Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 37

Wenn die wilden und zerstörenden Äquinoktialstürme ausgetobt, den Wald recht tüchtig durchgeschüttelt und die heißen, drückenden Sommerlüfte mit polterndem Brausen gen Süden gejagt haben; wenn die Wildnis ihr in den wundervollsten Farben prangendes Herbstkleid angelegt hat; wenn der Sassafras seine blutroten Flecken bekommt, die den Jäger so oft irreführen und necken; wenn die Hickoryblätter, während das übrige Laub sich noch einmal, um nur nicht alt zu scheinen, von frischem schminkt und putzt, ganz allein jenes herrliche helleuchtende Gelb annehmen; wenn die Wandervögel lebendig werden und die fallenden Eicheln und Beeren das Wild schrecken und scheu machen: dann beginnt im nördlichen Amerika die schönste, herrlichste Zeit, – der ›indianische Sommer‹, und blau und wolkenlos spannt sich das ätherreine Firmament monatelang über die fruchtbedeckte Erde aus.

Dann kommt die Zeit, wo im fernen Westen der naschhafte Bär Fensterpromenaden unter den Weißeichen macht, die schönsten und reichsten aussucht, hinaufklettert und mit Kennerblick und leisem, behaglichem Brummen die schwerbeladenen Äste faßt und niederbricht. Dann zieht der Hirsch auf den Fährten der Hirschkuh durch den Wald, die Truthühner tun sich in Völker zusammen und geben sich nicht einmal mehr die Mühe, ihrer Nahrung wegen in die Bäume hinaufzufliegen; denn die süßesten, herrlichsten Beeren decken ja den Boden. Das graue Eichhörnchen raschelt im Laub und hascht nach den fallenden Nüssen; der blaue Häher schreit und lärmt in den Zweigen, und die Taube streicht in ungeheuren Zügen gen Süden. Die ganze Natur lebt und atmet und wirkt und webt sich aus weichen, welkenden Blättern, in die sie gar sinnig Früchte und Ähren hineinflicht, ihr warmes, behagliches Winterkleid, ihren Schutz gegen den kalten, unfreundlichen Nordwind.

Es war an einem solchen milden, lauen Sonnentag zu Ende des Monats Oktober, als im Staate Georgia zwei Reiter auf der breiten, trefflichen Straße dahintrabten, die von dem kleinen Städtchen Cherokee aus, dicht an dem rasch dem Golfe zuflutenden Apalachikola hinauf, einer großen, wohlbestellten Plantage zuführte. Vor dem Gartentor des reizend gelegenen Herrenhauses, neben dem aus fruchtbedeckten Orangenhainen die hellen Dächer der Negerwohnungen hervorschimmerten, hielten sie einen Augenblick und übersahen von hier aus das wunderliche Schauspiel, das sich ihren Blicken bot.

Das nur einstöckige, aber mit breiter, rund herumlaufender Veranda versehene Haus stand mit dem Tor durch eine Allee schlanker, breitästiger Chinabäume in Verbindung, um deren mächtige Beerenbüschel Scharen von Seidenvögeln schwärmten und die berauschenden Früchte naschten. Die Treppe, die von der Galerie in den Garten führte, war von wilden Myrten fast wie von einer Laube umschlossen, und daneben glühten schwellende, würzige goldene Orangen und überreife Granaten.

An den beiden Ecken des Hauses standen zwei stattliche Pekonbäume, von deren Zweige lange, wehende Streifen grauen Mooses herabhingen; einen fast wunderbaren Anblick aber gewährte ein hoher, graustämmiger Magnolienbusch, an dem die weiße, rotgefüllte Lianenrose ihre Ranken hinaufgeschlungen und die herrlichen, duftigen Arme fest hinein in sein tiefdunkelgrünes Laub und zwischen die vollen, saftigen Blätter gewoben hatte. Wie mit lebendigen Girlanden umschlossen sie diesen duftenden Strauch, und noch einmal so laut und freundlich sang hier zu Nacht die Spottdrossel ihre süßen, schmelzenden Weisen, wenn tausend und abertausend Feuerkäfer die stillen, heimlichen Plätzchen mit ihrem Funkenlicht erhellten.

»Wahrhaftig, Bill«, sagte jetzt der eine der Reiter und strich sich zugleich die Spanne des nackten Fußes, auf den ihn ein Moskito gestochen hatte, unter dem Bauch seines Pferdes, – »Jimmy wohnt merkwürdig fein hier. – Sieh mir einer den Jungen an, wird nun Pflanzer und läßt seinen alten Vater in Arkansas sitzen und trockenes Hirschfleisch kauen.«

»Hat er Euch denn nicht bis aufs Blut gequält, Lively, Euch und die Schwiegermutter, daß Ihr mitkommen solltet und hier bei ihm wohnen?« fragte da der andere. »Habt Ihr denn gewollt?«

»Werde nicht so dumm sein, Cook«, lachte der Alte und richtete sich ein wenig in den Steigbügeln auf, um über das Staket zu sehen, »werde nicht so dumm sein. Sind wir nicht heute morgen sieben richtige Meilen geritten und haben wir auch nur eine Hirschfährte gesehen? Ist hier ein Truthahnzeichen in dem ganzen Walde? – Von Bären gar nicht zu reden, die wahrscheinlich in Menagerien hergebracht werden. Nein, Billy, für uns beide paßt Arkansas am besten, wir müßten denn Lust kriegen, in Kalifornien mit anzufangen. Ich werde aber beinahe zu alt dazu. Doch wie ist's denn da drinnen, wie kommen wir hinein? Ob die Tür wohl auf ist?«

Er ritt dicht an die Gartenpforte heran und trat auf die Klinke. Diese ging auf, und die Tür knarrte langsam in ihren Angeln. »Hallo the house!« rief der Alte mit dröhnender Stimme, und blitzschnell glitt um die viereckigen Backsteinsäulen, die das ganze Gebäude trugen, ein Mulatte und eilte auf die Männer zu. »Dein Master zu Hause, Dan?« fragte Cook und beugte sich zu ihm hinüber.

»Mein Master?« wiederholte der Mulatte und starrte dazu die beiden Männer so verwundert an, als ob er sie eben hätte aus dem Monde fallen sehen. Plötzlich, als er sich erst überzeugt hatte, daß es die auch wirklich seien, für die er sie im Anfang, kaum seinen Augen trauend, gehalten, sprang er hoch empor und rief jauchzend: »Bei Golly – Massa Lively Massa Cook! – O Jimmini, Jimmini, wie wird sich Missus freuen!« Und er flog rasch auf die Männer zu, ergriff ihre Hände, die er küßte und drückte, und dachte gar nicht daran, die Pferde abzunehmen, die ihm ungeduldig entgegenwieherten.

»So, Dan, ist ja schon gut«, sagte Cook und gab ihm den Zügel seines Tieres in die Hand; – »wie geht's hier? Alle wohl?«

»Alle wohl, Massa!« bestätigte freudig der Bursche, während er geschäftig nach den Zäumen griff und einen Kratzfuß nach dem anderen machte. – »Alle miteinander, Dan auch behielt sein Bein selber – Leichendoktor kann sehen, wo er ein Mulattenbein sonstwo herkriegt –«

»Und dein Herr?« fragte der Alte.

»Geht auch besser!« versicherte Dan. – »Nur noch ein bißchen krank. Hier Nancy, – führ 'mal die Gentlemen zu Missus und Massa hinauf; Golly, was für eine Freude wird Missus haben!« Dan plauderte noch fortwährend vor sich hin; die beiden Männer aber folgten rasch dem jungen Mädchen, das schnell die kleine Treppe hinaufsprang und die Tür des Hauses öffnete. Da blieb der alte Lively auf einmal stehen.

»Wetter noch einmal! Das hätte ich bald vergessen, Dan – he, Dan, – bring einmal schnell mein Pferd wieder her!«

»Was gibt's denn?« fragte Cook erstaunt und sah sich nach ihm um. »Dan führt es in den Stall und bringt uns unsere Sachen nachher herauf.«

»Willkommen!« rief da eine freudige Stimme, und Adele, aber nicht Adele Dunmore, sondern James Livelys reizendes kleines Frauchen, flog die Treppe herab und ihnen entgegen. »Lieber, lieber Vater Lively, – herzlich willkommen! Schwager Cook, – das ist schön, daß Ihr endlich einmal Euer Versprechen erfüllt habt!« Sie fiel dem Vater um den Hals und reichte dem jungen Farmer die Rechte hin.

»Aber, so kommen Sie doch nur herauf, Vater«, bat Adele; »James wird auch gleich wieder da sein. Nancy mag Ihnen nachher bringen, was Sie brauchen.«

Der alte Lively stand auf dem einen Fuße und hielt den anderen dahinter versteckt. Adele sah zufällig hinunter und lachte laut auf: »Hahaha, – wieder keine Schuhe; noch immer der Alte. – Oh, Mr. Lively, – Mr. Lively!«

»Sie stecken wahrhaftig in der Satteltasche«, beteuerte der alte Mann und blickte wehmütig hinter dem eben um die Ecke verschwindenden Dan her.

»Aber die wollenen Socken hat er unterwegs verloren«, lachte Cook. »Als wir aus Cherokee herausritten, schob er sie in den Hut, um sie nachher anzuziehen, und da sind sie ihm wahrscheinlich herausgefallen.«

Der alte Lively drohte seinem nichtswürdigen Schwiegersohne mit der Faust; Adele aber faßte ihn unter dem Arm, gelobte ihm strenge Verschwiegenheit gegen Mrs. Lively, die Ältere, und führte nun ihre lieben Gäste rasch in das Haus hinauf.

Hier mußte übrigens Dan schon Lärm geschlagen haben; denn aus dem Garten sprang, zwar noch den linken Arm in der Binde, aber sonst wohl und kräftig, James herbei, und in dem Saale oben begrüßte sie mit herzlichem Wort und Händedruck Mrs. Dayton.

Cook und Lively mußten jetzt erzählen, wie es all den Lieben zu Hause ging, was Mutter und die Kleinen machten, – wie sich Bohs und die übrigen Hunde befänden, ob die und die Kuh noch recht wacker Milch gäbe und das und das Kalb noch immer den Melkeimer umstieße, und tausend und abertausend Kleinigkeiten über Farm und Haus, über Feld und Wald. Immer aber, wenn einer der beiden nur mit Wort oder Miene auf jene entsetzlichen Vorgänge in Helena zurückkommen wollte, lenkte Adele rasch ein und hatte so viele und wichtige Fragen zu tun, so manche Kleinigkeiten und Schätze zu zeigen und bewundern zu lassen, daß Cook wohl endlich merkte, daß sie die Sache nicht berühren wollte, und nun auch seinerseits die dorthinzielenden Äußerungen des alten Lively parierte. Dieser aber beachtete weder Winke noch Blicke und arbeitete nur immer auf das eine Ziel wieder los, fing schon wenigstens zum zehnten Mal von Helena an und schien noch eine ganze Menge Sachen auf dem Herzen zu haben, die er unmenschlich gern los zu sein wünschte. Endlich stand Mrs. Dayton auf, flüsterte Adele leise einige Worte ins Ohr, küßte sie und verließ dann mit ihr das Zimmer. »So, – nun schießt los!« sagte jetzt Cook zum Alten, der ihn verwundert ansah – »Ist mir schon im ganzen Leben so ein alter Mann vorgekommen? –«

»Aber, Cook«, rief erstaunt Vater Lively, »ich will mein lebenlang Schuhe und Strümpfe tragen, wenn ich weiß, was Ihr wollt!«

»Bester Vater!« sagte James und trat, seine Hand ergreifend, auf ihn zu. »Reden Sie nicht von Helena, wenn Mrs. Dayton dabei ist. Wir vermeiden es hier stets; denn es erneut nur ihren Schmerz.«

»Aber«, entgegnete der alte Mann, »sie weiß doch –«

»Kein Wort von dem, was ihr das Herz brechen würde, wenn sie nur eine Ahnung davon hätte.«

»Was?« rief Cook erstaunt. »Sie weiß noch nicht, daß Dayton der heimliche Führer der Piraten und ein Verbrecher war, wie ihn die Welt kaum wieder aufzuweisen hat?«

»Nein – und soll es auch nie erfahren«, sagte James. – »Ihr erinnert Euch noch, daß sie an jenem unglückseligen Tage gleich auf die Farm hinausgeschafft wurde, und wie sie nach der Nachricht von ihres Gatten Tode, den sie im Kampfe gegen die Piraten geblieben glaubte, lange Wochen krank lag.«

»Allerdings«, erwiderte Cook, »und ihr wart ja alle beide damals so elend, daß euch der Arzt mit Gewalt aus Arkansas fortschickte; wir glaubten aber immer, sie müßte die Wahrheit am Ende doch noch erfahren.«

»Sie würde es nicht überleben«, versicherte James, »und Adele wacht sorgfältig darüber, daß sie mit niemandem spricht, der ihr das Schreckliche aus Unwissenheit oder Schwatzhaftigkeit verraten könnte. Auch die Zeitungsblätter sind deshalb für jetzt noch streng aus unserem Hause verbannt, so daß ich eigentlich selbst nichts Genaueres über die damaligen Vorgänge weiß, obgleich ich im Anfang mittendrin steckte. Dieses Andenken hier werde ich wohl noch eine Weile zu schleppen haben, bin aber doch froh, daß ich Monrove damals nicht gewähren ließ, der mich fast auf den Knien bat, ihn den Arm absägen zu lassen.«

»Der Leichendoktor hat in jener Zeit eine bedeutende Rolle gespielt«, sagte Cook schaudernd. – »Ist denn Daytons Leiche, die er einbalsamieren mußte, glücklich hier angekommen?«

»Ja«, erwiderte James, »wir haben den Körper in unserem Garten beigesetzt, und Mrs. Dayton verbringt an jedem Morgen die Stunde, in der sie in Helena Abschied von ihm nahm, an seinem Grabe. Sie ist auch jetzt dorthingegangen und findet in diesem Totenopfer Beruhigung und Trost.«

»Da haben die übrigen, die es vielleicht weniger verdienten, ein schlimmeres Bett bekommen«, sagte Cook düster; »Dayton starb doch noch im wilden Kampfe, Mann gegen Mann und mit den Waffen in der Hand, aber seine Kameraden –«

»Also ist es wahr, was das Gerücht sagt?« fragte James leise. Cook nickte schweigend mit dem Kopfe, und der alte Lively flüsterte: »Ja, Jimmy, das war ein schlimmer Tag, und du kannst froh sein, daß du im Bett lagst und nichts davon wußtest. Ich kann seit der Zeit gar kein Mississippiwasser mehr trinken; denn es ist mir immer noch, als ob ich die weite Blutfläche vor mir sähe. Denke dir nur, vierundsechzig Menschen nahmen sie dem Konstabler weg und –«

»Ich bitte Euch, Vater, – hört auf«, bat Cook, »laßt die Toten ruhen; – sie haben fürchterlich genug gebüßt. Nein, da lobe ich mir offenen, wackeren Kampf, wie wir's zuerst begonnen hatten, und da hat vor allen Tom Barnwell, den sie mit mir aus dem Gefängnis holten, den kecksten, verwegensten Streich ausgeführt. Auf dem Hurrikandeck des ›Van Buren‹ ersah er sich seinen Feind, kletterte ganz allein zwischen die Piraten an Bord, die ihn natürlich eben dieser grenzenlosen Tollkühnheit wegen für einen der Ihren halten mußten, lief auf das oberste Deck, faßte mitten aus der Schar seinen Mann heraus und riß den Entsetzten mit sich über Bord.«

»Aber er hat sich doch später wieder von ihm losgemacht«, sagte der alte Lively; – »er war wenigstens bald nachher wieder allein auf der Straße und wollte spornstreichs in den Wald.«

»Nun, fort ist er nicht«, erwiderte Cook; – »denn Bredschaw muß ihn gleich nachher wieder abgefangen haben. Ich sah selbst, wie er ihn dem Flusse zuschleifte. Er kam zu den übrigen.«

»Was ist denn nur aus Tom Barnwell geworden?« fragte James. »Das muß ein wackerer Bursche gewesen sein.«

»Ich weiß nicht«, sagte der alte Lively; »Edgeworth, jener Indianerfarmer, der eigentlich die Ursache war, daß die Insel so rasch und glücklich gestürmt wurde, blieb noch ein paar Tage in Helena und nahm dann den nächsten stromauf gehenden Dampfer; Tom jedoch, der zu seinem Boote gehört hatte, blieb zurück und ist wohl später nach New Orleans gefahren; ich glaube, er wollte nach Texas. Aber höre, Jimmy, Dan scheint sich ja ganz hübsch hier eingerichtet zu haben; – sind die alten Mucken vergessen?«

»Die Lektion scheint ihm sehr gut bekommen zu sein«, erwiderte James; »Dan ist jetzt ein recht wackerer Bursche, und Adele hat schon nach Texas an Atkins geschrieben und ihm angezeigt, daß sein Neger bei uns sei, wir ihn zu behalten wünschten und er uns doch seinen Wert bestimmen möchte. Ich schickte den Brief an Smart, der ihn auch wohl besorgt haben wird.«

»Apropos, Smart«, rief der alte Lively, »wo steckt denn der jetzt eigentlich? Aus Helena, wo er alles verkauft hat, ist er seit vierzehn Tagen verschwunden; seine Frau behauptet aber, er wäre mit O'Toole nach Neu Orleans gefahren, um sich eine neue Einrichtung zu kaufen, die er hier in Georgia zu benutzen gedenke. Ist das wahr?«

»Allerdings«, lachte James; – »ich habe für ihn hier in Cherokee das Bunker-Hill-Hotel gekauft und erwarte ihn schon seit gestern morgen jeden Augenblick, um das Weitere mit ihm in Ordnung zu bringen.«

»Und er kommt wirklich hierher?« fragte Cook rasch.

»Gentleman noch zu Hause?« erklang in diesem Augenblick unten eine allen bekannte Stimme, und Cook, der rasch das Fenster aufwarf, rief fröhlich hinab: »Smart! – Hallo da! – Wie geht's in Georgia?«

»Gut – uncommonly so«, sagte Smart, glitt von seinem Rappen und rieb sich, während er zu dem Fenster hinaufnickte, vergnügt die Hände. – »Prächtige Gegend hier, – ungewöhnlich prächtige Gegend!« Damit sprang er in zwei Sätzen die kleine Treppe hinauf, die aus dem Garten ins Haus führte, und stand im nächsten Augenblick im Zimmer zwischen den Freunden, denen er die Hände schüttelte, als ob er ganz besonders hier nach Georgia gekommen wäre, um ihnen bei erster Gelegenheit sämtlich die Arme auszurenken.

»Nun, Smart«, rief James, nach den ersten Begrüßungen, »habt Ihr Euer neues Besitztum schon in Augenschein genommen? Gefällt's Euch und seid Ihr mit dem Handel zufrieden?«

»Unmenschlich«, sagte Smart und fing an James' gesundem Arme die kaum eingestellte Operation von vorn wieder an, »unmenschlich, in vier Wochen bin ich mit Kind und Kegel hier; O'Toole ist jetzt schon dageblieben und kommt heute abend nach. Aber – wo ist denn die kleine Frau?« fragte er und sah sich überall im Zimmer um. – »Mrs. Adele Lively möchte ich doch vor allen Dingen begrüßen.«

»Wird gleich wieder da sein, Smart«, erwiderte James; »aber was habt Ihr in Eurer Tasche? – Was arbeitet Ihr denn da aus Leibeskräften? – Sie hat sich wohl verstopft?«

»Ich weiß nicht«, murmelte Smart und suchte dabei mit aller nur möglichen Anstrengung ein fest zusammengedrücktes Paket aus der linken Fracktasche ans Licht zu bringen; »ich habe da auf der Straße hierherzu etwas gefunden.« Cook sprang auf und trat rasch neben den Yankee. »Ein Reisender oder jemand aus Cherokee muß es wohl verloren haben.«

»Hurra, Schwiegervater, das ist ein Glück!« jubelte jetzt Cook, als Smart ein Paar wollene Socken zum Vorschein brachte. – »Sie sind wieder da!«

»Hätten ebensogut fortbleiben können, Bill«, brummte der Alte, – »hol der Henker die Dinger! Meinen Kautabak habe ich auch verloren, den bringt mir kein Mensch wieder; – die aber sind nicht loszuwerden.« Er fuhr rasch mit ihnen in die eigene Tasche, denn die Tür ging in diesem Augenblick wieder auf, und die Damen traten ein.

»Ah, Mr. Smart!« rief Adele und eilte mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. – »Willkommen in Georgia, herzlich willkommen! – Und Sie werden jetzt, wie früher in Helena, unser Nachbar?«

»Verlasse die Union«, sagte Smart lächelnd, »und ziehe nach Bunker Hill. Schade, daß Mrs. Breidelford nicht ebenfalls –«

»Und Ihre liebe Frau kommt auch bald nach, wie?« fiel ihm Adele rasch in die Rede, weil sie jede Beziehung auf jene Zeit gern vermeiden wollte. Jonathan Smart aber war, der alten Gewohnheit treu, nicht leicht aus dem einmal eingeschlagenen Satz zu bringen.

»– imstande ist, ihre ›bescheidene Wohnung‹ hier aufzuschlagen«, fuhr er deshalb höchst unbekümmert fort. – »Könnten doch noch manchmal eine Tasse Tee zusammen trinken. Sehen Sie, Mrs. Lively, da hatte ich doch einmal wieder recht: Gottes Wort im Munde und den Teufel im Herzen. Diese Frau, die sich und ihren ›seligen Mann‹, wie sie ihn so gern nannte, in einem fort lobte, gehörte ebenfalls mit –«

»Ach, bester Mr. Smart, wenn Sie nur wenigstens Mr. Cook und Vater Lively bewegen könnten, hierherzuziehen; es wäre gar zu hübsch, wenn wir alle zusammenwohnen könnten –«

»– zu jener schändlichen Raubbande«, versicherte Jonathan, ohne für jetzt wenigstens von dem Einwande Notiz zu nehmen. »Man hat in ihrem Hause eine Unmasse von Waren und viele über die ganze Sache Aufklärung gebende Briefschaften gefunden. Etwas aber, was ein noch fürchterlicheres Licht auf die Tätigkeit und Wirksamkeit dieser scheußlichen Verbrecher warf, ist ein Teil der Sachen des ertrunken geglaubten Holk, von dem es nun außer allem Zweifel bleibt, daß er ebenfalls ermordet wurde. Der Bube, der sich für Holks Sohn ausgegeben hatte, war denn auch richtig mit unter den Gefangenen. Mrs. Breidelford soll übrigens, wie man aus unter der Diele versteckten Papieren ersehen hat, früher schon einen anderen Namen geführt und Dawling geheißen haben, ihren ersten Mann aber mit Hilfe des zweiten und vermittelst eines großen, ihm in die Schläfe getriebenen Nagels getötet haben, wonach Breidelford in Missouri von Regulatoren gehängt wurde, sie selbst aber mit genauer Not nach Arkansas entkam.«

»Aber, mein guter Mr. Smart, wenn ich Sie nun recht herzlich bitte, alle die alten gräßlichen Geschichten ruhen zu lassen!« bat Adele. – »Tun Sie mir den Gefallen und erzählen Sie uns lieber etwas Freudiges.«

»Hm«, meinte Smart, »auch damit kann ich dienen. – Mrs. Everett hat nach ziemlich einstimmigem Beschluß einen sehr großen Teil der gefundenen Güter als Entschädigung ausgeliefert bekommen, und in Helena ist jetzt Ruhe und Frieden. Doch um wieder auf Ihre frühere Anfrage zurückzukommen, Mrs. Lively, so stimme ich selber dafür, daß die Firma Cook und Lively so schnell wie möglich Anstalten mache, den Squatterstaat Arkansas zu verlassen, um hier zwischen Chinabäumen und Cocogras ein neues Leben zu beginnen. Wie, Gentlemen, – keine Lust, Ihre Farm zu verkaufen und mit herzuziehen? Prächtiges Land hier, und die ganze Familie dann auf einem Plätzchen zusammen!«

»Hm«, meinte Cook, »ich weiß nicht, – ich wohnte wohl gern hier, – meine Frau wünscht sich's auch –«

»Nee, Kinder!« sagte Lively senior und schüttelte heftig mit dem Kopfe. »Ich habe euch recht lieb und meine Alte auch, und ich – ich wäre ganz gern mit euch zusammen; aber östlich ziehe ich nicht mehr. – Hier gibt's keinen Wald, lauter Plantagen und Niggers; – die wildesten Tiere sind die Kaninchen und die größten Vögel die zahmen Gänse. Selbst die Hunde wissen hier nicht mehr von Bärenfährten als Smart da, der, glaube ich, noch gar keine gesehen hat, und man kann keine zehn Schritt von der breiten Straße abgehen, ohne nicht über zwölf Zäune klettern zu müssen. Jimmy ist nun einmal aus der Art geschlagen; ich aber passe nicht hierher, und da wir die Flußpiraten einmal –«

»Mr. Lively, da bringt Dan Ihre Schuhe«, flüsterte Adele lächelnd und deutete auf den grinsenden Mulatten.

»Kinder«, sagte Lively und sah erschreckt und mit komischer Verzweiflung zu dem jungen Frauchen auf, »morgen morgen will ich wahrhaftig Schuhe und Strümpfe anziehen und sie so lange tragen, wie ich hier bin; aber heute – heute wollen wir noch einmal recht vergnügt sein.«


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