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Meine Herrlichkeit hat ein Ende, und eine Gemeinde hat einen Einfall

So wäre ich noch lange geblieben, wenn nicht zufällig mein früherer Meister durchs Dorf gefahren wäre, mich erkannt und zur Rede gestellt hätte, was ich da mache? In meiner Straßenmajestät gab ich ihm trotzigen Bescheid: ich sei jetzt nicht mehr sein Kindemeitschi, mich prügle niemand mehr alle Tage; das übrige gehe ihn nichts an.

Der Mann hielt im Wirtshause still, erkundigte sich dort nach mir und meinem Treiben. Der Wirt, dem ich schon lange ein Dorn im Auge war, mag mir nicht das beste Lob gegeben, der Meister das Vernommene nicht verkleinert in der Gemeinde berichtet haben; kurz, es kam der Befehl, daß ich mich an der bald darauf stattfindenden Bettlergemeinde einzustellen und alle meine Sachen mitzubringen habe. An der Gemeinde hatte man sich zwei Jahre lang nicht um mich bekümmert, niemand den Bauern, der mich haben sollte, nach mir gefragt; dieser war auch nicht g'wundrig gewesen über mein Schicksal. Die Gemeinde glaubte ihre Pflicht getan zu haben, wenn sie das versprochene Kostgeld richtig bezahlte, der Bauer, wenn er es annehme und darauf tue oder das Überschießende in Sack stecke (ich glaube immer, er habe noch Profit gemacht und weniger für mich bezahlt, als er erhalten). Niemandem war ich zur Aufsicht empfohlen, nachzusehen, daß ich als ein Christenkind christlich erzogen werde. Als ich später darüber klagte, sagte mir einer, der ein böses Maul hatte: das sei eben das beste Zeichen, daß meine Gemeinde eine recht fromme sei, indem sie auf Gott vertraut und ihm mich überlassen, im Glauben, es sei genug, wenn er zu mir sehe. Ja, ja, wenn es mit diesem Glauben gemacht wäre, es wäre noch manche Gemeinde fromm. Aber warum heißt es, daß Gott durch der Eltern oder Pflegeltern Hand die Kinder regieren will? Wo die Regierung schlecht ist, wird auch schlecht regiert, und wo schlecht regiert wird, geht viel zu Schanden, manches Kind. Ob aber diese schlechten Regierungen über die verwahrlosten Kinder nicht Rechenschaft geben müssen dem, der sie ihnen anvertraut?

Der liebe Gott sieht auch zum Vieh. Aber wenn ein Meister einem schlechten Knecht sein Vieh anvertraut, nicht aufpaßt, und das Vieh verdirbt, so gibt kein Mensch dem lieben Gott schuld, sondern dem Knecht, besonders aber dem schlechten Meister. Wenn ein Bauer seine Kuh auf den Berg tut, so weiß er auf welchen Berg, und macht ihr im Sommer eine Visite; aber wo ein armes Kind ist, weiß manche Gemeinde nicht, geschweige dann, daß sie ihm Visiten macht. Es soll zwar in der Gemeinde ein Reglement gewesen sein über solche Dinge; aber es ist an manchem Ort ein schönes Reglement; wenn es nur jemand handhabte, und nicht jedermann taub würde, wenn man etwas davon sagt.

Man wird vielleicht meinen, ich hätte eine Mutter gehabt, und die hätte zu mir sehen sollen; wird mich fragen, warum ich nichts von ihr sage? Aber mein Gott, das ist eine dumme Rede und eine dumme Frage; weiß doch jedes Kind, daß von zehn Witwybern neun halbe oder ganze Narren werden, und sturm an der Lebere, bis sie wieder einen Mann haben, und dümmer tun als junge Meitschi. An den jungen Witwen kann man es noch begreifen; man weiß, was sie wollen; aber da heißt es wohl: Alter schützt vor Torheit nicht, und die ältesten tun am narrechtigsten. Wer kennt nicht die alte, reiche, geizige Witwe, die, solange ihr Mann lebte, nie ins Wirtshaus ging, nie ganze Milch brauchte, und die jetzt Abendsitz hat, jungen Bueben Brönz und Brot gibt, bis sie selbst keins mehr hat, jüngst noch gar ins Wirtshaus ging, mit dem lahmen Schuhmacher tanzte, bis sie übereinanderpürzelten (der gute Kerli behauptet, er habe zwei gute Beine), und einem andern jungen Lappi an der Hand hing und dr tusig Gottswille anhielt, er solle doch nicht in die Fremde gehen, sie könne es nicht machen ohne ihn. Und das Fraueli, wer kennt das nicht, das schon lange Großmutter ist, fast nichts mehr hört, bei einem Witwer früher schon eine Probezeit von drei Tagen gemacht und letzthin seine letzten zehn Kreuzer dem Gyger gegeben hat?

Und meine Mutter, eine junge g'lustige Witwe, hätte an mich denken sollen! Ich dachte an sie und auch meine Alten. Die schickten mich einmal an einem Sonntag hin zu ihr, in der Hoffnung, ich bekomme vielleicht etwas von Kleidern. Ich kam nicht wert; sie war schon aufgezäumt, als ich ankam, und hatte wahrscheinlich eine Bestellung. Sie mochte nicht warten, bis ich etwas gegessen und sie mich wieder schicken konnte, aber ohne Gabe; sie hatte es für sich selbst zu brauchen. Bald darauf heiratete sie wieder und kam, ehe ich erzogen war, im Elend um, ohne daß ich etwas von ihr oder sie etwas von mir gehört hatte; denn ich vergaß sie nun auch, nachdem ich den ersten Schmerz überwunden, daß sie mich nicht lieber gesehen, und um keinen Lohn der Welt hätte man mich dahin gebracht, sie wieder zu besuchen. Daß ich von meinen Alten fort sollte, das zerriß mich fast. Sie hatten mich im ganzen liebreich behandelt, denn ich war ihnen nicht zum Schaden; ich hatte ein gutes Leben, wenn ich auch auf einem Laubsack schlafen mußte; endlich bedeutete ich auf der Straße oben im Dorfe etwas, hatte dort bestimmte Rechte, und bewegte mich mit dem Selbstgefühl des Eigentümers die Straße auf und ab. Sicher reisete mancher König nicht mit behaglicherem Gefühl in seinen Landen, als ich meine Mistbänne von einem Ende des Dorfes zum andern zog, oder gar oben am Stutz auf der Leubank saß. Diesen Zustand der Freiheit, wo ich über meine Zeit und meine Person fast unbeschränkt verfügen konnte, sollte ich nun wieder hingeben, an einen Hof mich ketten und der Willkür des Besitzers preisgeben lassen? Was meiner wartete, nahm ich aus dem ab, was ich früher erlebt, und war zu jung, zu bedenken, daß ich als Gassenjunge an Leib und Seele verwahrlost werde, nicht arbeiten, nicht beten lerne. Ich wollte anfänglich nicht hingehen, mich krank stellen oder fortlaufen; allein meine Alten waren kluge Leute, sie vermieden alles Aufsehen, alles, was Nachforschungen herbeiführen konnte. So leid es ihnen tat, mich zu verlieren, predigten sie mir doch Gehorsam und überredeten mich, an der Bettlergemeinde mich einzustellen. Dort putzte man mir vor allem tüchtig ab, stellte mir vor, wie böse Nachricht von mir gekommen, welch Schlingel ich geworden sei usw. Mit trotzigem Wesen hörte ich das alles an, weinte nicht und sagte nichts, wollte auch nichts Besseres versprechen. Ich wußte nicht, was ich gefehlt haben sollte, und mein Gerechtigkeitsgefühl sagte mir, man hätte gar kein Recht, mir abzuputzen, denn ich sei ja nicht freiwillig dorthin gegangen, und hätte nichts gemacht, was mir verboten worden. Obgleich ich ein gesunder, starker Bursche war, so fanden sich doch keine Bauern, die mich wollten. Arme Leute hätten mich wohl verdinget, allein ich sollte auf einen Hof, um arbeiten zu lernen; denn wenn ich einmal gut täte, so gebe ich ein toller Knecht, hieß es. Endlich bewog man einen stattlichen alten Mann, mich mit ihm zu nehmen, und versprach ihm, mich für zwei anzurechnen, oder daß ein Jahr für zwei zählen solle; also wurde ich wieder köstlicher untergebracht, als es sonst meinem Alter nach bräuchlich war. Man verwahrloste mich, dafür sagte man mir wüst, deswegen wurde meine Rechnung um so größer. So übt man Gerechtigkeit.


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