Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 6

In ›Bachelors' Hall‹ ging es gar munter und lebhaft zu. – Um ein großes Feuer, das in dem breitmächtigen Kamin loderte, streckten und dehnten sich etwa ein Dutzend kräftiger Gestalten, und die dampfenden Blechbecher, die sie entweder in Händen hielten oder neben sich stehen hatten, kündeten deutlich genug, wie sie den verflossenen Teil der Nacht verbracht hatten. Ihre Tracht war die gewöhnliche der Bootsleute am Mississippi. Waffen trugen sie keine, wenigstens nicht sichtbar. An den Wänden aber hingen neben den langen amerikanischen Büchsen kurze deutsche Stutzen, französische Schrotgewehre, Pistolen, Bowiemesser, spanische Dolche, Harpunen, Beile und Äxte im Überfluß, und aufgeschlungene Hängematten bewiesen, wie die Insassen dieser modernen Räuberburg sogar einen Teil des früheren Schiffslebens hier fortsetzten und, wenn auch auf festem Lande, dennoch den alten Gewohnheiten nicht ganz entsagen wollten.

Rohe Zech- und Liebeslieder ertönten, doch immer nur mit halblauter Stimme, von den Lippen der meisten, und während einige sich noch außerdem damit beschäftigten, große Stücke Hirsch- und Truthahnfleisch an der Kaminglut zu schmoren, waren andere emsig bemüht, mit Hacken und Zehen den Takt zu den schnellen Tänzen zu schlagen, die ein breitschultriger Neger mit ziemlich geübter Hand einer kreischenden, doch gedämpften Violine entlockte.

Da öffnete sich die Tür.

Eine hohe, kräftige Gestalt, den breitrandigen schwarzen Filzhut tief in die Augen gedrückt, den schlanken Körper mit einer langen Lotsenjacke und weiten Matrosenhosen bekleidet, trat in den Raum und überflog mit prüfendem Blick die Versammelten. Es war Richard Kelly, der Kapitän der Schar, und so wild und trotzig diese dem Gesetz verfemten Männer auch wohl sonst dreinschauen mochten, so hörten sie doch in einem gewissen Grade von Ehrerbietung, vielleicht aus Furcht oder wenigstens Scheu, augenblicklich zu tanzen auf, als sie den Führer erkannten, und sie murrten auch nicht, als er nur mit leichtem Kopfnicken ihren laut gerufenen Gruß erwiderte. Schweigend beobachteten sie, wie er zum Kamin ging und dort erst einige Minuten lang in die knisternde Glut schaute, dann aber, die Hände auf den Rücken gelegt, mit schnellen Schritten auf- und abwanderte. »Ist das Boot von Helena noch nicht zurück?« fragte er endlich einen der Seinen, der gerade in der Tür erschien.

»Noch nicht, Sir«, erwiderte der Mann, »aber ich glaube, ich habe die Ruder gehört, als ich eben an den Snags stand und nach ihnen ausschaute. Ich wollte nur fragen, ob vielleicht etwas nach Mississippi hinüber zu besorgen ist, ehe wir das Boot wieder unten in Sicherheit bringen.«

»Das Boot mag gleich über den Snags unter dem Platanenwipfel liegenbleiben«, sagte Kelly und warf sich auf einen Stuhl, den man für ihn zum Kamin gerückt hatte. »Die Pferde müssen noch heute Nacht von Arkansas kommen, denn Jones hat es uns fest versprochen, und nachher dürfen wir sie keinen Augenblick hier behalten. Drei von euch sollen sie sofort nach Vicksburg schaffen. Das übrige werdet ihr dort vom Konstabler Brooks erfahren.«

»'s ist doch putzig«, lachte der eine der Männer, »wie wir die wohllöblichen Gerichtsbarkeiten an der Nase herumführen. Kaum eine Stadt gibt es hier im ganzen Westen, wo nicht entweder Konstabler oder Gefängniswärter, Advokaten oder selbst Postmeister und Friedensrichter unsere Verbündeten und Kameraden sind. Einen Mann in Mississippi oder Arkansas für ein begangenes Verbrechen ins Zuchthaus zu stecken, ist, wenn er zu uns gehört, geradesogut, als ob man ihn begnadigte. Denkt Euch nur, Kapitän, vor acht Tagen haben sie in Sinkville drüben den Tobi, den Einäugigen, sogar zum Staatsanwalt gemacht. Wenn ich nur einmal eine seiner Reden hören könnte!«

Des Kapitäns Züge überflog ein leichtes Lächeln; dann aber wandte er sich plötzlich an den Sprecher und sagte: »Kommt, Blackfoot, ich habe etwas mit Euch zu bereden.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er rasch voran, dem freien, jetzt vom Mondlicht beschienenen Raume zu, der sich zwischen den Gebäuden ausdehnte und nur von wenigen niederen Bäumen beschattet wurde.

»Ja, Blackfoot«, sagte Kelly und blieb hier stehen, »unsere Geschäfte gehen gut, aber wir sind noch nicht genug auf einen letzten Fall vorbereitet. Zu viele kennen unser Geheimnis, und wenn auch Verrat schwierig und gefährlich sein mag, so ist er doch nicht unmöglich.«

»Ei, zum Henker, was wollen sie uns denn eigentlich anhaben?« hohnlachte der andere. – »Und wenn sie wirklich das ganze Nest entdeckt hätten, den möchte ich sehen, der uns lebendig finge.«

»Ist das alles, was uns bedroht?« fragte der Führer. – »Und wäre das nicht etwa schon Verlust genug? – Ja, ein unersetzlicher Verlust, wenn wir unseres Schlupfwinkels und mit ihm eines Zufluchtsortes beraubt würden, wie ihn die Vereinigten Staaten gar nicht wieder aufweisen können. Das träfe uns schlimmer als Gefangenschaft. Der könnte man sich allenfalls wieder entziehen, aber nie aufs neue die Blicke der Nachbarn von dieser Insel ablenken, wenn sie einmal erst mit dem Innern derselben vertraut geworden wären. Doch wie dem auch sei, es ist unsere Pflicht, den schlimmsten Fall im voraus zu bedenken und jede Vorkehrung zu treffen, die von uns getroffen werden kann.«

»Nun, haben wir nicht die Boote, – nicht die kleine Insel dort unten, – nicht die Hütte im Sumpf drüben, wohin uns sogar niemand folgen kann, wenn er nicht den ganz genauen und fast stets unter Wasser stehenden Pfad kennt?«

»Und dennoch genügt das alles noch nicht«, sagte Kelly, nahm bei diesen Worten den großen, breitrandigen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durch das lange, vom Nachttau feuchte Haar.

Er war eine stattliche Gestalt, dieser Kapitän der Flußpiraten. Die dunklen Locken umflatterten ihm wild die fein und hoch geformte Stirn; die großen schwarzen Augen, jetzt noch von einem kühnen Gedanken belebt, blitzten hell und feurig, und die Oberlippe warf er in Trotz und Hohn empor, während er, fast mehr mit sich selbst redend, als zu dem Gefährten gewandt, nur halblaut vor sich hin murmelte: »Sie sollen die trüben Augen vor Verwunderung aufreißen, sie sollen starren und staunen, wenn sie uns einmal recht fest und sicher zu haben glauben, und nun – hahaha – ich sehe schon die dummen, verblüfften Gesichter – wie sie am Ufer stehen und uns nachstarren und dann alle nur möglichen und erdenklichen Schlußfolgerungen ziehen, wie es hätte werden können, wenn sie nicht ganz so albern und kurzsichtig wie jetzt oder doch überhaupt nur ein klein wenig anders, das heißt gescheiter gehandelt hätten.«

»Aber was für einen Plan habt Ihr? Darf man ihn nicht erfahren?« fragte Blackfoot, ein grobknochiger Kerl, der dem Führer treu ergeben war. »Ich kann mir gar nicht denken, was Euch auf einmal so merkwürdig im Kopfe herumgeht.«

»Was ich habe?« sagte er nach kurzer Pause. »Ihr sollt es wissen: Ich fange an, für unsere Sicherheit besorgt zu werden.«

»Was? – Ist ein Verräter unter uns? – Habt Ihr Verdacht, Kapitän? – Heraus damit! – Wer ist die Kanaille?«

»Nicht doch – nicht doch!« sagte Kelly und blickte lächelnd auf das wilde und doch jetzt so ängstlich zu ihm aufgehobene Antlitz. – »Die Gefahr ist vorüber, aber so gut, wie sie an einem Orte auftaucht, kann sie uns auch unter gleichen Umständen an einem andern bedrohen. Ihr wißt, das Rowson in seiner Todesangst unser Geheimnis enthüllen wollte. Ein Glück war es, daß teils die gänzliche Verdachtlosigkeit der Regulatoren, teils des Indianers Eile seinem Vorhaben entgegenarbeitete, aber – er hatte doch den Willen; es waren doch nur einzelne Umstände, die es verhinderten, daß er ihn auch ausführte. Hätte er es getan, unsere schöne Insel läge jetzt in Schutt und Asche, denn wenn wir selbst auch Zeit behalten hätten, unser eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, so wäre das auch das einzige gewesen, was wir hätten retten können, und mit unseren Gütern sähen wir zugleich die Früchte dreijähriger harter Arbeit schwinden. Dem müssen wir begegnen; eine solche Gefahr darf uns nicht wieder bedrohen, ohne uns besser gerüstet zu finden.«

»Aber wie? – Was können wir tun?« fragte Blackfoot sinnend.

»Viel – sehr viel – alles, was in unseren Kräften steht. So dürfen wir von jetzt an das, was wir in New Orleans für errungene Beute lösen, nicht mehr hier heraufschaffen. Wir sammeln am Ende nur für das Pack, das unser Nest aufstöbert. – Wir haben Verbündete in Houston in Texas. Dorthin müssen wir alle erbeuteten Waren senden. – Trifft uns dann hier Verrat, gut, so haben wir nicht allein einen Ort, wo uns der Lohn unserer Arbeit erwartet, sondern auch ein Kapital, mit dem wir wieder neu beginnen können; unternehmende Köpfe finden stets Arbeit. Aber selbst das genügt noch nicht. Schneidet uns der Feind den südlichen Pfad zu den Booten ab oder entdeckt er sie gar, so ist unser Leben bedroht; denn wenn wir uns wirklich im Fort kurze Zeit halten könnten, so müssen wir dennoch bald einer größeren Macht unterliegen.«

»Ja, aber – was läßt sich dagegen tun?« brummte Blackfoot. »Die Geschichte spielt schließlich schon drei Jahre, und es ahnt doch noch keine Katze, weder in Arkansas noch Mississippi, welche Gesellschaft hier ihr freundliches Ruheplätzchen hat.«

»Daß es uns drei Jahre so ruhig hingegangen ist«, sagte der Führer ernst, »sollte uns gerade vorsichtig machen; wir haben die Beispiele an allen anderen Unternehmungen dieser Art erlebt. Außerdem hat unsere Gesellschaft im letzten Jahr eine Verbreitung erhalten, die es fast kaum möglich macht, daß sie noch lange geheim bleiben kann. Unsere Agenten leben in allen Flußstädten der Vereinigten Staaten, und wie viele werden darunter sein, die, wie eben jener Rowson, im äußersten Fall auch zum äußersten Mittel greifen und die eigene Haut zuerst in Sicherheit bringen würden! Dem wollen wir vorbeugen. Noch gibt es eine Art, auf die wir uns jeder etwaigen Verfolgung entziehen, ja sogar spotten können.«

»Und die wäre?« fragte Blackfoot halb ungläubig, halb gespannt.

»Ein Dampfboot«, flüsterte der Führer und beobachtete in den Zügen seines Vertrauten den Eindruck, den solch ein Vorschlag auf ihn machen würde.

»Ein Dampfboot?« wiederholte Blackfoot, von der Kühnheit des Gedankens überrascht. »Ha das wäre nicht so übel! Pulver und Schwefel, da könnte man ja den Mississippi hinauf und direkt in den Golf von Mexiko hineinzischen. Bei Gott, ein Dampfboot wollen wir haben, das ist ein kapitaler Einfall; aber sollen wir es kaufen? Oder auf andere Art an uns bringen? Und wenn wir es haben, wie wird es möglich sein, es stets in unserer Nähe zu halten, was doch mit dem Zwecke seiner Anschaffung unzertrennlich wäre? – Die Sache klingt vortrefflich, aber wenn man sie länger überlegt, weiß ich doch nicht, wie sie ins Werk gesetzt werden kann.«

»Und dennoch ist es möglich«, lachte Kelly. »Blackfoot, Ihr müßt der Kapitän des Dampfbootes werden, und wir machen ein Paketboot daraus, das zwischen Memphis und NapoleonMemphis, eine der Hauptstädte in Tennessee, an der Mündung des Wolfriver, hundertunddrei englische Meilen oberhalb Nr. ›Einundsechzig‹ – Napoleon, ein kleines Städtchen an der Mündung des Arkansas, siebenundsechzig Meilen unter der Insel. laufen mag. Das gibt uns zugleich Gelegenheit, die Leute in Tätigkeit zu halten und mit den Orten, wo die Unseren wohnen, in genauerer Verbindung zu bleiben. Dann bringt es schon unsere Paket-Linie mit sich, daß wir hier fortwährend in der Nähe sind, ja wir können sogar mehrere Tage und Wochen lang vor Anker liegen bleiben, und die vorbeifahrenden Boote werden glauben, wir hätten die Passage an der linken Seite der Insel versuchen wollen und wären auf den Sand gelaufen. Die Bootsleute von Helena haben wohl ihr Fahrzeug gleich unter die Weiden geschafft?« unterbrach er sich plötzlich selbst.

»Ja, – Bolivar ist mit hinuntergegangen; – sie wollen die Fähre zurückbringen, um die Pferde zu transportieren.«

»Ich wollte, Peter würde ein wenig vorsichtiger«, sagte der Kapitän düster. »Er ist sonst brav und brauchbar, sollte aber doch bedenken, daß er sich durch seine Tollheiten selbst noch einmal um den Hals und uns andere in kaum geringere Verlegenheit bringen könnte.«

»Er denkt nicht gern nach«, lachte Blackfoot, »obgleich er Denkzeichen doch wahrhaftig schon genug bekommen hat; der letzte Hieb durchs Gesicht war nicht von Stroh. – Aber um wieder auf unser Dampfboot zu kommen, – wo kaufen wir das am besten, und wird es nicht überhaupt einen zu großen Riß in unsere Kasse machen?«

»In New Orleans, oder noch besser in Cincinnati, glaube ich. – Geld ist genug da«, erwiderte der Kapitän. – »Nach den Briefen bringt auch Teufels Bill, wie Ihr ihn immer nennt, ein reich beladenes Boot aus dem Wabasch heraus, auf dem sich besonders viel bares Geld befindet, und von Pittsburg, Cincinnati, Louisville, Shawneetown, Paduca, St. Louis und Memphis sind heute Briefe gekommen, die alle das baldige Eintreffen herrlicher Beute verkünden. Wir wollen jetzt den Wachtposten abends doppelt ausstellen, daß wir nicht einmal das Signal versäumen. Die Nächte sind kurz, und vor Tage müssen wir das erbeutete Boot stets am linken Ufer und unter den Weiden haben, sonst könnte doch einmal ein vorbeifahrender Flatbooter Verdacht schöpfen.«

»Und wer soll den Ankauf eines Dampfbootes besorgen?« fragte Blackfoot. »Wollt Ihr selbst stromauf gehen und es in einer der nördlichen Städte erhandeln, oder soll das einem unserer Kommissionäre überlassen bleiben?«

»Ich selbst würde gehen«, sagte Kelly, »wenn nicht gerade in diesem Augenblick wichtige Verhältnisse meine Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nähmen. – Ich werde wahrscheinlich eine kleine Reise in das Innere des Landes machen müssen. Ist von Simrow noch immer keine Antwort eingetroffen?«

»Nein, – sonderbarerweise läßt er kein Wort von sich hören. In Georgia steckt er noch, soviel ich weiß, und das Zeichen, das er uns kürzlich zukommen ließ, lautet günstig, sonst aber kann niemand Auskunft über ihn geben.«

»In Georgia scheint er sehr tätig gewesen zu sein«, erwiderte Kelly. »Seit der Zeit muß er aber wohl glauben, er habe für sich allein gearbeitet und unsere Hilfe nur so lange benutzt, wie er sie brauchte. Aber dagegen gibt es Mittel. Wartet einmal! Unseren kleinen amerikanischen Advokaten Broom kennt er ja wohl noch gar nicht?«

»Nein, ich glaube nicht. – Er kam erst vier Wochen nachdem Broom uns verließ.«

»Gut, der soll hinübergehen; – er mag eines von den Pferden reiten und kann es dort verkaufen. Den Brief, den er mitnehmen wird, will ich Euch morgen einhändigen. Halt, daß ich's nicht vergesse, in den Sumpf müßt Ihr, ehe die Pferde abgehen, einen Boten schicken. Waterford hatte andere Arbeit und könnte sonst nicht daheim sein. Sind die Bretter an die Landung geschafft?«

»Wie Ihr es angabt, – es liegt alles bereit; – aber was ich Euch fragen wollte, wie ist es denn mit dem Verkauf des Grundstücks in Helena gegangen? Ist unser neugebackener Erbe akzeptiert worden?«

»Vortrefflich«, lächelte Kelly. »Wir können das Stück nächstens wiederholen; der Plan war herrlich; – er hat viel Geld eingebracht.«

»Und schöpft man keinen Verdacht? Sind die Leute wirklich freundlich genug zu glauben, daß Holk mit Mann und Maus versunken sei und seinen Tod unseren Sündenböcken, den Snags, zu danken habe?«

»Gewiß denken sie es«, sagte Kelly verächtlich. – »Das Volk drüben wollte ich glauben machen, der Himmel sei nur blau angestrichene Wachsleinwand und die Erde ein Futteral, um darin alte Gebeine aufzubewahren.«

»Hahaha« – lachte der Gauner – »ein göttlicher Spaß. Es soll mich auch wundern, wie wir die drei letzten Boote in New Orleans verkauft haben. – Wir hätten sie übrigens doch anmalen sollen; der Teufel könnte einmal sein Spiel dabei haben.«

»Ja, es soll auch künftig geschehen«, sagte Kelly nachdenklich, »Farbe habe ich schon gestern herüberschaffen lassen. Das nächste jedoch, was wir nehmen, mag, ist die Ladung wertvoll genug, ebenfalls nach New Orleans geschafft werden. – Hier ist die Adresse des Kaufmanns, der die Spedition der Güter besorgt.«

»Wer geht da von unseren Leuten mit?«

»Schickt, wen Ihr wollt, nur den Neger nicht, den können wir hier besser gebrauchen, und halt – noch eins, – in Helena ist gestern ein Mann angekommen, der nach Little Rock will, um das Land zu kaufen, was uns hier gerade gegenüber in Arkansas liegt. Er wird morgen früh von Helena aufbrechen und reitet einen Schimmel –«

»Ist er allein?«

»Nein, – der Mailrider ist bei ihm und wird das übrige besorgen. Bis Strongs Postoffice müssen die beiden aber zusammen reiten. – Der Fremde wird dort nicht übernachten, weil es ihm zu teuer ist; er will noch das drei Meilen von Strongs entfernte Haus erreichen. – Etwa zwei Meilen von Strongs auf der rechten Seite könnte er vielleicht ein Licht sehen. – Ihr versteht mich?«

»Schon gut; ich glaube nicht, daß wir auf dem Lande drüben belästigt werden. – Was soll aber mit dem Mädchen geschehen, das die Burschen gestern eingebracht haben. – Es ist wie von Sinnen. Ich glaube, das Ding ist verrückt geworden.«

»Die Pest! – Wer befahl Euch, die Dirne an Land zu nehmen?« rief Kelly, unwillig dabei mit dem Fuße stampfend. »Gab ich nicht dem Kentuckier ganz bestimmte Befehle, sie beiseite zu schaffen? Der Bursche wird mir zu eigenwillig; ich fürchte –«

»Ich traue ihm auch nicht recht!« flüsterte Blackfoot. »Bolivar hat mich neulich auf ein paar Sachen aufmerksam gemacht, die mir gar nicht recht gefallen – «

»Der Neger hat ein gutes Auge. Er soll schärfer auf ihn acht haben. – Sind die beiden entladenen Boote versenkt?«

»Ja, ich habe sie ein paar Meilen stromab geschickt; es werden sonst zu viel hier in der Nähe.«

»Recht so! – Gut wär es vielleicht, die Trümmer von einem oder zweien dicht an der kleinen Insel hier unten zu zeigen; das schreckt andere vom Landen ab.«

»Von dem Dampfboot sagen wir auf der Insel noch nichts?«

»Wir werden es nicht verheimlichen können«, meinte Kelly nach kurzer Pause. »Es muß gemeinschaftlich bezahlt werden, und da wollen wir uns auch gemeinschaftlich darüber beraten. Wo ist denn das eingebrachte Mädchen jetzt?«

»Es war in Nr. 2, gleich hier oben«, brummte Blackfoot; »aber Mrs. Kelly hatte Mitleid mit dem armen Ding und nahm es zu sich.«

»Was? Georgine hat die Dirne ins Haus genommen?« zürnte der Kapitän. »Ei, Hölle und Teufel! – Sie weiß doch, daß ich das nicht leiden kann. – Sie muß fort, sie muß augenblicklich fort, Blackfoot! Du wirst mir Bolivar herschicken. – Es sind übrigens zu viele Frauen hier. Gibt es etwas, was mich um unsere Sicherheit beben macht, so ist es das. Unsere Gesetze bestimmen sogar, daß nur zwölf Weiber auf der Insel bleiben sollen, und die Gefangene ist die achtzehnte.«

Der Kapitän ging mit festverschlungenen Armen und zusammengebissenen Lippen schnellen Schrittes vor der Tür der Halle hin und her, aus der jetzt die leisen Töne der Violine herausschallten. Seine Aufmerksamkeit wurde aber bald auf die von Helena kommenden Bootsleute gelenkt, die in diesem Augenblick, einer hinter dem andern, den schmalen Pfad herankamen und ihren Führer begrüßten. Der aber, ohne den Gruß mit Wort oder Blick zu erwidern, fragte nur ernst und fast unwillig: »Wo sind die Briefe?«

»Hier, Kapitän«, sagte Peter oder der Narbige, »den Brief hier gab mir der Postmeister noch zwei Minuten bevor wir abfuhren.« Kelly nahm die Papiere an sich und schritt auf seine eigene, dicht am Warenhause liegende Wohnung zu; ehe er sie aber erreichte, blieb er noch einmal stehen und sagte, zu Blackfoot gewandt: »Den Neger schickt Ihr mir, und sollten von Arkansas die Pferde noch in dieser Nacht eintreffen, so laßt sie die Nacht ruhen. Morgen früh aber, sobald sie Kräfte genug haben, eine neue Reise anzutreten, müssen zwei von euch in das Innere gen Osten aufbrechen. Ist Sander nicht mitgekommen?«

Ein junger, schlanker Mann mit langen blonden Haaren und blauen Augen, der, wenn ihn nicht jetzt der schwerfällige, trunkene Blick entstellt hätte, für schön gegolten haben könnte, schwankte vor und sagte lallend: »Kapitän Kelly – jai l'honneur – ich – ich habe die – habe die Ehre –«

»Schon gut, Sander, – leg dich hin und schlaf aus, ich brauche dich morgen früh notwendig – also gute Nacht!« – Und ohne eine Erwiderung seiner Worte abzuwarten, schritt er zum Hause, in dessen Tür er verschwand.

Die übrigen Männer blieben noch eine Weile in dem inneren Hofraume stehen, und Sander, der augenscheinlich an diesem Abend des Guten zuviel getan, murmelte halblaut vor sich hin, während er die Hände tief in die Taschen schob und der ›Bachelors' Hall‹ zuschwankte: »Verdammt kaltblütig das von Kelly – ich brauche dich morgen früh notwendig – so, Kapitän, wirklich?« Er wandte den Kopf und starrte mit seinem glanzlosen, halbtrunkenen Blick nach dem hellen Lichtschein hinüber, der durch jenes dichtverhangene Fenster fiel. »So, Sir, brauchen mich morgen früh notwendig. Oh, jawohl, Sir, soll wohl wieder einem armen, unglücklichen Mädchen – unglücklichen Mädchen den Kopf verdrehen und das Herz brechen? Ah, schöne Beschäftigung das! Außerordentlich schöne Beschäftigung; aber damn me, ich wünschte der Dame erst vorgestellt zu werden, Gentlemen. Es gibt Momente, Gentlemen –«

»Kommt, Sander!« sagte Blackfoot und nahm ihn ohne weitere Umstände beim Arm. – »Wir sind beide müde und wollen zu Bett gehen. – Donnerwetter, Mann, bedenkt, daß Ihr sonst morgen verschlafene und trübe Augen habt und bei den Damen leicht Verdacht erregen könntet, Ihr – hättet geschwärmt.«

»Ah – certainement, mon cher Blackfutt – certainement«, lallte der junge Stutzer, »en avant denn – zu Bett wir – wir Herzensbezwinger wir. – Gott Amor soll leben, Blackfutt! – Gott Amor soll leben und jedes schöne Gesicht – jede Engelsphysiognomie! Aber – du nimmst mir das nicht übel, Blackfoot, wie? à bas mit allen solchen Teufelsfratzen, wie ihr zwei, du und Peter, zwischen euren beiden Ohren herumtragt, – à bas sage ich – möchte nicht aus solchem Angesicht herausgucken, und wenn die Haut Millionen zu verzehren hätte, – möchte bei Gott nicht.«

»Schon gut«, knurrte Blackfoot, und ein boshaftes Lachen zuckte um seine Lippen; – »es können nicht alle solche Liebchen sein wie Ihr. – Aber kommt! – Ich bin müde; wir wollen uns hinlegen; vielleicht gibt es morgen früh wieder Arbeit.« Und ohne weiter eine Antwort des immer noch mit sich selbst Redenden und Gestikulierenden abzuwarten, zog er dessen Arm fest in den seinen und schritt der eigenen Schlafstelle zu. Er wollte den trunkenen Kameraden erst, durch seine eigene Gesellschaft beruhigt, eingeschlafen wissen, damit dieser nicht aufs neue dem Becher zuspräche und für morgen ganz untauglich würde.


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