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Wie ein Pfarrer einen kann aus dem Himmel fallen lassen

Wir waren fröhlich und guter Dinge; nur mein Bauer und ich sahen einander scheel an; da hieß es eines Abends, ich solle morgen zum Pfarrer gehen. Ich dachte nichts Böses dabei, sondern meinte, die Frau hätte etwas Unrechtes aufgeschrieben, und er wolle jetzt bessere Auskunft. Nachdem Feierabend gemacht war, ging ich hin. Als ich in die Nähe des Pfarrhauses kam, sah ich, daß der Herr Pfarrer zwei Herren, wahrscheinlich auch Pfarrer, vom Hause wegbegleitete. Auf dem schmalen Wege ging er voran, achtete sich nicht genug und sah hinter sich, stolperte, stürchlete lang, und fiel endlich zu Boden, Hut und Tabakspfeife hier hin, dort hin rollend. Die hintern Herren wollten sich fast totlachen, aber nur ganz leise, da sie ihn stolpern und fallen sahen; dann eilten sie mit gar bedauerlichen Mienen herbei, halfen ihm auf die Füße, und putzten hinten und vornen an ihm ab, recht rührend.

Ich mußte warten. Endlich kam der Herr, und ich sagte ihm gar schön: «Guten Abend, Herr Kammerer» (er hatte es ungern und wurde hässig, wenn man ihm nicht Herr Kammerer sagte). Mein Herr Kammerer putzte mir vor allem aus ab, daß wir schon ans Heiraten dächten und kaum unterwiesen seien; aber das sei heutzutage so, die einen seien zu faul zu dienen, die andern dünkten sich zu vornehm dazu; da wolle jeder für sich selbsten sein, und jede Magd sage, das Dienen sei ihr entleidet, und suche einen Mann zu kriegen; sie meine es besser zu machen und mache es zehnmal schlechter und komme in die bitterste Armut. Früher habe sie ungesorgt Brot gehabt; nun müsse sie für einen Haufen Kinder sorgen, die sich mehrten wie die Küngeli, und wüßte nicht, wo nehmen, als am Ende zu stehlen oder zu betteln. Ja, ja, der Herr Pfarrer hatte, so wie er die Sache ansah, ganz recht darin, daß auf diese Weise durch ein unbesonnenes Heiraten eine Menge Menschen Bettler oder Schelmen werden; allein, der Herr Pfarrer konnte sich nicht an dieser Leute Platz stellen, und darum mußte sein Urteil über sie ein ungerechtes sein. Stelle man sich aber an Platz eines armen Jungfräuli bei einer bösen Meistersfrau, oder nur bei einer etwas scharfen, wo es hie und da einen Schnauz erhält, und das Mädchen hat weiter niemand auf der Welt, auf den es sich verlassen kann, der im Fall der Not sich seiner annimmt, und, wenn es am Abend sich zu Bette legt, am Morgen aufsteht, niemand, an den es mit Freuden denken kann, nicht einmal an Gott, weil man ihm denselben nicht in seiner holdseligen Lieblichkeit gezeigt. Und wenn man nun so recht an diesen Platz sich gesetzt, so lege man sein Ohr an des Mädchens Herz, und lausche, was sich da unwillkürlich aus der Tiefe der von dem Schöpfer gebauten Natur zu regen beginnt. Es ist das Gefühl des Verlassenseins, ein Gefühl, das dem des Wanderers gleicht, der in fremder Welt in dunklem Walde bei einbrechender Nacht allein sich sieht. Schaurig wird es ihm zu Mute; wäre nur ein Hund bei ihm, Lieb und Leid zu teilen; ihm würde wohler sein; ein Sehnen nach dem Ende seiner Einsamkeit überwältigt ihn. Ein düster Lichtlein, das ihm durch die Nacht winkt, wird ihm zur Sonne: die gebrechlichste Hütte, die ihn aufnimmt, ein Palast, ein runzlicht Gesicht, das ihn freundlich empfängt, freut ihn besser, als das schönste an einer Kilbi, und schlechtes Brot schmeckt ihm besser, als Küchli und Bratis im Märitgewimmel. So kommt ein Blangen über viele arme Mädchenherzen, dem sie keine Worte geben können, von dem die meisten Menschen keinen Begriff haben, welches sich nicht legt, bis sie ihr Herz an ein anderes gelegt, an welchem sie Schutz und Schirm, Liebe und Trost, in diesem Augenblick den Himmel zu finden hoffen.

Und wer will nun den Stein aufheben und ihn werfen auf das arme Mädchen, in dem von Jugend auf die Schamhaftigkeit erstickt wurde, das in jüngern Jahren bei ältern Mädchen lag, und in alle Geheimnisse des Kiltgangs eingeweiht wurde, das an seines Herrn Tische alle Tage die nütnutzigsten Reden hört, das Kilter zu haben manchmal fast gezwungen wird; wer will ihn werfen auf das Mädchen, wenn mit diesem Blangen auch die Sinnlichkeit sich paart, die Seele eine Beute böser Lust, der Leib ein Werkzeug der Sünde wird, und Zeugen seiner Schande gebiert? Oder wenn das Mädchen, in reinerer Jugend erwachsen, bei der Gott versuchenden Sitte des Kiltganges, in Liebe und Angst fremder Sinnlichkeit und Bestialität unterliegt, wer will da den ersten Stein werfen, ich frage noch einmal? Bewahret junge Herzen vor dem giftigen Mehltau der Lust, erwecket in jeder Brust das Gefühl der Menschenwürde; verletzet weder Augen noch Ohren der Reinen, behandelt jeden Menschen mit der Bruderliebe, die nicht nur nicht schlägt und beißt, sondern die mitfühlt jede Lage, jede innere Regung, daß unter euch keiner sich verlassen glaubt; machet eure Häuser nicht zu Höhlen, in welcher der Versucher alle Nächte umgeht; und dann, wenn das alles geschehen ist, dann richtet über gefallene Mädchen, wenn ihr nicht vorzieht, Gott das Gericht zu überlassen. Mein Pfarrer nun stund nicht auf diesem Standpunkte, sondern er pülverte tüchtig über die jetzige Jugend, ihren Leichtsinn, und wie sie der Gemeinde Lasten aufbürde, die unerschwinglich seien, und kaum habe die Gemeinde jemand erzogen, und er sei aus den Kosten, so mache er Kinder, welche der Gemeinde wieder auffielen. Gerade so täten auch wir: aber noch sei die Frage, ob wir heiraten könnten? ich sei der Gemeinde viel schuldig, und das müsse wieder bezahlt sein, ehe er mich ausverkünden könne.

Ja, da war ich wie vom Himmel gefallen, und konnte den Herrn lange nicht begreifen, konnte nicht begreifen, daß ich aparti etwas schuldig sei, und noch weniger, daß ich etwas wiedergeben solle. Daß ich vom achten Jahre weg durch die Gemeinde auferzogen worden sei, daß sie für mich bezahlt habe, das wußte ich wohl; aber daß ich das wiederzugeben hätte, und wie hoch meine Schuld sich belaufe, das hatte kein Mensch mir gesagt, und so etwas erträumt einem nicht. Hätte man mir was gesagt, mir die Summe genannt, so würde ich ganz sicher für die Abbezahlung der Schuld gesorgt haben. Allein, mein Meister wußte wohl, warum er mich nicht aufmerksam machte auf meine Schuld, und auch die Gemeinde tat es nicht, denn die besteht eben aus lauter Meistern. Natürlich hätte ich nach Lohn gestrebt; er hätte mir einen bestimmten verheißen, ausbezahlen müssen, oder ich wäre weiter einem sichereren und größeren nachgegangen; darum hütete der alte Schelm sich wohl, mir etwas davon merken zu lassen. Das alles stieg mir zu Kopf, und ich sagte dem Pfarrer etwas grob, das sei doch keine Manier, daß niemand die armen Buben auf diese Schuld aufmerksam mache, bis sie entweder heiraten oder ein unehlich Kind haben müßten, allweg ihr Geld sonst zu brauchen hätten; ich hätte Lust, gar nichts zu zahlen, und zwingen werde man mich kaum können. Ich sagte ihm noch mehr, was mir mein heißes Blut eingab, und polterte besonders über meinen Meister, der es mir hätte sagen können. Der Pfarrer ließ mich aber nicht lange reden. Mein Bauer sei ein braver Mann, hieß es; man hätte viel zu tun, wenn man jedem Hudelbuben mit einer Rechnung nachlaufen wollte, und nützen würde es doch nichts. Art lasse nicht von Art, ans Zahlen dächten die Wenigsten, sondern nur ans Saufen und Huren. Ich werde auch nicht einer der Besten sein; räsonnieren könne ich, werde einen bösen Kopf haben, was er schon lange geglaubt; darum solle ich machen, daß ich fortkomme und bezahle, sonst kriege ich den Verkündschein nicht. Trotzig frug ich noch, ehe ich zahlen könne, müßte ich doch wissen, wie viel ich schuldig sei. Der Pfarrer sagte mir aber, das sei seine Sache nicht; der Gemeindeschreiber werde es mir sagen, wenn ich zahlen wolle.


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