Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 16

Langsam zogen die Männer mit ihrer traurigen Last heimwärts, Livelys Farm wieder zu. Übrigens waren sie von dieser gar nicht so weit entfernt, da, wie schon gesagt, der Hügel, welchem die Flüchtigen gefolgt, einen ziemlich starken Bogen machte. – Der Mulatte lag fast während der ganzen Zeit besinnungslos in der Decke, und nur manchmal, wenn eines der Pferde auf dem rauhen Boden einen Fehltritt tat, zuckte er zusammen und stieß einen Schmerzenslaut aus. Als sie sich der Farm näherten, hielten sie, um vor allen Dingen zu beraten, auf welche Art sie den Verwundeten am besten zum Hause brächten, ohne die Frauen dabei zu sehr zu erschrecken. Sander erbot sich zwar voranzureiten, Cook meinte aber, es wäre besser, wenn das einer von der Familie täte, und zwar niemand anderes als der alte Lively, da er selbst mit seinem blutigen Gesicht sie vielleicht noch mehr erschreckt hätte. Der Alte war damit auch vollkommen einverstanden, schulterte seine Büchse und wollte eben zu Fuß vorauswandern, als ihm Sander sein Pferd anbot, das er auch bestieg und nun rasch damit seinem eigenen Hause zutrabte. Unterwegs zerbrach sich aber James Lively senior gewaltig den Kopf, wie er es am klügsten anfange, die Frauen gleich von vornherein so zu beruhigen, daß sie nicht einmal erschräken, sondern augenblicklich wüßten, es wäre alles glücklich abgelaufen. Jene hatten nämlich noch vor dem Aufbruch der Männer gehört, daß die Diebe nicht unbewaffnet geflohen seien, was es denn auch außer allen Zweifel setzte, sie würden sich nur nach verzweifelter Gegenwehr gefangennehmen lassen. So gut und brauchbar nun aber auch der alte Mann im Walde oder überhaupt da sein mochte, wo es galt, kaltes Blut und eine mutige Stirn zu zeigen oder den Weg durch bahnlose Wildnisse zu finden, so sehr fühlte er sich hier außer seiner Sphäre, und es kostete ihn nicht geringe Mühe, eine nur irgend haltbare Anrede herauszuklügeln. Endlich war er jedoch damit im reinen und beschloß, ihnen vor allen Dingen zu sagen, daß sie sämtlich wohl und unverletzt seien, ihm auf dem Fuße folgten, den einen der Diebe gefangen brächten und den anderen ebenfalls noch vor Abend einzufangen gedächten. Damit mußte er sie vollständig beruhigen, und hierüber mit sich selbst einig, preßte er auch dem munteren Tierchen, das er ritt, die bloßen Hacken kräftig in die Seite denn der alte Mann ging wie immer barfuß und sprengte in kurzem Galopp den Hügel schräg hinab, an dessen Fuß er schon das helle Dach seines kleinen Hauses erkennen konnte. Die Frauen schienen aber die Rückkunft der Männer mit größerer Angst und Sorge erwartet zu haben, als diese vielleicht selbst glauben mochten; denn daß es einen ernsten Kampf galt, bewies ihnen schon der Umstand, daß sie alle nur vorhandenen Waffen mitgenommen hatten. Es ließ sich ja wohl denken, wie bei so ernster Verfolgung ernster Widerstand zu fürchten wäre. Diese Furcht wurde noch vermehrt, als sie jetzt den alten Mann allein zurückkehren sahen, und obgleich eine die andere beruhigen wollte, so eilten sie ihm doch sämtlich und in aller Hast entgegen, um das Schlimmste, was er sagen konnte, sogleich aus seinem eigenen Munde zu hören.

»Lively – um Gottes willen, was ist vorgefallen?« rief seine Frau und mußte sich an dem Türpfosten halten, um nicht in die Knie zu sinken. – »Wo – wo ist James?«

»Wo ist Cook, Vater? – Wo ist mein Mann?« rief die Tochter, eilte zum Pferde und ergriff des Vaters Hand. – »Wo habt Ihr, – großer, allmächtiger Gott, – hier ist Blut an Eurem Fuß, und hier auch – an Knie und Schenkel, – auch Eure Hand ist blutig! – Wo, um des Heilands willen, ist mein Mann?«

»Wo ist James, – wo ist der Fremde? Was ist mit den Dieben geschehen?« riefen erschreckt auch Mrs. Dayton und Adele.

Der alte Lively, der so von allen Seiten in einem Anlauf bestürmt wurde, daß er gar nicht zu Worte kam, vergaß natürlich auch jede Silbe von dem, was er zur Beruhigung der Frauen hatte sagen wollen, und vermehrte durch sein bestürztes Schweigen und Umherstarren nur noch die Angst und das Entsetzen der Frauen. Endlich aber, als ihm diese nur einen Augenblick Zeit gaben, seine Gedanken zu sammeln, fühlte er selbst, daß jetzt eine Antwort unumgänglich nötig sei, hielt sich aber, da ihm jeder weitere Faden abgerissen war, fest an die letzte Frage und stotterte nur, indem er dabei ein höchst beruhigendes Gesicht zu machen versuchte und in einem fort mit dem Kopfe schüttelte: »Er ist noch nicht tot – sie bringen ihn!«

»Wen? Um aller fünf Wunden unseres Heilands willen!« – schrien die beiden Frauen wie aus einem Munde, während Adele leichenblaß wurde und krampfhaft der Schwester Arm erfaßte. »Wen, Mann? – Wen bringen sie? – Wo ist James? Wo ist Cook?«

»Hinter dem anderen her!« rief der alte Lively jetzt, durch die vielen Fragen total verwirrt. – »Er kommt mit dem einen, den wir durchs Bein geschossen haben.«

»James?« rief die alte Dame.

»Cook?« stöhnte dessen Frau.

»Unsinn«, brummte aber jetzt der Alte, dem allmählich siedendheiß wurde. – »Der Mulatte. – Herr Jesus, Weiber, macht einen nicht toll! – James und Cook sind beide so gesund wie ich. – Cook hat sich die Nase ein wenig wundgeschlagen; – den Mulatten haben sie geschossen; der andere ist entflohen, und James ist auf der Fährte geblieben. – Vater Unser, der du bist im Himmel! – Ihr fragt ja, daß es einem wie mit Kübeln den Rücken hinunterläuft.«

»Beruhigen Sie sich«, sagte Mrs. Dayton jetzt, indem sie die alte Frau unterstützte, »es ist keiner unserer Freunde verwundet; sie haben nur einen der Diebe gefangen, den sie nach Hause bringen.«

»Aber was in aller Welt erschreckst du uns da nur so!« rief mit vorwurfsvollem Tone die alte Frau.

»Ach, Vater«, beteuerte auch Mrs. Cook, »die Angst bekomme ich in vier Wochen nicht wieder aus den Gliedern!«

»Na, das ist eine schöne Geschichte«, brummte der Alte in komischer Verzweiflung, – »ich werde mit bester Absicht vorausgeschickt, um gleich als persönliches Beispiel zu dienen, daß sich alle wohl befinden, und springe nun gerade mit beiden Füßen ins Porzellan hinein. Aber besser noch so als so. Sie sind alle wohl, – Cook und Hawes werden gleich hier sein; – Bohs ist aber mit Cooks James – Heiland der Welt, man verliert hier noch das bißchen Verstand! – James ist mit Cooks Bohs, – nein, doch nicht – der Hund wollte nicht mit – dem weißen Dieb nach und wird wohl nicht eher wiederkommen, bis er ihn selber bringt oder doch genaue Kunde sagen kann, wohin er sich gewendet hat.«

Der alte Mann mußte jetzt umständlichen Bericht über das Geschehene abstatten; denn als er in der Nacht die Gewehre holte, hatte er ihnen nur flüchtig sagen können, daß jemand gestohlen habe, dem sie nachsetzen wollten. Diesem Bericht schloß sich aber eine von dem alten Lively bis dahin noch gar nicht bemerkte Person an, die erst diesen Morgen eingetroffen war und noch beim nachträglich bereiteten Frühstück saß, als die beiden Frauen dem Botschafter entgegeneilten. Dieses Individuum war aber niemand Geringeres als Doktor Monrove oder der Leichendoktor, wie ihn die Hinterwäldler nannten, der jetzt noch, zwischen Hunger und Neugier schwankend, mit einem halb abgenagten Truthahnknochen in der einen und einem Stück braungebrannten Maisbrots in der andern fettigen Hand, zu den Frauen trat und mit stetig wachsendem Interesse hörte, daß ein Mann verwundet, gefährlich verwundet sei und sogar hierhergeschafft werden würde.

»Bester Mr. Lively –« wandte er sich jetzt an den Alten.

»Ach, Leich – Doktor Monrove«, sagte Lively, während er sich erstaunt und vielleicht auch erschreckt nach dem sonst gern gemiedenen Mann umblickte. Erzählten sich doch die Landleute überhaupt schon von ihm, er wittere eine Leiche so weit wie ein Turkey-Bussard, – »Ihr kommt apropos – und könnt hier gleich Eure Kunst zeigen und herausfinden, ob einem armen Teufel noch zu helfen ist, dem das Tageslicht an mehr als einer Stelle durch die Haut scheint. Aber da kommen sie wahrhaftig schon! – So mögt Ihr gleich mit anfassen. Alte, wo wollen wir ihn denn hinlegen?«

»Ach, du lieber Gott!« sagte die alte Dame. – »Hier ins Haus soll er?«

»Nun, wir dürfen –«

»Nein, nein, du hast recht; es ist auch ein Mensch so gut wie wir, wenn auch ein sündhafter, den Gott gestraft hat. Ja, da weiß ich aber meiner Seele keinen Rat weiter, als ihr müßt ihn in Cooks Haus schaffen, und ihr anderen zieht, bis er transportiert werden kann, zu uns herüber. – Ach, beste Mrs. Dayton, daß Sie gerade zu so unglücklicher Zeit zu uns kommen mußten, und wir hatten uns alle so auf Sie gefreut.« Mrs. Dayton wollte sie nun zwar hier beruhigen, es blieb ihnen aber keine Zeit mehr; denn die kleine Kavalkade hielt in diesem Augenblicke vor dem Tor, und Cook und Sander an der einen und Doktor Monrove und der alte Lively auf der andern Seite trugen den Verwundeten langsam und so vorsichtig wie möglich in dieselbe Tür hinein, aus der er in voriger Nacht so schlau entwichen war.

Der Mulatte stöhnte, als er die Augen aufschlug.

Doktor Monrove hatte indessen auf des Alten Anfrage nur unzusammenhängende und diesem vollkommen unverständliche Worte erwidert, denn er nannte ihm in aller Geschwindigkeit eine Masse von Brüchen, Quetschungen und Hieb-, Stich- und Schußwunden, deren Auswirkungen er ungemein gern an irgendeinem menschlichen Wesen beobachtet hätte. Er schien die Zeit kaum erwarten zu können, wo er imstande war, die Verwundungen des Unglücklichen zu untersuchen. Er versicherte auch ein über das andere Mal, es sei der glücklichste Zufall von der Welt, der ihn hier zu so guter Stunde hergeführt habe. Auf Sanders Frage endlich, ob er wohl glaube, daß der Mann sein Bewußtsein wiedergewinnen könne, antwortete er, sich freudig dabei die Hände reibend: »Ei gewiß, gewiß – soll mir noch zwei, drei Tage leben; hoffe ihn zu trepanieren und am rechten Arme wie rechten Beine zu amputieren.«

»Zu was?« fragte der alte Lively erstaunt.

»Lassen Sie mich nur machen, bester Herr«, erwiderte der kleine Mann, ohne die Frage weiter zu beachten, in größter Geschäftigkeit, »lassen Sie mich nur machen. – Hier am Feuer, Gentlemen, wird wohl der beste Platz sein, sein Lager zu bereiten. Ein paar wollene Decken genügen. – Verlange nichts weiter für meine Mühe, Gentleman, als die Leiche. Werden mir wohl ein Pferd borgen, um sie nach Helena zu schaffen. – Ein alter Sack genügt; – schneide sie auseinander.«

Der alte Lively drückte sich leise aus dem Zimmer; ihm fing es an in der Gesellschaft des kleinen Mannes unheimlich zu werden, und selbst Cook wäre ihm gern gefolgt, wenn nicht noch einige zu treffende Anordnungen seine Gegenwart erheischt hätten. Sander, der eine Zeitlang sinnend und ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln an dem Schmerzenslager des Mulatten stand, beobachtete aufmerksam den Zustand des Verletzten und erklärte endlich, als dieser matt die Augen wieder aufschlug, bei ihm bleiben zu wollen. In jedem andern Falle hätte nun Cook das vielleicht nicht einmal zugelassen, hier aber schien es ihm sogar lieb zu sein, und er verließ selbst auf kurze Zeit das Haus, versprach jedoch, bald zurückkehren zu wollen, um von dem Mulatten, wenn dieser aus seiner Betäubung erwache, noch über manches Aufklärung zu erhalten.

Das zu verhindern, war jetzt Sanders einziges Ziel, und mit verschlungenen Armen und fest aufeinander gebissenen Zähnen ging er, als er sich mit dem Doktor und dem Kranken allein sah, im Zimmer auf und ab, um seine Pläne zu ordnen und die nötigen Maßregeln zu ergreifen.

Er befand sich aber auch hier in einer kritischen Lage. Sein Plan, der ihn hierher geführt hatte, war durch eine Bemerkung der alten Mrs. Lively wenn nicht ganz beiseite geworfen, doch sehr erschüttert worden. Er hatte nämlich durch ihr Gespräch mit Mrs. Dayton erfahren, daß die alten Benwicks in Georgia gestorben wären, und er wußte durch seine frühere Bekanntschaft mit Adele Dunmore recht gut, daß sie von jenen erzogen und einem eigenen Kinde gleich behandelt worden sei. Kellys Absicht mit ihr glaubte er nun zu durchschauen; – wahrscheinlich harrte ihrer eine bedeutende Erbschaft. Blackfoot hatte ihm ja gesagt, daß Kelly mit Simrow in Georgia auf das lebhafteste korrespondiere. In diesem Falle stand sonach der auf seinen Dienst gesetzte Preis in gar keinem Verhältnis zu dem Gewinn. Unter jeder Bedingung mußte er also, ehe er des Kapitäns Plan selber förderte, noch einmal mit diesem sprechen und ihm wenigstens zu verstehen geben, daß er mit der Sache näher bekannt sei, als jener jetzt zu ahnen scheine. Fand er diesen dann unnachgiebig, was er jedoch kaum fürchtete, ei nun, so gab es vielleicht irgendeinen Ausweg, die schöne Beute für sich selber zu entführen. Wie das möglich zu machen wäre, wußte er für den Augenblick allerdings noch nicht; dem eitlen Wüstling schien aber nichts unmöglich, wo seine eigene Person mit ins Spiel kam. Auf jeden Fall mußte er Kellys Plan aufschieben, um auch selbst noch seinerseits die nötigen Erkundigungen einzuziehen, und hierbei gab ihm des Mulatten Gefangennahme eine herrliche Ausrede, weshalb er den erhaltenen Befehl nicht ohne Zögern ausgeführt habe.

Des Mulatten Zustand wurde aber auch ohnedies ein neuer Grund solcher Handlungsweise. Er durfte ihn nicht verlassen, ohne sich vorher überzeugt zu haben, ob er überhaupt noch imstande sein werde, Geheimnisse zu enthüllen, und wie weit seine Kenntnis derselben reiche. Konnte der Mulatte der Insel gefährlich werden, so verlangte es nicht allein Sanders Schwur – um den hätte er sich vielleicht weniger gekümmert –, nein, seine eigene Sicherheit, daß er unschädlich gemacht würde, und seine einzige Hoffnung blieb jetzt, alle Zeugen zu entfernen und dem Verwundeten dann schnell und unbemerkt den Todesstoß zu geben. Mit Blut bedeckt, wie er war, hätte niemand daran gedacht, ihn näher zu untersuchen, und war er dann rasch beerdigt oder auch dem Doktor überliefert, brauchte man von der Leiche keinen Verrat mehr zu fürchten.

Dieser Plan scheiterte aber an der fürchterlichen Leidenschaft, die der Doktor für Schwerverwundete hegte. Nicht durch alle Versprechungen der Welt wäre er zu bewegen gewesen, das Zimmer auch nur einen Augenblick zu verlassen, und er fing sogar jetzt schon an, obgleich der Unglückliche bei jeder Berührung die heftigsten Schmerzen zu empfinden schien, den Körper zu untersuchen und festzustellen, welche Teile besonders verletzt wären. Dies suchte Sander dadurch zu verschieben, daß er den kleinen Mann darauf aufmerksam machte, wie unumgänglich notwendig es sei, Schienen für die gebrochenen Gliedmaßen herzustellen. Davon wollte jedoch der Doktor nichts wissen, indem er auf schleuniger Amputation bestand, und er kramte zu diesem Zweck seine rasch herbeigeschleppte Satteltasche aus. Oben enthielt die Tasche eine Menge von kleinen Fläschchen und Büchsen, worunter nachher das schwere Geschütz, Messer, Sägen, Skalpelle und andere, gräßlich geformte und markdurchschneidend blank- und saubergehaltene Instrumente, folgte. Die Fläschchen und Büchsen stellte der kleine geschäftige Doktor, damit ihm nicht irgendein Unglück damit passiere, auf den Kaminsims, und die Sägen und übrigen Instrumente breitete er auf dem einzigen kleinen Tische aus, der im Zimmer stand, so daß sich Cook, als er einmal hereintrat, einen heimlichen, aber heiligen Eid schwur, von dem Tische nie wieder einen Bissen essen zu wollen.

In Livelys Hause drüben hielten die Männer indessen Rat, was jetzt am besten anzufangen sei, um den entflohenen Weißen einzuholen; denn Cook meinte, nach des Doktors Äußerungen dürften sie schwerlich darauf rechnen, den Mulatten so weit wieder hergestellt zu sehen, daß er irgendeine Frage vernünftig beantwortete. Als sie jedoch noch miteinander darüber verhandelten, kehrte James zurück und erklärte, Cotton habe sich wieder dem Flusse zugewendet, und es sei kein Zweifel, daß er entweder südlich hinabgegangen sei oder den Strom bloß kreuzen wolle. Beides mußten sie zu verhindern suchen; denn nicht allein, daß er schon in Arkansas gemordet hatte, weshalb sogar ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt war, sondern auch in seiner jetzigen Lage blieb ihm fast nichts weiter als Raub und Mord übrig. Um den Nachbarstaat von solcher Geisel zu sichern und um auch nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, daß der Verbrecher in ihre eigene Gegend zurückkehre, beschlossen sie, dem Mississippi zu die Nachbarn zu warnen und aufzubieten. James sollte zu diesem Zweck, da Cook zu kurze Zeit in der Gegend war, um sie genau zu kennen, nach Helena zu, oder vielmehr etwas über Helena hinaus, alle Waldleute requirieren, während der alte Lively dem Strom in gerader und nächster Richtung zu ging, um von hier aus ebenfalls die nötigen Maßregeln zu treffen. Abends wollten sie jedoch zurückkehren, um zu hören, ob vielleicht von anderen Seiten Nachrichten eingegangen seien. Daß der Mörder versuchen sollte, den Mississippi hinauf zu entkommen, schien ihnen mit Recht unwahrscheinlich; für unmöglich hielten sie es aber, daß er nach Helena selbst fliehen würde, da sie ja die Verbindungen nicht ahnen konnten, die Helena verbrecherischerweise zu den Nachbarstaaten hatte.

Cook sollte also inzwischen versuchen, mit des Doktors Hilfe den Neger wieder ins Leben zurückzurufen und ihm, da er ja schon gegenwärtig genug für seine Sünden litt, gänzliche Straflosigkeit zusichern, wenn er gestehen wollte, wo besonders einzelne bei Little Rock geraubte wertvolle Gegenstände verborgen seien und wer seine bis dahin noch unentdeckten Helfershelfer wären.

Die Damen rüsteten sich jetzt ebenfalls zum Aufbruch, da ja auch der Raum in Livelys Hause auf so traurige Art beschränkt worden war. James aber mußte natürlich vermuten, Mr. Hawes, wie sich hier Sander nannte, würde sie auch zurückgeleiten, da er ja überdies Miß Adele abzuholen gekommen war. Ehe er also sein eigenes, unterdessen rasch gefüttertes Pferd wieder bestieg, ging er noch einmal hinüber zu den Damen und bat um Entschuldigung, daß er sie nicht noch ein Stückchen begleiten könne, aber der Gegenstand, um den es sich handle, erfordere zu dringende Eile, um ihn auch nur eine Viertelstunde aufschieben zu können. In nächster Woche sei jedoch hoffentlich alles beigelegt, und dann käme er wieder herunter nach Helena und wollte die Ladies, wenn's ihnen recht sei – und James wußte gar nicht, wie gut ihm seine jetzige Verlegenheit stand, er wäre sonst noch viel verlegener geworden –, einmal auf recht ordentlich lange Zeit hierheraus holen.

Treuherzig ging er dann auf beide zu, reichte und drückte ihnen herzlich die Hände, sprang in den Sattel und trabte rasch von dannen, während der alte Lively ebenfalls seine Büchse schulterte, die für ihn hingelegten Lebensmittel in die Kugeltasche schob und mit einem kurzen »Good bye« seinen eigenen Weg einschlagen wollte.

»Aber Mr. Lively«, bat da Mrs. Dayton und trat ihm in den Weg, »wieder barfuß? Sie sind erst kürzlich krank gewesen; – das kann ja auch gar nicht gesund sein. Wenn Sie sich nun recht ordentlich erkälten und einmal monatelang das Lager hüten müssen?«

Der alte Mann lächelte; der Gedanke war ihm fremd, ja dergleichen hatte er noch nicht einmal für möglich gehalten, – monatelang krank im Bett, nein – ein paar Tage vielleicht, wenn ihn einmal das kalte Fieber schüttelte, aber auf keinen Fall länger.

»'s hat keine Not«, sagte er und griff dabei in den Nacken, um einen lästig werdenden Holzbock fortzunehmen, »bin einmal daran gewöhnt; ich kann das Schuhwerk nicht leiden.«

»Ach, dazu bringen Sie ihn nicht«, meinte die alte Mrs. Lively kopfschüttelnd, »was habe ich da nicht alles schon geredet und gebeten; er bleibt bei seinem Dickkopf und läßt die Schuhe lieber verschimmeln, als daß er sie anzöge. Höchstens sonntags bequemt er sich einmal dazu, wenn er mit mir zur Kirche reitet.« Dem Alten fing es an unbehaglich zu werden und er wollte gehen, Adele aber trat ihm jetzt in den Weg und sagte, bittend dabei seine Hand ergreifend: »Kommen Sie, Mr. Lively, zeigen Sie einmal, daß die Frau unrecht hat und daß Sie auch nachgeben können. – Nicht wahr, Sie ziehen die Schuhe heute an? Sehen Sie, da drüben steigt ein Wetter herauf; wenn es regnet und Sie mit bloßen Füßen weit im Walde drin sind, da müssen Sie ja krank werden.«

Lively blickte verzweiflungsvoll nach der Tür. Das junge, schöne Mädchen war aber nicht so leicht abgefertigt wie seine Frau. Mit den großen, sprechenden Augen blickte sie ihm so bittend und treuherzig ins Gesicht, daß er schon, fast wie unwillkürlich, die rauhen Sohlen auf der Diele abzustreichen anfing, als ob er direkt in die heute wirklich unvermeidlichen Schuhe hineinfahren wollte. Das merkte seine Frau aber kaum, als sie auch schon rasch an den Schrank lief, um die von dem Gatten sonst so wenig gebrauchten und ›Fußquetschen‹ genannten Schuhe herbeizuholen. Gleich darauf standen sie mit gelösten Riemen und sauber abgestäubt dicht vor ihm, und als er noch einmal von Mrs. Dayton wie von Adele recht freundlich gebeten war, nur dieses Mal ihrem Rat zu folgen, und dann vorsichtig erst in den rechten und dann in den linken Schuh hineingesehen hatte, als ob er etwa glaube, es habe sich in der langen Zeit, in der sie unbenutzt gestanden, irgendein junges Schlangenpaar häuslich darin niedergelassen, schüttelte er lächelnd mit dem Kopfe, blickte noch einmal ins Freie und fuhr endlich, als er hier den Rückzug dreifach abgeschnitten sah, tief aufseufzend in die ihm lästige Fußbekleidung. Während er sich die Riemen zuband, hielt ihm seine Frau das Gewehr. Als er endlich zum zweiten Male Abschied genommen hatte und über den schmalen Hofraum schritt, begegnetete ihm Cook, und er ging dicht hinter einem dortliegenden Trog weg, damit jener nur nicht sehen sollte, daß er Schuhe trage. – Es kam ihm so fremdartig vor, daß er sich ihrer ordentlich schämte.

»Ich bin wirklich froh«, sagte Adele lächelnd, als der alte Mann endlich über den Zaun gestiegen war und hinter den dichten Büschen der Waldung verschwand, »daß wir ihn so weit gebracht haben. In seinen Jahren ist es doch sicherlich gefährlich, dem Wetter auf solche Art zu trotzen.«

»Mich wundert's, daß er's tat«, meinte Mrs. Lively, »das hab ich aber nur Ihnen zu verdanken, meine gute Miß; so gern er mich hat, mir zuliebe hätte er sie im Leben nicht angezogen. Jetzt will ich aber auch sehen, ob ich ihn nicht dabei behalten kann, und wenn er mir eine Weile die Schuhe getragen hat, ei, dann schwatze ich ihm am Ende auch noch die wollenen Socken auf!«

Gute Mrs. Lively, wie du in deiner Unschuld da so freundliche Pläne auf rindslederne Schuhe und wollene Socken bautest! – Hättest du deinen Alten in demselben Augenblick, wo du dich deines Sieges freutest, gesehen, deine kühnen Hoffnungen würden sich nicht zu solcher Höhe hinaufgeschwungen haben.

Und was tat old man Lively?

Er schritt langsam und vorsichtig, als ob er auf Eiern ginge, in dem teils ungewohnten, teils verhaßten Schuhwerk wirklich in den Wald, wie es seine Frau von ihm verlangt hatte. Kaum aber hatte er das düstere Dämmerlicht der Holzung betreten, da warf er den Blick zurück und schaute sich um, ob er die Heimat noch von da aus erkennen könne. Ja – er sah durch die Büsche den hellen Schein der Häuser schimmern.

– Weiter wanderte er, noch etwa hundert Schritt, bis er zu einem kleinen Dickicht von Dogwoodbäumen kam, das tief versteckt im stillen Hain lag. Hier lehnte er vorsichtig seine Büchse an einen Hickory, band sich dann die Schuhbänder wieder eins nach dem andern auf, zog die Schuhe aus, hängte sie sorgsam oben hinein in den laubigen Wipfel eines niedern Dogwoodbusches, streckte das linke und dann das rechte Bein, als ob er irgendein lähmendes oder beengendes Gefühl hinausdehnen wollte, schulterte aufs neue, aber diesmal viel rascher und freudiger, seine Büchse und zog nun mit so schnellen und lebhaften Schritten in dem leise rauschenden Walde hin und lächelte dabei so stillvergnügt und selbstzufrieden in sich hinein, daß gewiß jeder, der ihn so gesehen hätte, seine recht herzliche Freude an ihm gehabt haben müßte, ob er auch barfuß mit den hornigen Sohlen durch gelbes Laub und dürre Äste dahinschritt. Von dem Tage an weigerte sich Vater Lively nie, wenn seine Frau ernsthaft in ihn drang, die Schuhe anzuziehen. Sonderbar war es aber, daß er dann auch stets genau wieder an derselben Stelle aus dem Walde kam, wo er ihn zuerst betreten hatte. Seine Frau wußte nicht, warum; er aber desto besser. Er mußte ja die aufgehängten Schuhe erst wieder anziehen, ehe er sich vor dem Hause blicken lassen durfte.


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