brandschwarz werden. Nun, mein lieber Gotthelf, müssen wir verständigen Leute aber billig sein, nicht von den Menschen das Unmögliche verlangen, nicht verlangen, daß sie auf einmal Engel oder taktfest gebildet seien, daß sie alle Regenten-Weisheit und -Tugend in sich vereinigen, auch nicht, daß sie noch ins Welschland gehen sollen, sondern wir müssen sie mit Gleichmut ertragen, mit immer gleicher Freimütigkeit, verbunden mit der gehörigen Achtung, behandeln, mögen sie auch darüber die Wände hinaufspringen und uns unhold werden; das ist die wahre Löffelschleife des Republikaners. Sie ist leider bei uns noch nicht im rechten Gang, sie war allzulange vergessen; die Löffel sind widerspenstig und die Schleifsteine bald zu weich und bald zu spröde. Wir waren nicht gewohnt, mit unsern Regenten als unseresgleichen umzugehen; unsere Regenten haben früher nirgends gesehen, wie das zugeht; nun fehlt, bis man des Dinges gewohnt ist, auf beiden Seiten die rechte Manier, und auf beiden Seiten herrscht eine Empfindlichkeit, die durch die kleinsten Dinge verletzt wird, die in jedem Widerspruch Mangel an Achtung sieht, oder böse Gesinnung, in jeder abgeschlagenen Zumutung Widerspenstigkeit oder bösen Willen. Natürlich verträgt diese Empfindlichkeit keine freimütige Rüge der bestehenden Übelstände, und wenn diese meine Bemerkungen zu den Ohren der Betroffenen kämen, so könnte ich zu meinen Ohren Sorge tragen. Aber wie gesagt, Gotthelf, so musste es kommen; nur nicht den Mut verloren, sich selbst treu geblieben; es muß dann besser kommen. Ich hätte Euch geraten, auf Bern zu gehen; aber die Eurer Stimmung darf ich es nicht; Ihr würdet dort nur verletzen und verletzt werden. Wartet der Sache gelassen ab, es muß sich bald entscheiden.» Trotz der Zusprüche des Feckers konnte ich die Sache doch nicht so gelassen hinnehmen; es schien mir immer, auf diese Weise werde die Verfassung geradezu eine Null, oder wenigstens der Nutzen, den sich das Land davon versprach, vereitelt. Ich konnte gar nicht glauben, dass es im natürlichen Gang der Dinge so kommen musste, gar nicht glauben, dass alle die gehegten Hoffnungen töricht gewesen, dass man das Unmögliche geträumt. Und als endlich die Wahl entschieden wurde und auf jemand fiel, der sein Lebtag an keiner Straße gearbeitet und über keine Straße nachgedacht hatte, der die dümmsten Ansichten sich bildete und aussprach, sein Amt später spöttisch verwaltete, da griff es mich hart an. Lange hatte ich zu tun, Schmerz und Bitterkeit zu bekämpfen: Schmerz über die Schwierigkeit, beim besten Willen nützlich zu sein, alle meine Kenntnisse nicht brauchen zu können; Bitterkeit, dass man allenthalben meine Person verschmähte, aus blinden Vorurteilen, ohne sich die Mühe zu geben, ihren Wert und Unwert genauer zu untersuchen. Während dieser Gemütsstimmung starb der alte Polizeidiener und seine Stelle sollte an der nächsten Gemeinde wieder besetzt werden. Ein wunderbares Gemisch von Hochmut und Demut, von Unmut und Wehmut ließ mich auf der Stelle den Entschluß fassen, diese Stelle zu suchen. Etwas wollte ich tun und sein; wollte man mich nichts Besseres, nun, wessen Schade war es? Mit welchem Stolz konnte ich von Haus zu Haus gehen, von Vorgesetzten zu Vorgesetzten, im Bewußtsein, gescheuter als alle zu sein; wie schön, sie das bei mancher Gelegenheit fühlen lassen zu können! Dann fand ich wieder billig, daß ich Vorurteile sühne, daß ich mich dargebe, erniedrige, in bescheidener Erwartung, erkannt und erhöht zu werden. Es kam mir ordentlich tröstlich vor, in verachtetem Gewande Achtung zu gewinnen, und schön, in manches Haus Rat und Verstand bringen zu können. Immer mehr schöne Seiten gewann ich diesem Amte ab, und das Wandern von Hügel zu Hügel, von Tal zu Tal, Herr seiner Zeit und Gedanken, schien mir gar fröhlich und gemütlich. Aber nicht nur die schöne Seite, sondern auch die nützliche bot sich mir dar.

Es will heutzutage jedermann seine Nase in alles stecken, und glaubt er etwas zu riechen, so brüllt er in irgend einer Zeitung oder hinter einem Schoppen lauter als wie zehntausend Ochsen. Ehedem gab es zwar immer Leute, die ihre Nase gerne in alles steckten, alle Morgen sich Verzeichnisse geben ließen von denen, die an der Matte spazieren gegangen, alle Wochen Berichte über alle Landvögte, und mit was und mit wem sie am liebsten gvätterleten; aber sie brüllten nicht wie zehntausend Ochsen, sondern sie behielten das Vernommene fein säuberlich im Kragen bis zur gelegenen Zeit, wo sie es in eine Ohrfeige verwandeln konnten. So taten einige; aber ihren Untergebenen paßten sie auf, und sie mußten nicht nur Weinmuster in den Wirtshäusern herumtragen, sondern auch auf Strolchen und Gesindel achten. Nun aber sind wir alle gleich, alle souverän, und niemand gibt sich daher gerne mit dem Gesindel ab; so ein souveräner Bernerbürger ist zu stolz, an das Lumpenpack seine Zeit zu verlieren. Indessen bestehen noch aus alter Gewohnheit einige Ämtlein, welche um des Lumpengesindels willen errichtet worden, wenigstens zum Teil, und mit den Ämtlein sind einige Geldsorten verbunden.

Und damit diese Geldsorten nicht spangrün werden, wie die Münze der Salzauswäger, gibt es immer Leute, die bereit sind, sie abzunehmen, und den Titel sich anhängen zu lassen, der zum Abnehmen berechtigt; versteht sich, daß man vom Lumpengesindel als von einer wüsten Sache, nicht viel redet. Nun aber hat denn doch das Lumpengesindel die Art, daß es brave Leute inkommodiert, ungefähr wie Läuse einen an Reinlichkeit gewöhnten Menschen; und noch immer gibt es fatale alte Leute, die bettelnde strolchende Berner-Bürger, -Bürgerinnen, -Bürgerlein auch zum Lumpengesindel rechnen. Und diese Leute haben die fatale Manier, daß sie schreien über dieses Plagen, wie Kinder über Läuse, die sie beißen. Da nun der Regierungsrat es nicht mit ganz allen Leuten verderben darf, so läßt er von Zeit zu Zeit Mahnungen aufs Land ergehen, daß man doch ein Auge nach diesem Lumpengesindel kehren, und es wenigstens mit einem Fuße über die Grenze setzen soll, und setzt gar noch einige Geldsorten extra bei. Aber mein Gott, wer wollte alles bezahlen? Wer wollte sich mit solchen Kleinigkeiten befassen? Wer wollte seine Ehrlichkeit in Gefahr setzen, daß er in diesen Extra-Gratifikationen sich zufällig verrechne? Wer wollte Berner-Bürgern zumuten so lange in schlechter Gesellschaft zu sein bis an die Grenze? – nun, wenn's noch durchs nächste Dorf wäre, so möchte es angehen, aber bis zur Grenze! – Und wie will man einem Bürger, der mit zweien Gemeinderäten besoffen einem Gemeinderat beiwohnen darf, zumuten, mit einem Lumpenkerl durch ein Dorf zu gehen? Ach Gott, welche Zumutung! Und wo bliebe dabei die persönliche Freiheit und die Gewissensfreiheit in der freien Republik? Ach Gott, so regierungsrätliche Monitorien muß man vergessen, nachdem man darauf geschrieben: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Und ob man's vergesse oder nicht, wer fragt darnach; ist doch die Hauptsache, daß man gut angeschrieben stehe oben. So geht es dann lustig und frei zu im Lande, und das Pack ist oft sicherer vor der Polizei auf den Straßen, als ehrliche Leute in ihren Häusern. Die hübschen Ländermädchen ziehen jubelnd, singend und bettelnd durch Dorf und Tal, furchtlos und schalkhaft und tragen das erbettelte und sonst eroberte Geld neutalerweise aus dem Lande. Sie haben aber auch versöhnende Manieren, vor denen Karabiner sogar und Säbel sich sanftmütig an Boden legen. Es wird aber wirklich dann zu Neujahr, Fastnacht und andern Zeiten stillen Leuten zu eng im Lande; sie haben kaum mehr Platz vor ihren eigenen Haustüren, und kaum Ruhe zum Essen, so daß wirklich manchem schon eingefallen ist, in öffentlichen Blättern dr Gottswillen und für gutes Geld einen guten Kerl aufzusuchen, der sich mit dem Gesindel abgebe, das heißt nämlich, nicht gemeine Sache mit ihm mache, sondern die vor dem Gesindel schütze, die ihn bezahlen. Es geschah nicht aus Gutherzigkeit; man fürchtete, es könnten es Leute für ungut nehmen, wenn man es besser haben wollte, als andere Leute es sich auch müssen gefallen lassen. Auch haben diese Leute ein gar großes Bedauern mit einer Menge Kinder, die von ruchlosen Eltern ausgesandt auf den Bettel ausschwärmen im ganzen Lande zum Müßiggang, ans Schlecken und Stehlen sich gewöhnen, und sonst noch anderes, und doch geben sie ihnen Kreuzer um Kreuzer zum Naschen. Und jeder einem Kinde gegebene Kreuzer ist ein Lockvogel, der das Kind tiefer in das wüste Leben zieht. Aber man gibt teils aus Gewohnheit, teils aus Barmherzigkeit fort und fort. Man denkt, wenn nur ein Kind von zehn bettelnden wirklich einen kranken Vater, eine hungernde Mutter zu Hause hätte, so wolle man lieber neun Kreuzer verlieren, als einen hartherzig verweigern; man vergißt dabei die neun zu Grunde gehenden Kinder und das Weh ihrer Seelen.

Da dachte ich es mir gar prächtig und nötig, so als ein getreuer Wächter durchs Land zu wandern mit redlichem Gemüt, offenen Augen und freier Zunge, mannlich gegenüber zu stehen dem Regierungsstatthalter, und getreu ihm zu rapportieren, was seines Amtes ist, unbekümmert, ob er es gerne höre oder nicht. Und wenn es sein Liebling wäre, und wenn sein Liebling Statthalter wäre, und dieser Liebling und Statthalter würden zum Beispiel einen armen Teufel mit Brönz füllen, um die Lust zu haben, wie derselbe den Kopf am Boden sich zerschlage auf jämmerliche Weise, oder er selbst der Liebling und Statthalter würden voll am Boden sich wälzen, vielleicht noch an einem Sonntage an hellem Tage, unfähig aufzustehen und seine Hosen zuzumachen, so würde ich es dem Regierungsstatthalter sagen, und wenn er mir darüber ein sauer Gesicht machen sollte, oder vielleicht mir sagen: Das geyt Euch nüt a, Polizeyer, so würde ich ihm sagen: Ich hatte geglaubt, ein Statthalter wäre sein Stellvertreter und auch der Stellvertreter der Regierung, und hatte nun gefürchtet, die Schwarzen möchten sagen: Wer sich durch ein Schwein vertreten lasse, müsse selbst eine Sau sein; und das hatte ich verhüten wollen, aber nichts für ungut; wer zum Beispiel sich durch einen auf Betrug ertappten Menschen vertreten lasse, werde selbst nicht für sauber angesehen. So dachte ich mir es gar schön. Ich dachte mir ferner zu tun, wozu die meisten sonst zu vornehm sind, zu souverän sich dünken, der Sicherheit des Landes mich anzunehmen, dem schauderhaft überhandnehmenden Bettel zu wehren, die Mühe nicht zu scheuen, ohne Brönz oder Vergütung die Bettelnden wegzuweisen, ihrer Gemeinde zuzuführen. Ich war überzeugt, eine alle Tage sich gleich bleibende Strenge würde dem Unfug bald ein Ende machen.

Aber die armen bettelnden Kinder wollte ich nicht schlagen, nicht mit dem Schuh mißhandeln. Nein, mit ihnen wollte ich wandern ihrer Heimat zu, wollte ihnen auf dem Wege ausforschen ihr junges Herz, wollte versuchen, mit weichen, linden oder ernsten Worten etwas Besseres zu pflanzen in dasselbe, wollte versuchen, in ihren jungen Herzen keimen zu lassen das Gefühl ihrer Menschenwürde, den wahren Menschenstolz, der nicht bettelt, nicht bettelt um einen Kreuzer, nicht bettelt um ein Ämtlein, nicht bettelt um eine Pfarrei, nicht bettelt mit den eigenen Beinen, nicht bettelt mit des Vaters Beinen, den kleinen zwar, aber emsigen und wohlbesorgten, und mit dem süßen Lächeln oberhalb des süßgiftigen Vaters kleinen gwirbigen Beinen, oder bettelt mit des Schwähers Beinen. Der Menschenstolz, der nicht bettelt, um kein Amt, und wäre es das Schultheißenamt, nicht bettelt mit Worten, nicht bettelt mit Scharwenzeln, mit klug geformten Meinungen, mit Händedrücken, Achselnklopfen, berechneten Anzügen, oder gar mit verschmitztem Schweigen wider Ehre und Gewissen, oder neapolitanischen Zugeständnissen wider Ehre und Gewissen, nicht bettelt mit Vorreiten seiner Miserablität, um zu zeigen, daß kein Bein lahm, kein Glied impotent sei; nicht bettelt um die höchste Stelle mit Verleumdungen oder Renommisterei, oder göttlicher Grobheit.

Im Bettelkinde wollte ich diesen Stolz wecken, hoffend, die Welt kehre sich einmal um, und von unten herauf werde dann dringen das Edlere und Bessere hinauf, woher so oft das Schlechte, das Verfluchte gekommen. Was ist wohl für ein Unterschied zwischen einem Schultheißen, der um dieses Amt buhlt, und zwischen einem Bettlermädchen, das um einen Kreuzer bettelt? Ein routinierter Witzling wird mir sagen wollen: Der Unterschied, daß die großen Diebe obenauf kommen, die kleinen der Landjäger nimmt, d.h. wenn es ihm gefällt. Ach Gott, nein, der buhlende Schultheiß und das bettelnde Mädchen verhalten sich zusammen wie Verführer und Verführte, wie Lüsternheit und Not, wie Abgefeimtheit und Naivität, wie Vorbedacht und Unwissenheit, wie Luchs und Schaf, wie Elster und Schwalbe, wie – –. Wollte wecken in dem armen Bettelkinde den Menschenstolz, der nicht betteln mag, auf keine Manier, weder auf eine gemeine, noch eine vornehme, der was schaffen will, treu, ehrlich, fleißig, unverdrossen, der von seiner Arbeit leben will, redlich, und Gutes tun nach Möglichkeit, der diese Werke in die Welt stellt, und nicht sein Eigenlob, der weiß, daß die Werke reden vor Gott und zur Nachwelt, während das Eigenlob wohl augenblicklich betäubend wirkt, aber bald Kopfweh macht, dann Ekel und vor Gott Bedauern, dann ein Zuschandenwerden.

Und wenn ich in des bettelnden Mädchens Hütte einen kranken Vater, eine hungrige Mutter fände, da wollte ich sorgen, daß die Mangelnden keinen Mangel litten. Wollte sagen, wo wirklich Not und Elend sei, wollte Weiber suchen mit weichen Herzen, und Männer mit biederem Sinn, die gerne gäben, wo gegeben sein sollte, wollte betteln bei guten Herzen selbst für Landsaßen. Ich wußte wohl, daß ich solcher Herzen sicher so viele fände, als ich nötig hätte; ich wußte, daß das Geben und das freiwillige Geben bei vielen Leuten als die heiligste Religionspflicht betrachtet wird.

An dem Erhalten dieser Stelle zweifelte ich nicht. Diesen genommenen Entschluß trug ich wieder dem Fecker vor, und dieser lachte laut auf und immer lauter, hielt sich den Bauch und schnappte am Ende mühselig nach Atem. Ich wurde bitterböse und frug, was da zu lachen sei? «Mein Gott, was für tolle Gedanken plagen Euch doch! Daß Ihr nicht zum Polizeier paßt, will ich nur nicht anführen; aber wie könnt Ihr denn je daran denken, diese Stelle zu erhalten? Wahrhaftig, ich hätte geglaubt, Ihr kenntet die Menschen nun besser.»

Ich wurde böse und verwirrt; seine Rede verstund ich nicht, und meinte, das werde ihm nicht ernst sein, und ich hoffe, er werde seinen Einfluß für mich verwenden, wenn er glaube, es sei noch nötig; so viel dürfe ich mir schmeicheln, daß man hier noch keinen bessern Polizeier gehabt, und kaum je einen solchen wieder bekommen werde. Darüber wolle er mit mir nicht disputieren, meinte er; allein ich erhielte die Stelle doch nicht, auch wenn er für mich von Haus zu Haus laufen wolle, was er aber nicht tun werde. «Wie könnt Ihr,» fuhr er fort, «bei gesundem Menschenverstand daran denken, gewählt zu werden an einer Hausvätergemeinde? Erinnert Euch, welchen Namen Ihr Euch im Spital gemacht. «S-o-ne ufbegehrische wey mr nit», werden die einen sagen. Sehet Euere Kleidung an; auf diese hin werden andere sagen: «Ne, so-n-e herrschelige we mr nit, dem dörft me ja nüt bifehle.» Andere werden sagen, welche das Brönz lieber selber trinken: «Ne, e Rote, e alte Soldat we mr nit, mr hei Schnapsbrueder gnue am Alte gha; er isch nie zfriede gsi, we me ihm nit eis ygscheicht het.» Andere werden meinen: «Er isch gar so-n-e ybildische, er würd is i alles iche rede-n-a-n-e-re Gmein.» Wen habt ihr nun an der Gemeinde, der für Euch spricht? Andere, die sich auch melden werden, haben auch Gönner, die werben. Und wenn schon manche, und vielleicht die ersten, nicht gegen Euch reden werden, so werden sie doch gegen Euch stimmen. Ihr seid bei einem Schoppen oft zusammengekommen, dunkel haben sie Euere Überlegenheit gefühlt; glaubt Ihr nun, sie werden es über sich bringen können, Euch zum Polizeier zu machen, zu ihrem Diener und Abwart? Eure Person wäre ihnen ja ein täglicher Vorwurf, sie müßten sich vor Euch in acht nehmen, sie müßten denken: Was wird der Polizeier dazu sagen? Glaubt Ihr aber, daß eine Behörde solche Leute wählen wird, die solche Gefühle in ihr erregen? Das geschieht nicht in den obersten Behörden; wollt Ihr eine solche Überwindung einer Landgemeinde zutrauen? Wenn man gewisse Leute hört, so sollte man meinen, schlechte oder dumme Menschen paßten für jede Stelle viel besser, als ehrenwerte und kluge. Versprecht mir, nicht böse, nicht mutlos zu werden, diese Geschichte nur als eine Gelegenheit zu betrachten, Menschenkenntnis zu erwerben. Meldet Euch, macht bei den Einflußreichen in der Gemeinde die Aufwartung, und urteilt dann, wer Recht habe.»

Ich versprach und tat also. Nun will ich mich nicht aufhalten, zu beschreiben, wie ich empfangen und abgefertigt wurde, obschon es recht lustig wäre anzuhören, und ausweisen würde, daß das Brichten auf dem Lande noch weit schauerlicher ist, als in der Stadt, und der Brichtende noch weit mehr sich gefallen lassen muß.

Der Wahltag war ein wichtiger Tag für die Gemeinde Unverstand. Um zehn Uhr sollte die Gemeinde beginnen; um elf Uhr erschien sonst gewöhnlich der Schreiber, um halb zwölf Uhr der Präsident, nach zwölf Uhr einige Männer, und um ein Uhr fing man an, das Protokoll zu verlesen. Aber an diesem wichtigen Tage, wo ein Polizeier sollte erwählt werden, sah man schon vor neun Uhr Gruppen vor dem Wirtshause sich sammeln; vor zehn Uhr drängte sich alles in die große Kammer, wo sonst getanzt wurde; sie war zum Ersticken voll, statt dem halben Dutzend, welches sonst sich einfand. Es wurde abgelesen das Verzeichnis der sich Meldenden, und gefragt, ob der eine oder andere etwas zu bemerken hätte. Die Bewerber mußten abtreten, legten sich draußen an die Türe und stritten um die nächsten Plätze an derselben. Nun begann es drinnen zu wogen und zu tosen; endlich brachte der Präsident Stille zuwege, und da wurden Reden gehalten, viel länger noch und schöner als im Großen Rate. Den Stummen brach der Mund auf und sie redeten wie die Propheten, jeder gegen sieben und für einen, denn acht hatten sich gemeldet. In die Reden hinein hallten die Stimmen widersprechend gar kräftig und schön; wer einmal angefangen hatte, der sprach, so lange er ein Wort erjagen konnte. Endlich nach fünf Stunden, als allen die Zunge am Gaumen klebte, konnte der Präsident zur Abstimmung schreiten. Diese Abstimmung geschah, da viele nicht schreiben konnten, durch das offene Handmehr. Dreimal mußte sie vorgenommen werden, weil sie sich zweimal unrichtig erwies, indem die Zahl der Köpfe und der stimmenden Hände nie übereinstimmten, und es fast herauskam, als hätten viele immer zwei Hände aufgehoben. Endlich war er heraus, der wichtige Mann, um deswillen heute so viele geredet hatten; aber ich war es nicht, nicht eine Stimme hatte ich erhalten; und, wunderbar, gerade was der Fecker mir vorher gesagt, hatte ich an der Türe hören müssen, nur viel eindringlicher und kräftiger. O, ich habe diese Reden alle noch im Kopf, und wer weiß, ob ich sie nicht noch aufschreibe und drucken lasse, da doch heutzutage alles gedruckt werden muß. Obgleich es mir der Fecker vorausgesagt, war ich doch erschüttert, und konnte mich des Weinens fast nicht enthalten, als ich zu ihm kam. Also nichts, gar nichts wollte man von mir; für nichts fand man mich gut; wie einen Taugenichts verwarf man mich allenthalben.

«Ihr dauert mich,» sagte er, «daß Ihr die Sache so zu Gemüte nehmt, aber der liebe Gott war weiser als Ihr. Macht nun aber Eure Torheit nicht dadurch noch größer, daß Ihr in ihr beharrt und glaubt, es sei Euch übel ergangen. Der Mensch werchet sich manchmal ordentlich in einen Trotz gegen die Vorsehung hinein, die ihm einen einfältigen Wunsch versagt hat; er glaubt sich unglücklich, und gerade durch diesen Glauben wird er unglücklich. Wenn es nur die Menschen glauben würden, daß unendlich viel Unglück, über das sie klagen, nur in dem Wahn besteht, daß man unglücklich sei, und daß man, um andere damit zu strafen, oder weil so es der allgemeine Gebrauch fordere, unglücklich scheinen müsse! Sonst seid Ihr ein Mann gewesen, habt wacker gerungen; werdet nun nicht wieder zum Kinde; verliert die Besonnenheit nicht; verliert den Glauben nicht, daß gerade im Versagen unserer Wünsche die größte Liebe Gottes liegt.» – Ich wurde gelassener, entgegnete aber doch, das komme mir auch gar zu traurig vor, daß ich wie ein unnützer Stein allenthalben verworfen werde, bald durch schiefe, bald ohne Prüfung, und somit trotz dem besten Willen der Welt gar nicht nützlich werden könne; daß es doch hart sei, gleichsam mit dem Stempel der Verwerfung bezeichnet worden zu sein, seit ich ein Güterbub, und nun gar seit ich ein Roter gewesen. «Das ist aber wieder ein Wahn», meinte der Fecker, «daß man meint, einen Posten haben zu müssen, um dem Vaterlande nützlich zu sein, als ob das nicht jeder Bürger könnte und sollte, und gerade die nicht angestellten am besten. Dieser Wahn kömmt von jener Zeit her, wo es allerdings eine Art von Verbrechen war, das bald öffentlich, bald geheim gerichtet würde, wenn einer ohne äußerlich bestimmten Beruf um das Vaterland sich bekümmerte. Eben daher kömmt es auch, daß nun die einen allerdings noch immer nichts tun, um alles sich nicht bekümmern, während die andern beim besten Willen doch darin irren, daß sie meinen, um das Vaterland sich kümmern heiße über alles Bestehende schimpfen, alle Verfügungen der Regierung tadeln, alle Personen derselben verdächtigen, und die Dritten zu meinen beginnen, sie, die an der Regierung seien, machen den Staat aus, hätten allein um das Vaterland sich zu kümmern, die Übrigen zu schweigen und ihre Nasen nicht aus dem Eigenen heraus zu heben. O du liebe Zeit, wie so manches Regentlein klug sich dünkt, und doch ist sein Dünkel noch neunundneunzigmal kleiner, als der seines Schreiberleins!»


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