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Meine Kindheit

Ich bin geboren in der Gemeinde Unverstand, in einem Jahre, welches man nicht zählte nach Christus. Mein Vater war der älteste Sohn eines Bauern, der einen ziemlich großen Hof besaß und noch vier Söhne und drei Töchter hatte. Großvater und Großmutter waren von altem Schrot und Korn; beide viereckicht und rüstig früh und spät. Er war Meister in Feld und Stall. Das erstere bebaute er mit großem Fleiße, aber nach alter Mode, nahm lieber ein Klafter Naturgras, dessen Same ihn nichts kostete, als drei Klafter Pflanzengras, zu dem er den Samen hätte kaufen müssen. Aus dem Stalle zog er die Zinsen der schuldigen Kapitale. Er mästete alle Jahre etwas; aber dazu brauchte er lieber das Korn aus dem Speicher, als daß er mehr Erdäpfel gepflanzt hätte als sein Vater. Im Hause schaltete und rumorte die Großmutter, und alles mußte sich da vor ihr ducken, auch der Großvater. Sie kochte alles selbst, für die Menschen und die Schweine, besorgte den Garten und die Plätze so viel möglich allein und spann dabei Kuder fast zu Tode. Das Geld hatten sie im Genterli und die Großmutter immer so viel Recht dazu als der Großvater. Ich erinnere mich noch gar wohl, daß, als einmal der Großvater sehr munter von einem Märit heim kam, ich die Großmutter in der Nacht aufstehen, dem Großvater die Hosen erlesen und das Geld zählen sah und sie brummen hörte: «Dä het afa ghudlet; es hätt es styfs Säuli gäh, was er versoffe het; dem will ig morn ds Kapitel lese.» Richtig waren sie am Morgen über eine Stunde lang im Stübli. Niemand wußte, was sie verhandelt hatten; aber der Großvater kam nie mehr so lustig heim. Beide konnten Gedrucktes lesen und besonders der Großvater las oft laut aus dem «Schatzkästlein» und dem «Wahren Christentum»; schreiben und Geschriebenes lesen konnten sie nicht, auch nicht rechnen; doch machte der Großvater wackere Bauernfünfe, und kein Anken-, kein Garnhändler, obgleich die letztern besonders durchtriebene Schalke sind, konnte die Großmutter um einen Vierer beluxen. Daher hielten beide auf dem Lernen eben nicht viel; wenn eins ihrer Kinder nur notdürftig lesen und beten konnte, so glaubten sie es überflüssig geschickt. Nur der jüngste Sohn, der nicht gern arbeitete und doch der Augapfel war, konnte ein wenig schreiben und rechnen. Mein Vater schien von allen das vernachlässigtste Kind zu sein. Er konnte dem Großvater am frühesten in der Arbeit helfen und wurde nun fast von der ersten Jugend weg als Knecht gebraucht, wie ich ihn oft klagen hörte. Füttern, handeln, Pflug halten und säen tat der Großvater selbst; aber bei jeder wüsten und schweren Arbeit mußte mein Vater an der Spitze sein, und was die andern Brüder nicht tun mochten, das kam an ihn, und wenn etwas mißlang oder krumm gemacht wurde, so ging es über ihn aus. Als Beispiel erzählte er manchmal, wenn Steuerholz zu fällen gewesen sei, bei schlechtem Wetter oder an wüsten Orten, so hätte er der erste und letzte dabei sein müssen; an die Fuhrungen seien dann seine Brüder gefahren. Ich erinnere mich noch wohl, daß sie gewöhnlich bei ihrer Heimkunft nicht stehen konnten und lebendige Feuerspritzen vorstellten. Darüber schmälte der Großvater niemals; es ging nicht aus seinem Gelde, und er hielt es für Gewohnheit und Recht, daß bei solchen Gelegenheiten jeder so viel zu sich nehme, als er vermöge; ja, ich glaube, er hätte sie ausgelacht oder gar abgeputzt, wenn sie anders heimgekommen wären.

Man kann sich bei solcher Erziehung und solchen Verhältnissen meinen Vater gar gut vorstellen. Er war ein guter Arbeiter, dem aber befohlen werden mußte; er war roh, aber nicht ohne Gefühl; er sprach nicht viel; nur im Zorn, der aber selten ausbrach, konnte er nicht schweigen, sondern tobte fürchterlich. Ich glaube, er habe seine Hintansetzung gefühlt, sich aber damit getröstet, daß der Großvater für seine viele Arbeit ihm später ein Einsehen tun werde. Übrigens war er nicht gewohnt viel zu denken, auch nicht an die Zukunft; er ließ die Dinge gehen, wie sie mochten, und nahm sie, wie sie kamen. So kam er auch zu einer Frau, sicher wie viele andere, ohne recht zu wissen wie, und ganz bestimmt ohne eigentlich eine Frau zu wollen. Meinen Großeltern soll die Heirat gar nicht recht gewesen sein; nicht daß sie den Vater nicht gern heiraten gesehen hätten; zu essen hatten sie vollauf, aber nie genug Hände zur Arbeit; nur die Person war ihnen nicht recht. Meine Mutter war eine Krämerstochter; sie soll hübsch, aber auch gefallsüchtig gewesen sein, in der Haushaltung und auf dem Felde nichts getan, sondern dem Laden abgewartet und auf der grünen Bank vor demselben getan haben, als ob sie nähe oder lisme, was sie beides bös genug konnte. Niemand konnte begreifen, wie mein Vater und sie zusammenkamen; aber Wein und Tanz, Nacht und Lust wirken unbegreifliche Dinge. Meinen Großeltern hatte sie viel zu glatt gestrählte Haare, und tat viel zu zimpfer nach Art einiger Krämerstöchter, unter denen es aber auch ganz scharmante Kinder gibt. Sie wollten sie nicht ins Haus; ein unehelich Großkind wollten sie aber auch nicht. Darum drangen sie auf die Heirat, zu welcher eigentlich weder Vater noch Mutter von Herzensgrund Lust hatten, wie sie sich oft genug vorhielten, wenn die Not sie gegenseitig offenherzig machte. Das Geld zu dieser Hochzeit gab der Krämer; meine Großeltern nahmen Schneider und Schuster auf die Stör, ließen die Hochzeitskleider dem Sohn machen; ob er aber auch Geld habe, darum bekümmerten sie sich nicht, und Geld zu fordern ließ sich nicht leicht eins ihrer Kinder einfallen. Hie und da gab es ein Trinkgeld von einem Stück Vieh oder einer Fuhr, oder sie konnten sich zuweilen einen kleinen Vorteil machen; allein das ging natürlich schnell darauf. Meine Tanten sollen zum Beispiel, wenn sie auf einen Märit gingen, immer ein Stück Brot und einige dürre Birnen im Sack gehabt haben, damit, wenn sie niemand zu Gast hielt, sie nicht Hungers sterben müßten. Die aßen sie dann freilich nicht in der Tanzstube.

Diese Tanten (ich sage dieses hier, weil später nichts mehr von ihnen vorkömmt) wurden alle noch schlechtere Hausmütter als meines Vaters Frau, obgleich meine Großmutter nicht Rühmens genug machen konnte, wie sie dieselben werchen lasse. Ja, dreinschlagen und spinnen mußten sie tüchtig, auch fegen und putzen Haus und Stube; aber von der Haushaltung lernten sie nichts; die machte die Großmutter und begehrte auf, wenn sich eins ihrer Meitschenen in der Küche aufhalten wollte. Ob sie gewaschen seien, gab niemand acht, und wenn eine mehr als einmal in der Woche strählen wollte, so machte Großmutter die Faust und nahm die Züpfen selbst in die Hand. Es ging bei ihnen wie in einem Taubenhaus; denn die Großmutter war berühmt und ihr Rühmen machte, daß man meinte, welche Wunderwerke sie aus ihren Töchtern erziehe. Alle drei erhielten Bauernsöhne, wurden aber die unverständigsten und unsäuberlichsten und bei allem Geiz die kostbarsten Hausfrauen, weil sie nichts zu Ehren ziehen konnten. Der Mann der ältesten schlug von Haus, wurde ein Trunkenbold und fiel im Rausche tot. Der Mann der zweiten starb vor Verdruß, als er einst den ganzen Fleischvorrat wegen Mangel Salzens und Räucherns von den Würmern zerfressen sah. Die dritte starb glücklicherweise schon in der ersten Kindbette, weil sie in dummem Stolz, um zu zeigen, wie sie eine sei, gleich am zweiten Tage mit ihrem Volk Erdäpfelstock und saures Mus aß. Die meisten Leute konnten dieses nicht begreifen; ich habe es aber seither oft erlebt, daß die berühmtesten Weiber die Töchter am schlechtesten erziehen, eben darum, weil sie allein berühmt sein und nichts an die Töchter lassen wollen, diese bloß für Maschinen gebrauchen und sie nie zu der wichtigen Haushaltungskunst vernünftig anleiten. Meine Mutter blieb also in ihrem elterlichen Hause, der Vater in dem seinigen; denn der Großvater hätte ihn ungern verloren, und meinem Vater kam es nicht in den Sinn, etwas für sich anzufangen. Freilich erhielt er noch immer keinen Lohn und mußte von meiner Mutter später oft Vorwürfe hören, wie wenig er ihr und den Kindern gekramt und daß er in drei Jahren zwei einzige Male mit ihr im Wirtshaus gewesen. Alles, was die Großeltern taten, war, daß sie ihrer Sohnsfrau in die Kindbette jedesmal ein Ankenbälli sandten, worüber aber die Großmutter jedesmal dem Ankenträger geklagt haben soll, wenn sie ihm nicht die gewohnte Portion abliefern konnte. Meine Mutter hatte bereits drei Kinder, als ihr Vater starb und die Herrlichkeit zu Ende ging. Ihr Vater war früher Schuhmacher oder Schneider gewesen, ich erinnere mich nicht mehr welches, und hatte sich ein hübsches Stück Geld erworben. Nun fuhr der Hoffahrtsteufel ihm in den Leib; er schämte sich zu Fuß zu gehen, stellte ein Bernerwägeli, dann ein Sitzwägeli und endlich einen Charabanc an. Sein Häuschen war ihm zu schlecht; er baute ein großes schönes Haus; Weib und Kind wurden auch angesteckt, schämten sich der Arbeit, wollten alles am schönsten haben. Die Frau tat es den Bäuerinnen zuvor und wollte die beste Frau in der ganzen Gemeinde sein, und das kostet auf dem Lande viel. Die Kinder suchten in Pracht und Großtun alle andern zu übertreffen. Jedes nahm Geld aus der Losung so viel ihm beliebte; ordentliche Buchhaltung wurde keine geführt, kein Inventari gemacht. So minderte sich das bare Geld immer mehr; verlegene Waren waren ganze Haufen da, daher auch zunehmende Verlegenheit, wenn etwas bezahlt werden sollte. Nun nahm der Kredit ab; die Waren mußten teuer gekauft werden und als endlich der Krämer, wahrscheinlich aus innerm Gram, der ihn in der letzten Zeit noch zum Trinken brachte, starb, war viel zu wenig da, und nun Not und Elend, wo früher Übermut und Überfluß war.

Jetzt wäre der Zeitpunkt dagewesen, wo mein Vater noch etwas für sich mit Nutzen hätte anfangen und seine erschrockene und lind gewordene Frau zur Arbeit und zur Haushaltung gewöhnen können; aber er hätte darüber sinnen müssen, und dieses war ihm, als ob man ihm Feuer unter die Nase hielt. Er wußte daher nichts anzufangen, als Frau und Kinder zu sich zu nehmen, und dieses tat er auch erst am Tage, als sie ihr Haus räumen mußten. Es war ihm zuwider, die Großeltern um ein leeres Stübchen im Küherstöckli zu fragen; sie gönnten ihm auch das Wort nicht, und wer weiß, wie es gegangen wäre, wenn nicht mein Vater dem Großvater einen Trämel hätte müssen zur Sage führen helfen. Nach vollbrachtem Werk tranken sie unterwegs eine Halbe und dann noch eine, weil der aufgestellte Wein meinen Großvater gar gut dünkte. Der Wein tat ihnen die Herzen und auch die Mäuler auf. Sie hatten einander lange nie so lieb gehabt; wer zuerst von dem Stübli zu reden anfing, weiß ich nicht; aber als sie nach Hause kamen, war die Sache abgemacht. Den folgenden Tag zog meine Mutter ein, und obgleich es im Säet war, hatte doch der Großvater ein Pferd erlaubt, um ihren Grümpel zu führen. Natürlich ward nicht doppelte Haushaltung gemacht; dazu hatte der Vater kein Geld; meine Mutter und die Kinder mußten hinüber ins große Haus zum Essen. Wie es hierbei meiner Mutter zu Mute war, kann man sich leicht vorstellen, und ebenso, welche Augen ihr von der ganzen übrigen Familie gemacht wurden. Als sie noch im Flor war, kam sie ein- oder zweimal zu Großvaters im höchsten Staat. Meines Vaters Brüder und Schwestern sahen sie scheu und neidisch von der Seite an; sie war eben auch nicht am freundlichsten mit ihnen, und keins kam ins Hinterstübli, wohin die Großmutter den Kaffee getragen hatte, sooft man ihnen auch rief, und keins hätte je in ihrem Krämerladen etwas gekauft.

Man kann sich nun die Schadenfreude denken, mit welcher sie ihre Schwäger und Schwägerinnen ansahen, nachdem ihr Vater geldstaget hatte; sie hatten immer etwas zu zäpflen beim Essen und bei der Arbeit. Großvaters waren nach ihrer Art nicht böse mit ihr; allein sie konnten sich, und besonders die Großmutter, nicht enthalten, ihr alle Augenblicke zu sagen: es wird di ungwans düeche; dann folgte gerne eine Nutzanwendung, daß man es nicht besser vermöge, wenn man bei Ehre und Gut bleiben wolle. Allerdings tat meiner Mutter Essen und Arbeit sehr ungewohnt. Es wollte sie fast zerreißen, daß sie in der Küche nicht mehr bröseln konnte, wann sie wollte; daß Erdäpfelsuppe und schlecht gekochtes Kraut am Morgen den Kaffee ersetzen sollte; daß manches Kaffee getrunken wurde, von dem sie nichts bekam. Sie brachte es nie dahin, Erdäpfel und Milch zusammen zu essen, ohne zu verschütten, besonders seit sie merkte, daß man ihr aufpasse, um sie auszulachen. Im Stöckli schickte es sich nicht wohl, etwas Besonders zu machen; man hätte es bemerkt, wenn sie gefeuert hätte. Doch die Not macht erfinderisch. Im Winter wurde manches Kaffee beim Heizen gemacht und die Milch, welche die Mutter für die Kinder erhielt, dazu gebraucht, und im Sommer soll sie, wie man ihr nachredet, um Mitternacht aufgestanden sein, um etwas für den Tag z'weg z'mache, in der Hoffnung, man merke um diese Zeit das Feuer nicht. An Geld fehlte es der Mutter lange nicht; sie hatte sich Sackgeld gemacht und später viel überflüssigen Flitterstaat verkauft. Bei der Arbeit auf dem Felde ging es ihr nicht besser; sie konnte dieselbe kaum aushalten; bei aller Mühe arbeitete sie immer weniger und schlechter als die andern; je mehr sie schwitzte, desto mehr sah sie die andern sich Blicke zuwerfen und spotten. Sie mußte alle Tage hören: das sei was angers, als vor em Lade hocke-n-u g'vätterle. Meine Mutter war im Grunde nicht böse, und wenn man sie mit Liebe und Nachsicht behandelt hätte, so wäre sie verständig genug gewesen, sich nach und nach in ihre Lage zu schicken, und ganz sicher eine bessere Hausfrau geworden, als ihre Schwägerinnen alle; denn sie war weit gescheiter als diese. Auf diese Weise wurde sie mutlos und bitter; sie bemühte sich nicht mehr, die Sachen besser zu machen, sondern ihre Zunge kam auch in Gang und wurde so scharf und schneidend, daß die übrigen am Ende froh waren zu schweigen. Zu diesem allem sagte mein Vater wenig oder nichts; er wußte nie recht, mit wem er es eigentlich halten sollte. Am Tage schämte er sich seiner Frau bei der Arbeit; beim Essen ärgerte sie ihn, und er nahm sich vor, ihr nachts hinter dem Umhang abzukapiteln; aber dazu kam es nie. Hinter dem Umhang fing dann die Frau an zu jammern und zu schimpfen über das Betragen ihrer Verwandten und wußte es in ein solches Licht zu stellen, daß der Vater sich fest vornahm, es nicht mehr zu dulden, sondern gleich am folgenden Tag mit Eltern, Brüdern und Schwestern tüchtig aufzubegehren; aber dazu kam es wieder nie. Sobald es Tag war, hielt er es im Herzen wieder mit seinen Verwandten, des Nachts dann wieder mit seiner Frau. Das ging so lange, bis sie sich trennten.

Nachdem meine Mutter ungefähr ein Jahr in dieser Lage gewesen war, wurde ich geboren. Nun wird sich mancher wundern, woher ich das alles wissen könne, was ich bis dahin erzählt, da ich doch nicht dabei gewesen bin. Nur Geduld, er wird es schon erfahren! Aber wundern wird man sich nicht, daß meine Mutter bei ihrer Gemütsbeschaffenheit in der Kindbette ernstlich krank wurde, so daß sie nicht im Stande war, mich zu säugen und mich zu besorgen.

Die Großmutter hätte es nie zugelassen, eine Hebamme zu rufen; sie glaubte noch einmal so geschickt als eine solche zu sein. Sie stund auch meiner Mutter in der schweren Stunde getreulich bei, und förderte mich glücklich ans Licht der Welt, welches ich mit ungewöhnlichem Klagegeschrei erblickt haben soll. Sie nahm mich, als sie die Schwäche meiner Mutter sah, sofort zu sich, machte dem Korbe, worin ich lag, Platz auf dem Ofentritt in ihrem Stübli und betrachtete mich nicht nur als ihr Kind, sondern erwies mir auch mehr Zärtlichkeit, als früher ihren acht Kindern zusammengenommen. Während der ersten Tage meines Lebens glaubte man, ich würde sterben. Die gute Großmutter wird mich wahrscheinlich schon von Anfang an mit lauter Nidle getränkt und diese mein Magen nicht vertragen haben. So lange ich im großelterlichen Hause war, hatte ich immer mein besonderes Näpfchen bei Tische, worein Großmutter aus den großen Kachlen, welche für die übrigen hingestellt waren, das bessere obenab geblasen hatte.

Meine Kränklichkeit erregte große Angst, ich möchte vor der Taufe sterben; dann wären die Eltern schuld, wenn mir durch diese Versäumnis die Seligkeit fehlen würde. Im ganzen Hause hingen alle fest an dem Vorurteil, ohne Taufe könne man nicht selig werden; dabei glaubten sie doch an einen gütigen Gott, an einen Vater im Himmel. Aber in unserm Hause war es halt auch so wie in hundert andern; man glaubte gar vieles, aber zweierlei tat man nicht. Man untersuchte erstlich nicht, woher man das hätte, was man glaubte; ob es in der Bibel seinen Grund hätte, oder ob es käme, ohne daß man wußte woher, wie die Schaben ins wollene Zeug. Daher kam es, daß man die Leidensgeschichte Jesu und seine Auferstehung gleich fest glaubte wie irgendeine erlogene Teufelserscheinung oder eine Hexengeschichte, und auch gleich als ungläubig den verdammte, der an der evangelischen Wahrheit, und den, der an den dummen Mährlein zweifelte. Zweitens stellte man dasjenige, was man von allen vier Winden her glaubte, nie zusammen, untersuchte nie, ob es auch zusammenpasse. So glaubte man an Gottes Allmacht und doch, daß ein altes Weib das Vieh verhexen und Kapuziner sogar Menschen töten könnten mit bloßem Worte, gerade wie Gott die Welt, Adam und Eva erschaffen. Der Großvater konnte gar trostlich beim Schlafengehen das «Unser Vater» und «Vater vergib mir meine Schulden, wie ich meinen Schuldnern auch vergebe», beten, und handkehrum zu der Großmutter sagen: «Ig hoffe doch, daß Niggis Joggi einist e fürige Ma werdi, wenn e g'rechte Gott im Himmel isch; dä Donners Schelm het mer hüt wieder e ganzi Fure-n-abg'fahre, u der Marchstei lyt ganz blutt und krumm.»

Daß ich getauft werde alsbald, darüber war man also einig, auch darüber, daß Großvater und Vater Göttene, Großmutter Gotte sein sollten; dem Vater war das Tschämele zuwider; er war nie ein großer Redner und bei solcher Gelegenheit vollends nicht, und die frühern Male soll er immer in seiner Herzensangst seinen Hut ganz zerdrückt und verdreht haben; auch konnte man so die Kindbette ersparen, und das zürnte niemand, als vielleicht meine Mutter, welche im Herzen schon lange auf die Züpfen der Gevattersleute gerechnet hatte. Über meinen Namen aber entstund gewaltiger Streit. Meine Mutter hätte gern einen hoffärtigen gehabt und Fritz gefiel ihr gar wohl, vielleicht daß ein alter Schatz so geheißen. Meine Großeltern wollten von diesem nichts hören, der sei ihnen zu herrschelig; sie bestanden auf Christi, das sei ein Name, der im Leben und im Sterben etwas zu bedeuten habe. Allen zum Erstaunen hatte hier mein Vater eine eigne Meinung; er verwarf die beiden vorgeschlagenen Namen und beharrte auf Jeremias. Gründe für eine Sache konnte mein Vater nie angeben, also auch hier nicht; um so hartnäckiger blieb er bei seiner Meinung. Das habe ich in meinem Leben immer gesehen, daß Leute von der Bildung oder vielmehr Unbildung meines Vaters um so eigensinniger bei ihrem Willen beharren, je weniger sie dafür zu sagen wissen. Entweder hatten ihn meine Klagelieder, die ich bei meinem Eintritte in die Welt sang oder brüllte, oder eine unerklärliche Ahnung meiner traurigen Schicksale zu diesem Namen bestimmt. Zuerst gab ihm meine Mutter nach, weil Jeremias doch vornehmer klang als Christi und nicht jeder Bettelbub so hieß; dann auch die Großeltern, weil Jeremias ein biblischer Prophetenname sei und sie keinen Jeremias kannten, der bei Spiel und Tanz der erste war, wie es wohl irgendein Fritz sein mochte, den sie kannten.

Es soll furchtbar gewittert, die Großmutter die Schuhe mehr als einmal verloren und ihren Hochzeitskittel übel zugerichtet haben, als man mich zur Taufe trug. Doch schlug es mir nicht übel, sondern gut zu, wogegen sicher manches Kind an dem zu frühen unvernünftigen Taufgang sterben mag. Wahrscheinlich hatten die raschen Bewegungen der Großmutter, die mich absolut tragen wollte und doch immer mit ihren Schuhen zu tun hatte, meinem Magen die Nidle verdauen helfen, oder er war derselben mehr gewohnt geworden; kurz, ich wurde gesund. Daß aber dieses Gesundwerden nicht natürlichen Ursachen, sondern der wunderbaren Kraft der Taufe zugeschrieben, die Vorurteile vermehrt und verstärkt wurden, kann man sich leicht denken. Die Taufe eines Enkels, welcher der Großvater zum ersten Male beiwohnte, stimmte ihn weich, und gutmütiger als vernünftig kramte er der Mutter allerlei. Dieses schmeckte ihr natürlich besser als das Doktorzeug und beförderte ihre Genesung nicht. Es ist merkwürdig, daß die Menschen nie am rechten Ort und in der rechten Zeit entweder vernünftig oder gutmütig sein können; bald sind sie zu verständig, bald zu gutmütig, noch mehr aber weder das eine noch das andere.

Ich war also ein sehr wertes Kind, und wurde natürlich ein sehr fettes; denn darin zeigt sich bei gar vielen Leuten, die nicht gelernt, wann sie gutmütig, wann sie vernünftig sein sollen, die Liebe, daß sie den Kindern so viele und so gute Speisen einschoppen, als zum Mund hinein mag; an die Folgen denken sie nicht. Es war früher der Großmutter Stolz gewesen, im Sommer ihre Pflanz- und Flachsplätze, im Winter ihre Schweine und ihren Kuder an der Stange zeigen zu können und rühmen zu hören; jetzt mußte ich gezeigt und gerühmt sein Sommer und Winter. Wer etwas von ihr wollte, der mußte mir nur recht flattieren, dann konnte er der Gewährung seiner Bitte sicher sein. Sie ferggete mich überall mit sich herum, in der Küche, in dem Garten, und wenn sie spann, so trieb der eine Fuß das Rad, der andere die Wiege. Der Großvater hatte mich fast ebenso lieb, obgleich ihm anfangs das Geschrei des Nachts zuwider gewesen war. Als ich mich nach und nach entwickelte und das innere Leben durch Zeichen und Töne kund geben konnte, da soll der Großvater nie vom Felde oder einem Gange heimgekommen sein, ohne zuerst nach mir zu sehen. Großmutter behauptete steif und fest, es gebe nicht nur kein so schweres, sondern auch kein so witziges und frommes Kind, als ihren Miaßli; ich könne schon beten, behauptete sie, als ich kaum ein halb Jahr alt war, weil ich zuweilen zufällig die Händchen zusammenlegte. Man sollte diesem nach glauben, ich sei den andern Hausgenossen um so unwerter geworden, je werter mich die Großeltern hielten; denn man sieht sonst meist, daß, wenn Menschen oder Tiere von den einen mit besonderer Liebe behandelt werden, die andern sie hassen und insgeheim verfolgen. Es ist auch natürlich, indem die meisten Menschen nur ein bestimmtes Maß von Liebe haben. Erhalten die einen zu viel davon, so zieht es den andern zu wenig. Auch müssen gar oft unter der Meisterlosigkeit eines Hausgenossen, eines Kindes oder einer Katze, alle leiden und Verdruß ausstehen; das macht nicht gutes Blut, und die Meisterlosigen müssen es entgelten, wenn sie sich schon dessen nicht vermögen; denn an ihrer Meisterlosigkeit sind andere schuld, überhaupt sind die Menschen zum Neid geneigt, und wenn einer geliebt wird, so hassen ihn viele schon deswegen, auch wenn er ihnen nie in den Weg gekommen. Schlug ja doch Kain den Abel aus Neid tot, obgleich Abel nichts dafür konnte, daß des Kains Opfer Gott nicht angenehm war. So ging es mir aber nicht. Ich war nicht nur allen lieb, sondern zum Teil Ursache, daß sich die einen auch mehr liebten, und oft den andern ein Ableiter großelterlicher Scheltungen. Ich war gar ein freundliches Kind, auch neugierig, fragte viel, und hieß daher gar kurzweilig. Meines Vaters Brüder waren sonst die unfreundlichsten Menschen, und gaben um einen Kreuzer, so nötig sie ihn hatten, kein gutes Wort; mir aber konnten sie nicht widerstehen. Es kam ihnen nicht in den Sinn, den Großeltern zulieb mir zu flattieren; dazu waren sie zu holzböckisch. Sie waren überhaupt nicht gewohnt, jemand Liebe zu zeigen oder etwas zulieb zu tun. Man war in unserm Hause nicht gewohnt zu zanken; aber gute Worte gab man sich eben auch nicht. Die Großeltern hatten ein rauhes Äußere, liebten zwar ihre Kinder, aber hatten weder Zeit noch Geschick, es ihnen zu zeigen.

So waren die Kinder sauertöpfig geworden, und wenn man aus sauern Gesichtern Essig ziehen könnte, so hätten wir nie zu kaufen gebraucht. Mir aber lachten sie von weitem entgegen; jeder wollte mich haben, und welchen ich beim Bein nahm, der hob mich auf den Arm und trug mich in den Stall zu den Pferden und Kühen. Die Großmutter wunderte sich oft darüber, daß sie mit mir so freundlich seien; sie wußte nicht, daß eigentlich jeder Mensch Liebe in der Brust hat, auch wenn sie hart wie Felsen scheint; daß in der Tat viele Menschen die Liebe nicht zeigen können, gewöhnlich weil sie in der Jugend zurückgedrängt worden. Niemand aber kann Liebe nach außen ziehen und sie hervorlocken, wie ein unschuldig Kind.

Meine Tanten durften sich zuweilen mit mir versäumen; dafür erhielt ich von ihnen als Kram immer alle Birnenschnitze, die ihnen an den Märiten übrig blieben. Am glücklichsten wurden durch mich meine Geschwister, zwei Mädchen und ein Knabe. Bis dahin hätten sie nirgends sein sollen; sie waren allenthalben im Wege: am Tisch, im Haus und ums Haus. Alles fuhr über die Bursche aus; war etwas zerbrochen, sie hatten es getan; verloren, sie hatten es verschleipft; zertreten, sie hatten da gegürtet. Jedes klagte, sie seien einem immer unter den Füßen und doch nichts zu brauchen, und wie viel Haarrüpfe, Stöße, Ohreten es da absetzte, kann niemand zählen. Natürlich wurden sie auf diese Weise nicht die besten, und weil sie doch alles getan haben sollten, so taten sie was sie konnten; und weil sie niemand liebte, so liebten sie wieder niemanden. Mein Vater nahm sie so wenig in Schutz, als er meine Mutter beschirmte. Er hatte es ungern, wenn es um ihretwillen Verdruß gab, und hielt daher immer die Kinder im Fehler; zwar prügelte und schimpfte er sie selten aus, aber gute Worte gab er ihnen ebensowenig. Meine Mutter nahm sich ihrer oft an, allein nicht aus eigentlicher Teilnahme und Mitleiden, sondern aus Widerspruchsgeist, und weil sie nicht dulden wollte, daß man ihnen befehle, weil es ihre Kinder seien. Sie war ihnen daneben aber nichts weniger als eine zärtliche Mutter; dazu war ihre Selbstsucht zu groß; sie machten ihr zu wenig und gaben ihr zu viel zu tun, und wenn sie zu keiner Arbeit zur rechten Zeit kam, so sollten immer die Kinder schuld sein. Es gibt gar viele Leute dieser Art, die ihre Obliegenheiten nicht erfüllen mögen und die Ursache davon nie bei sich selbst, sondern bei andern suchen und es diese entgelten lassen. Die Kinder waren immer schlecht gekleidet. Die Großeltern nahmen zweimal im Jahr Schneider und Schuhmacher und im Herbst eine Lismerin auf die Stör; so erhielten die Geschwister an Kleidern und Schuhen auch ihren Teil. Ihre alten Kleider aber wollte die Großmutter nicht durch den Schneider plätzen lassen; das solle die Mutter tun; sie verrichte sonst nicht viel, und ihr bißchen Nähen trage nichts ab. Die Mutter erhielt auch die Wolle zu den Winterstrümpfen für ihren Mann und die Kinder; man konnte aber darauf zählen, daß diese Strümpfe um Weihnacht nie fertig waren, und die Kinder entweder mit blauen Beinen herumliefen, oder die Fetzen der letztjährigen ihnen zu den Schuhen heraushingen. Die Großeltern konnten sich dann nicht enthalten, nach den Strümpfen zu fragen und zu sticheln, und jedesmal, wenn die Mutter um ihrer Saumseligkeit willen, oder weil sie sich lieber eine neue Blegi an ein altes Gloschli nähte, als für die Kinder lismete, einen Stich erhalten, fand sie eine Ursache, die Kinder zu prügeln.

So wie ich heranwuchs, änderte sich das Verhältnis meiner Geschwister zu Hause. Kinder werden immer zu Kindern hingezogen; denn in ihnen liegt ja auch der Trieb, sich mitzuteilen, sich anzuschließen; so hing ich mit Leib und Seele an meinem Bruder und meinen Schwestern. Je seltener ich anfänglich zu ihnen kommen konnte, desto stärker wurde diese Liebe, desto glücklicher war ich, wenn ich einmal eine Stunde mit ihnen g'vätterlen konnte. Meine Geschwister kamen nämlich, außer um zu essen, selten ins großväterliche Haus; man duldete sie ungern und sie kamen ungern, weil sie entweder auf Schläge oder auf Tadel zählen konnten. So wie ich eines ansichtig wurde, ruhete ich nicht, bis es bei mir war, und so lange es bei mir war, durfte ihm niemand etwas tun. Was ich hatte, jeden Leckerbissen, teilte ich mit ihnen. Die Großmutter machte in ihrer Schwäche gegen mich den Großvater manchmal lachen, und doch war er nicht stärker. Im Speicher waren die Vorräte von dürrem Zeug: Äpfel, Birnen, Kirschen und Zwetschgen lagen da ganze Kasten voll; in den Speicher zu kommen war meine Seligkeit; denn allemal trug ich alle Säcke voll hinaus. Nun war es recht lächerlich, wie die Großmutter, wenn sie in den Speicher gehen wollte, nicht ruhte, bis ich es bemerkte, oder, wenn ich nicht in der Stube war, mit dem Speicherschlüssel im ganzen Hause herumlief, bis sie mich ansichtig wurde und ich den Speicherschlüssel sah. Natürlich hängte ich mich alsobald an ihre Schürze und wollte mit. Sie aber stellte sich dann immer, als wollte sie mich durchaus nicht mitlassen, schalt mich aus, daß ich alles sehen müsse, was ich nicht solle; drohte, sie wolle mich dem Großvater verklagen, der gewöhnlich aus irgendeinem Stalle dem Spiel lachend zusah. Nach und nach erlaubte sie mir mitzugehen, aber versicherte bestimmt, sie werde mir durchaus nichts geben, und das Ende vom Lied war immer, daß ich mit gefüllten Säcken unter vielem Balgen der Großmutter herauskam, die aber doch, wenn ich einen Sack zu füllen vergessen hätte, mich selbst darauf aufmerksam gemacht hätte. Mit den eroberten Schätzen eilte ich zu meinen Geschwistern, teilte redlich mit ihnen und machte dadurch auch sie, die nie zu dergleichen Herrlichkeiten gekommen waren, glücklich. Daher liebten sie mich und trugen alle mögliche Sorgfalt für mich, und wenn sie in Feld oder Wald etwas fanden, von dem sie glaubten, es freue mich, so brachten sie es mir. So wurden meine Geschwister dem ganzen Hause befreundeter, den Großeltern lieber, und als Folge davon zeigten sie sich gefälliger, betrugen sich besser und wurden ihres Lebens ordentlich froh, weil sie allenthalben sein durften, ohne verschüpft und mit Schlägen bedroht zu werden. Selbst meine Mutter hatte die Liebe der andern zu mir zu genießen, wurde als meine Mutter mehr als Sohnsfrau gehalten und darauf gesehen, daß ihr das Nötige nicht fehle. Ich glaube zwar, sie habe mich beneidet, obgleich sie mich an sich zu locken suchte, wahrscheinlich um mich auszufragen, was im Hause getrieben, was, besonders über sie, geredet werde. Ich hatte sie auch lieb, doch war ich nicht gern bei ihr in ihrer Stube; es war mir zu enge dort und unwohl. Die Mutter war, was hoffärtigen Mädchen gerne geschieht, eine Hotsch geworden; das Stübchen lüftete sie nicht, räumte nicht auf; sie selbst war entweder unvernünftig geputzt oder eine Schlampe, das erstere immer seltener, das letztere alle Tage.

Man kann sich denken, wie glücklich mir auf diese Weise die ersten Tage meines Lebens verflossen! Ich war der Mittelpunkt einer großen Haushaltung und nicht nur ein gesegnetes Kind, sondern auch der Segen anderer; denn von mir aus kam die Liebe in die verschiedenen Glieder und ein heiteres Lebenslos schien mir bestimmt; aber der Vater im Himmel hatte es anders beschlossen.


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