Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 35

Waren Mr. und Mrs. Dayton schon über den wilden Ritt Adeles erstaunt gewesen, so beobachteten die gegenwärtigen Insassen des ›Grauen Bären‹ mit kaum geringerem Interesse die sich in ihrer unmittelbaren Nähe ereignenden Vorgänge. Galt diese scheinbare Verfolgung des einen, den sie durch die Büsche nicht erkennen konnten, ihrer Sache, oder hatte die Begegnung so vieler Menschen auf der Countystraße nur zufallig stattgefunden? Ihr böses Gewissen machte sie zittern, und vor allem stand Sander, als er unter den Männern Adele erkannte, mit bleichem Antlitz und ängstlich pochendem Herzen oben an dem kleinen, im zweiten Stock befindlichen Fenster, um von da aus sowohl die Vorgänge auf der Straße zu übersehen, als auch, falls ihm wirklich Gefahr drohte, augenblicklich zu wissen, nach welcher Richtung hin er sich am besten retten könne.

Was hatte Adele Dunmore hier so allein zwischen die fremden Männer geführt, und wer war es, der dort in tollen Sätzen durch den wildverwachsenen Wald davonsprengte? Einzelne dichtbelaubte Hickories verstatteten ihm nicht, den ganzen Schauplatz zu übersehen, aber nur um so mehr fühlte er sich beunruhigt, da ihm das wenige, das er erkennen konnte, so rätselhaft schien. Da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich von der Straße abgezogen, denn einer der Fremden kam rasch auf das Haus zu. Sander war noch im Zweifel, wer er sein könne, denn die Männer trugen fast alle Strohhüte, und von oben herunter entzog ihm der breite Rand das Gesicht. Da öffnete sich die Haustür und ließ den Klopfenden ein; er gehörte also auf jeden Fall zu den Freunden; Thorby hätte ihm sonst niemals den Eintritt verstattet, und rasch sprang der junge Verbrecher die Stufen hinab, um zu hören, was jener bringe.

Es war Porrel selbst, der hierherkam, um den Auftrag ihres Führers auszurichten und den Kameraden rasch zu melden, was in Helena geschehen, welcher Gefahr sie ausgesetzt gewesen waren und welche Vorkehrungen man dagegen getroffen, und welchen Plan vor allen Dingen Kelly entworfen habe, um nicht allein ihre Flucht zu sichern, sondern auch zugleich Rache an den Feinden zu nehmen.

»Aber, beim Teufel«, rief da Sander ärgerlich aus, »weshalb kommt der Kapitän nicht einmal selber hierherauf? Er weiß doch, was er mir versprochen hat und weshalb ich mich jetzt in der Stadt nicht gut sehen lassen darf. Wenn die ganze Sache wirklich auseinanderbricht, was tatsächlich mit jedem Augenblicke geschehen kann, dann sitzen wir nachher fest auf dem Sande, während er sehr behaglich im Trüben fischt und angelt oder doch auf jeden Fall seine eigene wertgeschätzte Person in Sicherheit zu bringen weiß.«

»Habt keine Angst«, beruhigte ihn lachend Porrel, oder Toby, wie er gewöhnlich der Kürze wegen von den Kameraden genannt wurde, »glaubt ja nicht, daß Ihr, wenn es wirklich an den Kragen ginge, beim letzten Tanze fehlen sollt. Ihr, die ihr euch jetzt noch versteckt halten müßt, bleibt in dem Chickenthief, mit dem ihr nun so schnell wie möglich unter die Helenalandung hinabfahrt, ruhig liegen. Gelingt unser Plan und gehen wir mit den Bewaffneten von Helena wirklich gemeinschaftlich auf das Dampfboot, dann setzt ihr eure Segel, und mit diesen und etwas Rudern könnt ihr, wenn auch nicht mehr zum Kampf, doch auf jeden Fall noch zur Einschiffung kommen. Gelingt er aber nicht, müssen wir, was ich uns übrigens nicht wünschen will, schon in Helena zuschlagen, so sind vier schnell hintereinander abgefeuerte Schüsse das Signal. Dann ist alles entdeckt, und nur Gewalt kann uns befreien; in dem Fall zögert aber auch nicht, wenn ihr nicht abgeschnitten werden wollt. Die Maske haben wir nachher überhaupt abgeworfen, und ihr braucht euch nicht länger zu scheuen, ans Licht zu treten.«

»Ich für meinen Teil wollte fast, es wäre soweit«, brummte Sander; »meines Bleibens ist hier nicht mehr, und ein Glück war's nur, daß sie in Helena den verwünschten Hosier verhafteten; der hätte mich sonst in eine böse Patsche bringen können. Was wolltet ihr mit dem Burschen, der da so merkwürdig eilig durch den Wald sprengte?«

»Das war James Lively«, erwiderte Porrel, »der hier im Kieferndickicht auf der Lauer gelegen und dieses Haus beobachtet haben muß.«

»Nun, da habt ihr's«, rief Sander erschreckt, – »das sind die Folgen dieses verdammten Zögerns, und wir, die wir unsere eigenen Physiognomien des allgemeinen Besten wegen haben müssen verdächtigen lassen, werden wohl noch zum guten Ende, während ihr anderen frei durchbrennt, in einer sauber gedrehten Hanfschlinge ans Licht gezogen werden. Tod und Verdammnis, so ganz in die Hände dieses Kelly gegeben zu sein!«

»Nun, das hat die längste Zeit gedauert«, beruhigte ihn Porrel; »dort kommt auch das Boot schon. Jetzt zu Schiffe, ihr Herren; James Lively wird, wenn er so schnell zurückkehrt wie er gegangen ist, die Hinterwäldler bald genug hier versammelt haben, dann laßt sie das leere Nest finden, und wir ziehen unterdessen in Helena unsere Mannen zusammen. Sind Eure Sachen gestern abend noch hinunter auf die Insel geschafft worden, Thorby?«

»Nein, gestern abend nicht; wer, zum Teufel, sollte denn bei dem Nebel fahren?« erwiderte der Gefragte. »Aber heute morgen hab ich sie abgeschickt; auf jeden Fall treffen wir sie dort, bis wir selbst hinunterkommen.«

»Sollen wir denn aber so offen aufs Boot gehen?« fragte Sander. – »Wenn nun noch irgendein Halunke hier versteckt läge und nachher in Helena unsern Schlupfwinkel verriete?«

»Da, hängt die Decken über!« sagte Thorby. – »Sie mögen euch für Indianer halten. Und nun rasch; mir ist's, als ob ich schon Hufschläge hörte.«

Die Männer stiegen ohne weiteres Zögern in das dicht am Flatboot liegende kleine Segelboot hinunter, und Porrel eilte, von mehreren der Leute aus dem ›Grauen Bären‹ begleitet, schnellen Schrittes nach Helena zurück.

Währenddessen hatte sich Jonathan Smart, der von dem Virginier die näheren Umstände über Cooks Verhaftung rasch erfragte, ohne Zögern mit diesem auf den Weg gemacht, um den Richter selbst darüber zur Rede zu stellen. Der war aber nirgends zu finden, und der Konstabler erklärte, die angebotene Bürgschaft ohne dessen Bewilligung auf keinen Fall annehmen zu können.

Dagegen ließ sich nicht wohl etwas einwenden, das wußte Smart gut genug, und obgleich der Virginier höchst entrüstet schwor, er habe unmenschliche Lust, der ehrsamen Gerichtsbarkeit in Helena Arme und Beine zu zerschlagen, so hatte er doch an diesem Morgen selber gesehen, daß er sich mit denen, die gleichgesinnt waren, bedeutend in der Minderheit befinde, und machte deshalb für den Augenblick seinem gepreßten Herzen nur in einer unbestimmten Anzahl von Kernflüchen und Verwünschungen Luft.

Die beiden Männer waren mittlerweile langsam die Straße hinab und dem Gefängnis zugegangen, dem gegenüber vor der seligen Mrs. Breidelford Hause sich noch immer einzelne Bootsleute und Kinder aus der Nachbarschaft herumtrieben, wenn auch die festverschlossenen Türen jeden ferneren Eintritt versagten. Da wurden sie plötzlich aus einem der oberen Gefängnisfenster mit einem »Boot ahoi!« begrüßt, und Smart, der im Anfang glaubte, es sei Cooks Stimme, erstaunte nicht wenig, hier auch seinen Freund von gestern, den jungen Indiana-Bootsmann zu treffen. Es war derselbe, der ihm das junge Mädchen gebracht hatte und den er schon lange, weil er sich gar nicht wieder hatte sehen lassen, stromab vermutete.

»Hallo, Sir!« rief er erstaunt aus. »Was, zum Henker, macht denn Ihr hier hinter den Eisenstäben? Potz Zwiebelreihen und Holzuhren! Was ist denn auf einmal in den Richter gefahren? Der war doch sonst nicht so bei der Hand mit Leuteeinsperren.«

»Gott weiß, auf welches Schurken Anklage ich hier sitze«, rief der junge Matrose; – »der Halunke hat sich nicht wieder sehen lassen, und wie es scheint, bekümmert sich gar niemand um uns hier. Ist denn das ein freies Land, wo man die Bürger ohne weiteres in ein Loch wie dieses hier werfen und dann auch ruhig darin steckenlassen darf?«

»Aber weshalb sitzt Ihr denn?« fragte Smart erstaunt.

»Gentlemen«, mischte sich da ein Fremder – Smart hatte ihn wenigstens früher noch nie in Helena gesehen – in das Gespräch, »derlei Unterhaltungen dürfen hier nicht stattfinden. Ein Freund von mir hat den Mann da verklagt, und der Konstabler hat verboten, daß jemand zu ihm gelassen werde.«

»Schlagt doch dem einmal eins auf den Kopf, Smart!« rief Tom von oben herunter. – »Ich bin Euch auch wieder einmal gefällig.«

»Mein lieber Sir«, sagte der Yankee ruhig, ohne jedoch dem Gefangenen diesen kleinen Dienst zu erweisen, »es wäre für Sie gewiß höchst vorteilhaft, glaube ich, wenn Sie sich um Ihre eigenen Geschäfte kümmern wollten. Ich meinesteils wenigstens bin keineswegs –«

»Das sind aber meine Geschäfte, Sir«, fiel ihm der andere trotzig ins Wort, und von der entgegengesetzten Straßenreihe zogen sich nach und nach einzelne Männer herüber. »Ich bin ganz besonders hierhergestellt, um derlei Unterhaltungen zu verhindern, und verbiete sie hier ein für allemal.«

»– geneigt, mir von irgendeinem Fremden Vorschriften machen zu lassen«, fuhr Smart fort. Der Virginier aber, dem die Galle schon gleich bei der ersten Anrede gekocht hatte, trat ohne weitere Worte vor, warf seine Jacke ab, streifte die Ärmel auf und bat Smart, das Gespräch nur ruhig fortzusetzen, denn er wolle verdammt sein, wenn er dem ›Breitmaul‹, wie er sagte, nicht den Rachen stopfe, sobald er seinen Bug nur noch ein einziges Mal hier einschiebe.

»Ruhe hier, Gentlemen, da drüben liegt eine Leiche!« riefen jetzt andere, die hinzutraten. »Pfui, wer wird sich schlagen und raufen vor dem Totenhause!«

»Ich, wenn ihr's wissen wollt«, rief trotzig der Virginier, »ich, sobald ich die Ursache dazu bekomme, und vor der da drüben brauche ich noch lange keine Ehrfurcht zu haben. Verdient hat sie, was ihr geworden ist, und das hundertfach; – mich hat sie zum Beispiel betrogen, daß mir die Augen übergegangen sind.«

»Ei, so dreht doch dem lügnerischen Schuft den Hals um!« rief da ein anderer aus der sich jetzt mehr und mehr sammelnden Volksmenge heraus, und als sich der Virginier rasch nach ihm umwandte, begegnete er lauter kampflustigen Gesichtern, unter denen er seinen Angreifer nicht herausfinden konnte.

»Heilige Dreifaltigkeit, – wenn ich doch jetzt unten wäre!« wünschte sich Tom aus dem Fenster hinaus; aber Smart, der über solche Feigheit einer Mehrzahl gegen den einzelnen aufs tiefste empört war, wandte sich gegen die Menge und rief, den langen Arm mit der keineswegs unbeträchtlichen Faust gegen sie ausstreckend: »Fellows! – Denn Gentlemen kann man euch Lumpengesindel nicht mehr nennen –, feiges, erbärmliches Pack, das sich nicht schämt, in Masse gegen einen aufzustehen! – Amerikaner wollt ihr sein? – Niederträchtiges Halbbrutzeug seid ihr, das man in Neu-England bei den –«

»Hurra für Smart!« tobte jubelnd der Haufe, der durch diesen derben Ausfall des sonst so ruhigen und gleichmütigen Wirtes mehr ergötzt als gereizt wurde. »Hurra für den Yankee! – Bringt einen Stuhl, – einen Tisch herbei; – Smart soll auf den Tisch! Eine Rede halten! Smart soll reden! Hurra für Smartchen!«

»– Beinen aufhängen würde«, überschrie Smart, jetzt wirklich in Wut gebracht, den Haufen. »Bande verdammte! Flußwassersaufendes Piratenvolk, das ihr seid – einer und alle. – Eure Väter haben ihr Blut für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes vergossen und ihr, Schandbuben, wegelagert jetzt in demselben Land und bringt Schimpf und Schmach auf die Gräber eurer Eltern, auf euer Vaterland. Aber ihr habt gar kein Vaterland; – ihr seid vogelfrei; Wasserratten seid ihr, die man mit Gift ausrotten sollte, daß die Erde von solcher Brut befreit würde.«

»Bravo, Smart, bravo!« jubelte es ihm von allen Seiten entgegen, und der Virginier stand mit halb erhobenen Fäusten und schien sich jetzt wirklich nur ein Gesicht auszusuchen, in das er seinen Arm zuerst hineinstoßen konnte.

Es wäre am Ende doch noch zu Tätlichkeiten gekommen, und wer weiß, wie weit nachher der Übermut des Pöbels geführt hätte, als der Konstabler zwischen die Männer trat und ernstlich und nachdrücklich Ruhe gebot. Smart mußte aber noch keine Lust haben, dem Rufe Folge zu leisten; denn es sah aus, als ob er eben wieder mit frisch gesammelten Kräften gegen die ihn umgebenden feixenden Gesichter einen neuen Anlauf nehmen wollte. Da besann er sich wahrscheinlich eines Besseren, warf noch einen verächtlichen Blick über die rohe Schar, schob plötzlich und ohne vorherige Warnung beide Arme fast bis an die Ellbogen in seine tiefen Beinkleidertaschen hinein und schritt pfeifend die Straße hinab. Dabei gaben ihm übrigens alle willig Raum; denn sie hatten den Yankee schon früher als einen entschlossenen und, wenn er gereizt war, auch gefährlichen Mann kennengelernt, mit dem wenigstens kein Einzelner Streit auf eigene Faust beginnen durfte.

Der Konstabler, der indessen mit ernsten, aber zugleich freundlichen Worten die wilde Schar zu beruhigen versuchte, teilte dabei dem Virginier mit, er habe schon mit einem hiesigen Kaufmann gesprochen, der sowohl für Cook als auch für James Lively Bürgschaft leisten wolle, und Mills verschwor sich hoch und teuer, das sei der einzige vernünftige Mensch in ganz Helena, und er wolle verdammt sein, wenn er von jetzt an bei irgend jemand anderem als bei ihm seinen Tabak kaufe.

Als Porrel die Stadt wieder betrat, fand er den Richter, der ihn ungeduldig an der Dampfbootlandung erwartet zu haben schien. »Alles besorgt!« rief ihm der Sinkviller entgegen und deutete auf den Strom hinaus, über dessen Fläche eben mit geblähten, schneeweißen Segeln, den scharfen Ostwind in die straff gespannten Arme fassend, das kleine, schlankgebaute Fahrzeug heranglitt und seine Bahn gerade dem Platze zu zu nehmen schien, auf dem sie standen. »Der Kahn dort birgt unsere Musterexemplare, für die wohl Arkansas einen ganz hübschen Eintrittspreis geben würde, um sie nur sehen zu dürfen. Wir können jetzt alle Augenblicke losschlagen.«

»Ja«, sagte der Richter und schaute finster vor sich nieder, »und uns hier, und was wir in unserer Nähe haben, bringen wir in Sicherheit; – andere aber, die wir zurücklassen, sind verloren. – Wir können nicht fort.«

»Alle Teufel!« rief Porrel erschreckt. »Das wäre ein schöner Spaß! – Der junge Lively ist, durch Eure Verwandte gewarnt, entflohen, und wir werden die ganze Waldbande in kaum einer Stunde auf dem Halse haben. Längerer Aufschub ist bei Gott nicht mehr zu erhalten. Wer fehlt denn jetzt noch?«

»Eben bekam ich einen Brief aus Memphis«, sagte der Richter; »ein reitender Bote hat ihn durch die Sümpfe gebracht. – Drei von unseren Kameraden befinden sich da oben in größter Gefahr, und ganz allein nur mein Erscheinen dort kann sie retten, wenn überhaupt.«

»Wegen der drei darf doch nicht das Ganze zugrunde gehen!« rief Porrel unwillig.

»Nein«, sagte der Squire; »aber unsere Pflicht ist es, für sie, solange das noch in unseren Kräften steht, wenigstens einen Versuch zu machen.«

»Doch wie?«

»Porrel, – Ihr kennt unsere Pläne und wißt, daß ihr Gelingen ganz in unsere Hände gegeben ist. Kann ich mich auf Euch verlassen? Wollt Ihr die Unseren führen? Jetzt in den leichten Kampf und nachher der Freiheit entgegen? Wollt Ihr die Beute an Bord des Dampfbootes schaffen, die Gelder, die Euch Georgine bei Vorzeigung dieses Ringes übergeben wird, in Verwahrung nehmen und bis dahin, wenn ich Euch an dem verabredeten Orte in Texas treffe, halten, oder – wenn ich unterginge – verteilen?«

»Was habt Ihr vor?« fragte Porrel erstaunt. »Ihr wollt nicht mit?«

»Ich allein kann die, deren Sicherheit bisher meine Pflicht war, noch retten«, fuhr Dayton fort, ohne die Frage direkt zu beantworten; »noch hat niemand eine Ahnung, wer ich sei oder daß ich überhaupt in solcher Verbindung stand. Dieses Dampfboot geht in wenigen Minuten stromauf. – Heute abend schon bin ich in Memphis; morgen kann der Rest der Unseren auf dem Weg nach Texas sein.«

»Und was nützte das?« erwiderte Porrel. »Hunderte sind noch oben in den verschiedenen Flüssen und Flußstädten verteilt, – die alle müssen dann zurückbleiben, und haben sie nicht dasselbe Recht wie jene in Memphis?«

»Saht Ihr, wie heute morgen der alte Baum gefällt wurde, der hier am Ufer stand?« fragte ihn Dayton.

»Ja, was hat der mit der Frage zu tun?«

»Er ist allen stromabkommenden Booten das Wahrzeichen vom Bestehen der Insel«, entgegnete ihm der Richter. »Sehen sie den Stamm nicht mehr, so wissen sie, daß die Inselkolonie entweder untergegangen oder es für jetzt doch nicht möglich ist, dort zu landen, und fahren vorüber.«

»Hm – verdammt vorsichtig!« brummte Porrel und blickte halb überzeugt, halb mißtrauisch den Gefahrten an. Es war ein eigener Verdacht, der in ihm aufstieg. – Wollte der Kapitän sie im entscheidenden Moment verlassen? Des Richters Aussehen bestätigte das alles, und er sagte: »Hört, – Squire, – soll ich das, was Ihr mir da eben mitteilt, den Leuten erzählen, wenn sie nach Euch fragen, und wollt Ihr mir offen sagen, was Ihr vorhabt, oder – ist die Geschichte für mich mit erdacht?«

Der Squire sah ihn einen Augenblick unschlüssig zögernd an, dann streckte er dem Freunde rasch die Hand entgegen.

»Nein«, rief er, »nicht für Euch, Porrel; Euch werde ich die lautere Wahrheit sagen. Ich will fort, will dieses Leben, will diese Schar verlassen. Ihr, Porrel, mögt der Vollstrecker meines letzten Willens – mein Erbe sein!«

»Und Euer Weib nehmt Ihr mit?« fragte der Mann aus Sinkville. Der Squire nickte schweigend mit dem Kopfe.

»Aber Georgine? –«

»Lest den Brief!« sagte dumpf der Richter. Porrel nahm das Schreiben und überflog es rasch.

»Eifersucht!« sagte er lächelnd. – »Blinde Eifersucht! – An?« – Er drehte, um die Anschrift zu lesen, das Papier herum. »Ha, da sind Blutflecken, mit einem Tuche verwischt. Wer hat dieses Schreiben so rot gesiegelt?«

»Der Träger«, entgegnete Dayton finster; »doch wie dem auch sei, nie will ich sie wiedersehen; aber sie soll auch nicht darben. Hier, dieses Paket übergebt ihr von mir.«

»Also, Ihr habt fest beschlossen –«

»Fest, Porrel, fest, und Euch, – wenn Ihr meine Bitte treu erfüllt, die Leute in Sicherheit bringt und die Beute redlich unter sie teilt, sei mein Anteil bestimmt; genügt Euch das?«

»Der ganze Anteil?« fragte erstaunt der Advokat. – »Mann, wißt Ihr auch, welche Reichtümer wir besonders in letzter Zeit erübrigt haben?«

»Wohl weiß ich es«, flüsterte mit abgewandtem Antlitz der Richter, – »es ist das Eure. – Wer von den Unseren nach mir fragen sollte, dem sagt, zu welchem Zweck ich mit diesem Boot und wohin ich mit ihm gegangen bin. Doch jetzt beruhigt die Leute da oben; ich höre noch immer den wilden Lärm und Zank. Die Burschen sind doch unverbesserlich und nicht im Zaume zu halten, auch nicht, wenn ihnen Tod und Henker schon vor Augen ständen. Good bye, Porrel, ich gehe jetzt hinauf, um mein Weib zu holen. Glück zu! Der beste Wunsch, den ich für Euch habe, ist: Texas und den Golf hinter Euch!«

Adele war inzwischen rasch die kurze Strecke zum Union-Hotel getrabt, um Mrs. Smarts Sattel zurückzubringen. Dort fand sie aber das ganze Haus wie ausgestorben; der einsame Barkeeper schaukelte sich in der Veranda auf den Hinterbeinen seines Stuhles, Madame war, wie Scipio sagte, zu Squire Daytons, Mr. Smart selbst mit dem Virginier fortgegangen und er, Scipio, wußte nun – wie er meinte – vor Langeweile nicht, ob er seine gewöhnliche Arbeit besorgen oder hinter den anderen hergehen solle.

»Ist Mrs. Smart schon lange drüben?« fragte Adele, während der Neger den Sattel abnahm und den Zügel des Pferdes über das Reck warf.

»Nein, Missus«, lautete die Antwort, – »gar noch nicht lange. – Golly Jesus, Missus hat ja das Pferd verwechselt! – Nancy war hier, – ist, bei Jingo, Mr. Livelys Pony; – fremde Missus soll recht krank geworden sein.«

»Marie?« rief Adele erschreckt. »Armes, armes Kind; aber ich bin gleich bei dir. Ach, Scipio, weißt du nicht, ob Squire Dayton zu Hause ist; ich muß ihn augenblicklich sprechen.«

»Steht unten am Wasser, Missus«, sagte Scipio, »gleich unten, wenn Ihr hier die Straße hinuntergeht – Ihr könnt gar nicht fehlen; er müßte denn wieder weggegangen sein.«

»Scipio«, sagte Adele, »willst du mir die Liebe tun und einmal hinunterlaufen und ihn bitten, er möchte doch – oder nein, – ich will lieber selber gehen – Scipio, nicht wahr, du begleitest mich an den Fluß. Eine solche Menge fremder Bootsleute ist heute in der Stadt, ich fürchte mich fast, allein zu gehen.«

»Großer Golly«, sagte Scipio und schüttelte bedenklich mit dem Wollkopfe, »geht heute merkwürdig wild in Helena zu. – Dies Kind hier« wenn er von sich selber sprach, nannte sich Scipio immer gern mit diesem allerdings für ihn etwas zu jugendlichen Beinamen, »dies Kind hier hat noch keine solche Wirtschaft gesehen. – Wundert mich, daß der Leichendoktor noch nicht da ist –«

»Willst du mit mir gehen, Scipio?«

»Be sure, – Miß, be sure, – Scipio geht immer mit!« Und der Afrikaner drückte sich seinen alten, abgegriffenen Strohhut noch fester in die Stirn, hob sich, nach Matrosenart, den Bund ein wenig, streckte erst das rechte, dann das linke Bein und gab nun durch eine kurz abgeknickte Verbeugung der jungen Dame zu verstehen, daß seine Toilette beendet und er vollkommen bereit sei, zu folgen, wohin sie ihn führen würde.


 << zurück weiter >>