Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von einem berühmten Schulmeister und einem berühmten Pfarrer, die mich unterweisen, und wie

Ich mußte mich nun in die Unterweisung einschreiben lassen und auch die Kinderlehren besuchen, welche im Sommer vom Pfarrer, im Winter vom Schulmeister gehalten wurden. Der letztere war berühmt durch das Kinderlehrhalten und weit und breit strömten ihm die Menschen zu, besonders das Weibervolk, und das aus zwei Gründen. Er war noch ledig und hatte vierzig Kronen Lohn; und gar manches Mädchen wäre gerne Frau Schulmeisterin geworden, und träumte sich bei ihm ein Leben voller Leberwürste, und sie meinten ihm den Hof zu machen, wenn sie z'Kinderlehr gingen. Nach der Kinderlehr orgelte er dann noch so schön, und die Mädchen standen so eng um ihn herum, und mit dem Kopfe nickte er den Takt so bedächtlich, und die Mädchen guckten ihm auf den Kopf so andächtiglich, und die Arme streckte er so lang, schön und steif vom Leibe weg, und die Mädchen streckten ihre Hälse so hoch und schön empor, eine über die andere weg, daß es recht rührsam anzuschauen war. O das sind die goldenen Zeiten für einen jungen Schulmeister, wenn so Kopf an Kopf sich um ihn reiht, und Dutzende von Augen ihm zuflüstern: Du, du! weißt du, wo mein Gaden ist, üse Ringgi bellet nit! Aber diese Zeiten schwinden gerne mit einer Frau, und noch manches andere mit, wenn einer noch eines nicht versteht: auf eine rührhafte Weise die Herzen der Weiber anzurühren. Das verstand unser Schulmeister aber trefflich. Er jammerte so herzbrechend über die Sündhaftigkeit, hatte aber dann auch wieder so viel Gnade und Vergebung zu verheißen, wußte vom Himmel und besonders von der Hölle so viel, als ob er in beiden z'Chost gegangen wäre, weit mehr als Christus, daß die Weiblein gar nicht aufhören konnten zu weinen, erst aus Schrecken und Erbarmen, dann aus Freude und Wonne. O man glaubt gar nicht, wie wohl solche Tränen einer muntern Bäuerin des Sonntagsnachmittags tun, wenn sie ein Pfund Fleisch und anderhalb Pfund Speck im Leibe und Langeweile in allen Gliedern hat. Das geht über schwarzen Kaffee! Katechisieren konnte er auch gar schön, das ging an einem fort wie gepfiffen; man brauchte nicht lange zu warten, bis die Kinder antworten konnten. Er fragte sie entweder so, daß sie ja oder nein antworten mußten, und dann sagte er noch ja oder nnee; oder wenn es zur Seltenheit andere Worte waren, welche er zur Antwort wollte, zum Beispiel Seligkeit oder Gott, so sagte er Selig! Seligk! Seligkei! dann war das mangelnde t nicht schwer zu finden, oder Go! Go! Got!, wo ebenfalls das zweite t einem in den Mund fallen mußte.

Er war aber auch weit und breit berühmt, daß er so geschickte Kinder hätte, die ihm keine Antwort schuldig blieben. Wir gingen nicht ungerne zu ihm in die Kinderlehre; wir brauchten unsere Köpfe nicht besonders anzustrengen; konnten frischweg antworten, wenn die Reihe an uns kam, und nebenbei dann denken oder machen, fast was wir wollten.

Der Pfarrer war ein strenger Herr im besten Alter, bei dem alles am Schnürchen gehen mußte, eine Woche wie die andere. Seine Predigten waren alle auf die Minute gleich lang und alle in drei Teile geteilt, waren furchtbar streng; dem Teufel und dem Unglauben und der Aufklärung ging er schauderhaft zu Leibe und dann auch zuweilen den Sünden, besonders der Hurerei und Abgötterei. Und seine Predigten taten seinen Bauern gar unsäglich wohl, wohl bis in die Schuhe hinunter; sie waren ihnen eigentliche Abwaschungen ihrer Sünden, und ihnen ward es gerade, wenn sie aus der Kirche kamen, wie den Türken, wenn sie tüchtig gerieben, gebürstet, gewalket, aber auch neu belebt aus ihrem Bade treten. Er predigte mit gewaltiger Stimme, und alles, was er ihnen sagte, klang bekannt und heimelig; wenn sie schon mitunter einnickten, so wußten sie beim Erwachen gleich wieder, woran der Herr jetzt war. Sie hielten daher große Stücke auf ihn als Prediger, und schlugen in allen Wirtshäusern auf den Tisch, und begehrten auf: «Wie üse Herr cha's bim Donner kene!» In den Unterweisungen und Kinderlehren war er ebenfalls ein strenger Herr; doch konnten wir machen, was wir wollten. Wenn ein Kind nicht antworten konnte, oder wenn es nicht wußte, wo man war, oder wenn es zu spät kam, putzte er ihm wütend ab. Aber das Antworten war eben nicht schwer, und das Wissen, wo man war, auch nicht. Er fragte immer der Reihe nach, immer vier in einer Stunde, und wenn das zuerst Gefragte in der folgenden Unterweisung nur die letzte Erklärung wußte aus der vorhergehenden, so wußte es genug; um das frühere, den Zusammenhang, bekümmerte man sich durchaus nicht weiter. Alle Erklärungen, kurz, die ganze Unterweisung, waren Jahr für Jahr durchaus gleich, gleichviel Stunden und gleichviel Worte; Jahr für Jahr die gleichen, gleichgestellten Fragen wollten buchstäblich die gleichen Antworten. Wenn zum Beispiel einer sagte: «Die Allmacht ist diejenige Eigenschaft Gottes, mit welcher er alles machen kann», so erregte das sehr große Unzufriedenheit und dem Kinde wurde über seine Ungeschicklichkeit tüchtig der Kopf gewaschen; es hätte sagen sollen: «Die Allmacht ist diejenige Eigenschaft in Gott, durch welche er alles schaffen kann, was er will». Man hätte glauben sollen, das wäre furchtbar schwer gewesen vom Kinde herauszubringen, denn wie kann man aus einem Kinde, das keine Sprachkenntnis hat, solche Stempeneien herauskatechisieren? Und der Pfarrer sagte die Antwort nicht vor bis an den letzten Buchstaben, sondern fragte kurzweg. Allerdings mag es das erste und zweite Jahr, nachdem der Pfarrer in die Gemeinde gezogen war, schwer zugegangen sein; allein, nachher wurde die Sache sehr leicht, eben weil er sich so buchstäblich gleich blieb. Ältere Geschwister konnten den jüngern sagen, was sie noch wußten, und wer etwas wußte, konnte es dem andern flismen, chüschele, flüstern; hier half auch der Schulmeister treulich mit, der gewöhnlich zugegen war, und in den Kinderlehren half die ganze Gemeinde ein; man meinte sich gar sehr mit seiner Geschicklichkeit, wenn man den Kindern einhelfen und zeigen konnte, wie man fast so geschickt sei, wie der Pfarrer selbst.

So konnte es Kinder, und deren recht viele, geben, die am Ende sagen durften, sie hätten dem Pfarrer auf alles antworten können. Von diesem Geflüster merkte der Pfarrer nichts, sobald man es trieb, während er selbsten sprach; denn wenn er redete, so sah er nicht und hörte er nicht. Auf diese Weise kam er selten in den Fall, Kinder zurückstellen zu müssen. Er hatte meist auch sehr geschickte Kinder, die antworten konnten wie auf der Geisle gchlepft; und doch wußten sie eigentlich nicht, was sie sagten; sie begriffen ihre Antworten so wenig, als das Fragenbuch selbst. Wenn sie zum Beispiel das Reich Gottes in das Reich der Gnade und das Reich der Natur teilen mußten, so sagte ihnen kein Mensch, was Reich, Gnade, Natur bedeuten; so wie diese Wörter jedermann bekannt schienen, so setzte man voraus, jedes Kind kenne ihre Bedeutung. So bekamen die Kinder eine Menge Formeln in die Köpfe, aber keine richtigen Vorstellungen, und ihre Herzen wurden nie erwärmt. Man kann einen ganzen Haufen Scheiter in einen Ofen tun; sie machen denselben nicht warm, die Scheiter bleiben Scheiter und der Ofen bleibt kalt. Man muß Feuer anmachen unter die Scheiter und dieselben müssen aufgehen in Flammen, müssen leuchten und spretzeln nach allen Seiten, dann gibt es einen warmen Ofen. Das ist eine Gleichnisrede, deutet mir sie!

Der Pfarrer predigte und kinderlehrte aber nicht bloß; er führte sonst noch das große Wort in der Gemeinde. Man brauchte ihn viel, und darum regierte er auch viel, und wenn er einmal gesagt hatte: Ohä, dSach ist die; so hätte ich niemand raten wollen, andere Meinung zu haben. Aber eigentlich regierte doch nicht er selbst. Einige pfiffige Käuze in der Gemeinde kamen öfters zu ihm, und wußten das, was sie wollten, ihm so fein unter den Fuß zu geben, daß er glaubte, es sei seine eigene Meinung oder Erfindung, und sie durchsetzte. Er hielt viel auf Achtung und Respekt, und nach dem Sprüchwort: Was du willst, daß dir die Menschen tun, das tue du auch ihnen, zog er vor dem Landvogt gar tief den Hut und sagte nie zuviel: Hochgeachteter Junker Landvogt; aber seine Bauern mußten ihm dann ihre Bücklinge auch machen, und mancher vernahm: «Zieh den Pflegel (Hut) ab!» Das schadete ihm aber bei der Bauersami nichts; weil er viel bei dem Landvogt galt, so galt er bei den Bauern desto mehr; denn ein Wort von ihm konnte gut oder bös Wetter machen. Wer ihm widersprach, den hielt er für einen bösen, unruhigen Kopf. Er liebte das Ja Ja sagen und merkte nie die Schalkheit, die Ja Ja sagte, und hinterwärts das Gegenteil; er hatte überhaupt keinen Begriff davon, daß man ihn zum besten haben könne, sondern nahm alles, jedes Kompliment usw. als bar Geld auf. So wurde er zum Beispiel oft eingeladen, mit seiner Familie z'Dorf zu kommen. Keiner oder die wenigsten taten es im Ernst; sein und seiner Familie Besuch war ihnen lästig; höchstens war es ihnen nicht recht, wenn der Pfarrer zu andern ging und nicht zu ihnen auch, weil sie sich dadurch unter diese herabgesetzt glaubten. Der Pfarrer aber glaubte, er erweise mit seinem Besuch eine Ehre; seine Frau war natürlich seiner Meinung, und die Kinder, an denen die Eltern blind waren (der Pfarrer glaubte, alles sei gut, was von ihm käme), aßen gar zu gern Küchli; er nahm daher solche Einladungen oft an, und zottelte an schönen, besonders Sonntagsnachmittagen, irgend einem Hofe zu.

Seitdem nun mein Bauer Statthalter, Salzauswäger und Amtsrichter werden wollte, fand das Ehepaar auch notwendig, den Pfarrer dringend einzuladen (sie hatten bis dahin nicht zu den Auserwählten gehört). Die Frau tröstete sich damit, er komme nicht, es sei ihm zu weit und etwas Neues.

An einem schönen Sonntag nachmittags war es, und ich lag am Schatten im Baumgarten, da sah ich oben aus dem Hölzchen, das am Rande des Hügels lag, und aus welchem ein Fußweg zu uns hinunter sich schlängelte, einen Knaben und zwei Mädchen hervorspringen, mitten durch jungen Klee und über eine Spreiti Flachs weg. Ich dachte bei mir selbst, es nähme mich doch wunder, wer die seien, daß sie nicht wüßten, die Wege seien da zum Laufen; den Klee vertrappe, den Flachs verhürsche man nicht. Das hatte ich noch nicht ausgedacht, so kam die rundliche Gestalt des Herrn Pfarrer hintendrein und hinter ihm die etwas spitznasige Frau Pfarrerin, und alles wälzte sich allmählich unserm Hause zu. Ich merkte gleich, die von uns verhandelte Einladung sei für Ernst aufgenommen worden, und der Besuch gelte uns, lief hinein ins Haus und schrie aus Leibeskräften: «Ds Pfarrers, ds Pfarrers!» Die Frau streckte den Kopf zur Stubentüre heraus und fragte: «Was hesch z'brüele, Bueb?» «He, ds Pfarrers chöme!» «Das wär dr Tüfel! Herr Jeses, Ma, stang uf, du donners Chalb, du wirst z'nötli ta ha, du Lümmel; leg dSchueh a; ghörst, si dopple scho, lue, da sy ihri Bursch scho uf der Schytterbige, und luege zum Fäister iche; nu, bisch nit bal fertig, du Dreyhung, chast dChappe morn alege, muest se doch ab ha vor em Predikant». Endlich stolperte der Gerichtsäß hinaus zum Empfang der werten Gäste. «Mr hei g'meint, es syg niemer daheim, mr hei schon zweimal klopfet», sagte der ungeduldige Pfarrer. Das sei ihm doch leid, meinte der Gerichtsäß, der sich vollkommen erholt hatte; sie seien in der Hinterstube gewesen, heige zsäme betet, da sehe und höre man nichts; aber der Herr Pfarrer hätte auch nicht brauchen zu klopfen in seinem Hause, sondern nur gerade hereinkommen sollen; sie sollten gleich innefür cho i dStube und cho abhocke. Das wollte nun der Pfarrer und seine Frau nicht; sie wären daheim genug in der Stube, und es sei viel hübscher und kühler da auf der Laube. Das ließ sich der Bauer nach einigem Sträuben gefallen; denn seine Frau hatte drinnen vielleicht noch nicht abgeräumt, hatte allweg noch kein Fürtuch umgebunden und die rechte Kappe nicht auf dem Kopfe. Diese hausierte drinnen etwas unsäuberlich, gab mir Geld, um eine Maß Wein zu holen, jagte ihre Töchter auf die Beine und fluchte dazwischen gar jämmerlich auf das hungrig Predikantenpack, das an allen Orten seine Nase haben müsse, wo es etwas z'fresse schmöcki. Da ich mich anders anziehen mußte, um den Wein zu holen, so sah ich sie noch hinausgehen, gar freundlich tun und die Hand geben, und sagen, wie sie sich freue, daß ds Herr Pfarrers ihnen auch einmal die Ehre gegönnt hätten und zu ihnen gekommen wären. Und des Herr Pfarrers versicherten, das wäre schon längst geschehen, wenn es nicht so weit wäre; übrigens hätten sie es schon lange im Sinne gehabt, aber es sei ihnen immer etwas dazwischen gekommen. Die Frau Pfarrerin versicherte absonderlich, ihr Mann hätte gar viel zu tun, er wisse oft nicht, wo ihm der Kopf stehe, und daß sie nicht begreife, wie er alles machen könne; und die Bäurin versicherte, er sei aber auch ein Herr, wie es im ganzen Kanton keinen gebe, sie und ihr Mann sagen das alle Tage zueinander.

Als ich wieder heim kam, war neuer Lärm in der Küche und in der Stube, und ein halbleises Fluchen in allen Ecken. Ds Pfarrers wollten durchaus draußen z'Abetrinken und nicht in die Stube hinein, und merkten nicht, daß es auf der einen Seite Geringschätzung war, nicht ins Haus gehen zu wollen, auf der andern Seite aber gegen alle Bauernsitte, vor dem Hause aufzuwarten mit Kaffee, Küechlene, Zimmettee und Wein. Sie wußten nicht, daß man solche Dinge gewöhnlich nur im Hinterstübli in aller Stille zu sich nimmt, höchstens in der Stube; vor dem Hause, wo jeder Bettler, der vorbeiging, sehen konnte, was auf dem Tische stund, und es weiter erzählen, war es eine unerhörte Sache, aber nun auch eine unabänderliche; der Pfarrer hatte es einmal gesagt, und somit hatte sie ihren Weg.

Es war recht drollig, wie die Meistersfrau ein besonderes Gesicht machte vor dem Hause und im Hause. Draußen war lauter: «Nät doch! nät doch! dr nät nüt!» und drinnen dann: «E Predikannte-Sack het ke Bode, die Freßhüng; sie tüe, wie we si e Wuche lang nüt gha hätte!»

Nach dem lange z'Abetrinke gingen die Weiber noch in die Plätze und endlich nahm man Abschied. Die Bäurin dankte für den Besuch, bat gar dringend, nüt zu zürnen, wenn sie etwa gefehlt, und daß sie so schlecht aufgewartet hätte, doch recht bald wieder zu kommen, sie wolle es dannzumal besser machen; und der Pfarrer versicherte, sie habe gar nicht zu danken, er sei gar gerne einmal gekommen, und die Frau Pfarrerin lud die Bäurin ein, auch einmal zu kommen, und endlich gab man sich die Hände. Der Meister ging aber noch mit der Kappe in der Hand ein Stück Wegs mit. Als er heim kam, zog er den Atem tief herauf, und seufzte: «Ja, Specksiti sy mr doch lieber als Visiti!»

Nun ging es in Wechselrede los über die Visite. Das seien die uverschanteste Lüt, wo man nur sehen könne, sie hätten da gegessen, getrunken und zugegriffen, als ob es ihre Sache gewesen wäre. Die Kinder hätten zuerst Äpfel von einem Baume geschlagen, seien im Gras herumgelaufen, und niemand habe ihnen abgewehrt; sie seien ungeheißen zum Tisch gesessen und hätten genommen, was ihnen anständig gewesen wäre, und bald der Pfarrer, bald die Frau hätten gesagt: «Wotsch nit no meh, nimm nume, wenn d' no meh masch»; und der Pfarrer hätte ihnen noch Wein eingeschenkt und gesagt: «Trinket nume, we dr möget.» Wenn das nicht «uverschant» sei, so verstehe man sich auf nichts mehr. Die Kinder hätten gefressen, es nähme sie nicht wunder, wenn sie die ganze Nacht «kotze» müßten. Ds Pfarrers hätten sie auch geheißen, zu ihnen zu kommen, aber das sei ihnen nur der Verstand gemacht, daß sie ihnen etwas brächten, wohl gar eine Hamme, aber da könnten sie lange warten. Nicht einmal die Plätze hätte die Frau gerühmt, und doch seien weit und breit keine solchen, sondern sie hätte immer nur von den ihrigen geredet und gesagt, was sie alles habe; aber was sollte ein solcher Stadttotsch für Plätze haben? Der Pfarrer trinke den Wein auch gerne, wenn er nichts koste, er wäre sonst nicht hinter dem Tische sitzen geblieben; er habe nur gefürchtet, es entrinne ihm ein Schluck; es hätte ihm's sauft getan, ums Haus herum zu gehen und zu sehen, was in den Ställen sei. Das alles wurde vor mir verhandelt, der ich in die Unterweisung ging; das machte eben nicht großen Respekt. Überhaupt wurde mir die Unterweisung erleidet dadurch, daß mir der Bauer immer den Mund wässerig machte, welchen Lohn ich verdienen könnte, wenn ich nicht gehen müßte. Ist die donners Unterwisig scho wieder da, hieß es, wenn ich am Morgen von der Arbeit gehen mußte.

Ich konnte mir kein größeres Glück denken, als einmal frei zu sein, und machen zu können, was mir beliebte; denn unter Erlaubnis verstund ich eben nichts anders, als los zu sein vom Pfarrer und Schulmeister und ungestört verdienen zu können, ohne verdinget zu sein. Der Bauer brauchte mich gar nicht zu ermahnen, zu machen, daß ich die Erlaubnis erhalte; es war mir selbst alles daran gelegen, dem Pfarrer aus den Händen zu kommen. Ich konnte gar nicht begreifen, was die Unterweisungen aparti nützen sollten; ob ich das alles wüßte, was man da lernte oder nicht, schien mir durchaus gleichgültig. Ich wußte nichts anzufangen mit den paar Wörtern, die mir blieben und die ich so wenig begriff als das Fragenbuch; ich hielt dafür, das Unterwisiggehen sei eine alte Üebig, die nichts abtrage, welche von der Regierung dem Pfarrer zu lieb eingesetzt worden sei. Ich glaubte daher, meine ganze Aufgabe bestehe darin, den Pfarrer nicht höhne z'machen; darum gab ich auch Achtung, wenn die Reihe an mich kam, daß ich die bekannten Antworten hersagen konnte. In der Zwischenzeit bekümmerte ich mich um das, was katechisiert wurde, nichts, geschweige daß ich zu Hause oder auf dem Wege an etwas zur Unterweisung Gehörendes gedacht hätte. Man trieb während den Unterweisungen, um die Langeweile zu vertreiben allerlei. Man kneipte sich, rupfte sich an den Röcken, an den Haaren, band den Mädchen die Haarschnüre zusammen, tat ihnen die Züpfen auf oder steckte Knebel hinein. Der größte Spaß bestund darin, daß keines aufschreien oder auffallend unruhig werden durfte, so daß es der Pfarrer gemerkt hätte; es wäre von allen andern verfolgt worden. Auf dem Wege zur Unterweisung und zurück waren wir wie eine losgelassene Herde mutwilliges junges Vieh.

Kein Begegnender kam ohne Schlemperlig durch, kein Hund ungeneckt, und hatten wir niemand sonst, so plagten, warfen, prügelten wir uns untereinander, oder die Meitschene mußten umeha. Alle schmutzigen Reden, die man von Eltern, Knechten oder Mägden gehört, wurden da gewechselt, und den Mädchen die abscheulichsten Dinge vorgehalten, von denen wir oft selbst nicht wußten, was sie bedeuteten. Einige antworteten tapfer und blieben nichts schuldig; andere weinten oder drohten, es dem Pfarrer zu sagen, was aber die Sache nur ärger machte; denn wir wußten wohl, daß dieses nicht geschah. Nur ein Mädchen antwortete nicht mit gleicher Rede und weinte doch auch nicht; es war eine gewaltige handfeste Küherstochter. Sobald einer ihr etwas sagte, so suchte sie seiner habhaft zu werden und prügelte ihn weidlich durch, ja, sie prügelte drei bis vier auf einmal. Ich prügelte mich mit ihr nur einmal. An Kraft war ich ihr wohl überlegen; denn ich war der Stärkste in der ganzen Unterweisung; aber eine gewisse Scham hinderte mich, alle meine Kraft gegen ein Mädchen zu gebrauchen; sie aber schlug nur um so entschlossener auf mich los, so daß ich ausgelacht und zerzaust aus dem Kampfe kam, mich schämte und künftig Respekt vor dem Mädchen hatte. Am meisten Schläge von ihm, ohne sich dadurch bessern zu lassen, erhielt ein nichtsnutziger Bube, der in Bern erzogen und von der Gemeinde dort weggenommen worden war, um zur Arbeit angehalten zu werden. In Frechheit, Schamlosigkeit fand er keinen seinesgleichen. Tierquälereien waren seine größte Freude; Unflätigkeiten brachte er vor, von denen wir nie etwas gehört; Streiche führte er aus, vor denen wir uns schämten, und sie ihm absteckten, was doch viel gesagt ist. Er lachte uns nur aus, sagte, wir seien dumme Dorfteufel, in Bern gehe das ganz anders zu. Er erzählte dann, was sie getrieben hätten auf der Schützenmatt, besonders aber im Bremgarten beim Holzauflesen, wo ganze Truppen Mädchen und Knaben Tage lang unbeaufsichtigt im bequemen Waldesdunkel umherziehen, was sie getrieben in den Häusern, daß uns die Haare zu Berge stunden. Er erzählte uns, wie lustig es darum in Bern sei, wie man da gut leben könne, ohne viel zu arbeiten. Da esse man nicht so schwarzes altes Brot wie auf dem Lande, sondern lauter frisches weißes. Habe man nichts, so finde man Leute genug, die einem geben, Geld, Kleider, Essen. Am besten komme man fort, wenn die Mutter die Fromme mache und vor dummen Weibern den Kopf chiere; dann habe man was man wolle. In die Schule brauche man noch viel weniger als hier; die Herren hätten da nicht der Zeit, nachzusehen, und begehre auch ein Fürwitziger einmal auf, so jammere man über Not und Elend, bettle Unterstützung; da helfe man einem zuerst und lasse einem dann hinten drein machen, was man wolle. Auch vor den Alten habe man sich nicht zu fürchten; da gehe jedes seiner Wege, und Tage lang könne man sich lustig machen wie man wolle, ohne daß Vater und Mutter es wüßten. Nebenbei erzählte er uns, wie er seinen Bauern plage, ins Bett, in die Hosen mache, und nichts Sehnlicheres wünsche, als daß er ihn fortjage, damit er von dem verfluchten Bauernvolke wieder wegkomme, wo man von nichts als von Prügeln und Arbeiten wisse. Er brachte es auch richtig dahin. Was aus ihm geworden, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß auch die schlechtesten Kerls in unserm Regimente in Bern aufgewachsen waren. Es muß dort unter diesen Menschen furchtbar aussehen und niemand in der Ordnung zusehen.

Endlich nahte die Zeit, wo ich der langweiligen Unterweisung zu entrinnen hoffte; es entstund ein neues Leben in und unter uns. Jedes beschäftigte sich bei sich selbst mit dem Gedanken, was ihm wohl Eltern oder Meisterleute für Kleider anschaffen würden. Die, welche eigenes Geld hatten, rechneten nach, fragten verblümt dieses und jenes, um ausfindig zu machen, wie weit es wohl reichen würde. Wessen das Herz voll ist, dessen läuft der Mund über; unsere Hoffnungen, unsere Kümmernisse, unsere Wünsche, unsere Erwartungen teilten wir einander mit, und nahmen sie auch mit in unsern sogenannten Unterricht. Die, welche an der Reihe zu antworten waren, schwitzten fast Blut, weil sie alle Augenblicke aufzupassen vergaßen, indem ihnen etwas vom Schneider oder der Näherin, von einem Hut oder einem Kuttli durch den Sinn fuhr, und sich in demselben einnisten wollte. Alle Tage brachte eines die wichtige Nachricht, was Vater und Mutter endlich beschlossen und bei welchem Krämer sie das Beschlossene zu nehmen gedächten; dann wurde die Sache erwogen und auch vom Krämer gesagt, was man wußte, und manches von schlechter Elle, dunklem Laden, hohen Preisen gemunkelt, und in stiller Hoffnung, noch etwas Besseres und von einem noch bessern Krämer zu erhalten, gingen die heim, welche noch nichts wußten. Aber um so größer war dann auch ihr Verlangen, bald zu wissen, woran sie feien, und geradezu oder hintenum suchten sie es zu vernehmen. Und als es endlich alle wußten, gingen die bangen Sorgen wegen den Schneidern an, und bei den Mädchen auch die noch wegen den Näherinnen, und manche halbe Nacht wurde aus Kummer schlaflos hingebracht, der Schneider möchte, nach seiner gewohnten Art, nicht Wort halten. So kam der Tag der Erlaubnis, an welchem wir noch in unsern alten Kleidern aufzogen, heran, wir wußten nicht wie. Wir zitterten und bebten; denn wer an diesem Tage eine Antwort fehlte, erhielt die Erlaubnis nicht; doch ging alles recht gut, wir schlüpften durch, und wie viele Zentnersteine fiel es mir vom Herzen; es schien mir fast, als hätte ich Fecken bekommen, so leicht ward mir. Der Pfarrer sprach nun seine gewohnte Rede, in welcher die Hölle neben dem Himmel und die Teufel neben den Engeln gar gewaltig aufmarschierten; die einen ließ er selig singen, die andern brennend heulen und zähneklappern. Und er redete lauter und immer lauter, bis ein Mädchen sein Nastuch nahm und schluchzte; da nahmen alle Mädchen nach einander die Nastücher und schluchzten, und die Weiber taten ebenso, und auch lauter und immer lauter, und die Tränen rannen häufiger und die Herzen pochten heftiger und der Pfarrer donnerte mächtiger; selbst der Himmel wurde graulich, die Hölle immer furchtbarlicher, das Zittern und Beben immer gewaltiger; das jüngste Gericht kam näher, immer näher; die Posaunenengel brachten die Posaunen zum Munde näher, immer näher; Zittern und Beben erfüllte die Glieder; von dem jüngsten Gericht glaubte sich alles verschlungen – da pickte des Pfarrers Uhr die bestimmte Minute. Es schwieg der Pfarrer, es verrannen die Bilder, es trockneten die Tränen, es verhallte das Schluchzen; und der Pfarrer nahm eine Prise Tabak mit Zufriedenheit, und die Weiber boten einander ihre Schnupfdrucken mit Behaglichkeit und sprachen: «Das war doch schön, dä cha's!»

Mir flirrte und summste es mächtig um die Ohren, und noch Tage lang war es mir, als ob es in den Bäumen sause hoch oben; aber nicht tiefer hinein, nicht einmal in die Augen drang es mir.

Ich hatte einen schwarzen Wollhut, den Gegenstand meines tiefsten Sehnens, erhalten, und konnte nicht satt werden, ihn zu betrachten, stund sogar des Nachts auf, um ihn zu probieren, und konnte den Tag nicht erwarten, an welchem ich meinen Kopf zur Kirche tragen konnte; zudem hatte ich noch ein ganz neues Gilet mit gelben Knöpfen und ein rotes seidenes Halstuch. Aus den Sonntagskleidern ihres verstorbenen Vaters hatte man mir, wie ich meinte, und wie man mir sagte, recht schöne Hosen und Rock machen lassen. Der Bauer und seine Frau unterließen nicht, ihre Freigebigkeit zu preisen, und ich war ihnen nicht wenig dankbar. Eines plagte mich noch, wie alle andern: wir möchten vielleicht etwas unrecht machen, entweder zu früh oder zu spät aus dem Stuhle zum Tische gehen, oder den Hut unter den unrechten Arm nehmen, oder das Brot zu essen vergessen, und wir repetierten alles unzählige Male; glücklicherweise ging es auch recht gut; ich vergaß nichts, stolperte nirgends, und beim schönen Wetter brachte ich meinen schönen Wollhut wieder unversehrt in den Schaft. Am Nachmittag lag ich im Baumgarten im grünen Grase, mit einem Glück in der Brust, das ich nicht beschreiben kann. Ich glaubte mich frei, die Welt stund mir offen, Kraft brauste in meinen Gliedern, Selbstgefühl blitzte aus meinen Augen, Mut schwellte das Herz; als ob ich an einem hellen Maitag mein Lebensschifflein vom Ufer stieße und ein nahes Gestade, glühend in schöner Gottespracht, mir würde, war's mir im Gemüte. Ach, ich kannte trügerische Schiffe nicht, wußte nichts von verborgenen Klippen, und was Schiffbruch sei, ahnte ich nicht.


 << zurück weiter >>