Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 3

Leser, hast Du schon je ein amerikanisches Wirtszimmer gesehen? Nein? Das ist schade; es würde mir die Beschreibung ersparen. Wie die Bahnhöfe auf unseren Eisenbahnen, so haben die Wirtszimmer in der Union eine Familienähnlichkeit, die sich in keinem Staate, weder im Norden noch Süden, verleugnen läßt und in den kostbarsten Austernsalons der östlichen Städte wie in den gewöhnlichen grogshops der Backwoods sichtbar und erkennbar bleibt. Der Schenktisch, mag er nun mit Marmorplatten belegt oder von einem schmutzigen hölzernen Gitter beschützt sein, trägt seine kleinen Fläschchen mit Pfefferminz und Staunton Bitters, damit sich jeder Gast sein Getränk mit einer der beiden scharfen Spirituosen würzen kann, und die dahinter angebrachten Karaffen blitzen und funkeln und laden mit ihrem farbigen Inhalt den Gast ein, sie zu kosten. Apfelsinen und Zitronen füllen die leeren Zwischenräume aus, und bleibehalste Champagnerflaschen sowie süße, mit buntfarbigen Etiketten versehene Liköre prangen in den obersten Regalen. Nie aber wird sich der Reisende in diesen öffentlichen Gebäuden, mögen sie nun ›hotel‹ oder ›inn‹, ›tavern‹ oder ›boardinghouse‹ heißen, wohnlich fühlen. Wie alles in Amerika, einzelne Privatwohnungen ausgenommen, nur für den augenblicklichen Genuß und Nutzen eingerichtet ist und jeder wirklichen Behaglichkeit entbehrt, so ist es auch mit diesen doch eigentlich für die Bequemlichkeit der Reisenden hingestellen Gasthäusern. Schon die ganze Einrichtung beweist das. Nur vor dem Kamin stehen Stühle, und hier sammeln sich selbst im Sommer, wenn kein Feuer darin brennt, aus alter Gewohnheit die Gäste und spritzen ihren Tabakssaft in die liegengebliebene Asche. Keiner setzt sich mit seinem Glas zum Tisch und verplaudert ein halbes Stündchen mit dem Freund; keiner liegt im Stuhl behaglich zurückgelehnt und beobachtet die Kommenden und Gehenden. In Gruppen stehen sie beisammen; das kaum gefüllte Glas wird schnell geleert, höchstens eine Zeitung überflogen, und schon eilt der eben erst eingekehrte Gast wieder seinen Geschäften oder seinem Vergnügen nach.

Das Union-Hotel machte keine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel. Der Tür gegenüber befand sich der Schenkstand, hinter dem ein junger Mann kaum Hände genug zu haben schien, die verlangten Gläser zu füllen. Links war der Kamin, rechts führten drei Fenster auf die Elmstreet hinaus, während neben der Tür zwei andere vornheraus eine Aussicht durch die Veranda nach der breiten Frontstreet und zugleich auf die Dampf- und Flatboot-Anlegestelle und den Strom gewährten. In der Mitte des ziemlich großen Raumes stand ein breitfüßiger, viereckiger Tisch, auf dem ein paar Zeitungen, die ›State Gazette‹ der ›Cherokee Advocate‹ und das ›New-Orleans-Bulletin‹, lagen, und ein Dutzend Stühle ein kleiner Nürnberger Spiegel und eine unvermeidliche Yankee-Uhr über dem Kaminsims füllten den übrigen Platz aus.

Interessanter aber waren die Gruppen, die in den verschiedenen Teilen des Zimmers herumstanden. – Nur zwei Leute saßen nämlich, und zwar wie zwei Verzierungen zu beiden Seiten des Kamins: die Rücken der Gesellschaft zugedreht und die Beine hoch oben auf dem Sims neben der Uhr.

Den Mittelpunkt der Gäste bildeten ein junger Advokat aus Helena namens Robins, ein Farmer aus der Nähe von Little Rock, ein junger, grobknochiger Geselle, der trotz des hellblauen Frackes aus Wollenzeug und des schwarzen abgeschabten Filzes etwas unverkennbar Matrosenartiges an sich hatte, und der sogenannte Mailrider, der zu Pferde den ledernen Briefsack zwischen Helena und Strongs Postoffice in der Nähe des St.-Franzis-Flusses hin- und herführte. Das Gespräch drehte sich jetzt um die eben beschriebenen Vorfälle, die sie aus dem Fenster größtenteils mit ansehen konnten, und der Mailrider, ein kleines dürres Männchen von etwa fünfundzwanzig Jahren, war besonders erstaunt, daß sich eine solche Menge kräftiger, trotzig aussehender Burschen erst von einem einzelnen Mann einschüchtern und dann von einem andern in der Ausübung ihrer Rache hatte zurückhalten lassen.

»Gentlemen!« sagte er in der mit Eifer geführten Anrede, wobei er diesen Titel ungewöhnlich häufig anwandte, als ob er seine Zuhörer dadurch ebenfalls mit überzeugen wollte, daß er selbst zu dieser besonderen Menschenklasse gehöre. »Gentlemen, die Männer von Arkansas fangen an, aus der Art zu schlagen; das demokratische Prinzip geht unter. Vom Osten her werden monarchische Grundsätze von Tag zu Tag gefährlicher. Gentlemen, ich fürchte, wir erleben noch die Zeit, wo sie in Washington einen König krönen, und der König – heißt dann – Henry – Clay.«

»Henry Unsinn!« sagte der Farmer verächtlich. »Wenn das geschähe, so sollten sie ihren König auch im Osten behalten; über den Mississippi dürfte er uns nicht kommen, dafür stehe ich. Wetter noch einmal, unsere Väter, die in ihren blutigen Gräbern schlafen und für ihre Kinder fielen, müßten sich ja in Schande und Schmach umdrehen, wenn die Enkel, die zu Millionen angewachsen sind, das nicht einmal mehr behaupten könnten, was sie der Übermacht mit wenigen Tausenden abzwangen. Das sind aber die verrückten Ideen, die nur Ausländer mitbringen. In Schmach und Ketten aufgewachsen, können sie sich nicht denken, daß ein Volk imstande ist zu existieren, wenn es nicht von einem Fürsten am Gängelband geführt wird. – Zum Teufel auch, ich habe da erst neulich in einem Buch gelesen, wie die Hofschranzen über dem großen Wasser drüben in den Städten herumkriechen und schwanzwedeln und die Feinen und Zierlichen spielen. Die Pest über sie! Solch Geschmeiß sollte einmal nach Arkansas kommen; hui , wie wir sie mit Hunden hinaushetzen würden!«

»Hahaha«, lachte der kleine Advokat, »Howitt gerät ordentlich in Jagdeifer. – Mäßigung, wackerer Staatsbürger, Mäßigung! – Gegen solche Gefahr schützt uns unsere Konstitution –«

»Ach was da, Konstitution!« brummte Howitt. »Wenn wir's nicht selber tun, wären die Konstitution und das Advokatenvolk auch nicht dazu imstande. – Die eine würde umgeworfen, und die anderen gingen zur neuen Fahne über, das ist alles schon dagewesen. Nein, der Farmer ist es, der den Kern der Staaten ausmacht; denn sein freies Land wäre gerade das, was unter die Botmäßigkeit einer willkürlichen Regierung fiele. Er müßte das Land kultivieren und mit dazu beitragen, daß sich die Industrie mehr und mehr höbe und die Einkünfte von Jahr zu Jahr wüchsen, und dürfte dann am Ende noch nicht einmal mitreden, wenn es um sein eigenes Wohl und Wehe gälte. Nein, der Farmer oder vielmehr das Volk erhält den Staat, nicht die Konstitution, und ein Land, das kein Volk hat, dem hilft auch die beste Konstitution nichts.«

»Nun ja, das sage ich ja eben«, fiel der Mailrider, der nicht recht verstand, was jener meinte, mit seiner dünnen Stimme ein, »deshalb wundert's mich ja gerade, daß sich das Volk so von einem einzelnen Menschen leiten und einschüchtern läßt. Donnerwetter, ich sollte dazwischen gewesen sein, ich hätte dem Yankee« – und er sah sich um, ob der Wirt nicht etwa im Zimmer sei – »ich hätte dem Yankee schon zeigen wollen, was es heißt, sich an freien amerikanischen Bürgern zu vergreifen.«

»Gerade im Gegenteil«, erwiderte ruhig der Farmer, »mich hat's gefreut, daß die Leute Vernunft annahmen. Was ich früher von Helena gehört habe, ließ mich fast glauben, der ganze Ort bestehe aus lauter – Gesindel. Es ist mir lieb, daß ich jetzt eine andere Meinung davon nach Hause tragen kann; denn daß die Köpfe eines freien, sorglosen Völkchens einmal überschäumen, ei nun, das ist kein Unglück, wenn sie nur immer wieder ins richtige Bett zurückkehren.«

»Verdammt wenig von denen, die heute nacht in einem Bett schlafen!« lachte hier der im blauen Frack dazwischen. »Die lustigen Burschen fangen mit der Gallone Brandy an, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie mit einem ganzen Faß aufhörten. Ihr Gejubel und Geschrei schallt ja sogar bis hier herüber.«

»Was ist denn hier eigentlich heute vorgegangen?« fragte jetzt der Farmer, sich an die übrigen wendend. »Ich kam gerade, wie sie den Irländer draußen in der Klemme hatten, und trug dann meine Satteltasche in die Hinterstube. – War denn heute Gerichtstag?«

»Gerichtstag?« fragte der im blauen Frack. »Nein, das weniger, aber etwas ganz anderes. Holk's Haus und Land wurden verauktioniert.«

»Holk's? Des reichen Holk Haus?« rief Howitt verwundert. »Ih, das ist ja gar nicht möglich! – Alle Wetter, vor acht Tagen kam ich erst hier durch, und da war ja noch kein Gedanke daran.«

»Ja, Sachen ändern sich«, lachte der Blaue. »Holk ging, wie ihr wißt, mit einem Flatboot nach New Orleans. Unterwegs muß er aber auf irgendeinen dahintreibenden Baumstamm gelaufen oder sonst zu Unglück gekommen sein, kurz, das ganze Boot ist spurlos verschwunden, und vor fünf Tagen kam Holks Sohn hier an.«

»Hatte denn Holk einen Sohn?« fragte der Farmer. »Er war ja gar nicht verheiratet?«

»Aus früherer Ehe«, erwiderte der Blaue; »mehrere Leute hier kannten die Familie. Der junge Holk wäre auch gern hiergeblieben; er bekam aber schon am zweiten Tag das Fieber und damit zugleich einen solchen Widerwillen gegen das Land selbst, daß er schon am dritten Tag die Versteigerung seines gesamten Grundbesitzes anordnete. Die Auktion fand an diesem Morgen statt, und mit demselben Dampfboot, das heute mittag hier landete, ist der junge Holk wieder hinunter nach Baton Rouge gegangen.«

»Potz Blitz, der hat seine Geschäfte schnell abgemacht! Da ist wohl auch der schöne Besitz um einen Spottpreis weggegangen?« fragte der Mailrider, der ebenfalls erst während des Streites gekommen war.

»Das nicht!« erwiderte der Advokat. »Die Baustellen sind fast die besten in Helena, und es fanden sich mehrere Bewerber; ich selbst habe geboten; Richter Dayton schien auch große Lust zu dem Handel zu haben. Der Wirt hier hat sie aber zuletzt noch erstanden und – was die Bedingung war – gleich bar bezahlt. – Smart muß einen hübschen Batzen Geld in Helena verdient haben.«

»Wunderbar, wunderbar!« murmelte der Farmer vor sich hin. – »Mir hat Holk einmal gesagt, er hätte weder Kind noch Kegel in Amerika und wolle alles das, was er sein eigen nenne, verkaufen und wieder nach Deutschland zurückgehen.«

»Nun ja«, lachte der Blaue, »es war so eine schwache Seite von ihm, noch für einen jungen Mann zu gelten. Er leugnete immer, daß er schon verheiratet gewesen sei. – Ihr kennt doch die junge Witwe drüben – gleich neben Daytons?« Und er verzog dabei, während er mit dem Daumen der Hand über die eigene Schulter deutete, das keineswegs schöne Gesicht zu einem häßlichen, boshaften Lachen.

»Die arme Frau«, sagte ein junger Kaufmann, der eben zu ihnen getreten war und die letzten Worte gehört hatte. »Sie geht herum wie eine Leiche; – sie soll den Holk so gern gehabt haben.«

»Sie waren ja auch schon miteinander versprochen«, fiel hier der Advokat ein. »Wenn er wieder von New Orleans zurückkäme, sollte die Hochzeit sein; aber der Mensch denkt, und das Schicksal lenkt. – Jetzt ist der Mississippi sein Hochzeitsbett und das eigene Flatboot sein Sarg. Puh, es muß ein häßliches Gefühl sein, so tief unten auf dem Grunde des Flusses gegen die Planken eines solchen Kastens gedrückt zu liegen und nun immer leichter und leichter zu werden und doch nicht wieder hinauf zu können an den lichten Tag.«

»Es sind in letzter Zeit recht viel Flatboote verunglückt«, sagte der Farmer nachdenklich. »Ich weiß, daß allein von Little Rock drei abgingen, die nie am Ort ihrer Bestimmung ankamen. Der Staat sollte mehr dafür tun, diese Unmassen von Baumstämmen wenigstens aus der eigentlichen Strömung zu fischen. Guter Gott, was sind nicht schon für Menschen auf solche Art umgekommen, und wie viele Waren hat der unersättliche Mississippi verschlungen!«

»Ei, die Menschen sind aber auch großenteils selber dran schuld!« rief der Blaue ärgerlich. – »Wenn irgendein Bursche, der im Leben den Stiefel nicht von Gottes festem Erdboden weggebracht hat, einmal Waren verschiffen will, so baut er ein neues Flatboot oder kauft ein altes, packt da seine Siebensachen hinein, stellt sich hinten ans Steuer und denkt: Der Strom wird mich schon dahin führen, wohin ich will – wir schwimmen ja den Fluß hinunter. – Jawohl wir schwimmen hinunter, bis wir irgendwo hängenbleiben, und nachher ist's zu spät. Der Mississippi läßt nicht mit sich spaßen, und um die erbärmlichen vierzig oder fünfzig Dollar für einen tüchtigen Lotsen oder Steuermann zu sparen, hat schon mancher Gut und Leben eingebüßt.«

»Bitte um Verzeihung«, sagte der Farmer, »alle, die von Little Rock abgingen, hatten gerade Lotsen an Bord, Leute, die auf ihr Ehrenwort versicherten, den Fluß schon seit zehn und fünfzehn Jahren befahren zu haben, und sie sind dennoch zugrunde gegangen. Solchen Menschen kann man aber auch nicht ins Herz sehen. Es gibt sich mancher für einen Lotsen aus und vertraut nachher seinem guten Glück, das ihn schon sicher stromab führen werde. Im günstigsten Falle lernt er so nach und nach die Strömung kennen und hat dabei sein gutes Gehalt; im ungünstigsten aber kann er vielleicht schwimmen und bringt seine werte Person doch noch sicher wieder ans Ufer.«

»Sie sind vielleicht auch wirklich so lange gefahren«, lachte der Blaue, »aber auf Dampfbooten, als Feuerleute und Deckhands, nicht als Flatbootmänner. Auf Dampfbooten können sie denn auch verdammt wenig lernen, außer als Pilot, und ein Dampfboot-Pilot wird sich hüten, wieder ein Flatboot zu steuern, wo er nicht halb so gute Kost und weit geringeres Gehalt bekommt.«

»Gentlemen reden von dem Piloten, der neulich hier ans Ufer geworfen wurde?« fragte ein kleines ausgetrocknetes Männchen mit schneeweißen Haaren, tief gefurchten Zügen und grauen, blitzenden Augen, das sich jetzt von einer anderen Gruppe zu ihnen gesellte. – »Ja, war ein kapitales Exemplar von Knochenbruch, der rechte Oberschenkel – der linke Unterschenkel – Wadenbein und Hauptröhre – vier Rippen auf der linken Seite, den rechten Arm förmlich zersplittert, daß die Knochenstücke durch den Rock drangen; den Hinterkopf stark verletzt und doch nicht tot. Ich hatte es mir zur Ehrensache gemacht, ihn eine volle Stunde am Leben zu halten; es war aber nicht möglich. Er schrie in einem fort.«

»Großer Gott«, sagte der Farmer und schüttelte sich bei dem Gedanken, »da wäre es ja ein Werk der Barmherzigkeit gewesen, dem armen Teufel eins auf den Kopf zu geben. Was war denn mit ihm geschehen?«

»Dem Dampfboot ›General Brown‹ waren die Kessel geplatzt«, sagte der Advokat; »es sind, glaube ich, fünfzehn Personen dabei ums Leben gekommen.«

»Ja, aber nichts Erhebliches weiter an Verwundungen«, meinte der kleine Doktor, »zwei Negern die Köpfe ab – der eine hing noch an ein paar Sehnen und einem Stück Haut – einer Frau die Brust zerquetscht –«

»Weshalb müssen wir denn das aber eigentlich so genau wissen?« rief der Farmer und wandte sich in Ekel und Unwillen von ihm ab. »Sie verderben einem ja bei Gott das Abendbrot, Doktor.«

»Bitte um Verzeihung«, sagte der kleine Mann, »für die Wissenschaft sind solche Fälle ungemein wichtig, und mir wäre in der Hinsicht auch wirklich kein besserer Platz in der ganzen Welt bekannt, um Beobachtungen an Verwundeten und Leichen zu machen, als gerade das Ufer des Mississippi. Ehe jener interessante Fall am Fourche la Fave vorfiel, wohnte ich etwa drei Wochen in Viktoria, der Mündung des Whiteriver und Montgomerys Point gerade gegenüber, und alle Wochen, ja oft einen Tag um den andern kamen Leichen dort angetrieben. Einmal war ein Leichnam mit dabei, dem hatten sie gerade über dem rechten Hüftknochen –«

»Ei, so hole Euch doch der Teufel!« rief der Blaue ärgerlich dazwischen. »Harpunen und Seelöwen, ich kann auch einen Puff vertragen, und manchen Tropfen Blut habe ich in meinem Leben fließen sehen; wenn man aber das Leiden und Elend so haarklein beschreiben und immer und immer wiederkäuen hört, dann bekommt man's am Ende doch auch satt und ekelt und scheut sich davor.«

»An Menschen, die keinen Sinn für die Wissenschaft haben«, rief der erzürnte kleine Mann, indem er sich den grauen Seidenhut noch fester in die Stirn hineintrieb, »Menschen, die von ihren Mitmenschen bloß die Haut kennen und sich weiter nicht darum bekümmern, ob sie mit Knochen oder Baumwolle ausgestopft sind, an solchen Menschen ist auch jedes wissenschaftliche Wort verloren, und ich sehe nicht ein, weshalb ich meine schöne Zeit hier vergeuden soll, solchen Menschen einen Gefallen zu tun.«

Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten oder die übrigen noch eines Blickes zu würdigen, ergriff er einen alten, am nächsten Stuhl lehnenden roten baumwollenen Regenschirm, drückte ihn sich unter den Arm und schritt rasch und dabei immer noch vor sich hingestikulierend zur Tür hinaus. »Gott sei Dank, daß er fort ist! Mir graust's immer in seiner Nähe, und – ich kann mir nun einmal nicht helfen, aber ich möchte stets darauf schwören, es röche nach Leichen, sobald er ins Zimmer tritt«, sagte der Advokat.

»Ist denn der hier praktizierender Arzt?« fragte der Farmer, der ihm erstaunt eine Weile nachgesehen hatte.

»Arzt? Gott bewahre!« lachte der Blaue. »Die Leute nennen ihn hier nur so, weil er von weiter nichts als von Verwundungen, Leichen und chirurgischen Operationen spricht. – Dadurch haben sich aber schon ein paarmal Fremde verleiten lassen, ihn bei wichtigen Krankheitsfällen zu Rate zu ziehen, und das ist ihnen denn auch verdammt schlecht bekommen.«

»Es wird keiner zum zweiten Mal zu ihm gegangen sein«, meinte der Farmer.

Der Blaue brach in lautes Gelächter aus und rief: »Nein, wahrhaftig nicht; kein Lebender kann sich rühmen, von Doktor Monrove behandelt zu sein. Die fünf, die er hier in der Kur gehabt – natürlich lauter Fremde, eben Eingewanderte –, sind schleunigst gestorben und stehen jetzt, in Spiritus und Gott weiß was sonst noch aufbewahrt, teils ganz, teils stückweise in seinem Studierzimmer, wie er's nennt, herum. Keine Haushälterin hat deshalb auch bei ihm aushalten wollen. Selbst die letzte verließ voller Verzweiflung das Haus, als er ihr einmal mitten in der Nacht einen frisch abgeschnittenen menschlichen Kopf ins Zimmer brachte, den er, wie er später gestand, aus dem Grabe eines Reisenden gestohlen hatte. Eine Karawane von Auswanderern war nämlich hier durchgekommen und einer davon am Fieber gestorben, wonach sie ihn gleich an Ort und Stelle begruben und am nächsten Morgen weiterzogen.«

»Das muß ein entsetzliches Vergnügen sein, sich so an lauter Greuelszenen zu weiden«, sagte der Farmer schaudernd.

»Ja, und es ist bei ihm wirklich zur Leidenschaft geworden«, nahm der Advokat das Wort. – »Als er neulich von dem am Fourche la Fave abehaltenen Lynch und dem verbrannten Methodistenprediger hörte, hat er fast ein Pferd totgeritten, um noch zur rechten Zeit dort einzutreffen und die verkohlten Überreste des Mörders an sich zu bringen, – was ihm auch wirklich gelungen sein soll. Seiner Wohnung, die eine kurze Strecke von Helena entfernt im Wald liegt, kommt denn auch niemand zu nahe außer Wölfen und Aasgeiern, und ich muß selbst gestehen, ich wüßte nicht, was mich bewegen könnte, eine so schauerliche Schwelle zu überschreiten.«

»Ich war ein paarmal dort«, sagte der Blaue, »es sieht scheußlich drinnen aus.«

»Hat man denn von den entflohenen Mitschuldigen nie wieder etwas gehört?« fragte der Farmer. »In Little Rock hieß es, Cotton und der Mulatte seien entkommen.«

»Ei, gewiß«, fiel ihm hier der Advokat ins Wort. »Die am Fourche la Fave haben sich freilich nicht weiter um sie bekümmert; denn sie wollten das Gesindel nur los sein; was aus ihnen wurde, war ihnen gleichgültig. Die Flüchtlinge sind aber in der Woche darauf im Hot Spring County gesehen worden, und da Heathcott, der erschlagene Regulatorenführer, früher gerade dort ansässig gewesen war, so hat man sie beide mit einer Wut und einem Eifer verfolgt, die über ihre Absicht nicht den mindesten Zweifel ließen. Cotton ist jedoch ein schlauer Fuchs und wird wohl um diese Zeit schon über dem Mississippi drüben gewesen sein.«

»Hm, ja«, fiel der Blaue ein, »man will ihn schon sogar drüben in Viktoria gesehen haben. Der wird sich nicht wieder in Arkansas blicken lassen.«

»Hat denn der Indianer den Prediger wirklich verbrannt?« fragte der Kaufmann aus Helena immer noch zweifelnd. »Allerdings stand es hier in allen Zeitungen; aber ich habe es nie glauben wollen. Wie hätten die Gesetze nur je so etwas zugelassen!«

»Die Gesetze – pah« – rief der Blaue verächtlich, »was können denn die Gesetze machen, wenn das Volk seinen eigenen Kopf aufsetzt? Die Gesetze sind für alte Weiber und Kinder, die sich von jedem Tintenkleckser ins Bockshorn jagen lassen. Wer sich hier nicht selbst beschützt, dem können die Gesetze auch keinen Pappenstiel helfen.«

»Da bin ich doch ganz anderer Meinung«, sagte der Farmer. »Die Gesetze gerade sind es, die unsere Union auf den Stand gebracht haben, auf dem sie jetzt steht, und jedes guten Bürgers Pflicht ist es, sie aufrechtzuerhalten. Daß es freilich manchmal in der Wildnis Strecken gibt, auf die sie ihren wohltätigen Einfluß noch nicht auszuüben imstande sind, glaube ich auch, und gewaltsame Handlungen erfordern dann gewaltsame Mittel. Sonst aber sollte es für einen Bürger der Union nichts Heiligeres geben als gerade die Gesetze; denn sie allein sind ihm die Bürgen seiner Freiheit. Doch Gentlemen, es wird spät, und ich möchte noch gern vor Dunkelwerden hinauf zu Colbys; – also gute Nacht! – In einigen Tagen komme ich wieder hier vorbei, und dann, Broadly«, wandte er sich an den Kaufmann aus Helena, »können wir auch den Handel abschließen, denke ich. Ich habe nur noch einige alte Schulden dort oben zu bezahlen; so viel Geld bleibt mir aber wahrscheinlich noch. Also good bye!« Mit diesen Worten zahlte er an der Bar seine kleine Rechnung, ließ sich die Satteltasche wieder herausgeben, legte sie über den Sattel seines ungeduldig scharrenden Braunen, stieg auf und trabte, noch einmal herübergrüßend, die Elmstreet hinab in den Wald, der das Städtchen begrenzte.


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