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Der Großvater stirbt – Eine Teilung

Da klopfte es einst, als wir am Mittagessen saßen, und die Mutter stichelte: wieviel dem Vater seine reichen Verwandten helfen, und der Vater immer röter wurde und zum Ausbruch einen Anlauf nahm, an die Türe: Die Mutter rief: «Herein!» Da trat ein Mädchen ein mit schwarzem Fürtuch und aufgebundenen Züpfen und brachte die Nachricht, daß der Großvater gestern gestorben sei, und wir übermorgen mit ihm z'Chilche kommen sollten. Die Nachricht kam so unerwartet, denn wir vernahmen nichts, was in unserer alten Heimat vorging; sie paßte auch so merkwürdig in das Gespräch; denn nun konnte der Vater erben, weil nach unserer Landessitte nach dem Tode des Mannes das Vermögen unter Kinder und Witwe geteilt wurde zu gleichen Teilen, daß wir alle verstummten. Endlich fing ich an zu weinen, die Mutter hieß die Botin mitessen, und allmählich ging das Fragen an.

Der Großvater war an einem Schlagflusse plötzlich gestorben. Man rede allerlei, setzte die Botin hinzu, was die Ursache dazu gewesen, wollte aber, so lange der Knecht und die Magd da waren, nicht recht mit der Sprache heraus. Als diese endlich abgegessen und die Mutter noch Schnaps und weißes Brot extra aufgestellt hatte, denn sie wußte wohl, wie man die Leute redselig machen kann, da vernahm sie alles, was sie wollte. Das Mädchen berichtete, seine Mutter sei alle Tage in Großvaters oder vielmehr jetzigem Samis Hause und die beste Freundin von dessen Frau. Zum Beweis dieser Freundschaft erzählte es alles Böse, was sich nur von einer bösen Frau erzählen läßt, über Samis Frau, dem Elende der Großeltern, dem Zorne des Großvaters, an dem er erstickt, als seine Schwiegertochter seiner Frau ihr schlechtes Haushalten vorhielt und ihr gegenwärtiges Nichtstun, ihr vorhielt, sie täte nichts und fresse sie noch von Haus und Hof, wenn sie lange leben sollte usw. Solches sprach die Tochter der besten Freundin einer bösen Frau; die Freundin selbst hätte vielleicht noch mehr ausgekramt bei gutem Schnaps. Solche Freunde haben böse Leute; sie verdienen aber auch keine besseren. Aber merkwürdig ist es, daß gar viele Weiber, die nicht schlecht sind, keine anderen Freundinnen kennen, als solche, die um einen Schnaps alles sagen, was man gerne hört, und um ein Kacheli Kaffee noch einmal so viel, als man will. Die Törinnen denken nicht, daß die gleiche Ware um den gleichen Preis allenthalben feil sei; daß die nämlichen Leute um einige Schlucke ihren ärgsten Feinden alles dankbar ausbriefen werden über die, die früher von ihnen in den dritten Himmel erhoben worden.

Meine Mutter hatte ihrer Lebtage keinem Pfarrer mit so großer Andacht zugehört wie diesem Mädchen. Als dasselbe aufbrechen wollte, machte sie ihm noch ein Kaffee, in der Hoffnung, von ihm in der alten Heimat recht gerühmt zu werden, wie sie eine ganz andere sei, als des Samis Frau. Die gute Mutter dachte nicht daran, daß es ihr gar nicht besser ergehen werde als Samis Frau, und daß eine böse Zunge immer zuerst den verleumdet, bei dem sie zuletzt gegessen. Aber die wenigsten Menschen sind so klug, zu denken, ein Dieb sei allenthalben ein Dieb, ein Verleumder sei überall ein Verleumder, und ein jeglicher hätte das Gleiche von ihm zu erwarten. Mit einigen Schmeicheleien und Augendienereien sind die meisten zu bestechen und glauben, der Verleumder werde sie nicht verleumden, der Dieb ihnen nicht stehlen; ja am Ende glauben sie, er sei kein Verleumder, kein Dieb, wenn er es ihnen recht zu treffen weiß, müssen es erst zu ihrem größten Schaden erfahren, und werden doch nie klug.

Meine Mutter hatte über der Schadenfreude wegen Samis Frau selbst das Erbe vergessen, und dachte erst wieder daran, als das Mädchen fort war. Die Hausbäuerin hatte das Mädchen auch gesehen; denn es konnte niemand zum Hause kommen, den sie nicht sah, hatte es nicht erkannt, und war g'wundrig, für wessen Leiche es gebeten. Um es zu vernehmen, kam sie die Milch zu holen, welche man ihr am Morgen ausgerichtet, hoffend, ein Wort werde das andere geben. Kaum sah meine Mutter sie, so fiel ihr das Erbe ein und der große Milchhafen und die tausend Plackereien, welche man sich wegen dem schuldigen Lehenzins mußte gefallen lassen, und wie sie das dachte, sagte sie auch der Bäuerin: «Eisi, bring doch das ander Mal wieder den alten Hafen zum Ausrichten; ich will Schweine kaufen, und vermag es dann nicht an der Milch, dir alle Tage dr Gottswillen eine Halbe zu viel zu geben.»

Natürlich ging auf diese Rede hin das Feuer auf und Eisi sagte: «Du hast mir noch nichts dr Gottswillen gegeben; gib du mir zuerst die Zinse, die ihr schuldig seid.» Meine Mutter blieb nichts schuldig, und das Ende vom Liebe war, daß die beiden Weiber ihre Herzen von Grund aus leerten, und die Bäuerin merkte, meine Eltern müßten Geld erhalten oder zu erwarten haben. Kaum hatte die Bäuerin die Küche verlassen, als unsere Mutter uns schon unterrichtete, was wir ihr zuleid tun, ihr verderben müßten, ihr im vorbeigehen zu sagen hätten. Zweimal ließen wir es uns nicht sagen; kein Tag verging, daß wir nicht irgendeine Bosheit an ihr verübt hätten, allemal zur größten Freude der Mutter. Nachdem diese ein so löblich Werk vollbracht, ging sie an das Mustern der Kleider, die sie übermorgen anziehen wollte. Da fand sie zu ihrem hellen Schrecken ihre schwarze Kleidung verdorben, die einen Stücke grau und schimmlig, die andern von Schaben zerfressen. Sie war, seit wir da oben waren, nie zum Nachtmahl gewesen, hatte die Kleider nie gelüftet, daher nun die Bescherung. Der Magd ihre Kleider waren ihr zu gering; neue machen zu lassen war keine Zeit; zu der Bäuerin durfte sie jetzt nicht gehen, um zu leihen; sie mußte sich entschließen, daheim zu bleiben und den Vater allein gehen zu lassen. Doch ich hielt so lange an, bis der Vater endlich versprach, Roß und Wägeli und mich mitzunehmen. Die ganze Sehnsucht nach der Großmutter, die ich seither nie gesehen, erwachte. Die ganze Nacht konnte ich wenig schlafen, fragte alle Augenblicke, ob es nicht bald Zeit sei aufzubrechen? und saß schon lange im Wägeli, als der Vater das Roß einspannte. Es war ein schöner Morgen, und ich war lauter Freude. Das Kind gibt sich dem starkem Eindruck hin; dieser war für mich das Wiedersehen der Großmutter; der Tod des Großvaters war vergessen, weil ich im Grunde wenig wußte, was tot sein bedeute. Schon stunden Menschen mit Mänteln unter dem Arm um das Haus herum, als wir ankamen; doch sah ich mich nicht lange unter ihnen um, sondern lief auf das Stübchen der Großmutter zu, riß es auf und rief: «Großmüetti, Großmüetti!» Und Großmüetti war da; aber ich kannte es anfangs gar nicht. Aus der stattlichen resoluten Frau war ein zusammengefallenes, gebücktes Mütterchen geworden, das mühselig mir entgegenkam, freilich mich herzlich liebkoste, aber gleich wieder anfing: «O Ätti, warum hesch mi verlah, o chönnt' i der doch nah, aber i mache's nit meh lang; i cha, will's Gott, bald o sterbe.» Und wenn ich dann fragte: «Aber Großmüetti, wo wotst hi, was ist das: sterbe?», so sagte sie: «Furt, furt us dr böse Welt, da hi, wo niemer eim ds Esse vergönnt, wo keiner böse Lüt meh sy.» So jammerte sie ohne Unterbrechung; ich weinte mit; aber es ärgerte mich doch, daß sie mehr um den Ätti weinte, als sich über mich freute, daß sie nicht alsobald in den Spycher ging; überhaupt schien sie mir nicht mehr das Großmüetti zu sein, das ich verlassen hatte, und es ward mir unheimelig im Stübchen. Recht froh war ich, als jemand rief, wir sollten doch hinauskommen, der Schulmeister fange schon an zu beten. Von diesem Beten weiß ich nur so viel, daß der Großvater brav gerühmt wurde, aber noch mehr die Hinterlassenen, ganz besonders Sami und seine Frau, denen aller mögliche Segen gewünscht wurde in Haus und Hof. Gar schön, hieß es auch, sei es zu sterben, wenn man so treu für seine Kinder gesorgt habe und ihnen so viel hinterlasse; es solle nur jedermann ein Beispiel nehmen und es auch so machen. Die Leute hörten recht andächtig zu und meinten nachher: da chönn's, er syg doch e Meister.

Man trug den Großvater zu Grabe, senkte ihn in die kühle Erde und niemand weinte um ihn, als die Großmutter aus Herzeleid, und ich, weil die Großmutter weinte. Hätte er sein Gut verhudelt gehabt, acht Kinder hätten an seinem Grabe geweint, das heißt sie hätten geweint, daß der gestorbene Mann ihr schönes Gut verhudelt; um das Gut also, nicht um den Mann hätten sie geweint. Nun hatte er es nicht verhudelt, sondern sie konnten erben. Warum da weinen? Der Großvater hatte nichts Edleres auf Erden gekannt, als «Husen», nichts Köstlicheres als Reichtum; demgemäß hatte er seine Kinder behandelt und erzogen, den gleichen Glauben ihnen eingebläut, ihre Liebe dahin gerichtet, wo die seine war: nach Geld und Gut. Ihre Liebe war also nicht beim Großvater, sondern bei seinem Gelde; warum nun weinen, wenn man es nicht verliert, sondern gewinnt? Man spricht oft von lachenden Erben; aber daran denkt man nicht, daß tausend Eltern ihre Kinder zu lachenden Erben erziehen, die ihnen am Ende für nichts danken, als für ihren Tod.

Großmutter wollte anfangs nicht ans Leichenmahl, bis Sami ihr sagte, es wäre eine Schande für das ganze Haus, wenn sie nicht mit ins Wirtshaus käme. Sie, die sonst so resolute Frau, die alles regiert hatte, sie wußte jetzt nichts anders, als folgen, setzte sich doch mit mir so weit als möglich weg vom Vreni. Dieser sah man die Schuld an Großvaters Tod nicht an; erst jetzt machte sie sich breit, räsonnierte, rühmte, regierte mit einer Roheit, als ob sie an einer Hochzeit wäre und nicht an einer Gräbt. Die Brüder meines Vaters machten es wie sonst an den Fuhrungen: sie aßen und tranken bis es obenaus guckte, und versäumten keine Zeit mit Reden. Auch der Großmutter tat das lang entbehrte bessere Essen wohl; die Tränen versiegten, und sie fand wieder Teilnahme für das, was außer ihr vorging.

Nun hätte ich gar zu gerne gehabt, wenn die Großmutter sich mit mir allein abgegeben. Sie tat es auch zuerst, und fragte gar vieles; aber sie mußte auch andern Bescheid geben. Der G'wunder erwachte; sie vernahm dies und das, von dem sie noch nichts gehört, vergaß mich darüber, bis ich ungeduldig an ihr zupfte, was ich aber sooft wiederholen mußte, daß ich am Ende Langeweile bekam, die Großmutter auch nicht mehr recht liebte, den Vater suchte und heim wollte. Nachdem dieser noch den Tag der Teilung abgeredet hatte, brach er mit mir auf. Freilich war der Abschied von der Großmutter wieder zärtlich; sie sagte manchmal: «Miaßli, du g'sehst mi nit meh», und drückte mir noch einige ihrer wenigen Batzen in die Hand. Gerne hätte sie mir noch vom Tische etwas eingesteckt; aber Vreni sah uns so scharf zu, daß sie es nicht wagte. Ich sah sie nicht mehr, die gute Großmutter. Sie starb, als ich schon ein Güterbub geworden; ich vernahm es nicht einmal; denn einen Güterbuben heißt man nicht z'Gräbt kommen, nicht einmal mit der Großmutter. Ich sah überhaupt meine Verwandten nicht mehr, ausgenommen Sami zuweilen, wenn ich auf ein Gut verteilt oder verdinget wurde an den Mindestbietenden; da tat er, als ob ich ihn nichts anginge. Seine Brüder heirateten alle nicht, blieben seine Knechte, und er erbte sie alle.

Auf der Heimreise hatte ich meinen Vater gar viel zu fragen; ganz besonders wollte ich von ihm wissen, was denn das Sterben sei, und wo man da hingehe. Sterben ist, wenn man stirbt, sagte er mir, und da muß man alles verlassen, was man hat: Haus und Hof, und da tut man einen ins Grab, wie du gesehen hast. So hatte ich meinen Bescheid, mit dem ich aber nicht viel zu machen wußte, als daß man beim Sterben weggehen und alles verlassen müsse, was man habe. So viel begriff ich aus Großmutters und Vaters Reden, daß man gerne sterbe, wenn man es bös und böse Leute, aber ungern, wenn man geerbt oder sonst gut es habe. So wäre ich später auch gern oder ungern gestorben, je nachdem ich es gut oder bös hatte. Geht wohl bei vielen Leuten ihre Religion weiter?

Die Teilung ging vor sich und brachte zirka 4000 Pfund Geld ins Haus, aber nicht Frieden. Die Zwietracht hatte einmal Wurzel geschlagen, und da zanken sich die Menschen, wenn Geld da ist, über das Geld und, wenn keins da, über den Mangel desselben. Nur dann wurde Friede, wenn wir Kinder dem Bauern einen tüchtigen Streich gespielt, oder die Mutter ein scharfes Wort ihm angeworfen hatte: dann lachte der Vater, und die Mutter konnte einen ganzen Tag machen, was sie wollte, sogar Geld nehmen; denn der Vater hatte des Bauern Kniffe und Schadenfreude nicht vergessen, wenn er selbst schon wenig sagte.


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