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Das Lehen

Am folgenden Morgen erst erwachte ich oder ward meiner mir bewußt. Mein erstes war, die Großmutter zu rufen. Sie antwortete nicht; ich rief: «Großvater!», erhielt keine Antwort. Ich sah auf; mein Bruder lag neben mir; die Stube war mir fremd; nirgends ein Großvater, nirgends eine Großmutter! Ach, da wollte mein junges Herz brechen in namenlosem Schmerz; selbst die Schnitze, die ich in meinen Säcken vorfand, trösteten mich nicht. Erst als nach dem Morgenessen der Vater mich mit hinausnahm in den Stall und mir versprach, eine Kuh und ein Roß sollten mein sein und alle Schafe, vergaß ich mein Elend, das sich aber noch manchen Morgen und manchen Abend erneuerte.

Ich fing an mich umzusehen und fand uns in einem großen alten Hause auf einem Berge wieder. Neben dem Hause stand ein Stöcklein; rings um dasselbe ein großer Obstwachs, und in weiterem Kreise, größtenteils in steilen Halden bestehend, dehnte sich ein bedeutendes Heimwesen aus. Nur unterhalb des Hauses war ein Stück, das durch den Brunnen gewässert werden konnte, und ganz im Boden eine Lischenmatte.

Das Lehen hatte mein Vater von dem alten Bauer empfangen, der im Stöcklein wohnte. Zugleich gab ihm dieser Vieh, Haus und Feldgerät in die Schatzung, welche sogenannte achtbare Männer machten; aber sie waren mit dem Bauer am gleichen Orte Burger.

Denn als mein Vater im Zorn fortgelaufen war, wollte er nicht eher zurück, als bis er etwas empfangen hatte. Nach mehreren Tagen vergeblichen Laufens wurde er immer hitziger, bis er endlich diesen Hof fand. Das viele Land gefiel ihm. Der Zins schien ihm klein dagegen. Er bedachte nicht, daß zwischen einem Bergheimwesen und einem Hof auf ebenem Boden ein großer Unterschied ist. Zudem war der Bauer ein alter Fuchs, der dem Vater den Mund recht wässerig zu machen wußte nach den Herrlichkeiten, die droben ihm warteten. In seinem Unmute über die eigenen Leute hielt er alle andern für ehrlicher und bessere Freunde. Er gab daher gerne zu, daß zwei Vorgesetzte der Gemeinde, in welcher der Hof lag, die Schatzung machen 49 sollten als unparteiische Männer. Er glaubte, ein Statthalter und ein Gemeindevorsteher würden sich nicht dafür halten, jemand zu betrügen. Er hatte noch nicht erfahren, daß man einem zuliebreden nicht betrügen heißt.

Im Anfang war der Himmel voller Geigen. Der Mutter tat es bis in die Fußzehen wohl, selbst Meisterfrau zu sein und nicht bloß im Küherstöckli, sondern im großen Hause wohnen und mit Milch usw. schalten und walten zu können nach Belieben. Die Bäuerin kam fleißig zu ihr herüber und tat wie die Liebe selbst. Meine Mutter nahm das alles für bar Geld und merkte nicht, daß die Alte nur kam, um ihr recht auf die Eisen zu sehen und zu vernehmen, was alles vorging. Ebenso machte es der Bauer. Er trappete meinem Vater überall nach, war beim Heurüsten, beim Füttern, schien lauter Holdseligkeit zu sein, wußte aber nebenbei das Wasser auf seine Mühle zu reisen. So überredete er zum Beispiel gleich in den ersten Tagen meinen Vater, sein Holz im wüstesten Graben zu schlagen, wo man kaum mit ihm fort konnte, und wußte dem Vater das Stöcken so leicht und lieblich darzustellen, daß er einen schönen Haufen ausmachte, ehe die Feldarbeit anging. Ob diesen Dingen litten Wagen und Werkzeug bedeutenden Schaden; aber was fragte der Bauer diesem nach, ging es ja über meines Vaters Buckel aus. Gegen das Frühjahr stellte sich ein Knecht und eine Magd ein, weil meine Eltern einsahen, daß sie den Hof nicht allein bearbeiten konnten. Noch ging zwar alles gut; die Mutter brauchte noch nicht recht frühe aufzustehen, hatte für wenig Leute und keine Schweine zu sorgen, und ob sie nebenbei viel oder wenig mache, sah ihr niemand nach. Die Kinder überließ sie freilich sich selbst, bekümmerte sich wenig darum, ob sie gewaschen und gestrählt seien oder nicht.

Nun kam das Frühjahr mit allen seinen Arbeiten: Mist führen, Land rüsten für Haber, Flachs, Bäunde usw. Am Morgen mußte früh aufgestanden werden, das tat meiner Mutter weh; das z'Morge war nie zur rechten Zeit fertig. Die Magd sollte ihr helfen, wie sie meinte; und der Vater meinte nicht nur, die Magd solle ihr nicht helfen, sondern sie selbst solle machen, daß sie so früh als möglich zum Hause heraus aufs Land komme. Allenthalben fehlte es ihm an Händen, da das meiste Land steil war, Erde hinaufgeführt und der Mist in Bännen am Seil gezogen werden mußte, was viel mehr Zeit braucht, als man im ebenen Lande denkt. Zudem war auch der Zug schlecht, den er übernommen hatte. Alle benachbarten Leute, der Arbeit gewohnter, mit Leuten besser versehen, kamen dem Vater vor, erst um eine Woche, dann um zwei; endlich trampelte der Bauer heran und sagte: «Benz, du mußt Leut anstellen, so geht das nicht.» Und Benz stellte in der Tat Leute an; der Hausbrauch vermehrte sich dadurch, die Magd mußte nun doch der Mutter helfen, wenn man Vormittag z'Morge, vor Abend z'Mittag, vor Mitternacht z'Nachtessen bekommen wollte; den Leuten mußte der Taglohn bezahlt werden, und auf das alles hatte Benz nicht gerechnet.

Ja, Benz hatte noch auf gar viel nicht gerechnet. Benz hatte nur an den Zins gedacht, aber nicht an die Haus- und Arbeitskosten; hatte gedacht, aus dem Stall viel zu lösen, und nicht, daß er auch kosten könne; hatte nur an gute Jahre gedacht, nicht an mittelmäßige, noch viel weniger an schlechte. Das Geld, welches ihm der Großvater gegeben hatte, war im Genterli in einem Körbchen, und er und die Mutter nahmen daraus, wann sie etwas nötig hatten. Das erhaltene Geld hatte ihnen unerschöpflich geschienen; sein Lebtag hatte er noch nie so viel beisammen gehabt; wie erschrak er daher, als er eines Tages Geld nehmen wollte, mit der Hand lange im Körbchen herumtappte, ehe er welches fand, und beim Herabnehmen sah, daß fast keins mehr darinnen war. Er stund da wie vom Himmel herabgefallen; er war außerstand, zusammenzurechnen, was er ausgegeben, besonders nicht, was er Schmied und Wagner gegeben. Der alte Fuchs hatte es so eingerichtet, daß meinem Vater gleich anfangs eine Menge Reparaturen auffielen; dieser konnte nicht rechnen, wie viele Kleinigkeiten ins Haus angeschafft worden, konnte an der ganzen Sache nichts begreifen, bis ihm endlich in Sinn kam, die Mutter müsse unvernünftig viel daraus genommen haben und nichts darein geliefert. Wahr war es, daß meine Mutter aus Hochmut manches angeschafft hatte, was hätte unterbleiben können; wahr war es, daß sie den Kaffee lieber ohne Schiggore trank, lieber stark, als schwach; wahr war es, daß sie den Anken lieber selbst brauchte als verkaufte, und nur dann eine Ankenballe zum Verkauf rüstete, wenn sie selbst damit z'Märit gehen konnte. Sie bewies meinem Vater immer, daß es vorteilhafter sei, selbst auf den Märit zu gehen, als den Anken dem Träger bei Hause zu verkaufen; denn sie löse immer wenigstens einen Kreuzer mehr; daß aber der Schoppen oder die Halbe, ein Bratwürstli, das weiße Brötchen, das man nach Hause brachte, etwas kosteten, daran dachte man wieder nicht.

Nun gab es einen tüchtigen Lärm. Die Mutter sollte sagen, was sie mit dem Gelde angefangen; sie wollte nichts apartes wissen, mein Vater es nicht glauben, mußte aber am Ende schweigen; denn der Mutter Zunge war weit geläufiger als die seine. Damit kam das Geld nicht wieder, kam auch die Klugheit nicht, die Ausgaben, wenn auch nur obenhin, aufzuzeichnen. Es kam aber die Ernte, freilich keine reichliche; denn der Bauer hatte den Samen gespart gehabt; aber man konnte dreschen und einige Mütt Korn verkaufen, also auch die Arbeiter bezahlen. Dieses Dreschen zur Unzeit versäumte wieder. Den gehäuften Arbeiten konnte man nur durch Anstellung mehrerer Leute begegnen. Nun, der Benz rechnete wieder auf schönen Erlös von Gespinnst und Obst, welche beide wohl zu geraten schienen. Vom Obst hatte er das Aufgelesene und die Hälfte des Geschüttelten oder Abgenommenen. Er arbeitete also getrost darauf los, stellte Leute an und rechnete, er könne alle Jahre seine Kinder mehr gebrauchen.

Wir fingen an Obst aufzulesen, sobald der Herbst kam, hatten aber damit wenig zu tun. Wenn an einem Morgen ein halb Dutzend Äpfel unter einem Baume lagen, so trappete der Bauer heran und stellte auf Nachmittag das Schütteln an, weil er fürchtete, wir könnten zuviel bekommen. Ob die Äpfel reif seien, ob wir Zeit hätten, darum kümmerte er sich gar nicht. Mein Vater hatte nicht Zeit sich dessen zu achten; die Mutter verstund es nicht; uns Kindern blieb es überlassen, das halbreife Obst in den Keller zu schleppen und aufzuschütten. Wie es da zuging, kann man sich denken! Süßes und Saures kam untereinander; das Spätobst wurde eingekellert, ehe man das frühere weggeräumt hatte. Die Mutter kam mit der Haushaltung nicht zurecht, geschweige daß sie noch um das Obsterlesen im Keller sich viel hätte bekümmern können. Zwar rüstete man auch, kam aber mit dem Dörren auf den Öfen nirgends hin, weil man noch nicht heizte und einen einzigen Kunstofen hatte, und wenn man zuweilen auch eine Dörrete für den Backofen gerüstet hatte und am Morgen der Vater einheizen wollte, so fand er Schnitze vom Bauer darin, der nichts anderes zu tun hatte, als Äpfel rüsten, und das Holz nicht sparte, weil der Vater es ihm rüsten mußte. So faulte eine unendliche Menge Obst. Man suchte einzubeizen, dazu hatte man aber nur wenig Geschirr. Man gab den Schweinen so viel, daß sie endlich nichts anderes fressen wollten und auch nicht ausfielen, wie sie sollten. Verkaufen konnte man fast keins; wenn ein Käufer in den Keller kam, so verging ihm alle Lust. So schrumpfte der ganze geträumte Gewinn aus dem Obst zusammen auf einige Batzen, die man vom Brenner löste, einige Maß Bätziwasser und einige dürre Schnitze, von denen aber fast die halben verbrannt waren.

Flachs und Werch hatten wir viel gemacht; allein der Flachs hatte auf der Rooßi viel gelitten. Ob dem zuviel zu tun, kam man zu den meisten Sachen nie zu rechter Zeit; so war das Kehren und Aufnehmen auch versäumt worden. Der Bauer merkte das alles; aber statt mit seinem Äpfelabnehmen innezuhalten oder zur Zeit zu mahnen, kam er, wenn der Schaden geschehen war, lächelte auf den Stockzähnen und sagte etwa: «Benz, du hest wohl lang g'wartet», oder: «Es wäri vor acht Tage guet g'sy». Die Mutter stellte eine gewaltige Brechete an, und es tat ihr wohl bis in die Schuhe hinab, die Meisterfrau zu spielen; sie wollte gerühmt werden, tat zuviel an die Sache und bedachte nicht, daß man eben am meisten ausgeführt wird, wenn man sich groß machen will, ohne es zu vermögen.

Das kostete ordentlich Geld; den Hechler hatte man auch nicht umsonst; nur für diese Auslagen zu decken, mußte man manches Pfund verkaufen. Als nun alles fertig war und man nachsah, was zu verkaufen sei, so fanden sich Hemden nötig bei uns allen; Anzüge hatte man auch zuwenig, ebenso Tisch- und Bettücher; ja, wenn man hätte wollen machen lassen, was die Mutter nötig glaubte, man hätte noch viel dazu kaufen müssen. Das tat man freilich nicht, sondern, um die Hauptausgaben zu decken, sollte eine Portion verhandelt werden. Unter mehreren Malen schleppte die Mutter diese auf den Markt, und wenn man das Geld zusammengetan hätte, was sie heimbrachte, es würde keinen großen Haufen gegeben haben. Das Zurückbehaltene mußte gesponnen werden, aber wer sollte das tun? Die Mutter spann nur, wenn Besuch da war; sonst hatte sie mit der Haushaltung zu tun oder schnurpfte etwas. Die Magd mußte der Mutter helfen oder dem Knecht, kam nicht viel zum Spinnen. Meine Schwestern hätten altershalb gar gut spinnen können; aber niemand führte sie ordentlich dazu an; beim besten Willen verrichteten sie nicht viel. Es mußte also eine Spinnerin angestellt, dieser der Lohn gegeben werden; das waren wieder Kosten, auf die man nicht gerechnet hatte. Die Eltern trösteten sich mit dem Erlös aus dem Gewächs, über Hals über Kopf wurde gedroschen. Haber und Korn gaben, den Garben nach, wohl aus. Als man aber dem Bauer das Vorbehaltene ausgerichtet, dem Müller das Vorgegessene zurückgegeben, beiseite getan hatte, was man bis zur nächsten Ernte für den Hausbedarf bedurfte, blieb so viel nicht übrig. Als der Vater dem Knecht und der Magd ihren Lohn bezahlt, verschiedene Ansprachen des Gerbers und Schneiders berichtiget hatte, hatte er noch etwas, jedoch so wenig, daß er, der nun an die Hauskosten denken gelernt hatte, wohl einsah, daß davon für den Zins durchaus nichts bleibe. Man verkaufte noch Schweine; aber auch dieses Geld reichte nur dazu, den Vater in Stand zu setzen, den Stall ein wenig besser zu besetzen. Der Bauer hatte ihm vier Kühe und zwei Pferde in die Schätzung gegeben. Von den vier Kühen war eine einzige etwas wert; kurz, es war schlechte Ware, die schlechte Nutzung gab. Der Vater wollte mit dem Bauer brummen; allein dieser wußte dem Vater alles von der besten Seite darzustellen und behauptete, er habe deswegen immer altes Vieh gehabt, weil es weit bessern Mist gebe, als das junge. So hatte der alte Kauz für Dünger sorgen wollen; aber ein ordentliches Mistloch machen zu lassen, dazu war er nicht zu bewegen. Um nun nicht gar viel an den Tieren zu verlieren, suchte mein Vater einige zu mästen. Zu diesem Zweck mußte er im allgemeinen besser füttern, mußte allerlei beisetzen: Erdäpfel, Korn usw., hatte dazu wenig oder keine Nutzung, und wenn er am Ende auch einige Franken mehr löste, als die Schätzung betragen hatte, so war er doch, wenn er alles rechnen wollte, in bedeutendem Verlust. Ein Lehenmann muß aber alles rechnen, muß aus allen Dingen einen Kreuzer zu lösen suchen, und nichts ist torrechter, als wenn er viele Dinge braucht, die viel Franken gelten, um eine Sache um einige Batzen teurer verkaufen zu können. Aber ein Lehenmann, der fast alle Tag und Nacht arbeiten muß, hat nicht viel Zeit zum Nachsinnen, besonders wenn er des Sinnens so ungewohnt ist und es ihm so schwer geht, wie meinem Vater. Der, welcher den Hof verleiht, der wenig oder nichts zu tun hat, der hat alle Zeit zum Nachsinnen, wie er das Wasser auf seine Mühle reisen, wie er den Lehenmann aussaugen will, wie der ihm den Hof verbessern müsse, damit, wenn das Lehen zu Ende gegangen, er ihn noch besser verleihen, neue Vorteile erlisteten und einen andern armen Teufel zugrunde richten könne. So ging das Lehensjahr zu Ende, hatte viel Arbeit und Sorge gebracht, aber keinen Lohn dafür. Als man das Geld überzählte, fand es sich, daß nicht mehr so viel da war, als der Großvater beim Abschiede mitgegeben hatte, und doch war kein Kreuzer am Lehenzins bezahlt. Freilich waren viel außerordentliche Ausgaben dagewesen, die hoffentlich sich nicht wiederholten; freilich war der Stall etwas besser besetzt; allein ein ganzer Lehenzins war zu bezahlen, und woher im folgenden Jahre zwei Zinse nehmen, da man im vergangenen, welches doch keins der schlechtesten gewesen, nicht einen aufbringen konnte? Vater und Mutter begannen, als sie den Schaden einsahen, einander die Schuld gegenseitig zuzumessen. Der Vater hielt der Mutter vor: sie sei nicht die Großmutter, verstehe nichts, brauche viel und tue wenig. Die Mutter gebrauchte gewöhnlich nur einen Vorwurf, der g'schweiggete aber den Vater. Sie hielt ihm nur seine Dummheit vor, welche ihn diesen Hof empfangen und sich so anführen ließ. Durch diese gegenseitigen Vorwürfe machten sie sich die Sache immer schwerer, die Lage immer drückender, ihre Herzen bitterer. Wo immer keines an dem Unglück schuld sein will, sondern es dem andern aufbürdet, da kann man keine gemeinsame Maßregeln treffen, um dem Schaden abzuhelfen; derselbe wird immer größer. O, wenn die Leute wüßten, wie leicht sich alles machen, alles ertragen ließe, wenn man einig bliebe, wenn jeder auf die eigenen Fehler merkte, die der andern mit Liebe bedeckte oder mit Sanftmut verbesserte, sie würden das leidige Verweisen und Vorhalten fahren lassen, wobei nichts herauskömmt, als Bitterkeit, Mutlosigkeit und größere Not.

Alle diese Vorwürfe halfen also zu nichts, als daß sie den Vater in der Überzeugung bestärkten, daß er nicht nur die faulste, sondern auch die böseste Frau habe; daß die Mutter auf ihrer Seite nie an ihre Fehler glaubte, sondern den Vater und seine Beschränktheit als die Ursache alles Übels ansah.

Mit allen Vorwürfen war der Lehenzins nicht da; man mußte ihn schuldig bleiben und hatte kaum Geld genug vorrätig, um die laufenden Ausgaben in der Zeit zu bestreiten, in welcher man nichts verkaufen konnte.

Der Bauer mahnte nicht ans Zinsen; aber er wußte aus der Schuld seine tüchtigen Zinsen zu ziehen. Die Frau desselben brachte einen größeren Hafen für die ausbedungene Milch, als sie sollte; er mußte gefüllt werden. Was sollte man machen? Hätte man sich geweigert, so hätte das alte Ehepaar den Lehenszins eingefordert, den man ja nicht zahlen konnte. Der Bauer pflanzte mehr als er sollte, wollte große Hanf- und Flachsplätze haben; den besten Mist, die beste Zeit mußte man für ihn gebrauchen; wollte Land zu Erdäpfeln, obgleich keins im Akkord ausbedungen war. Der Ärger verzehrte die Eltern fast, allein sie durften nichts sagen, aus Furcht vor dem Zins. Der Bauer brauchte, ohne viel zu fragen, die Pferde des Vaters, besonders um z'Märit zu fahren; ja er führte sogar auch Sachen ums Geld, führte dem Vater Pferde und Wagen ab, die er vergüten, von denen er den Zins zahlen mußte. Derselbe mischte sich immer mehr in alle Dinge hinein und fing an zu befehlen, als ob wir nicht Lehensleute, sondern Knechte wären. Wenn sie irgendwohin zu schicken hatten, so mußte eins von uns laufen. Im Anfang gab es hie und da einen halben Batzen; seit aber der Vater ihnen schuldig war, sagten sie nicht einmal: vergelt's Gott! Mit welcher Freude ein Lehenmann bei solchen Umstanden arbeitet und mit welchen Augen er seinen Blutsauger, der ihm immer auf den Fersen ist, betrachtet, kann man sich leicht denken. Wer will den richten, der allen Mut verliert und am Ende sein Elend in Schnaps zu vergessen sucht? Das tat doch mein Vater nicht; er war zu sehr an Arbeit und Mäßigkeit von Jugend auf gewohnt, als daß er durch seine Lage hätte anders gemacht werden können. Er war wie eine Uhr, die man am Morgen aufzieht und die am Abend abläuft. Der Sommer kam wieder und mit ihm wieder das alte Lied. Immer war und blieb man im Hinterlig, immer hatte man sich verrechnet. Bei jeder neuen Arbeit oder jedem Werk rechnete mein Vater dieses mit wenig oder keinen fremden Menschen machen zu können; war man nun mitten darin, so sah man, daß es nicht gehe, sondern daß man durchaus noch mehr Leute anstellen müsse. Nun mußte man links und rechts ausspringen, um Menschen zusammenzutreiben, versäumte damit auch viel Zeit, und fand, wie der Knecht im Evangelium, nur Lahme und Krüppel; denn die guten Arbeiter warten nicht bis mitten in ein Werk, um sich anstellen zu lassen. Am Ende blieb man doch im Hinterlig und hatte mit vielen Leuten wenig ausgerichtet. Wenn die Not am größten war, so humpelte der Bauer mit seinem Pfeifchen im Munde irgendeinem Wirtshause zu, seinen gewohnten Schoppen zu trinken, und richtete es so ein, daß er bei den Arbeitern vorbei kam, um ihnen mit schadenfrohem Gesicht irgend etwas Spöttisches sagen zu können. Der Bauer wußte im voraus, daß mein Vater nicht bestehen konnte; aber er hatte seine größte Freude daran, ihn so langsam nach und nach auszusaugen und verderben zu sehen. Ob wohl der Teufel an der Freude des Bauern auch seine Freude gehabt, wer sagt mir das?

So waren die Kosten nicht geringer geworden, wohl aber der Ertrag im Vergleich mit dem frühern. Es war ein sehr trockenes Jahr gewesen, natürlich also an den trockenen Seiten die Heuernte schlecht, und nicht nur schlecht, sondern auch bedeutend dadurch verringert, daß man große Stücke eingrasen mußte, welche man sonst geheuet hatte. Im allgemeinen war es wohl ein gutes Kornjahr, doch nicht für uns. Mein Vater hatte wenig Pflug gehalten und gesäet; das waren Arbeiten gewesen, welche der Großvater meist noch selbst verrichtete, und wenn auch zuweilen dieses an meinen Vater kam, so war es im ebenen Lande in fruchtbarem Boden. Hier auf der Höhe verstund er weder den Boden zu rüsten noch zu besäen. Zum Rüsten des Bodens brauchte er viele Zeit, zum Säen auf bergigtem magerm Lande viel Samen, und beides, Zeit und Samen, hatte mein Vater zu wenig. Er wollte mit beidem hausen, schadete sich aber dadurch gar sehr; denn natürlich wurde die Ernte um ein Bedeutenderes geringer, als man an Samen und Zeit erspart hatte. So geht es armen oder bedrängten Leuten nur zu oft; sie wollen oder müssen am unrechten Ort sparen und verlieren dabei alles. Obst gab es keines, der Flachs war mißraten, zu verkaufen war nichts als Korn, dabei aber vorauszusehen, daß man im Frühjahr entweder Ware abschaffen oder Futter kaufen müsse. Die Diensten und Taglöhne mußten bestritten werden; die Hauskosten liefen fort. Woher nun einen Zins, woher zwei nehmen, da man voraussah, daß aller Erlös nicht einmal zu den laufenden Ausgaben hinreiche?

Unsere Lage wurde so immer trübseliger, und die Eltern immer erbitterter gegeneinander. Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht gezankt und aus dem hintersten Winkel Dinge hervorgerissen hätten, um sich dieselben vorzuhalten, und das ohne alle Scheu vor den Kindern. Da war es, wo ich alles vernommen, was ich bis dahin erzählt habe. Ich habe es auch behalten, weil das, was Eltern einander sagen, einen weit tiefern Eindruck macht auf Kinder, als die Eltern sich vorstellen. Doch war ich noch zu klein und auch zu gutmütig, um nach dem, was die Eltern einander gegenseitig vorhielten, sie zu beurteilen, und dadurch Achtung und Liebe gegen sie zu verlieren. Meine Geschwister dagegen waren alt genug, hängten Vater und Mutter ein böses Maul an, wo sie nur konnten, und wenn sie allein waren, repetierten sie zusammen, was sie gehört hatten, und fügten dann noch bei, was ihnen in Sinn kam, und hechelten oft die Eltern ärger durch, als ihre größten Feinde es hätten tun können. Während so die Eltern gegeneinander und mit ihrer Lage kämpften, verloren sie uns überhaupt aus den Augen, und wir konnten fast tun, was wir wollten; hie und da fiel eine Ohrfeige, gar oft aber ohne Erklärung, so daß man nicht wußte, warum man sie bekam. Der Vater hatte im Kopf, was er der Mutter, was sie ihm gesagt, was er ihr ferner sagen wolle; die Mutter trug das gleiche mit sich herum. Zwischendurch sannen sie vielleicht noch den zwei schuldigen Lehnzinsen und dem fast leeren Körbchen im Genterli nach, wie hätten sie da an ihre Kinder denken, auf ihr Betragen aufmerksam sein sollen?

Sie bekümmerten sich nicht, ob wir zur Schule gingen, was daher auch nicht geschah. Daß der Vater mich aber noch immer liebte, sah ich zuweilen. Während er fütterte des Abends, saß er meist auf einem Bänkli vor dem Futtergang, die Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in beiden Händen. Wenn ich nun da vorbeilief, so nahm er mich zwischen seine Knie, betrachtete mich und seufzte schwer auf, und wenn ich ihm flattierte und mit meinen Händchen seine Backen strich, war es, als ob seine Augen naß würden; er stund dann auf und ging in die Ställe. So kam, so verstrich der Winter, und während desselben war immer das alte Lied: Zank, Not und steigende Verlegenheit, woher man nun bald zwei Zinse nehmen wolle?


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