Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 7

Ein kleines, wunderliches Gemach!

Hätte ein Mann in diesem Raume nach langem unruhigen Fieberschlaf zuerst die Augen geöffnet und hier vor den erstaunten Blicken eine Menge von Sachen gesehen, wie sie ihm seine Träume nicht abenteuerlicher gebracht, er würde sich von eben solchem Traume geäfft und alles das, was ihn umgab, für neues, noch tolleres Blendwerk als das frühere gehalten haben. Unter keiner Bedingung hätte er sich aber an der Stelle geglaubt, an der er sich wirklich befand: auf einer kleinen, weidenumwachsenen Insel, mitten im Mississippi. Und es war auch wirklich ein wunderlicher Platz.

Alle Zonen, alle Künste schienen sich hier vereinigt zu haben, um einen Raum zu schmücken, den sie mit dem zehnten Teil der Sachen, die er enthielt, in ein Prachtzimmer verwandelt hätten, der aber so, durch Schmuck und Zierat überladen, eher dem Warenlager einer der größten östlichen Städte als dem stillen Aufenthaltsort häuslicher Zurückgezogenheit glich.

Drei Seiten des Zimmers waren von einer prachtvollen seidenen Tapete bedeckt, aber nur an wenigen Stellen ließen sich die glühenden Farben ihrer silber- und azurdurchwirkten Arabesken erkennen; mächtige Spiegel, prachtvolle Ölgemälde, Bronze- und Elfenbein-Figuren, schwere silberne Leuchter und kostbare Waffen bedeckten fast ihre ganze Fläche. Ebenso eigentümlich, ebenso mit Zieraten überladen zeigte sich die vierte, rechte Wand, die, nach alledem, was man von ihr sehen konnte, in dem Geschmacke einer Schiffskajüte hergerichtet sein mußte; die kleinen viereckigen, mit Messingplatten eingefaßten Fenster, mit schmalen Mahagonistreifen dazwischen, verrieten wenigstens etwas Derartiges. – Allerlei indianische Kostbarkeiten, wie Waffenschmuck und Kleidungsstücke, verboten jedoch auch hier jedes weitere Forschen. Breitblättrige Tropengewächse streckten dabei ihre saftigen Kronen bis zur Decke hinan und überschatteten die Fenster, während das blasse Licht, das von einer unter der reich verzierten Decke angebrachten Ampel herabschien, seinen dämmernden Schein über den Raum warf.

Es war ein Reichtum der Ausstattung, der nicht wohltat, eine Überladung mit Schmuck und Pracht, die das Auge, das vergebens einen Ruhepunkt suchte, eher beleidigte als erfreute.

Mitten in all dieser Herrlichkeit lag ein junges Weib in weißen, losen Gewändern, die vollen, schöngeformten Glieder auf den üppigen Diwan gestreckt, der, in wirklich morgenländischer Pracht und mit weichen, schwellenden Kissen bedeckt, von Wand zu Wand lief. Vor ihr aber auf einem niedern Taburett kauerte eine andere Gestalt, die ihr Antlitz in den Händen barg und in tiefem entsetzlichen Schmerz fast aufgelöst schien.

»Er wird wiederkommen, Kind«, tröstete sie die Frau und legte die feingeformte, weiße Hand leicht auf den Scheitel der Weinenden, »er wird wiederkommen, beruhige dich nur, du liebes wunderliches Kind. – Sieh, vielleicht sucht er dich, selbst in diesem Augenblick, allenthalben, und das Echo gibt ihm leider vergebens deinen lieben – ängstlich gerufenen Namen zurück.«

»Wiederkommen?« rief zitternd das junge Mädchen und hob das tränenvolle Angesicht zu der Beschützerin empor. »Wiederkommen? Nie – nie; tief unten im Strom liegt er – von tückischer Kugel getroffen – ich sah ihn stürzen – ich hörte den Fall ins Wasser, und dann – dann vergingen mir die Sinne. Großer, allmächtiger Gott – ich muß wahnsinnig sein, denn wäre das das Wahrheit, was mir dann ein fürchterlicher Traum vorspiegelte, mein armes Hirn hätte es ja nicht ertragen, mein Herz wäre gebrochen in all der Angst, in all der Schmach und Schande.« – Sie barg das lockige Haupt in den weißen Kissen, und ihr ganzer Körper zitterte von innerer Pein und Aufregung. Georgine richtete sich halb in Ungeduld von ihrem Lager empor.

»Komm«, sagte sie und hob leise den Kopf des schönen Kindes, »komm, Marie, erzähle mir alles, was dir begegnet ist; bis jetzt habe ich nur, und zwar erst nach vielem Fragen, deinen Namen erfahren. Seit ich dich aus den Händen jenes rohen Gesellen befreite, hast du fast nichts getan als geweint. Ich interessiere mich für dich. Willst du aber, daß ich dir weiter helfen soll, so sei auch aufrichtig! – Wie kamst du in – in ihre Gewalt?«

»So soll ich denn all den noch frischen, blutenden Schmerz erneuen? Soll die Wunde stacheln, die noch nicht zu brennen aufgehört hat?« sagte mit leister, fast tonloser Stimme die Unglückliche. – »Doch es sei; – du schütztest mich vor der rohen Faust jenes Buben – du sollst in wenigen Worten alles hören, was mich betrifft.

Noch weiß ich nicht, wo ich bin«, flüsterte sie nach kurzer Pause, während ihre Blicke wirr und staunend ihre Umgebung überflogen, »noch ist es mir fast, als ob ein Zauber, ein fürchterlicher Traum mich umnachtet halte; doch ich fühle, wie ich lebe und wache; ich sehe das dämmernde Licht jener Lampe; ich kann den warmen Atem deines Mundes an meiner Wange fühlen; ich bin erwacht; das Erwachen selbst nur war gräßlich. Sich aber auch im vollen Besitze jedes Glücks zu wissen, das uns diese Erde nur zu bieten vermag, und dann auf einmal mit der Schnelle des vernichtenden Strahls alles, alles zu verlieren, das tut weh, das frißt sich tief ins Herz hinein. Doch du wirst ungeduldig, du kannst die kurze Zeit nicht erwarten, die ich brauche, um dir meine Leiden zu erzählen, und ich – ich soll sie ein ganzes Leben mit mir fortschleppen bis zum Grabe. – Aber du hast recht; ich bin nur ein törichtes, unwissendes Kind; ich klage nur über mein Elend und denke nicht daran, daß er – er, für den ich ja nur leben und lieben wollte, meinetwegen starb. – Es sind jetzt wohl sechs Monate, daß er zuerst meines Vaters Haus betrat. Soll ich dir sagen, wie wir uns kennen und lieben lernten? Nein; du würdest mich nicht verstehen; dein eigener Blick schaut so ernst und stolz auf mich nieder; du würdest mich vielleicht gar verspotten. Genug – wir liebten uns. Er schloß sein ganzes treues Herz mir auf und hatte das meine gewonnen, ehe ich nur selbst ahnte, daß er darum warb. Auch die Eltern achteten ihn – sie segneten unsere Verbindung; – ich wurde sein Weib. Inzwischen hatte er meinem Vater von dem schönen und herrlichen Süden erzählt, von dem Plantagenleben in Louisiana. Sie fuhren beide hinab, um das Land zu prüfen, und Eduard erstand am Atchafalaya die Pflanzung eines alten Kreolen, der gesonnen war, den Abend seines Lebens in Philadelphia bei Kindern und Verwandten zuzubringen. Vor wenigen Wochen kehrten die Männer zurück. Unsere Farm wurde verkauft, ja selbst unsere zahlreichen Herden machte mein Vater zu barem Gelde, und auf einem selbsterbauten Flatboot, wozu ihn Eduard eigentlich beredet, schifften wir all unser übriges Eigentum ein, um mit der Strömung des Mississippi unserer neuen schönen Heimat zuzuschwimmen. Mein Vater wollte einen Mann annehmen, der unser Boot den Fluß hinabsteuern sollte; Eduard bestand aber darauf, das selbst zu tun. Er war, wie er sagte, mit jeder Sandbank, mit jedem Snag bekannt, und glücklich führte er uns auch den Wabasch und Ohio hinab und immer weiter den Mississippi nieder. Hier aber mochte ihn das tiefer und gefahrloser werdende Wasser zu unvorsichtig machen; vorgestern abend, nahe einer Insel, lief unser Fahrzeug auf den Sand, und hier – großer, allmächtiger Gott – ich würde wahnsinnig, wenn ich das alles noch einmal überdenken sollte!«

»Und Eduard?« fragte die Frau, während sie von ihrem Lager aufsprang und unruhig im Zimmer auf- und abschritt »Dein Vater – deine Mutter?«

» Tot – alle tot!« – seufzte die Unglückliche.

»Und du?«

»Erbarmen – Erbarmen! Dringe nicht weiter in mich; – laß mir die Nacht, die meine Sinne noch umschlossen hält; – laß mir jene tollen, blutigen Schatten, die mir wild das Blut durchrasen und in ihren sinnverwirrenden Kreisen die Erinnerung ertöten; laß sie mir, und wären sie die Boten des Wahnsinns. Lieber so – lieber tot, als zu denken, daß – hahaha – da vorn ist er wieder, der tückische Kopf, der meinem Eduard gleicht. – Da taucht er wieder empor aus der Flut, und ich ich strecke die Hände nach ihm aus, ich ergreife sein nasses Kleid; – er soll micht retten – retten aus der Hand des Teufels, der mich umschlossen hält, und er – o mein armes Hirn, wie es klopft und schlägt, wie es zuckt und brennt! Ach, daß Eduard fallen mußte und nun sein Weib nicht rächen, nicht schützen kann vor den eigenen entsetzlichen Gedanken und Bildern!«

Marie ließ matt die Arme sinken und neigte das Köpfchen auf die Brust herab; vor ihr aber stand das stolze, schöne Weib, und eine Träne, ein seltener Gast, drängte sich ihr in das große schwarze Auge.

»Du sollst bei mir bleiben, Marie!« flüsterte sie dem armen Kinde leise zu. – »Sie sollen dich nicht von mir fortreißen; er darf es nicht«, wiederholte sie dann leise und mit sich selber redend, – »er darf mir die Bitte nicht versagen, und wenn er es tut, wenn er wirklich schon alles das vergessen haben sollte, was er mir in früheren Zeiten gelobt hat, – gut – der Versuch sei wenigstens gemacht –«

»Ich will schlafen gehen«, sagte die Unglückliche und strich sich die feuchten Locken aus der Stirn, »ich will schlafen gehen; – mein Kopf schmerzt mich; – meine Pulse schlagen fieberhaft; – ich bin wohl krank. – Gute nacht, Georgine.« Marie erhob sich und schritt der Tür zu; Georgine aber, vielleicht von plötzlichem Mitleid oder anderen Gefühlen bewegt, umfaßte das arme Wesen, das sich kaum aufrecht halten konnte, und führte es durch eine in die linke Wand geschnittene und von einem prachtvollen Vorhang bedeckte Tür in ein kleines Gemach, das seiner Bauart nach schon in dem Warenhause lag und nur durch eine dünne Bretterwand von den großen, hier zeitweilig aufgestellten Gütern getrennt wurde. Kaum hatte sich dort die Arme auf ein Lager niedergelassen und mit weichen Decken gegen die kühle Nachtluft geschützt, als sich schon die Tür ihres Wohnzimmers öffnete und Kelly, den Hut in die hohe Stirn gedrückt, eintrat.

Georgine ließ den Vorhang sinken und stand im nächsten Augenblick vor dem Gatten.

»Wo ist die Fremde?« war das erste Wort, das er sprach, und seine Augen durchflogen schnell den kleinen Raum.

»Ist das der ganze Gruß, den Richard heute abend seiner Georgine bringt?« fragte die Frau halb scherzend, halb vorwurfsvoll. – »Suchen meines Richards Augen heute zum ersten Mal ein fremdes Wesen und fliehen den Blick der Gattin?«

»Nein, Georgine«, sagte Kelly, und die ernsten Züge milderten sich zu einem leichten Lächeln, »die Augen sind deine Sklaven wie immer; die Frage galt nur der Fremden«, und er streckte der Geliebten die Hand entgegen und zog sie leise an seine Brust. »Guten Abend, Georgine«, flüsterte er dann und drückte einen Kuß auf ihre Lippen; »aber wo ist die fremde Frau? Du hast nicht recht getan, sie bei dir aufzunehmen.«

»Richard, laß mir das unglückliche Geschöpf!« bat Georgine und schlang den weißen Arm um seinen Nacken. – »Laß sie mir hier! Du weißt, die Mädchen, die auf der Insel hausen, sind nichts für mich; es ist rohes, wüstes Volk, und sie hassen mich, weil ich nicht ihre wilden Freuden teile. Maries ganzes Wesen dagegen verrät einen höheren Grad von Bildung, als man ihn sonst bei solch einfachem Farmerskind vermuten sollte. Ich will sie bei mir behalten; vielleicht kann ich ihr das einigermaßen wieder vergüten, was andere ihr genommen haben.«

»Liebes Kind«, erwiderte Kelly und warf sich nachlässig auf die Ottomane, »das sind Geschäftssachen, und du kennst unsere Gesetze. Sosehr ich das schöne Geschlecht ehre, sosehr muß ich doch auch dagegen protestieren, daß es sich da beteiligt, wo es an Hals und Kragen gehen könnte.«

»Richard«, sagte das schöne Weib und preßte die kleinen Lippen fest zusammen, »du tust mir nie etwas zuliebe; ich mag dich bitten, um was ich will, du hast eine Ausrede. Nicht einmal nach Helena willst du mich bringen.«

»lch habe dir schon gesagt, daß ich mich dort selbst nicht blicken lassen darf«, lächelte der Führer.

»Gut, so gestatte mir wenigstens die Gesellschaft eines einzigen menschlichen Wesens, das ich – ohne Abscheu ansehen darf.«

»Eine große Schmeichelei für mich.«

»Du bist unausstehlich heute.«

»Du bist ärgerlich, Georgine«, sagte der Kapitän freundlicher als vorher; »aber sei vernünftig. – Die Fremde kann nicht hier bleiben, wo ihr Sander gar nicht auszuweichen vermöchte.«

»Also er war jener Bube?«

»Ruhig; – du wirst vorsichtiger und milder in deinen Ausdrücken werden, wenn du erfährst, daß gerade er es ist, der die Ausführung unserer Pläne beschleunigt. Das zuletzt eingebrachte Boot enthielt ein so bedeutendes Kapital in barem Geld, in Gold und Silber, daß ich jetzt entschlossen bin, deinen Bitten nachzugeben. Ich sehe ein, unsere Lage hier muß mit jedem Tage gefährlicher werden. Das Geheimnis ist kaum noch ein Geheimnis, und mir selbst scheint es rätselhaft, wie es so lange verborgen bleiben konnte. Wir wollen nach Houston gehen und von da in das Innere von Mexiko. Halte dich also zu einem schnellen Aufbruch bereit.«

»Und die Insel?«

»Mag unter anderer Leitung fortbestehen.«

»Werden sie dich aber aus deinem Führeramt entlassen?«

»Vielleicht gehen sie mit«, sagte der Kapitän, augenscheinlich zerstreut; »doch – wie dem auch sei, die Dirne darf nicht hier bleiben; Verrat vor der Zeit könnte uns alle verderben.«

»Was wollt ihr mit ihr tun?« fragte Georgine besorgt.

»Bolivar soll sie nach Natchez begleiten. – Bist du nun zufrieden?«

»Du mußt deinen Willen durchsetzen«, murmelte die Frau und zog ärgerlich die schönen, kühn geschnittenen Brauen zusammen. – »Früher war deine Liebe anders – glühender. Du kanntest kein Glück, das ausgenommen, das du an meiner Seite fandest. Ich fürchtete, einen Wunsch auszusprechen; denn du achtetest selbst nicht Todesgefahr, um ihn zu erfüllen. – Jetzt aber –«

»Georgine, sei vernünftig«, bat Kelly und zog sie, ihre Hand erfassend, leise zu sich nieder, »du wirst doch begreifen, daß ich nicht unser aller Sicherheit, unser Leben einer einzigen halb wahnwitzigen Dirne wegen aufs Spiel setzen darf. Könnte ich immer hier sein, gern wollte ich deinem Wunsch willfahren; ich würde selbst über unsere Sicherheit wachen; aber so –«

»Du willst wieder fort?«

»Ich muß; – dringende Geschäfte rufen mich in früher Stunde morgen nach Montgomerys Point, vielleicht nach Vicksburg.«

Georgine legte ihre Hand auf seine Schulter und blickte ihm lange und forschend in das ihr ruhig, ja lächelnd begegnende Auge. »Und weshalb willst du immer fort von mir? Weshalb kannst du jetzt nicht bleiben wie früher? Richard – Richard, – wenn ich wüßte, daß du falsch –«

»Aber, Kind du phantasierst wahrhaftig. – Die Wahnsinnige hat dich angesteckt.«

»Wahnsinnige?« – flüsterte Georgine düster vor sich hin. »Richard, wenn ich wüßte, daß du falsch wärst – du, dem ich mein Leben, – das Leben meiner Eltern geopfert habe, bei allen Geistern der Unterwelt, ich würde dein Teufel. An deine Fersen solltest du mich gebannt sehen, und Rache – Rache, wie sie noch kein Weib genossen hat, müßte ein Verbrechen sühnen, für das die Erde keinen Namen hätte.«

»Georgine«, flüsterte der starke Mann und legte seinen Arm liebkosend um ihre Hüfte, »du bist ein törichtes, eifersüchtiges Kind. Wem zuliebe schaffe und arbeite ich denn jetzt? Wem zuliebe habe ich denn mein Leben dem Gesetze verfemt? Wessen Liebe war die Ursache, daß ich – das erste Blut vergoß? Sieh', deine Eifersucht verzeihe ich dir; sie ist ein Zeichen eben dieser Liebe; aber du bist auch ungerecht. Du darfst mich nicht nach den anderen Menschen beurteilen, wie sie dir täglich im Leben begegnen. – Du weißt, ich bin nicht wie sie. Du wärst mir sonst nicht gefolgt; – aber du mußt mir auch vertrauen, du mußt mir auch glauben, wenn ich dir meine Gründe nenne.«

»Gut«, rief Georgine und sprang auf, »ich will dir vertrauen; aber einmal laß mich erst wieder hinaus in die Welt; einmal laß mich mit den Menschen verkehren, mit denen du verkehrst, dann will ich dir folgen als dein treues Weib, wohin du nur immer begehrst; aber das – das erfülle mir!«

»Und gerade das«, lächelte der Kapitän, »ist etwas, das mehr Schwierigkeiten hat, als du dir wohl träumen läßt.«

»So willst du nicht?« rief Georgine schnell.

»Wer sagt dir das?« fragte Kelly und heftete seinen Blick fest und prüfend auf sie. – »Georgine«, fuhr er nach kurzer Pause leise fort, »du bist mißtrauisch gegen mich geworden. Es ist jemand zwischen uns und unsere Liebe getreten.«

»Richard!« rief Georgine.

»Und wenn es nur ein Schatten wäre«, fuhr der Kapitän fort, ohne die Unterbrechung zu beachten. »Auch du bist nicht mehr wie sonst; was sollte der Mestize neulich am Ufer? Ich begegnete ihm gerade, als er das Land betrat, und sandte ihn zurück. – War er bestimmt, um mich zu bewachen?«

»Und wenn er es wäre?« rief Georgine stolz und heftig.

»Ich dachte es«, lächelte der Kapitän. »Armes Kind, also traust du deinem Richard wirklich nicht mehr? Nun gut, der Gegenbeweis soll dir gebracht werden. – Schicke den Knaben, wann du willst, ans Land; er soll freien Aus- und Eingang haben und mag dir sagen, wie er mich dort gesehen hat. Bis du damit zufrieden?«

»Und die Fremde?«

»Sander begleitet mich«, sagte Kelly sinnend, mit sich selber redend. »Nun gut, sie mag bei dir bleiben, bis Blackfoot zurückkehrt; dann aber widersetze dich auch nicht länger einer Maßregel, die nur zu deinem wie zu unser aller Besten gegeben wurde. Zürnt Georgine nun ihrem Richard noch?«

»Du böser lieber Mann«, rief das schöne Weib und schlang ihren Arm um seinen Nacken, »wer kann dir zürnen, wenn du so freundlich bist?«

»So komm denn, Geliebte!« flüsterte lächelnd der Kapitän. »Komm und laß jeden bösen, jeden unfreundlichen Gedanken in diesem Kusse schwinden! Wir haben von außen drohenden Gefahren zu begegnen, laß uns wenigstens hier innen in Frieden und Liebe leben und Kräfte sammeln zu dem letzten entscheidenden Schritt, zu Sicherheit und Ruhe!«

Vor der Wohnung des Kapitäns standen indessen, in ihre warmen Matrosenjacken gehüllt, Blackfoot und Bolivar, der Neger. »Alle Wetter, Massa«, sagte Bolivar, während er sich der lästig werdenden Moskitos zu erwehren suchte, »ich möchte wissen, ob Massa Kelly noch was besorgt haben will heute abend oder nicht.«

»Hab Geduld, Bursche«, brummte der alte Bootsmann und knöpfte sich fester in seine Überjacke ein, – »wirst doch warten können, wo unsereiner wartet. – Der Kapitän geht dem Weibchen erst ein bißchen um den Bart herum. Mit Frauenzimmern wird man nicht so schnell fertig wie mit Männern. Aber 's ist wahr, es dauert verdammt lange. Wenn ich nur erst wüßte, was er eigentlich wollte, nachher könnte man sich seine Berechnung schon selbst machen.«

»Ja – ja«, lachte der Neger vor sich hin, »Kapitän Kelly läßt Euch auch gerade wissen, was er will. – Bolivar kennt ihn besser. – Wenn er sagt, er geht stromauf, – wette meinen Hals darauf, dann ist er hinunter, und wenn er sagt Arkansas, so wäre Arkansas der letzte Ort, wo ihn Bolivar suchte.«

Blackfoot sah den Neger von der Seite an, schob die Hände in die Taschen und ging langsam auf und nieder.

»Bist du schon einmal mit dem Kapitän in Helena gewesen?« fragte er nach kurzer Pause.

Bolivar zog den breiten Mund von einem Ohr bis zum andern und nickte.

»Und weißt du«, sagte der Bootsmann und trat dem Neger einen Schritt näher, »weißt du, was –«

»Pst, Massa – for God's sake«, flüsterte der Schwarze und streckte ängstlich die Hand gegen den Redenden aus, während er selbst einen scheuen Seitenblick nach der Tür warf; – »Bolivar will lieber, daß er mit gebundenen Händen vor dem Staatsanwalt stände und Massa Blackfoot als Zeugen gegen sich hätte, als hier von Sachen zu reden, die den Kapitän betreffen. Großer Golly, wie er neulich einmal den Spanier bezahlt hat! – Ohren ab – Nase ab – Arme ab und dann gut verbunden, aber sonst nackend in den Sumpf gestellt; brrr, Buckramann ist doch viel grausamer als Neger.«

Oben aus der Eiche, unter der sie standen, tönte ein schriller Pfiff, wie ihn der Nachtfalke ausstößt, wenn er seine Beute zu erfassen glaubte und nun getäuscht wieder hinauf in sein luftiges Reich steigt.

»Pest und Donner!« fluchte der Afrikaner und fuhr schnell empor. »Das fehlt uns auch noch; – jetzt kommen bei Gott die verdammten Pferde von Arkansas. – Nun gibt es Nachtarbeit. Ei, so wollte ich denn doch –«

»Der Kapitän hat sie lange erwartet«, sagte Blackfoot. »Arbeit haben wir weiter nicht damit, unsere Leute sind schon drüben seit Sonnenuntergang.«

»Schaffen wir sie denn gleich nach Mississippi hinüber?« fragte Bolivar.

»Nein – das dürfen wir nicht riskieren. – So wie das Land jetzt mit den verdammten Regulatoren in Aufruhr ist, hieße das, die Schufte da oben selbst mit der Nase auf unsere Fährten stoßen. – Nur die beiden Pferde, die wir notwendig drüben haben müssen, bringen wir durch den Sumpf, daß die Spuren aus dem Lande heraus in die Stadt führen. Das besorgt Mowes, der ist in Meleville bekannt wie ein bunter Hund und erregt keinen Verdacht mehr. Die anderen führer wir zu Wasser nach Vicksburg.«

»Wenn ich nur wüßte, was mit dem fremden Frauenzimmer da drin geschehen soll«, brummte der Neger; – »erst wird man hierher bestellt, und nachher ist es nichts.«

»Drinnen ist alles dunkel geworden«, sagte Blackfoot, »vor morgen früh wirst du auf keinen Fall gebraucht. Geh also bis dahin zu den Snags, und wenn wir die Tiere glücklich gelandet haben, wollen wir uns ein Stündchen hinlegen. Morgen wird es wahrscheinlich verdammt scharfe Arbeit setzen.«

Von dem rechten Ufer der Insel schallten jetzt regelmäßige, aber schnelle Ruderschläge herüber, und deutlich konnten die lauschenden Männer hören, wie das kommende Boot mit aller Macht gegen die dort ziemlich starke Strömung anarbeitete.

»Aha«, nickte Bolivar grinsend, »in dem Boot steuert wieder Mr. Klugrabe, – will immer gescheiter sein als andere Leute und hält jedesmal von Anfang an zu stark auf das Ufer zu; denkt es immer zu erzwingen und muß sich nachher wieder von der Sandbank heraufleiern.«

»Sie müssen bald oben an der Spitze sein«, meine Blackfoot. »Ja – aber mit welcher Arbeit! – Soviel ich weiß – doch wahrhaftig, da kommen sie schon – Wetter noch einmal, müssen die in den Rudern gelegen haben!«

Blackfoot hatte jetzt die Tür von ›Bachelors' Hall‹ geöffnet und die darin überall auf Fellen und Decken gelagerten Zecher geweckt. Nur murrend und höchst unzufrieden mit der keineswegs gelegenen Störung gehorchten sie dem Ruf und taumelten von ihren harten Betten auf, um bei dem Landen der Pferde behilflich zu sein. Dies ging auch schneller vonstatten, als es der rauhe Boden und das ungewisse Mondlicht hätten erwarten lassen. Die Insulaner schienen aber mit solcher Arbeit vertraut, und nach kaum einer Stunde lag das breite Boot wieder wohlverwahrt und gut versteckt neben den übrigen Kähnen, während die Pferde in den Ställen untergebracht und dort von einem jungen Mestizenknaben versorgt und mit Nahrung versehen wurden. Bolivar bereitete ihnen die Streu von weichem Laub. Die armen Tiere aber, so hungrig sie wohl auch sein mochten, schienen zu erschöpft zu sein, um auch nur einen Blick auf das sonst so eifrig begehrte Futter zu werfen. Todmatt fielen sie, wo man sie hinstellte, nieder, und ihr ganzes Aussehen, ihr ganzes Benehmen verriet klar und deutlich, daß sie eben eine Hetze durchgemacht hatten, die sie kaum noch länger ausgehalten hätten.

»Hört einmal, Jones«, sagte Blackfoot, als er in die Stalltür trat und die erschöpften Tiere betrachtete, »ich glaube, Ihr habt die armen Tiere zu Tode gejagt, sie schwitzen ja wie die Braten, und der kalte Luftzug auf dem Mississippi wird ihnen wohl den Rest gegeben haben.«

»Ei, und wenn sie alle der Teufel geholt hätte«, brummte der Angeredete; »besser die als ich. Pest und Donner! – Das sind die letzten, die ich aus Arkansas herausgeschafft habe. Überhaupt gebe ich dem die Erlaubnis, mich bei den Ohren aufzuhängen, der mich noch einmal da drüben erwischt.«

»Sie sollen Euch drüben vor ein paar Wochen die Jacke tüchtig ausgeklopft haben«, lachte Blackfoot.

»Ja, und der, der es getan hat, liegt wohl nicht am Elevenpointsriver mit zerschmettertem Hirn?« zischte der kleine Mann; – »Seine Pferde stehen wohl nicht jetzt hier auf der Insel im Stall?«

»Alle Wetter, dessen Pferde?« rief der Bootsmann verwundert. »Da habt Ihr mehr Courage, als ich Euch zugetraut hätte; – doch wer war denn hinter Euch her?«

»Wer? Der ganze Staat schien auf den Beinen zu sein. – Ich gab mich auch schon verloren; ein wirkliches Wunder allein kann mich gerettet haben. Einmal sah ich meine Verfolger schon; doch glücklich erreichte ich den Sumpf, und hier gelang es mir, die Feinde irrezuführen. Wäre Euer Boot aber nicht schon drüben gewesen, ich hätte bei Gott die Tiere im Stich gelassen und meine eigene Haut in Sicherheit gebracht; denen falle ich nicht noch einmal in die Hände, so viel weiß ich.«

»Schade, daß Rowson so schändlich abgefangen wurde« sagte der Bootsmann. – »Das war ein trefflicher Kunde. Mordelement, ich weiß keinen Menschen in ganz Amerika, den ich lieber bei irgendeinem pfiffigen Unternehmen gehabt hätte als den – «

»Geht mir mit dem Schuft«, brummte Jones, »wäre der Kapitän nicht noch so zur rechten Zeit dazugekommen, die Kanaille hätte uns alle miteinander verraten – pfui Teufel! Ich hätte immer geglaubt, Rowson sei ein Mann, und wie ein heulendes altes Weib hat er sich betragen. Das sollte mir einmal passieren! – Pest noch einmal, die Zunge wollte ich mir eher aus dem Halse reißen, ehe ich ein Wort gestände!«

»Kelly war unter einem fremden Namen oben, nicht wahr?«

»Wharton nannte er sich«, lachte Jones, »und Ihr hättet nur einmal sehen sollen, wie schlau er es anzustellen wußte, daß der meineidige Pfaffe nicht zu Worte kam. Mit dem Indianer war übrigens nicht zu spaßen. – Wer kommt denn dort?«

Die beiden Männer blickten sich rasch nach der von dem Pferdedieb bezeichneten Richtung um und sahen eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt auf sich zukommen. – Es war der Kapitän, der, ohne den andern eines Wortes oder Blickes zu würdigen, Blackfoot am Arm ergriff und eine kleine Strecke mit sich fortzog. Als er sich vorher durch einen flüchtig umhergeworfenen Blick überzeugt hatte, daß er unbelauscht sei, flüsterte er leise: »Georgine besteht darauf, den Mestizen ans Ufer zu senden. Bolivar soll ihn also, wenn sie es verlangt, hinüberrudern; er darf aber den festen Boden nicht wieder betreten. Verstehst du mich?«

»Der Mestize?« fragte Blackfoot erstaunt.

Der Kapitän nickte nur einfach und fuhr dann fort: »Sanders Aufträge sind in diesem Brief eingeschlossen; – alles übrige ist dir ebenfalls bekannt.«

»Wann kann denn Teufels Bill hier eintreffen?« fragte der Bootsmann.

»Mit jedem Tage«, erwiderte Kelly; »seiner Rechnung nach hätte er eigentlich schon gestern Helena erreichen müssen. Ihr wißt doch noch sein Zeichen?«

»Ja – er fährt stets vor der Insel vorbei und schießt, wenn er gerade neben den Snags ist. Das Boot läßt er unterhalb auflaufen.«

»Gut! Ist mein Pferd gestern abend hinübergeschafft und gefüttert worden?«

»Ei, versteht sich«, versicherte der Alte. »Das muß tüchtig ausgreifen können; es hat jetzt zwei Tage ruhiggestanden. Was soll aber mit dem Mädchen da drin geschehen?«

»Die – werde ich der Sorgfalt des Negers anvertrauen«, murmelte der Kapitän. – »Ich will ihm morgen früh selbst die nötigen Verhaltungsregeln geben; doch für jetzt gute Nacht, legt Euch auch ein wenig schlafen und – habt gut acht auf den Burschen da! –«

»Auf Jones?«

»Ja; – er darf ohne Schwur die Insel nicht verlassen.«

»Der ist treu«, sagte Blackfoot.

»Gut für ihn«, murmelte der Kapitän und verschwand gleich darauf wieder in seiner Tür.


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